Ducatis Mittelklasse ohne Desmodromik?
Die Desmo-Ente aus Indien

In indischen Medien tauchte eine Meldung auf, Ducati plane, die Desmodromik in weiteren Motoren aufzugeben. MOTORRAD ging der Sache nach.

In diesem Artikel:
  • Ente aus Indien: Ducati ohne Desmodromik
  • Die Desmos von Ducati
  • Desmo oder nicht?
  • Braucht Ducati die Desmo noch?
  • Neuer Motor, neues Spiel?
  • Fazit

Die Marke Ducati ist eine Legende. Für viele hat die spezielle Zwangsteuerung der Ventile ohne konventionelle Ventilfeder daran einen großen Anteil. Die sogenannte Desmodromik beherrscht seit dem Gran-Turismo-V4 der Multistrada nicht mehr allein das Ducativersum. Denn der Straßen-V4 bekam 2020 eine herkömmliche Ventilsteuerung mit Federn und gleichzeitig Kontrollintervalle von 60.000 Kilometern. So gesehen wurde ein vermeintlich wartungsintensiver Motor ein objektiv wartungsarmer. Das senkt Kosten. Und das soll den V2-Motoren der Mittelklasse von Ducati ebenfalls bevorstehen. (In der Fotoshow: der V4 mit Ventilfedern.)

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Ente aus Indien: Ducati ohne Desmodromik

In einem Interview zitiert die Autocar India einen Ducati-Manager: In den aktuellen V2-Motoren der Monster, DesertX, Multistrada V2 und Supersport werde die Desmodromik gegen eine herkömmliche Ventilsteuerung getauscht. Eine Ente, wie sich auf Nachfrage bei Ducati herausstellte. Allerdings ist die Frage berechtigt: Wie lange kann sich eine teure, im Grunde obsolete Technik in der preissensiblen Mittelklasse halten?

Die Desmos von Ducati

Seit Mitte der 1950er verbaute Ducati in all seinen Motoren die Desmodromik. Also das zwangsgesteuerte Öffnen und Schließen der Ventile über Hebel, erst per Königswelle, dann per Zahnriemen, heute zum Teil per Steuerkette. Die Vorteile der Technik: Klassische Ventilfedern fehlen, müssen daher nicht mit Motorkraft geöffnet werden und flattern nicht bei hohen Drehzahlen. Die Nachteile: wartungsintensiv und teuer in der Fertigung.

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BMW (3), Ducati (4), Honda (1), Kawasaki (1), KTM (1), Royal Enfield (1)
Über einen Kipp-Schlepphebel öffnet und schließt die Nockenwelle das Ventil. Vorteil: Drehzahlfester und höherer Wirkungsgrad des Motors.

Mit dem V4 der Multistrada kam nach fast 70 Jahren erstmals ein Ducati-Motor ohne Desmodromik auf den Markt. Ergebnis: Statt alle 24.000 Kilometer wie die hochdrehenden Desmo-V4 muss die Multistrada nur noch alle 60.000 Kilometer zum Ventilcheck. Ein schlagendes Argument. Aber ist es stark genug, um dem wassergekühlten V2 eine Zukunft ohne Desmo anzudichten?

Desmo oder nicht?

In dem falschen indischen Artikel werden die Testastretta-V2-Modelle Monster, DesertX, Multistrada V2 und Supersport 950 genannt, die angeblich ihre Desmodromik verlieren würden. Der größere Superquadro V2 und mit ihm die Modelle Panigale V2 und Streetfighter V2 wären ausgenommen. Doch der Testastretta ist in seiner Ur-Form bereits 22 Jahre alt und in seiner aktuellen Konfiguration mit 937 Kubik und um die 110 PS zu höchster Reife entwickelt. In die vermeintliche Cashcow ohne Grund eine komplett neue Ventilsteuerung zu integrieren und vorher zu entwickeln, erscheint wenig sinnvoll. Vor allem, da die Intervalle für die Ventilspielkontrolle mit 30.000 Kilometern die Länge herkömmlicher Motoren erreicht, teilweise sogar überschritten haben.

Braucht Ducati die Desmo noch?

Lange waren Desmodromik-Motoren von Ducati in Bezug der Drehzahlen den Motoren mit Ventilfeder überlegen, doch in den Drehzahlbereichen der Mittelklasse, also bis circa 10.000 Touren ist rein in den technischen Daten kaum ein Vorteil zu erkennen. Einzig die Top-Desmo-Motoren der Panigale und Streetfighter drehen im Vergleich zur Konkurrenz deutlich höher. Beispiel: Die Panigale V4 R dreht 15.500 /min bei 218 PS, die BMW M 1000 RR "nur" 14.500 /min für 212 PS. In den exklusiven Motoren wird die exklusive Technik bei Ducati wohl immer ihren Platz im Kopf haben.

Neuer Motor, neues Spiel?

Wenn Ducati mit dem Gedanken spielte, die vermeintlich teure Desmodromik in der Mittelklasse einzustellen, dann sicher nicht in einem 22 Jahre alten Grundkonzept, sondern in einem neuen Motor zwischen 800 und 999 Kubik. So könnten die Italiener die Zylinderköpfe direkt dem herkömmlichen Ventiltrieb anpassen. Doch wenn wir uns darüber unterhalten, in der preissensiblen Mittelklasse neue, günstigere Motoren anzubieten, dann muss das andere ikonische Motorenkonzept von Ducati so hinterfragt werden: Baut Ducati noch V2 oder halbieren sie den V4 zu einem Reihentwin ohne Desmodromik?

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Fazit

In einem vermeintlichen Interview gab ein Ducati-Manager angeblich das Ende der Desmodromik im V2 bekannt. Eine Ente, wie sich herausstellte. Doch die aufgeführten Vorteile einer konventionellen Ventilsteuerung waren Anlass für MOTORRAD, darüber nachzudenken. Und wir kommen zu dem Schluss: Dem Testastretta-V2 nach über 20 Jahren grundlos die komplette Gaswechselsteuerung zu tauschen, ergibt kaum Sinn. Außer, Ducati möchte unbedingt die marktüblichen 30.000 Kilometer zwischen den Ventilspielkontrollen weiter verlängern.

Anders fällt die Schlussfolgerung aus, wenn wir das Bild des Nachfolgers des Testastretta für die Mittelklasse zeichnen. Da könnten wir zum Schluss kommen, dass da nicht nur die Desmodromik zur Debatte stünde, sondern das komplette Konzept eines V2 im Vergleich mit dem inzwischen dominierenden Motorenlayout, dem Reihenzweizylinder.

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Erscheinungsdatum 26.05.2023