Die Informationen im Internet waren
einfach zu interessant, um sie ver-
traulich zu behandeln: eine zwölf Jahre alte Yamaha XV 1100 aus erster Hand, die nicht einmal 4400 Kilometer gelaufen ist und nun für 3500 Euro zum Verkauf steht. Klar, dass man da als notorischer Gebrauchtinteressent hellhörig wird. Nachdem der anonyme Informant am
Telefon noch einmal bekräftigt, dass man über den Preis reden könne, machen wir uns auf den Weg.
Es ist später Nachmittag, als wir unseren V-Mann treffen. Mit seinen langen Haaren passt er so gar nicht in diese
erzkonservative Gegend am Fuß der Schwäbischen Alb, wo gepflegte Einfamilienhäuser von Gartenzwergen bewacht werden und die einen Spalt zur Seite
geschobenen Gardinen von der Neugier der Nachbarschaft künden. Doch der
V-Mann bleibt locker und erzählt die Geschichte seiner XV 1100, die mehrmals für längere Zeit stillgelegt wurde, weil erst die Zeit fehlte und mittlerweile die Lust aufs Fahren abhanden gekommen sei.
Die langen Standzeiten sind je-
doch nicht spurlos an der großen Virago
vorübergegangen. An zahlreichen Schrauben, am Lenker, den Federbeinen, der Schwinge sowie dem versteckt hinter Blenden liegenden Auspuffsammler hat sich Flugrost eingenistet. Zwar noch nicht dramatisch, aber immerhin so stark, dass dem künftigen Käufer als Sofortmaß-
nahme eine intensive Pflegekur anzu-
raten ist. Des Weiteren empfiehlt sich der
Austausch der ausgehärteten Bereifung sowie der rissigen Ansaugstutzen.
Demgegenüber präsentieren sich sowohl die Lackteile als auch die Chromflächen der Auspuffanlage in einem einwandfreien Zustand. Positiv fällt außerdem ins Gewicht, dass der Besitzer
den im Inneren stark angerosteten Tank
bereits aufwendig und fachmännisch
sanieren ließ, eine neue Batterie einbaute und die notwendige Vollabnahme erledigte, was sich seinen Angaben zufolge
zu einem Betrag von rund 500 Euro
summiert hat. Lobenswert auch, dass
der Originallenker noch vorhanden ist,
da der nachgerüstete T-Lenker nicht
jedermanns Sache sein dürfte, wie die
erste Sitzprobe zeigt.
Technisch scheint die Maschine fit
zu sein. Der kalte Motor springt auf den ersten Knopfdruck an und reagiert nach kurzer Warmlaufphase spontan auf Gasbefehle. Auf die angebotene Probefahrt der abgemeldeten Maschine »die Straße rauf und runter« verzichten wir jedoch, vermutlich ganz im Sinne der Beobachtungsposten hinter den Gardinen.
Die nicht zu übersehenden Roststellen sowie die noch anstehenden Arbeiten (Austausch von Bremsflüssigkeit, Reifen und Ansaugstutzen) führen letztlich dazu, dass unser V-Mann von seiner ursprünglichen Preisvorstellung alsbald abrückt und sich »mit zwei tränenden Augen« für 2800 Euro von seiner Virago trennen
würde. Ein echter Schnäppchenpreis, der laut Schwacke-Liste in etwa dem Händlerverkaufswert für ein 1993er-Modell
entspricht allerdings mit rund 80000
Kilometern auf dem Tacho.
Wenig Verhandlungsbereitschaft zeigt hingegen der Besitzer einer anderen
XV 1100 (siehe Fotos oben), der seine perfekt gepflegte Yamaha wegen des sich ankündigenden Nachwuchses verkaufen möchte. Diese Virago aus Zweitbesitz wurde 1996 erstmals zugelassen, hat 21800 Kilometer auf der Uhr und soll einschließlich progressiver Gabelfedern, Sturzbügel und Kofferträger 4900 Euro bringen. Maximal 100 Euro würde der Verkäufer nachlassen. Trotz des makellosen Zustands ist der Preis jedoch eindeutig zu hoch. Zum Vergleich: Schwacke taxiert den Händlerverkaufspreis auf lediglich 4100 Euro.
MOTORRAD-Checkpoint - Yamaha XV 1100
Technische Daten (Modell 3LP)MotorLuftgekühlter Zweizylinder-Viertakt-75-Grad-V-Motor, je eine obenliegende, kettengetriebene Nockenwelle, zwei über Kipphebel betätigte Ventile pro Zylinder, Nasssumpfschmierung, Mikuni-Gleichdruckvergaser, Ø 40 mm, kontaktlose Transistorzündung, keine Abgasreinigung, E-Starter, Drehstromlichtmaschine 280 Watt, Batterie 12 V/16 Ah, Fünfganggetriebe, Kardanantrieb.Hubraum 1063 cm3Nennleistung 45 kW (62 PS) bei 6000/minMax. Drehmoment 85 Nm (8,7 kpm) bei 3000/minFahrwerkPressstahlrahmen, Telegabel, Standrohrdurchmesser 38 mm, Zweiarmschwinge aus Stahlrohr, zwei Federbeine mit verstellbarer Federbasis, Doppelscheibenbremse vorn, Ø 282 mm, Zweikolbensättel, Trommelbremse hinten, Ø 200 mm, Reifengröße vorn 100/90 H 19, hinten 140/90 H 15.Maße und GewichteRadstand 1525 mm, Lenkkopfwinkel 58 Grad, Nachlauf 129 mm, Federweg v/h 150/97 mm, Sitzhöhe 700 mm, Tankinhalt 16,8 Liter, Gewicht vollgetankt 245 kg, zulässiges Gesamtgewicht 480 kg.Messwerte (MOTORRAD 26/1995)Höchstgeschwindigkeit solo (mit Sozius) 172 (158) km/hBeschleunigung solo (mit Sozius)0100 km/h 4,9 (6,5) sekDurchzug solo (mit Sozius) 60140 km/h 13,2 (19,1) sekVerbrauch 5,4 bis 10,5 l/100 km, Normalbenzin
Expertentipp - Yamaha XV 1100
StärkenRobustes, langlebiges Triebwerk; unkompliziertes, wendiges Fahrwerk mit vergleichsweise guter Handlichkeit; ordentliche AusstattungSchwächenUnbequeme Sitzposition für Fahrer und Sozius; hoher Verbrauch; anfälliger Anlasser-MechanismusXV-SpezialistZweirad-Technik Ferdinand März, Telefon 06551/4404; Internet: www.yamaha-f-maerz.de Tests in MOTORRAD1Test 7/1989Vergleichstest 10/1994Gebrauchtkauf 17/1996Kurztest 26/1996Die Yamaha XV 1100 im Internetwww.stars-and-wings.de; www.viragoownersclub.org