Eingesperrt im Stau, werden seltsame Wünsche wach. Einer davon ist für viel Autofahrer nun erfüllbar: 125er fahren. Und die muß noch nicht mal neu sein.
Eingesperrt im Stau, werden seltsame Wünsche wach. Einer davon ist für viel Autofahrer nun erfüllbar: 125er fahren. Und die muß noch nicht mal neu sein.
Daß die 125er Klasse noch einmal einen solchen Aufwind erfahren würde, damit hätte bis vor kurzem wohl kaum jemand gerechnet. Die kleine Hubraumklasse lag am Boden, nur ganz hartgesottene Freaks konnten sich noch für so eine Giftspritze mit bis zu 30 PS begeistern, dementsprechend mager war auch die Auswahl an Neumaschinen. Doch seit dem Stichtag 1. März 1996 dürfen Autofahrer, die ihren Führerschein der Klasse 2, 3 oder 4 vor dem 1. April 1980 gemacht haben, ohne eine weitere Prüfung eine 125er mit bis zu 15 PS fahren - der Europäischen Union sei Dank. Und seitdem ist alles anders.
Die Neuregelung sorgte natürlich für einen gewaltigen Schub in der Angebotspalette der Achtelliter-Klasse. Während 1995 gerade mal elf verschiedene 125er auf dem deutschen Markt dümpelten, hat sich die Zahl der Modelle bis heute mehr als vervierfacht. Zur Zeit sind es zirka 45 Stück - genau weiß mans nie, da sich die Zahl durch teilweise äußerst phantasievolle Importeure von Monat zu Monat ändert. Und dabei nicht zu vergessen die 125er Roller, die noch einmal rund 35 Alternativen bieten. Da müßte doch für jeden etwas dabei sein, sollte man meinen.
Wäre wohl auch so, wenn noch etwas da wäre. Denn kaum ein Händler hat noch eine neue 125er auf dem Hof stehen. Das Interesse ist einfach zu groß, der Markt fast leergefegt. Fachleute halten es übrigens für möglich, daß sich innerhalb der nächsten zwei Jahre bis zu zwei Millionen Autofahrer für eine 125er Bereicherung ihres Fuhrparks entscheiden werden.
Bleibt also nur noch der Gebrauchtmarkt. Schließlich gab es in den Jahren 1977 und 1978 schon einmal einen Boom der 125er Klasse, ausgelöst durch die Regelung, die auch heute noch gilt, nämlich daß Motorräder nicht mehr nach Hubraum, sondern nach Leistung versichert werden. Billiger als mit einer 125er bis zehn PS konnte und kann man nicht Motorrad fahren. Immerhin umfaßte das Angebot in diesen Jahren jeweils deutlich über 20 Maschinen.
Und was für welche. Harley-Davidson mischte mit zwei Zweitaktern namens SXT und SS 125 mit, sogar eine MV Agusta 125 S mit brutalen neun PS war in der Angebotsliste zu finden. Die spanische Firma Bultaco wagte sich mit der Streaker 125er von ihrem Trial-Programm weg, die italienische Firma Morini schnitt quasi den hinteren Zylinder ihrer »3 1/2« ab und kreierte so die 125 T mit neun PS. Diese Jahre waren auch die Hochzeiten der sogenannten City-Bikes, die heute so etwas wie einen Gegentrend zu den allgegenwärtigen Rollern darstellen: Die Honda ST 70 Dax, Suzuki RV 90 oder 125 und Yamaha LB 3 bop 80 sind inzwischen mindestens wieder genauso beliebt wie damals. Wer die etwas andere Enduro sucht, wird vielleicht mit dem ehemaligen Bundeswehrkrad Hercules K 125 Military glücklich, und als ganz »normale« Motorräder empfehlen sich zum Beispiel die Kawasaki KH 125 oder die Yamaha RS 100 DX. Doch auch bei all diesen Modellen ist die Auswahl eher dürftig, der Interessent muß zumindest etwas Geduld beweisen.
Hohe Laufleistungen sind jedenfalls bei den alten 125ern nicht zu erwarten. Sehr häufig blieben nämlich solche Zehn-PS-Maschinchen als Hüter des Schadenfreiheitsrabatts zwar ganzjährig angemeldet, wurden aber eher selten bis gar nicht bewegt. So sind große Schäden durch hohe Laufleistungen vermutlich auszuschließen. Aber Vorsicht: Motorräder können sich auch kaputtstehen. Besondere Aufmerksamkeit sollte der Interessent daher dem Inneren des Tanks widmen. Zeigen sich hier beim Hineinleuchten mit der Taschenlampe verrostete Stellen, wird der spätere Besitzer nicht viel Freude haben: Der Rost fliegt im Sprit herum und verstopft irgendwann den Benzinhahn. Viertakter bleiben dann lediglich stehen, Zweitakter mit Mischungsschmierung dagegen können durch Spritmangel auch festgehen. Weiterhin sind sämtliche Dichtungen, besonders aber die Dichtringe an der Gabel und am Getriebeausgang vom Alterungsprozess betroffen.
Handelt es sich bei dem angepeilten Stück nicht gerade um ein City-Bike oder um ein sonstiges Sammlerstück, dürfte der Preis normalerweise kaum über 1000 Mark liegen. Aber nur normalerweise, denn als normal können die Verhältnisse auf dem 125er Markt zur Zeit nicht gelten. Und das Angebot regelt nun einmal die Nachfrage. Aber vielleicht ist es noch nicht zu jedem Verkäufer durchgesickert, daß die alte, angestaubte 125er, die schon so lange im Keller steht, mittlerweile wieder richtig begehrt - und damit teuer - sein könnte.
Eine Gebrauchte muß aber nicht unbedingt uralt sein, vielleicht hat der Interessent ja das Glück, zum Beispiel über eine gebrauchte Aprilia RS 125 Extrema oder eine Cagiva Mito zu stolpern. Diese Motoräder leisten beide zwar über 30 PS, doch hier kann der Zubehörhandel weiterhelfen, die Pferdchen führerscheingerecht einzubremsen. Besonders die Firmen Alpha-Technik (Kleinholzener Weg 1, 83071 Stephanskirchen, Telefon 0 80 36/45 45) und Motorrad Boe (Habbeler Straße 4, 58849 Herscheid, Telefon 0 23 57/37 60) können für viele Modelle Drosselkits liefern, nicht nur auf 15 PS, sondern auch für die 16jährigen Neueinsteiger auf 80 km/h. Die Preise hierfür bewegen sich, je nach Modell und Aufwand, zwischen 75 und 430 Mark.
Apropos Drosselung: Hin und wieder kann sich auch das Gegenteil, eine Entdrosselung nämlich, lohnen. Der Honda-Roller SJ 100 Bali EX zum Beispiel läuft genau 80 km/h, darf so auch von einem Neueinsteiger gefahren werden - und wird dafür bei vielen Versicherungen auch mit einer entsprechend hohen Versicherungsprämie bestraft. Mit dem Entdrosselungskit von Boe für 75 Mark wird der Roller fünf km/h schneller und rutscht damit in eine andere, deutlich günstigere Versicherungsklasse.
Ansonsten brauchts für gebrauchte Roller kaum nachträgliche Leistungsänderungen, denn in diesem Fall ists wirklich ein Vorteil: 125er Roller haben nur selten mehr als elf oder zwölf PS.
Der 1. März 1996 ist für viele Führerschein-Inhaber der Klassen 2, 3 und 4 ein denkwürdiger Tag. Seit diesem Datum nämlich dürfen sie ohne eine weitere Prüfung ein Motorrad oder einen Roller mit 125 cm³ und maximal 15 PS (11 kW) bewegen - vorausgesetzt, der Führerschein wurde vor dem 1. April 1980 ausgestellt. In diesem Zusammenhang die schlechte Nachricht für all diejenigen, denen der Führerschein schon einmal entzogen wurde: Eine nach diesem Datum neu erteilte Fahrerlaubnis berechtigt nicht zum Fahren einer 125er.Angesichts des großen Bestands an 150er MZ (zum Beispiel allein rund 24 000 ETZ 150), die wegen ihres zu großen Hubraums nicht unter die neue Regelung fallen, hatte zumindest das Land Sachsen ein Einsehen: Hier kann bei den zuständigen Führerschein-Behörden eine Ausnahmegenehmigung beantragt werden. Voraussetzung: Das Motorrad muß erstmals in der ehemaligen DDR zugelassen worden sein, außerdem liegt die Erteilung der Ausnahmegenehmigung im Ermessen der jeweiligen Behörde.Auch für die 16jährigen Neueinsteiger gilt seit 1996 eine neue Regelung: Sie dürfen sich mit dem Führerschein 1b statt mit bisher 80 cm³ nun auch mit 125 cm³ fortbewegen. Leider dürfen diese Leichtkrafträder, wie bisher auch, nicht schneller als 80 km/h laufen - besonders auf der Autobahn manchmal eine gefährlich niedrige Geschwindigkeit.
Seit dem 1. März 1996 heißen 125er bis maximal 15 PS, egal ob alt oder neu, Leichtkrafträder beziehungsweise Leichtkraftroller. Diese Fahrzeuggattung hat keinen Fahrzeugbrief, sondern nur eine Betriebserlaubnis und ist damit steuerfrei. Groß ist die Steuerersparnis allerdings nicht - gerade mal 18 Mark sinds.Wenn die 125er bereits vor dem 1. März 1996 zugelassen war, hat der Halter noch die freie Wahl, ob er eine Einstufung als Motorrad oder Leichtkraftrad wünscht. Und das ist nicht ganz unwichtig. Für die Zulassung als Motorrad sprechen die meist niedrigeren Versicherungstarife: Die Haftpflicht kostet in der Klasse bis 17 PS in der Regel weniger als 150 Mark pro Jahr (bei 100 Prozent Schadenfreiheitsrabatt). Bei den Leichtkrafträdern (bis 15 PS) reicht die Tarifskala von rund 120 Mark bis immerhin rund 750 Mark pro Jahr - nachzulesen im Vergleich der Leichtkraftrad-Versicherungstarife in MOTORRAD 5/1997. Manche Versicherer gewähren Fahrern, die über 25 Jahre alt sind, Sonderrabatte, andere stufen Leichtkraftroller günstiger als Leichtkrafträder ein - hier lohnt also ein penibler Vergleich der Versicherungsbedingungen. Auch wenn sich die Wahl bei der Zulassung zwischen Motorrad und Leichtkraftrad scheinbar noch nicht bis zu allen Prüfstellen und Zulassungsbehörden herumgesprochen hat, im Verkehrsblatt 6/1996, herausgegeben vom Bundesministerium für Verkehr, stand auf Seite 165 zu lesen: »Motorisierte Zweiräder bis 125 cm³ und 11 kW (aber mehr als 80 cm³ oder mehr als 80 km/h), die nach altem Recht als Krafträder der Klasse 1a einzuordnen waren, fallen nunmehr in die Klasse 1b und können mit einer Fahrerlaubnis dieser Klasse zugeführt werden, selbst wenn sie als Krafträder zugelassen sind.« Diese Wahlmöglichkeit entfällt bei den 125ern, die erst nach diesem Stichtag in den Verkehr gekommen sind: Sie gelten ohne Wenn und Aber als Leichtkrafträder.Die armen 16jährigen müssen übrigens mit meist rund 1000 Mark bei der Versicherung deutlich mehr auf den Tisch blättern. Apropos 16jährige: Auf 80 km/h gedrosselte 125er erhalten ein kleines Kennzeichen, die offenen Leichtkrafträder ein normal großes, alle zwei Jahre zum TÜV müssen beide Varianten.
Neugierig geworden? Sie wollen mehr über das Thema 125er erfahren? Dafür gibts jetzt ganz neu das Buch »125 Kubik« von Michael Allner und Klaus Herder. In dem 29,80 Mark teuren, durchgängig farbig bebilderten Werk gibt es auf 128 Seiten handfeste Tips für Neu- und Wiedereinsteiger. Wie findet der Neueinsteiger die passende Fahrschule? Welche sind die besten Fahrübungen für Wiedereinsteiger, um auf zwei Rädern wieder fit zu werden? Wo liegen die Vor- und Nachteile der verschiedenen Motorradgattungen? Was kosten 125er im Unterhalt? Was ist bei der Drosselung zu beachten? Welche Ausstattung ist sinnvoll? Auf all diese und noch viele weitere Fragen gibt es praxisgerechte Antworten. Das Kernstück des Buchs: Ein umfassender Katalogteil zeigt die ganze Bandbreite des 125er Angebots - alle aktuellen 45 Motorräder und 34 Roller werden hier ausführlich charakterisiert. In weiteren Kapiteln gibts Infos zu 125er Oldies und einen Ausblick auf die Zukunft der Achtelliter-Klasse. Wer nach der Lektüre dieses Buchs immer noch nicht richtig Bescheid weiß, sollte vielleicht doch beim Autofahren bleiben. Erschienen im Motorbuch-Verlag Stuttgart, ISBN 3-613-01813-6.