Bei knapp 300 Stundenkilometern ist der Winddruck enorm, alle Muskeln im Körper sind angespannt, überall Adrenalin. Ein Blick ins Motorinnere jedoch verrät, wo bei Vollgas wirklich die Post abgeht. Sehen Sie selbst.
Bei knapp 300 Stundenkilometern ist der Winddruck enorm, alle Muskeln im Körper sind angespannt, überall Adrenalin. Ein Blick ins Motorinnere jedoch verrät, wo bei Vollgas wirklich die Post abgeht. Sehen Sie selbst.
Dreispurige Autobahnen sehen aus wie nur einspurig befahrbare Altstadtgässchen, wenn sich die Tachonadel des Supersportlers der 300-km/h-Markierung nähert. Wer jetzt zuckt, verreißt womöglich das Motorrad und fliegt ab - vielleicht zum letzten Mal. Der Drehzahlmesser sieht schon fast rot, die eigene Gesichtsfarbe ist auch nicht besser. Volle Konzentration und ein weiter Blick voraus sind beim Fahrer unabdingbar, wenn er die gesamte Power des Motors abruft. Die eigene Leistung beim Autobahnbrennen ist jedoch nichts im Vergleich zu den Belastungen, denen Motor und Getriebe standhalten müssen. 2Räder widmet sich den Torturen, die wir unseren Triebwerken bei Vollgas antun. Als Testexemplar wählten wir das 2009er-Modell der Yamaha YZF-R1 und machten uns auf die Suche nach Drehzahlen, Temperaturen und Newtonmetern. Und fanden davon mehr, als wir uns vorzustellen wagten.
Was im Motor durch den Verbrennungsdruck an Kraft erzeugt wird, wandert über das Pleuel an die Kurbelwelle. Im Hinterhof der Hölle gerät nun alles in Rotation. Mit 13500 Umdrehungen in der Minute rotiert die Kurbelwelle bei Highspeed in der Yamaha R1, das sind pro Sekunde flotte 225 Umdrehungen. Weiter geht es über die Zahnräder des Primärantriebs an die Kupplung. Diese rotiert mit noch immerhin 8930/min. Gleichzeitig steigt das Drehmoment von den 111 Newtonmetern an der Kurbelwelle auf stramme 168 an der Kupplung. Allerdings frisst die Reibung der Zahnräder auch bei bester Schmierung ein wenig Leistung. Rund zwei Prozent gehen auf dem Weg von der Kurbelwelle zur Kupplung verloren. Trotzdem macht die schiere Kraft dem Material immer noch gehörig zu schaffen. So werden beispielsweise die Flanken der Getriebezahnräder des sechsten Ganges mit einer Kraft von mehr als 5000 Newton zusammengepresst. Hier sind deshalb besonders vergütete Oberflächen gefragt, damit Materialausbrüche - das sogenannte Pitting - vermieden werden.
Über die Ausgangswelle flieht das Drehmoment ins Freie. Das Ritzel rotiert bei Topspeed mit 7036 Umdrehungen, das Drehmoment beträgt beachtliche 213 Newtonmeter. Keine leichte Aufgabe also für den Endantrieb, der die Kraft nun zum Hinterrad übertragen muss.
In der Regel muss eine im Grunde genommen sehr filigran gefertigte Kette den Belastungen standhalten, bisweilen übernimmt ein Kardan-Antrieb oder, wie hier abgebildet, ein Zahnriemen die Aufgabe. Ob nun Stahl oder Gummi, was zählt, ist Widerstandskraft: Fast eine halbe Tonne zerrt bei Highspeed an Kette oder Riemen, beim Gasaufreißen in den niedrigen Gängen sind es sogar mehr als eine Tonne, die der Endantrieb aushalten muss. Der Antrieb selbst rauscht mit 110 km/h über Ritzel und Kettenrad. Die Endstation ist groß und rund: Der Hinterreifen muss das Feuerwerk von vorn auf die Straße bringen. Das Drehmoment ist mit jeder Untersetzung angestiegen, liegt nun bei mächtigen 589 Newtonmetern. Und dabei ist die Kontaktfläche zwischen Reifen und Asphalt nur wenige Quadratzentimeter groß.
Berechnungsbasis: Vierzylinder, Hubraum 998 cm³, Bohrung 78 mm, Hub 52,2 mm (Yamaha YZF-R1, Modell 2009)
Max. Leistung: 173 PS an der Kurbelwelle und 159 PS am Hinterrad
Max. Drehmoment: 111 Nm an der Kurbelwelle
Max. Drehzahl Kurbelwelle: 13500/min, entspricht 225/sek
Drehzahl Kupplung: 8930/min (Drehmoment 168 Nm)
Drehzahl Kettenritzel im 6. Gang: 7036/min (Drehmoment 213 Nm)
Drehzahl Hinterrad: 2522/min (Drehmoment 589 Nm)
Mittlere Kolbengeschwindigkeit: 23,5 m/s, entspricht 84,6 km/h
Max. Kolbengeschwindigkeit: 37,6 m/s, entspricht 135,4 km/h
Mittlere Verzögerung des Kolbens: 27083 m/s², entspricht 2761g
Umfangsgeschwindigkeit der Kette: 110 km/h
Tatsächliche Umfangsgeschwindigkeit am Reifen: 295 km/h
Max. Temperatur am Hinterreifen: zirka 100 Grad Celsius an der Oberfläche
Bei 12000/min geht es im engen Zylinder wie im freien Luftraum zu. Durch die Abwärtsbewegung saugt der Kolben Frischgas in Überschallgeschwindigkeit durch den Einlasskanal (rechts) an.
Bei einem 1000er-Vierzylinder verdichtet der Kolben das Zylindervolumen von 250 cm³ durch seine Aufwärtsbewegung auf rund 20 cm³. Die Ansaugluft erhitzt sich auf zirka 500 Grad Celsius.
Das Gemisch verbrennt. Die Temperatur steigt schlagartig auf 3000 Grad Celsius, der Druck auf 90 bar. Die Kolbenfläche wird dabei mit etwa 3,7 Tonnen belastet - ungefähr das Gewicht eines voll beladenen Sprinters.
Die Abgase werden durch die Aufwärts-bewegung des Kolbens durch den Auslasskanal (links) gepresst, wobei sich die Ventile bis zur Rotglut auf über 800 Grad Celsius erhitzen.