Die Kawasaki W 800 gehört zur Gattung „Hingucker“. Ein Motorrad, wie es Kinder zeichnen würden. Und weil Kawa sie jetzt aus dem Programm nimmt, wird die W 800 zur begehrten Gebrauchten.
Die Kawasaki W 800 gehört zur Gattung „Hingucker“. Ein Motorrad, wie es Kinder zeichnen würden. Und weil Kawa sie jetzt aus dem Programm nimmt, wird die W 800 zur begehrten Gebrauchten.
Eigentlich kennt man Ulf Penner anders. Permanent auf der Suche nach dem letzten Pferdestärkchen, welches sich garantiert noch aus der Tiefe eines Brennraums – egal ob Highend-Big-Bike, Youngtimer oder Nippon-Roller – mobilisieren lässt. Performance gleich Penner! Wie wird sich bei ihm erst eine auf 48 PS runtergebuchste Kawasaki W 800 schlagen? Und tatsächlich, dem norddeutschen Tuning-Papst bricht es fast das Herz, als er für Kawasakis Hauspostille „Lime Green“ mit der W 800 durchs schweizerische Tessin bügelt. Doch nicht die verhaltene Leistung treibt Penner die Tränen in die Augen. Es ist die Tatsache, dass Kawasaki den Retrotwin noch in diesem Jahr das Zeitliche segnen lässt.
Aktuell steht die Kawasaki W 800 als Final Edition bei den Vertragshändlern, doch 2017 ist Schluss mit der Old-Fashion-Line der Kawasaki Heavy Industries. Penner macht vor allem der Verlust eines Bauteils zu schaffen: „Habe ich schon die Königswelle erwähnt? Eigentlich ein technischer Overkill… Trotzdem würde ich dem japanischen Ingenieur, der auf diese Idee gekommen ist, meine Erstgeborene geben.“ Genau die Königswelle ist es, mit der Kawa schon bei der Vorgängerin W 650 (eingestellt 2005) die Retroszene beeindruckte. Sechs lange Jahre mussten grün gefärbte Nostalgiker schließlich warten, bis wieder die Königswelle rotierte.
Machen wir uns nichts vor: Ohne diesen technisch delikaten Nockenwellenantrieb wäre die Kawasaki W 800 trotz aller Schönheit nur ein Retrobike unter vielen. Und müsste sich mehr daran messen lassen, dass sich der einsteigerkonforme Paralleltwin sehr mühsam durchs Drehzahlband quält, mit Vibrationen nervt, der Klang bescheiden bleibt und die 217 Kilogramm Masse das Ganze nicht leichter machen.
Auch die Bremsperformance (Einzelscheibe vorn, Trommel hinten) hätte trotz rückwärtsgewandter Optik deutlich zeitgemäßer ausfallen können. Mit Einführung der Euro 4 dankt die Königswellen-Kawasaki W 800 schon wieder ab. Wie die 650er – viel zu früh. Ein Nachfolger ist nicht in Sicht. Wer also seine Garage noch stilvoll krönen will, sollte genau jetzt auf Gebrauchtjagd gehen.
In sechs Jahren sind knapp 2.300 Stück der Kawasaki W 800 verkauft worden. Weniger als drei Prozent davon werden derzeit als Gebrauchte angeboten. Keine davon ist wirklich billig!
Beispielanzeige: Special Edition in Schwarz, EZ 03/2011, 13.878 km, 3. Hand, HU 04/2017, 12.000er-Inspektion inklusive, mit Bagster-Tankhaube und -Tankrucksack, VHB 5.500 Euro (Privatanbieter aus Ba-Wü)
Niedriges Preisniveau. Die magische 5.000er-Grenze hat die Kawasaki W 800 noch nicht geknackt – offiziell versteht sich. Allerdings könnten geschickte Verhandler bei Bikes mit vergleichsweise hoher Laufleistung (untypisch für eine W 800) einen Preis mit einer Vier vorne rausschlagen.
Beispielanzeige: Special Edition in Schwarz, EZ 07/2012, 8.600 km, 2. Hand, HU 05/2018, LSL-Superbike-Lenker, Stahlflex-Bremsleitung, 6.290 Euro (Händlerangebot aus Bayern)
Mittleres Preisniveau. Wenig Kilometer, top gepflegt, hier und da ein kleines Extra „on top“. In der Preisregion zwischen 6.000 und 7.000 Euro tummeln sich die meisten 800er der ersten drei Baujahre. Echtes Potenzial zum Preisdrücken? Vielleicht lässt sich eine kleine Inspektion raushandeln.
Beispielanzeige: Black Edition in Schwarz, EZ 02/2016, 460 km, 1. Hand, HU 02/2018, scheckheftgepflegt, 7.150 Euro (Händlerangebot aus dem Saarland)
Hohes Preisniveau. In dieser Region tummeln sich fast ausschließlich Händlerofferten, die den Kawa-Twin in nahezu ladenneuem Zustand anbieten – inklusive Gewährleistung und Werksgarantie. Vorführer und Tageszulassungen sind selten und kaum unter 8.000 Euro zu bekommen.
Rückrufe
Wolfgang Schneider (59). Der altgediente Kawasaki-Vertragshändler aus der Zuckerstadt Lage (bei Bielefeld) bedauert, dass die Final Edition nun das Ende der Kawasaki W 800 eingeläutet hat.
MOTORRAD: Ich komme in deinen Laden und rolle mit einer topgepflegten Gebraucht-W 800 wieder vom Hof. Ein realistisches Szenario?
Wolfgang Schneider: Nicht wirklich. Wer sich seit 2011 als Neukäufer für eine W 800 entschieden hat, gibt sie kaum wieder her. Im Prinzip ist es wie beim Vorgänger W 650 – das Motorrad ist verkauft und kommt quasi nie mehr zurück. Nur ganz selten müssen wir eine in Zahlung nehmen. Da spielt eher der Zufall eine große Rolle, dass man hin und wieder eine gebrauchte Kawasaki W 800 anbieten kann. Die eine, die wir gerade aktuell verkaufen, kommt vom Erstbesitzer, der sie 2011 mit 73 Jahren bei uns gekauft und nun aus Altersgründen mit dem Motorradfahren aufgehört hat.
MOTORRAD: Ist das ein typisches Neukäufer-Profil?
Wolfgang Schneider: Nein, die Spanne reicht bei uns von 23 bis zu den besagten 73. Das Gros der W 800-Käufer ist der klassische Wiedereinsteiger zwischen 40 und 60, der einerseits auf den Retrostyle steht, andererseits aber auch technische Schmankerl wie die Königswelle schätzt. Bei uns haben sich auch überdurchschnittlich viele Frauen für die Kawasaki W 800 entschieden.
MOTORRAD: Ändert sich das Bild bei Gebrauchtinteressenten?
Wolfgang Schneider: Nein, das bleibt gleich. Und wenn wir eine Gebrauchtmaschine haben, steht sie auch nicht lange. Die Leute kommen rein, sehen sie, schlagen schnell zu. Das Äußere der Kawasaki W 800 ist einfach bestechend.
MOTORRAD: Und wie sieht es mit den inneren Werten aus?
Die sind nach unserer Werkstatterfahrung auch sehr überzeugend. Die meisten Kunden-Motorräder sind in erster Hand und haben kaum Kilometer gesehen. Ich glaube, dass wir bislang bei noch keiner einen neuen Kettensatz aufziehen mussten. Dank der gut zugänglichen Technik halten sich auch die Wartungskosten im Rahmen – selbst für die Ventilspielkontrolle, die alle 12.000 Kilometer ansteht. Gebrauchtinteressenten sollten aber über das Kundendienstheft klären, ob die Rückrufarbeiten erledigt wurden.
MOTORRAD: Mit der Final Edition schlägt Kawa das Retro-Kapitel offiziell zunächst wieder zu. Was bedeutet das für den Gebrauchtmarkt?
Wolfgang Schneider: Die Kawasaki W 800 gilt ohnehin als sehr wertstabil. Normalerweise hat sich nach drei Jahren der Neupreis halbiert – so die Faustregel. Bei dieser 800er ist das selbst nach fünf Jahren noch nicht der Fall. Und in Zukunft wird sie jetzt noch begehrter werden.
Tests in MOTORRAD:
T = Test, VT = Vergleichstest, GK = Gebrauchtkauf, KV = Konzeptvergleich
Artikel-Download unter www.motorradonline.de/ekiosk
Internet
Literatur
Harley-Davidson Sportster 883 Roadster:
Im Vergleich zur W 800 dynamisch nicht zu unterschätzen. Sehr rar und verhältnismäßig auch sehr teuer. Zweizylinder-V-Motor, 53 PS, Gewicht 266 kg, 0–100 km/h 6,4 sek, Vmax 170 km/h, Verbrauch 4,8 Liter, ABS, ab 7.000 Euro*
Honda CB 1100:
Klassische Linie plus Big Bike-Wumms. Der Reihenvierer für den entspannten Ritt auf der Drehmomentwoge. Vierzylinder-Reihenmotor, 90 PS, Gewicht 249 kg, 0–100 km/h 3,9 sek, Vmax 180 km/h, Verbrauch 4,5 Liter, ABS, ab 6.000 Euro*
Moto Guzzi V7 Classic:
Punktet durch Authentizität und einen einmaligen Klang. Der Antritt des 750er-V2 ist allerdings recht verhalten. Zweizylinder-V-Motor, 48 PS, Gewicht 210 kg, 0–100 km/h 6,0 sek, Vmax 155 km/h, Verbrauch 4,5 Liter, ab 5.000 Euro*
Triumph Bonneville SE:
Urbritischer kann kein Retrobike sein? Eigentlich ja, auch wenn die Bonnie inzwischen in Thailand montiert wird … Zweizylinder-Reihenmotor, 68 PS, Gewicht 227 kg, 0–100 km/h 4,5 sek, Vmax 200 km/h, Verbrauch 4,4 Liter, ab 5.500 Euro*
*Von der Redaktion ermittelte Gebrauchtpreise;