Motorrad-Fertigung bei Horex
Besuch im Horex-Werk in Augsburg

Die Anlaufschwierigkeiten sind vergessen, der Zeitplan ist neu aufgestellt, und in Augsburg herrscht Aufbruchstimmung: MOTORRAD besuchte die Horex-Macher.

Besuch im Horex-Werk in Augsburg
Foto: Künstle
Stefan Wolf
Die Macher (von links): Marc Groth (30), Marco Rossbach (31), Eduard Bauer (54) und Sebastian Lang (26) sind die vier top geschulten Horex-Monteure, die an jeweils vier Stationen aus feinen Zulieferteilen ein komplettes Motorrad bauen.

Wissen Sie eigentlich, wer Ihr Motorrad gebaut hat? Vermutlich nicht. Dabei könnte das doch ganz interessant sein, denn vielleicht möchte man dem Menschen irgendwann einmal zu seiner Arbeit gratulieren, etwas vom Werdegang seines Babys berichten oder ihm zum Betriebsjubiläum alles Gute wünschen - es gäbe da so einige Anknüpfungspunkte. Aber gibt es überhaupt den Menschen? Im Normalfall natürlich nicht, denn bei Großserienfahrzeugen sind zwangsläufig ziemlich viele Menschen arbeitsteilig eingebunden. Den persönlichen Bezug gibt’s, wenn überhaupt, nur bei Kleinstserienherstellern wie Bimota. Oder aber bei Horex. Und das ganz frisch, denn nach leichten Anlaufschwierigkeiten - der Produktionsstart musste mehrfach verschoben werden - ist es nun endlich so weit: Die ersten Serienmaschinen verließen jüngst die Augsburger Fertigungshalle, und beim Motorradhaus Schneider im niederrheinischen Voerde ist tatsächlich der erste Vorführer eingetrudelt.

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"One Man, one Bike"

So geschehen im November 2012. Bis Weihnachten sollen alle 35 Horex-Händler in Deutschland, Österreich und der Schweiz ihr erstes Fahrzeug erhalten haben. Das klingt nicht nach dramatisch viel, doch bei einer Gesamtbelegschaft von 15 Mitarbeitern ist das schon eine echte Herausforderung. Besonders wenn man bedenkt, dass sich Horex den markigen Spruch "One Man, one Bike" auf die Fahnen geschrieben hat. Ein Mann baut also von der ersten Verschraubung am Rahmen bis zum Funktionstest auf dem Rollenprüfstand ein Motorrad komplett auf. Unmittelbar vor Serienanlauf traf MOTORRAD die vier Männer, deren Hände aus vielen feinen Teilen eine Horex bauen. Ihr Arbeitsplatz ist eine Halle in einem Augsburger Industriegebiet, die ursprünglich zu einem Getriebeproduktionsbetrieb gehörte und aus dieser Zeit immer noch mit so praktischen Dingen wie Motoren- und Rollenprüfständen, Werkzeug- und Fräsmaschinen, Schweißeinrichtungen und einem Druckluftsystem ausgestattet ist. Hängeförderer oder gar ein Fließband? Fehlanzeige. Wir erinnern uns: Manufaktur! Hier wird von Hand gearbeitet, und so gibt es statt lauter Industriehektik vier helle Montageplätze, die zunächst nur an der farbigen Markierung auf dem Boden zu erkennen sind. Die vier Monteure wandern mit "ihrem Baby" von Arbeitsplatz zu Arbeitsplatz und komplettieren es Stück für Stück.

Stefan Wolf

Im ersten Schritt wird der Lenkkopf aus Stahlrohr mit dem aus Italien zugelieferten Brückenrahmen aus Aluguss verschraubt. Es folgen die Gabelbrücken mit der WP-Upside-down-Gabel, die mächtige Einarmschwinge, der stählerne Heckrahmen und das WP-Federbein. Das Finale an der ersten Station bildet die Montage von Felgen und Reifen, was ungemein praktisch ist, da die ganze Sache jetzt rollt. Am zweiten Montageplatz wird "geheiratet": Der komplett vom renommierten Motorenhersteller Weber aus Markdorf am Bodensee zugelieferte, 161 PS starke VR-Sechszylinder wird von unten in den Rahmen gesetzt und dauerhaft mit diesem verbunden. Kein Glockengeläut, aber die "Hochzeit" ist vollzogen.

An der dritten Station kümmern sich die Monteure um den Einbau von Kabelbaum, Motorsteuergerät (vom Augsburger ECU-Spezialisten KTS), ABS-Modulator (das 900 Gramm leichte 9MB von Bosch) und weiterer Elektrikkomponenten, die an die Motor- und Fahrwerkssensoren angeschlossen werden. Am vierten und letzten Montageplatz (auf dem Aufmacherbild im Vordergrund) wird der VR6 Roadster nun endgültig komplettiert.

Die Horex-Monteure bauen unter anderem Tank, Schutzbleche, Lenker, Instrumente sowie die Brems- und Kupplungsarmaturen an und dokumentieren auch diese Arbeitsschritte, wie schon alle anderen zuvor, lückenlos am PC. Danach wird die Horex mit allen Betriebsstoffen befüllt, dann geht’s auf den Rollenprüfstand, anschließend sogar noch auf die Straße und nach Freigabe schließlich zum Händler. Momentan entstehen so pro Tag zwei Motorräder. Wenn sich die Abläufe eingespielt haben, sollen es täglich vier sein. Sollten Sie sich zufällig für eines davon interessieren: www.horex.co

Stefan Wolf

Den exklusiven Vor-Ort-Termin vermittelte der Remscheider Werkzeughersteller Hazet, der in drei deutschen Werken Profi-Werkstattausrüstung produziert. Das 1868 von Hermann Zerver (dessen Initialen "Ha" und "Zet" den Firmennamen bilden) gegründete Unternehmen ist bundesweit besonders bei Pkw-Herstellern und -Werkstätten bestens vertreten. Umso reizvoller war für Marketingleiter Carsten Scholz und seine Truppe das etwas ungewöhnliche Thema "Motorrad-Manufaktur".

Dabei ging es in erster Linie um die Ausstattung der vier in dieser Geschichte näher beschriebenen Montageplätze mit klassischen Handwerkzeugen vom Ring-Maul- bis zum Drehmomentschlüssel. Hazet kam zupass, dass Horex-Technikeinkäufer Max Meyer privat "absoluter Hazet-Fan" ist und eine E-Mail nach Remscheid schickte, die Interesse an einer Zusammenarbeit bekundete. Was nichts daran änderte, dass noch zwei weitere namhafte Anbieter um Angebote gebeten wurden - doch am Ende blieb Hazet als Sieger übrig. Besonders die Service-Werkstattwagen mit ihren vorkonfektionierten Werkzeugsortimenten und die perfekte Bedarfsanalyse überzeugten die Horex-Verantwortlichen. Ende 2011 war man sich handelseinig, Anfang 2012 lieferte Hazet.

Über genaue Euro-Zahlen schweigen sich die beiden Partner aus, aber mit "einem namhaften fünfstelligen Betrag" liegt man wohl nicht verkehrt.

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Erscheinungsdatum 26.05.2023