So sehr ich die Zeit in der IDM auch genossen habe, zwei Dinge gab es, die ich auf den Tod nicht ausstehen konnte. Das waren zum einen die übel hochdrehenden 125er-Zweitakter in aller Herrgottsfrühe oder Regentropfen auf dem Wohnmobildach. Das mit den Zweitaktern hat sich zwar erledigt (nicht falsch verstehen: Zweitakter sind geil, nur nicht um sechs Uhr morgens), an Regentropfen auf dem Wohnmobildach am Rennmorgen können wir jedoch nichts ändern. Ich bin immer fast durchgedreht, wenn meine Freundin im Halbschlaf dann geflüstert hat: „So tolles Kuschelwetter“. Wie soll man da Rennen fahren? Wir harten Jungs trotzen jedoch dem Wetter, aber was gibt es dabei zu beachten?
Wann machen Regenreifen Sinn?
Das Banalste gleich zu Anfang: die passende Kleidung. Nicht, dass mir eine trockene Unterhose das Wichtigste wäre. Aber es ist nun mal kein Vorteil, wenn die Kombi durchgeweicht mit fünf Kilo Mehrgewicht am Körper klebt, dass wir uns nicht mehr bewegen können. Eng anliegende Rennregenkombis helfen da weiter. Ein weiteres Paar Stiefel und Handschuhe, damit wir nach dem Qualifying dann im Rennen trockene Sachen anhaben, empfehlen sich außerdem. Nichts ist ätzender, als bei fünf Grad Außentemperatur nach vier Runden die Finger nicht mehr bewegen zu können. Hab ich selbst mal erlebt. Das Resultat: Schlüsselbein zwei Mal gebrochen. Deshalb sollten gerade Handschuhe etwas taugen. Mein Tipp: Held Phantom – der hat außerdem eine Gummilippe am Zeigefinger, mit dem man wie mit einem Scheibenwischer das Visier abwischen kann.
Die Reifen spielen im Regen natürlich eine entscheidende Rolle. Aber wann machen Regenreifen Sinn? Welche Dimension? Mischung? Luftdruck? Vorheizen oder nicht? Eine Faustformel, wann man besser Regenreifen aufzieht, gibt es nicht. Wenn es aber rund um die Strecke nass ist, sind Regenreifen unvermeidlich. Schwierig wird es, wenn die Strecke an manchen Stellen abtrocknet oder die Ideallinie schon trocken wird, aber noch immer Gewitterwolken anrücken. Ein zweiter Satz Felgen mit Regenreifen macht dann wenigstens das Wechseln nicht so schwierig.
Wenn noch einige Stellen nass sind, kann man auch mal vorn einen Regenreifen, der länger hält als sein Pendant hinten, reinstecken und hinten den normalen Rennreifen probieren. Aber Pauschallösungen gibt es bei Wetterkapriolen leider keine. Solltet ihr aber Regenreifen benutzen, dann achtet auf den Luftdruck. Und der ist beim Regenreifen immer etwas höher als bei Rennreifen. Warum? Das starke Profil kann nur arbeiten und Wasser verdrängen, wenn es offen bleibt und nicht unter zu wenig Luftdruck einknickt. Pirelli etwa empfiehlt 2,3 bar hinten und vorn kalt. „Grundsätzlich empfehlen wir auch bei Regenreifen das Vorheizen, allerdings nicht auf höchster Stufe und nur etwa 30 Minuten“, sagt Racing-Manager Björn Lohmann von Pirelli. Die Heizdecken werden früher abgezogen, damit die Lauffläche wieder etwas abkühlen kann.
Regenreifen neigen zum Untersteuern
Die meisten Hersteller bieten Regenreifen in unterschiedlichen Mischungen an. Für Hobbyracer empfiehlt sich die weiche Mischung – damit seid ihr auf der sicheren Seite. Übrigens: Regenreifen lassen sich nicht endlos mit zu Renntrainings schleppen. Nach zwei bis drei Jahren ist auch der unbenutzte Reifen durch, weil er schneller als ein handelsüblicher Straßenreifen aushärtet und dann nicht mehr arbeitet. Für alle Sportler, egal ob 5,5- oder 6-Zoll-Felge, passt ein 190/60-Regenreifen hinten. Darunter, für Supermotos und kleinere Maschinen, gibt es 160er.
Regenreifen neigen etwas zum Untersteuern, weil sie einen größeren Schräglaufwinkel haben, und ihr müsst einfach damit rechnen, dass sie träger einlenken und das knackige Feedback vermissen lassen, das ihr von eurem Rennreifen gewohnt seid. Wo die Grenzen wirklich liegen, kann euch nur die Erfahrung lehren.
Fahrwerkseinstellungen bei Regen
Das Fahrwerk können wir natürlich nicht so straff lassen wie im Trockenen. Hier ein paar Tipps von meinem IDM-Fahrwerksmann Herbert Strassmaier.
GABEL: Bei leichtem Regen reicht es, etwas Federvorspannung rauszunehmen. Dabei ist zu beachten, dass der Negativfederweg nicht zu groß wird. Eventuell nimmt man etwas Öl raus, um die Progression zu verringern. Wenn es stärker regnet und man um Siege fightet, macht es durchaus Sinn, weichere Federn zu verbauen und die Druckdämpfung zu korrigieren. Die Zugstufe sollte nur kontrolliert werden, da diese durch die weichere Feder automatisch geringer wird.
FEDERBEIN: Bei leichtem Regen ebenfalls etwas die Zugstufe rausnehmen und wieder auf den Negativfederweg achten. Bei stärkerem Regen wie bei der Gabel die Druckstufe korrigieren und die Zugstufe kontrollieren, da diese ebenfalls durch die weichere Gabel beeinflusst wird. Wichtig: Das sind nur grundlegende Tipps. Das ganze Thema ist so komplex, dass es den Rahmen hier sprengen würde. Denn durch die weichere Feder zieht zum Beispiel die Kette das Heck wieder tiefer rein, und auch die verringerte Federvorspannung wirkt sich auf die Geometrie aus. Wie ihr seht, beginnt dann eine Kettenreaktion, die man nur mit einem Spezialisten wirklich in den Griff bekommt. Aber uns soll die Info erstmal genügen, denn noch elementarer, um im Regen nicht auf die Nase zu fallen, ist der Fahrstil.
Fahrstil und Bremsen bei Regen
Den müssen wir den äußeren Gegebenheiten natürlich anpassen. Piloten, die schon einen runden, sanften Fahrstil pflegen, sind im Vorteil. Der sei allen anderen im Regen auch empfohlen. Jetzt zeigt sich, wer ein gefühlvolles Händchen hat. lm Regen muss alles ein bisschen sanfter geschehen – natürlich auch das Bremsen. Hobbypiloten glauben oft gar nicht, mit wie viel Bremsdruck man im Regen am Hebel ziehen kann. Profis bauen auf verregneter Piste mehr Bremsdruck auf als die meisten Hobbypiloten im Trockenen. Die Frage ist nur, wie ziehe ich am Hebel? Wenn ich wie im Trockenen, tschaka, am Hebel reiße, gehe ich zu Boden – 100-prozentig. Wenn ich das aber ganz "smooth" mache und den Druck auf die Bremse mit viel Gefühl langsam erhöhe, dann bekommt man große Augen, wie viel so ein Regenreifen verträgt. Apropos Bremsen: lhr erinnert Euch an Teil 6? Da habe ich erzählt, dass selbst Profis beim Verzögern hinten fast nicht mitbremsen. lch habe aber auch erzählt, dass es Situationen gibt, in denen sie es doch tun. Regen ist so eine!
Warum? Im Regen wird nicht so brutal verzögert. Deshalb ändert sich die Gewichtsverteilung auch nicht so gravierend, was bedeutet, dass das Hinterrad den Bodenkontakt behält. Das nutzen wir aus, bremsen hinten mit und können so auch im Regen feist verzögern. Dazu betätigen wir zuerst die Hinterradbremse, damit sich das Heck nach unten zieht und der Reifen sich regelrecht in den Asphalt verbeißt. Dazu dann parallel langsam den Druck an der Vorderradbremse erhöhen. Probiert das aus! Irre, was bei dem Wetter geht. Das sind natürlich Manöver, die Zeit und Übung brauchen.
Beschleunigen
Beim Beschleunigen gilt höchste Vorsicht. Denkt an den Drehmomentverlauf eures Motorrads. Wenn ihr untertourig beschleunigt und auf den Drehmomentberg wartet, kann euch dieser leicht abwerfen. Die Leistung ist mit höheren Drehzahlen kontrollierbarer. Achtet auf nicht allzu viel Schräglage, denn das kann ein Regenreifen dann doch nicht. Schließlich hat er ein tiefes Profil und damit noch weniger Auflagefläche auf dem Asphalt. Lasst den Lenker locker in der Hand und versucht zu spüren, was das Motorrad macht. Wenn das Vorderrad an einem Punkt der Strecke Aquaplaning hat, dann prägt euch den Punkt ein, damit das in der nächsten Runde nicht nochmal passiert.
Pfützen merken und wenn möglich umfahren
Das Thema Aufmerksamkeit kommt hier wieder ganz stark zum Tragen. Gibt es Stellen, an denen das Wasser richtig steht? Vielleicht macht es Sinn, diese zu umfahren – natürlich nur, wenn ihr nicht die ganze Strecke queren müsst. Wenn es aber nur knapp neben der ldeallinie liegt, macht das!
Und noch etwas zur Aufmerksamkeit: Versucht auf das Wetter zu achten und plant das in euer Vorhaben mit ein. Wenn ihr merkt, dass der Regen nachlässt, könnt ihr durchaus forcieren. Wenn der Regen aber stärker wird, droht oft der Rennabbruch. Dann kann es wichtig sein, vielleicht doch noch den ein oder anderen zu überholen, damit man nach der roten Flagge vorn ist. Fahren im Regen ist eben ein schmaler Grat. Aber wenn ihr es raus habt, kann das einen riesen Spaß machen. Lasst euch darauf ein, dann müsst ihr bei den Renntrainings nicht mehr ums Wetter bangen. Denn wenn euch der Regen in der Frühe weckt und eure Freundin sich auf kuschelige Stunden freut, reift ihr künftig zum Regengott – und davon gibt es nicht viele!