PS-Leserfragen zur Motorrad-Technik
Zündversatz und Drehmoment

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In PS 7/2015 erkundigte sich Leser Gerrit Hawich über die Funktion und Hintergründe des Yamaha R1-Motors mit Crossplane-Kurbelwelle. Um die Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Big Bang und Crossplane detailliert herauszuarbeiten, legt PS noch mal nach und beackert das Thema Zündversatz und Drehmoment der unterschiedlichsten Motorkonzepte.

Zündversatz und Drehmoment
Foto: Yamaha

„Crossplane ist nicht gleich Big Bang-Konzept“, kommentierte Yamaha-Pressemann Karlheinz Vetter den Technik-Artikel in PS-Heft 7/2015 und verweist auf die asymmetrischen Zündabstände des Yamaha R1-Motors, dessen identischer Hubzapfenversatz auch die Werks-MotoGP-M1 befeuert – oder besser andersrum: Die Yamaha-Großserienmotoren seit Baujahr 2009, Kürzel RN 22, profitieren von den Erkenntnissen der Rennabteilung in Iwata.

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Der Grundgedanke, warum Yamaha vom üblichen 180-Grad-Hubzapfenversatz eines Reihenvierzylinders abweicht, liegt in der Gleichförmigkeit der sogenannten sekundären Massenkräfte. Wie bitte? Sekundäre Massenkräfte sind die Kräfte, die beim Ottomotor auftreten, wenn Kolben und ein gewisser Anteil des Pleuels vor dem oberen oder unteren Totpunkt abgebremst werden. Dabei treten je nach Drehzahl und Gewicht der oszillierenden Massen enorme Kräfte auf. Beispiel: Bei 12.000/min muss der Kolben eines 1000er-Vierzylinders von rund 110 km/h innerhalb einer halben Kurbelwellenumdrehung (zirka 25 mm Hub) auf null abgebremst werden.

Massenkräfte vervierfachen sich

Bei dieser extremen Verzögerung erreicht der oszillierende Kolben eine dynamische Massenkraft von rund 6300 Newton, also einem Gewichtsäquivalent von mehr als 640 Kilogramm und somit dem rund 2500-fachen seines Eigengewichts. Diese freie Massenkraft bewirkt eine Drehkraft an der Kurbelwelle, die sich jedoch im Vergleich zu der Gaskraft einer Verbrennung nicht steuern lässt.

Bei einer Kurbelwelle mit 180 Grad Hubzapfenversatz vervierfachen sich diese Massenkräfte, da durch die paarweise auf- und abgehenden Kolben jeweils zwei vor dem unteren und zwei vor dem oberen Totpunkt abgebremst werden. Das Resultat: ungewollte, stark pulsierende Drehkraftspitzen an der Kurbelwelle.

Yamaha-Crossplane-Motor anders

Anders beim Yamaha-Crossplane-Motor: Dort heben die um 90 Grad versetzten Hubzapfen diese Drehkraftspitzen und Massenkräfte gegenseitig nahezu auf, da jedem „Bremsvorgang“ des Kolbens der „Beschleunigungsvorgang“ eines um 90 Grad versetzten Kolbens entgegenwirkt. Also wird hier jeder Massenkraft zeitgleich eine Massenträgheit entgegengesetzt. Was speziell bei Kurbelwellen mit geringen Schwungmassen ein großer Vorteil ist, um die Gleichförmigkeit der Drehbewegung zu erhöhen. Somit können bei Crossplane-Motoren die Schwungmasse reduziert werden. Der Einfluss auf den gesamten Leistungs- und Drehmomentverlauf des Motors ist durch das Crossplane-System allerdings gering.

Yamaha verspricht sich von den ausgeglichenen sekundären Massenkräften eine bessere Dosierbarkeit der Leistung am Hinterrad, da diese nur über die Gaskraft der mehr oder weniger kraftvollen Verbrennung (je nach Drosselklappenstellung) bestimmt wird. Zum Tragen kommt diese gleichförmige Leistungsabgabe dann, wenn der Fahrer den Motor in maximaler Schräglage ans Gas nimmt, eine Gratwanderung zwischen weicher Beschleunigung und üblem Highsider, die durch die berechenbare Kraftabgabe ans Hinterrad sicherer über die Bühne geht. Unterstützt wird dieser Leistungseinsatz bei der neuen R1 natürlich auch durch eine extrem sensible und aufwendige Traktionskontrolle.

Ein weiterer Vorteil gegenüber dem konventionellen 180-Grad-Versatz: Der asymmetrische Zündversatz des Crossplane-Systems kann auch lästige Schwingungen im Antriebsstrang unterdrücken, die sich bei symmetrischem Zündversatz zu einer Eigenfrequenz aufschaukeln und im Schiebebetrieb heftige Vibrationen im Fahrzeug auslösen können. ­Oftmals enden diese Schwingungen im sogenannten Chattering, einem sehr unangenehmen Springen von Vorder- oder Hinterrad, dem die Reifen- und Fahrwerkstechniker oftmals hilflos ausgeliefert sind.

Massenausgleich verschlechtert sich durch Crossplane-Kurbelwelle

Was sich hingegen durch die Crossplane-Kurbelwelle verschlechtert, ist der Massenausgleich, der zu starken Vibrationen führt und deshalb von einer Ausgleichswelle vor dem Kurbelgehäuse besänftigt wird. Auf dieser Welle sitzen die Gegengewichte exakt in der Längsachse von Zylinder eins und vier, um die dort auftretenden Massenmomente auszuschalten. Zudem erfordert die Crossplane-Zündfolge einen geringeren Abgasgegendruck im Schalldämpfer, sprich weniger Widerstand, der bei Einhaltung der Lärmbestimmung in erster Linie nur über ein größeres Auspuffvolumen erreicht wird.

Und was ist mit dem Big Bang beim Crossplane-Motor? Den gibt es auch, allerdings nur bei jeder zweiten Kurbelwellenumdrehung, wenn nach Zylinder Nummer drei Zylinder Nummer zwei im Abstand von 90 Grad zündet und sich die Arbeitsdrücke zum Teil überlagern, was letztendlich auch den rauen, kehligen Sound des R1-Motors ausmacht. Allerdings ist das Prinzip Cross­plane nicht so neu, wie es auf den ersten Blick aussieht. Bereits Anfang der 60er-Jahre entstand in Ursenbach im Odenwald der URS-Vierzylinder-Rennmotor von Helmut Fath und Dr. Ing. Peter Kuhn, bei dem die wälzgelagerte Kurbelwelle mit vier um 90 Grad versetzten Hubzapfen bestückt war. Und auch der Sound der URS, mit der Helmut Fath 1968 Gespann-Weltmeister wurde, stellte einem durch den höllischen Sound und ohne jegliche Schalldämpfer die Nackenhaare auf.

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Erscheinungsdatum 13.09.2023