Report: Motorradketten
Kettenreaktion

Moderne Antriebsketten für Motorräder müssen höchsten Belastungen standhalten, sollten geringe Reibungsverluste aufweisen und möglichst lange halten.

Kettenreaktion
Foto: Künstle

Kardanantrieb und Zahnriementechnik hin oder her, um die Motorleistung vom Getriebe ans Hinterrad zu übertragen, ist Kettenantrieb nach wie vor mit Abstand die Nummer eins. Die Gliederketten sind nun mal extrem robust, vergleichsweise unkompliziert bezüglich Austausch und vor allen Dingen in puncto Kostenfaktor unschlagbar. Freilich weisen Kardan und Zahnriemen üblicherweise eine weit höhere Lebenserwartung auf, doch bei regelmäßiger Pflege und Wartung (siehe Kästen) halten Antriebsketten locker 20000 Kilometer. Das ist in Anbetracht der durchschnittlichen Jahresfahrleistung eine sehr lange Zeit.
Auf den folgenden Seiten präsentiert MOTORRAD allerlei Wissenswertes zum Thema Ketten, außerdem die Ergebnisse eines 5000-Kilometer-Dauertests mit Kettensätzen von sieben verschiedenen Herstellern.

Unsere Highlights

Dichtringe

Aktuelle Motorräder besitzen ausnahmslos Ketten mit Dauerfettfüllung, so genannte Dichtring-Ketten, im umgangssprachlichen als O-Ring-Ketten bezeichnet. Die Dichtringe gibt es in den unterschiedlichsten Ausführungen: in der einfachsten Version als echten O-Ring, der den abgedichteten Ketten auch ihren Namen gab. Weitere Bauformen sind zum Beispiel X-, XW-, RX-, Z- oder Quad-Ringe, die alle komplexere Querschnittsformen aufweisen. Diese sollen die Dichtfunktion erhöhen, die Reibungsverluste verringern und somit für eine längere Lebensdauer der Motorradkette sorgen. Nahezu jeder Kettenhersteller hat sein eigenes Dichtring-Patent. Darum nicht erschrecken, wenn der Fachhändler statt der gewünschten X-Ringkette plötzlich ein Z-Ring-Modell über den Ladentisch schiebt.
Die Aufgabe der Dichtringe besteht darin, den im Bereich der Reibflächen zwischen Kettenbolzen und Buchse befindlichen Schmierstoff nach außen abzudichten. Durch diese Mitte der 70er Jahre entwickelte Technik konnte die durchschnittliche Lebenserwartung von Motorradketten im Vergleich zu den nicht abgedichteten Standardketten früherer Jahre auf heutzutage übliche 20000 bis 30000 Kilometer deutlich gesteigert werden.

Kettenmaße

Je leistungsstärker und/oder schwerer ein Motorrad ist, desto größer sind die Belastungen für eine Kette, die entsprechend stabiler gebaut sein muss. Während für ein Mokick oder ein Leichtkraftrad zierliche Glieder ausreichen, benötigt ein großvolumiges Sport- oder Naked Bike eine wesentlich zugfestere Kette für die Kraftübertragung.
In den Katalogen sind die Größen in der Regel als dreistellige Kurzbezeichnung (bsp. 525 oder 530) aufgeführt. Dahinter verbirgt sich die eigentliche Dimension der Kette bezüglich Teilung (Abstand von Bolzenmitte zu Bolzenmitte) und Breite (innere Weite der Buchse). Traditionell werden diese Werte in englischen Zoll angegeben. In der folgenden Liste finden Sie zur leichteren Zuordnung die handelsüblichen Bezeichnungen der Kettengrößen und die entsprechenden Maße, wie sie in vielen Motorrad-Handbüchern zu finden sind.

Kettengröße Teilung und Breite in Zoll
½ x 3/16
420 ½ x 1/4
428 ½ x 5/16
520 5/8 x 1/4
525 5/8 x 5/16
530 5/8 x 3/8
532 5/8 x 3/8
630 ¾ x 3/8
632 ¾ x 3/8

Kettenschlösser

Wer keine Lust hat, beim Kettenwechsel die Schwinge auszubauen, sollte sich für eine offene Kette mit Schloss entscheiden, die sich wesentlich schneller montieren lässt. Für den Offroadbereich, wo öfter mal die Sekundärübersetzungen geändert werden, und für leistungsschwache Motorräder eignen sich die mit Hilfe einer Zange in wenigen Sekunden montierten Clip-Schlösser. Ganz wichtig: die Montagerichtung des Clips. Die geschlossene Seite muss in Ketten-Laufrichtung weisen, damit sich das Schloss während der Fahrt nicht ungewollt öffnen kann. Das kann bei Nietschlössern nicht passieren, da sie mit entsprechendem Spezialwerkzeug (ab etwa 150 Euro) irreversibel vernietet werden. Für die zwei unterschiedlichen Niet-Arten, Hohlniete oder Vollniete, werden unterschiedliche Werkzeuge benötigt. Während die Hohlniete mit einem Dorn aufgespreizt wird, drückt das passende Werkzeug für die Vollniete deren Kopf einfach platt. Eine weitere Verschlusstechnik sind die patentierten Schraubschlösser. Sie lassen sich im Vergleich zu Nietschlössern ohne großen Aufwand mit einem passenden, kleinen Schraubenschlüssel anbringen.

Marktübersicht

Marktübersicht Am Beispiel einer 530er Kette für eine Triumph Sprint ST

Afam
Typ 530 XHR-G
Preis: 207 Euro
Anbieter: Uwe Keszler, Telefon 04334/18760, www.keszler-top-brands.de

DC
Typ 530 MZO-G
Preis: 167 Euro
Anbieter: Götz, Telefon 07476/933150, www.goetz-motorsport.de

DID
Typ 530 ZVM2
Preis: 213,50 Euro
Anbieter: Langenscheidt, Telefon 02363/36180, www.langenscheidt-gmbh.de

Enuma
Typ 530 ZZZ
Preis: zirka 230 Euro
Anbieter: Motorrad-Schüller, Telefon 06245/3077, www.enuma.de

Regina
Typ 530 ZRP
Preis: 164,95 Euro
Anbieter: Büse, Telefon 02471/12690, www.buese.com

RK
Typ 530 GSV
Preis: zirka 200 Euro
Anbieter: France Equipement, Telefon 07229/697070, www.franceequipement.de

Triumph
Typ DID 50 VM
Preis: 195 Euro
Anbieter: Triumph, Telefon 06175/93360, www.triumph-motorcycles.com

Kettensatz-Test

Afam
Typ 530 XHR-G
Preis: 207 Euro
Anbieter: Uwe Keszler, Telefon 04334/18760, www.keszler-top-brands.de
Längung: 1,0 Millimeter
Durchbiegung: 1,0 Millimeter

DC
Typ 530 MZO-G
Preis: 167 Euro
Anbieter: Götz, Telefon 07476/933150, www.goetz-motorsport.de
Längung: 1,0 Millimeter
Durchbiegung: 0 Millimeter

DID
Typ 530 ZVM2
Preis: 213,50 Euro
Anbieter: Langenscheidt, Telefon 02363/36180, www.langenscheidt-gmbh.de
Längung: 1,0 Millimeter
Durchbiegung: 0 Millimeter

Enuma
Typ 530 ZZZ
Preis: zirka 230 Euro
Anbieter: Motorrad-Schüller, Telefon 06245/3077, www.enuma.de

Längung: 1,0 Millimeter
Durchbiegung: 0 Millimeter

Regina
Typ 530 ZRP
Preis: 164,95 Euro
Anbieter: Büse, Telefon 02471/12690, www.buese.com
Längung: 1,0 Millimeter
Durchbiegung: 0 Millimeter

RK
Typ 530 GSV
Preis: zirka 200 Euro
Anbieter: France Equipement, Telefon 07229/697070, www.franceequipement.de
Längung: 2,0 Millimeter
Durchbiegung: 0 Millimeter

Triumph
Typ DID 50 VM
Preis: 195 Euro
Anbieter: Triumph, Telefon 06175/93360, www.triumph-motorcycles.com
Längung: 1,0 Millimeter
Durchbiegung: 2,0 Millimeter

Früher oder später erreicht auch die beste Kette ihre Verschleißgrenze. Dann heißt es Ersatz besorgen. Doch von welchem Hersteller? Und welche Qualitätsstufe? An Stammtischen wird oft darüber spekuliert, welche Marke denn nun die besten Ketten fertigt und wie viel länger teurere Kettenkits halten. Diese Fragen kann auch MOTORRAD nicht endgültig beantworten.
Dennoch nutze die Redaktion den Reifenverschleißtest mit sieben Triumph Sprint ST (siehe MOTORRAD 11/2007), um Kettensätze von sieben verschiedenen Anbietern einem Dauertest über 5350 Kilometer zu unterziehen. Vor und nach dem Test wurden sowohl Kettenlänge als auch seitliche Kettendurchbiegung gemessen. Die Zunahme der Werte gilt als Maß für die Verschleißfreudigkeit der betreffenden Kette. Die seitliche Durchbiegung wurde wie folgt ermittelt: Die ausgebaute Kette liegt seitlich auf dem an der Wand stehenden ebenen Messtisch aufgespannt. Etwa die Hälfte der Kette hängt über die Tischkante und biegt sich aufgrund des Spiels zwischen den einzelnen Kettengliedern im Bogen nach unten. Eine Senkrechte Linie an der Wand, 30 Zentimeter von der Tischkante entfernt, diente als Messebene. Im Neuzustand lag die Durchbiegung an dieser Stelle je nach Kette zwischen 2,8 und 3,9 Zentimeter – was noch nichts über die Qualität aussagt.
Während der einwöchigen Verschleißfahrt wurden täglich die Ketten geschmiert und ihr Durchhang überprüft sowie gegebenenfalls nachjustiert. Die Kandidaten von Afam, DC, Enuma und Triumph mussten während der gesamten Tour nur ein einziges Mal nachgespannt werden, die Ketten von DID, Regina und RK zwei Mal.
Fazit: Alle Kandidaten sind nach der Tour noch fast neuwertig. Das gilt auch für die zugegebenermaßen mit Abstand ab stärksten gelängte RK-Kette. Das größtenteils gleichmäßige Dauertempo – egal, ob mit 100, 150 oder 200 km/h – beeindruckt die gefahrenen, hochwertigen Testketten offenbar wenig.

Kettenpflege

Garanten für eine lange Lebensdauer von Motorradketten sind regelmäßige Pflege und Wartung. Falsch eingestellte Kettenspannung – egal, ob zu straff oder zu locker – führt zwangsläufig zu erhöhtem Verschleiß und ist gefährlich. Zu lockere Ketten können vom Kettenrad springen, zu straffe beschädigen nicht nur das Getriebeausgangslager, sondern können durch die extremen Belastungen, vor allem beim Einfedern, sogar reißen. Eine regelmäßige Kontrolle des Kettendurchhangs nach den Angaben des Handbuchs ist deshalb unabdingbar. Unbedingt auch darauf achten, dass die Hinterachse nicht schief in der Schwinge steckt. Sonst müsste die Kette quasi einen Bogen beschreiben, was den Verschleiß extrem beschleunigt. Darum unbedingt die Skalen der Spannvorrichtungen in den Schwingenenden aneinander angleichen.
Zu den wenig beliebten, aber durchaus sehr sinnvollen Wartungsmaßnahmen gehört das Reinigen, um die Dichtringe vor Beschädigungen zu schützen, was schließlich zum Verlust der Dauerfettfüllungen führen kann. Zur Anwendung: Das im Fachhandel für ein handvoll Euro erhältliche Kettenreinigungsmittel auftragen, mit Pinsel oder Bürste nacharbeiten und anschließend abwischen beziehungsweise abspritzen. Keinesfalls mit einem Dampfstrahler draufhalten. Der würde die lebensnotwendigen Fettfüllungen ausspülen.
Das Aufbringen von Kettenspray sollte alle paar hundert Kilometer erfolgen. Bei trockenen Bedingungen kann das Intervall auch mal 1000 Kilometer betragen. Spätestens, wenn die Kette trocken ist (Fingertest) gehört frisches Schmiermittel drauf. Beim Einsprühen der Kette gilt: innen reichlich, außen mäßig. Außerdem lieber häufiger und sparsam auftragen als selten und dick.
Wer lange mit seinem Kettensatz unterwegs sein will, kommt um einen automatischen Kettenöler (ab etwa 130 Euro) nicht herum, durch den die Kette permanent geschmiert wird. Praxiserfahrungen zeigen, dass so die Haltbarkeit einer Kette gegenüber herkömmlicher Pflege locker verdoppelt werden kann. Bekannte Anbieter finden sich im Internet unter folgenden Adressen: www.cls200.de, www.pro-oiler.com, www.scottoiler.de.

Kettensatzwechsel

Wie erkennt man, dass die Kette ihre Verschleißgrenze erreicht oder gar überschritten hat? Auf diese Frage gibt es mehrere Antworten. Zum einen sitzen an den Schwingenenden die Verstellmechanismen für die Kettenspannung. Sind die Markierungen bereits am Ende der Skala angelangt, ist es höchste Zeit für einen neuen Kettensatz. Der ist allerdings bereits dann fällig, wenn das Kettenrad so genannte Haifischzähne aufweist oder sich die Kette bis zu den Zahnspitzen vom Kettenblatt abheben lässt (siehe Fotos).
Tipps für den Kettensatzwechsel
Grundsätzlich den kompletten Kit wechseln, also Kette, Ritzel und Kettenrad. Wird nur die Kette ausgetauscht, längt sich diese auf den mehr oder weniger stark verschlissenen Kettenrädern und Ritzeln extrem schnell. Zunächst bei aufgelegter Kette und blockierter Hinterradbremse die Verschraubungen von Ritzel und Kettenrad lösen.
Zum Trennen der alten Kette entweder eine Flex zur Hilfe nehmen oder spezielles Kettentrennwerkzeug (im Fachhandel ab etwa 20 Euro). Vor dem Einbau der Neuteile sicherheitshalber Gliederanzahlen der Ketten und Zähnezahlen von Ritzeln und Kettenrädern vergleichen. Anschließend den Kettenspanner in die vorderste Position bringen, um den Einbau der etwas kürzeren, da noch nicht verschlissenen neuen Kette zu erleichtern. Nach Einbau des neuen Ritzels und des Kettenrads (neue Sicherungsbleche beziehungsweise Schraubsicherungen verwenden) die Kette montieren und mit Clip-, Schraub oder Nietschloss (spezielles Nietwerkzeug gibt es ab etwa 150 Euro) schließen. Wer sich für eine Endloskette entschieden hat, muss den sehr zeitaufwendigen Schwingenausbau in Kauf nehmen. Ganz zum Schluss Kettenflucht und Kettenspannung justieren und nach den ersten Kilometern Fahrt erneut kontrollieren.

Die aktuelle Ausgabe
MOTORRAD 12 / 2023

Erscheinungsdatum 26.05.2023