Noch eine Stunde. Die Nervosität ist spürbar, äußert sich in kleinen Scherzen und Frotzeleien. Jenny (23) und Michi (28) stehen bei der Anmeldung, setzen ihr Autogramm unter die Haftungsbeschränkung. Das war wohl der leichteste Teil des Abends. Während Michi direkt von der Arbeit kommt und sich noch mit Schutzkleidung ausrüsten lassen muss, hatte Jenny dank ihrer Semesterferien den ganzen Tag Zeit, sich in Ruhe vorzubereiten – und um sich zwischen zwei verschiedenen Paar Motorradstiefeln zu entscheiden. Frau will ja auch gut aussehen auf dem Motorrad, selbst wenn es nur für zwei Stunden auf einem abgesperrten Parkplatz ist.
Acht dieser Termine zum Motorradfahren ohne Führerschein bot das süddeutsche Motorradhaus Limbächer & Limbächer im August 2016 an. Und mit bis zu zwölf Teilnehmern war es beinahe immer ausgebucht. Heute sind es elf Personen, die nun zunächst auf vier Rädern zum Stuttgarter Messeparkplatz chauffiert werden. Dort beruhigen Butterbrezeln die Nerven der mehr oder weniger Freiwilligen – gerade die acht Frauen wurden nämlich meist von ihren Partnern dazu ermutigt, hier und heute das erste Mal selbst Motorrad zu fahren. Damit ist auch schon klar, dass dieses Event trotz des Frauenüberschusses, die in ihrer knackigen Bekleidung das männliche Bikerherz durchaus zu beleben wissen, nicht als Singlebörse taugt. Aber darum geht es ja auch nicht.
Nichts wie rauf aufs Bike!
Es geht um Fahrgefühl, Sound und Emotionen. Und passend dazu gestaltet sich der Auftritt von Fahrlehrerin Darija Tomasic, die den Teilnehmern heute zu zwei spannenden Stunden auf verschiedenen Honda-Motorrädern verhelfen soll. Auf ihrer weißen Ducati Hypermotard ist sie schon lange zu hören, bevor sie schließlich am Horizont des Messeparkplatzes auftaucht und pünktlich um 17 Uhr vor den Teilnehmerinnen zum Stehen kommt. Also nichts wie rauf aufs Bike! Rauf – das gilt zumindest für Jenny, die als kleinste Teilnehmerin des Fahrerfeldes auf dem kleinsten Motorrad des Fuhrparks Platz nehmen darf, während Darija ihr und der versammelten Meute die Funktion der Hand- und Fußhebel nahebringt.
Also Motor starten, ersten Gang einlegen, den „absoluten Notfallhebel“ langsam kommen lassen – und schon rollt sie unter neidischen Blicken davon. Vier Mal übt sie das Anfahren und Anhalten, dann gibt es auch für den Rest der Gruppe kein Halten mehr. Helm auf, Handschuhe an. Kurz darauf hat sich jeder in einen Sattel geschwungen – auch der kleine Umfaller einer Teilnehmerin kann das kollektive Glück nicht trüben. Den abgebrochenen Bremshebel als Souvenir eingesteckt, setzt sie sich zusammen mit der Masse in Bewegung. 1-N-2-3. Vor allem die drei Herren haben das Schaltschema recht bald von selbst erkundet und nutzen den daraus resultierenden Geschwindigkeitsvorteil voll aus – in Form kleiner Sprints, wobei am Ende der Parkplatzbahn gedanklich stets ein Sieger gekürt wird, Runde für Runde. Immer mehr schmilzt daher auch Jennys Vorsprung auf ihrer weißen MSX. Egal, sie genießt jeden Meter. Michi hingegen den Rausch der Geschwindigkeit.
Erster Bike-Tausch nach 40 Minuten
Ob schnell oder langsam, alle elf Teilnehmer werden von Fahrlehrerin Darija und den drei Herren von L&L fachmännisch betreut. Und als nach vierzig Minuten der erste Bike-Tausch ansteht, ist auch tatsächlich jeder in die grundlegende Beherrschung eines Motorrads sowie die Geheimnisse des zweirädrigen Schaltschemas eingeweiht. Da macht es auch nichts, dass Michi auf die automatikgetriebene NC 750 X wechseln muss. Jenny hingegen bleibt bei ihrer kleinen Honda. Und kaum zehn Minuten später jagen beide durch den aufgebauten Hütchenslalom.
Ganz so, wie sie es auch bei der Führerscheinprüfung tun müssten. Beobachtet werden sie dabei von zunehmend mehr jungen Männern – allesamt Partner der durchweg sehr souverän fahrenden Damen. Und so kommt es beim nächsten großen Motorradtausch auch zu einem regen Austausch zwischen den selbsternannten Profis und ihren aufstrebenden Rennamazonen.
Wo ist die nächste Fahrschule?
Auch Jenny und ihre MSX kommen in die Box, sind vor Stolz um gefühlt zehn Zentimeter gewachsen. Und doch reichen die kurzen Beine noch immer kaum zum Boden. Mit einer tiefergelegten CB 500 F geht es gerade so. Fahrlehrerin Darija rät, einfach nicht anzuhalten. Kaum Probleme hat Michi, der sich nun mit der sportlichen CBR 300 anfreunden darf. Während er sich am Ende des Platzes mitsamt Maschine tief in die Kurve legt, erklärt ihm Darija für den Slalom die Technik des Drückens.
19 Uhr, Feierabend. Jenny hält an, strahlt und erkundigt sich direkt nach möglichen Fahrschulen in der Umgebung. Weniger euphorisch fällt hingegen Michis Urteil aus: Nicht, dass es ihm nicht gefallen hätte. Aber er sei einfach ein Sportsmann – und als solcher wahrscheinlich viel zu gefährlich unterwegs. Auf Dauer könne das nicht gutgehen, ist er überzeugt. Also wird er erstmal weiterhin seiner Frau als Sozius den Rücken freihalten. Für Jenny wird es wohl nicht bei der im Anschluss überreichten Teilnahmebescheinigung bleiben. Mit dem Rest der Gruppe stößt sie auf eine un- und umfallfreie Zweiradzukunft an. Und lässt ihren Blick verträumt über die zahlreichen Bikes im Ausstellungsraum schweifen – die sie womöglich bald alle fahren darf.