Reportage - Wo ist Bimota?
Spurensuche

Bimota schien plötzlich von der Bildfläche verschwunden: keine Motorräder, keine Preislisten, keine News auf der Website. Wir machten uns schließlich auf die Suche nach dem italienischen Hersteller – und wurden doch noch fündig.

Spurensuche
Foto: www.bilski-fotografie.de

Zwischen den Steinplatten im ­Vorgarten wuchert das Unkraut, das rote Firmenlogo wirkt verblasst. Keine Frage, der historische Werkssitz von Bimota in Rimini ist verwaist. Jahrzehntelang hatte der unscheinbare hellbraune Bau in der Via Lea Giaccaglia 38 Scharen von Motorrad­fahrern angezogen, die mit eigenen Augen die Entstehung der rasanten italie­nischen Renner bewundern wollten. 60 Angestellte werkelten hier in den wirtschaftlichen Glanzzeiten des Herstellers. Jetzt steht alles leer. Ein trauriger Anblick.

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Bimota ist umgezogen

Doch das Schild an den Streben des weißen Metallzauns verweist auf neue Räumlichkeiten: Bimota ist umgezogen, rund 300 Meter und nur eine Querstraße weiter, in die Via Emilia Mariani 8. In einem lang gestreckten Gewerbegebäude hat der Hersteller offenbar eine neue Heimat gefunden, am Gitter vor dem Werkshof hängt immerhin eine kleine Bimota-Fahne. Vorbei geht es an einem Fahrradvertrieb, einem Lieferanten von Würfel- und In­dustrieeis und einer chinesischen Näherei, ganz hinten befinden sich die Räume von Bimota. Was mal Werkstatt und Produk­tion werden soll, steht voller Regale, Kisten und Werkzeug, drei Angestellte sind eifrig beim Einräumen. „Präsentabel ist das noch nicht, wir sind erst heute Morgen mit dem Umzug fertig geworden“, erklärt Marco Chiancianesi. Der Schweizer Immobilienunternehmer hatte Bimota im September 2013 gemeinsam mit seinem Neffen Da­nie­le Longoni gekauft. Große Pläne hatten die beiden, stiegen gleich mal in die Superbike-WM ein und schwärmten im ­MOTORRAD-Interview von der geplanten Produktion von 600 Motorrädern im Jahr, von einem Werksmuseum, von einem ­perfekten Service für Importeure, Händler und Käufer. „Ein Ersatzteil“, so Longoni ­damals, „muss für unsere Kunden in zwei Tagen verfügbar sein.“

Produktion kam nicht wirklich ans Laufen

Halten konnten die beiden von ihren Ankündigungen nichts. Aus der Superbike-WM flog Bimota wegen Regelverstößen bald wieder raus, dem verheißungsvoll angekündigten neuen Deutschland-Importeur Wilberts kündigte man nach nicht einmal einem Jahr und das Mega-Projekt BB3 mit dem Motor der BMW S 1000 RR wurde zwar noch zu Ende entwickelt und vorgestellt, doch aus Geldmangel versiegte bald die Motorenlieferung. Die Produktion kam nicht wirklich ans Laufen, immer mehr Mitarbeiter suchten das Weite. 2015 gab es noch einmal ein Aufbäumen, die beiden Eigentümer holten Pierluigi Mar­coni zurück, den früheren Chefentwickler des Hauses. Der entwarf flugs eine neue Tesi mit 800er Ducati-Motor sowie den Streetfighter Impeto mit dem mächtigen Antrieb der Ducati Diavel, sogar ein leistungssteigernder Kompressor wurde ­angekündigt. Bei der Vorstellung dieser ­Neuheiten auf der EICMA 2015 tanzte eine Ballerina zu klassischer Musik – ein Händchen für ungewöhnliche und unterhalt­same Inszenierungen hatten die beiden Schweizer von Anfang an bewiesen.

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1995: Erstmals arbeitet Bimota mit BMW: Der ­Einzylinder-Rotax-Motor der Bayern wird in ein voll verkleidetes Bimota-Fahrwerk verpflanzt und nennt sich fortan Supermono.

Marconi hingegen tanzte wenige Monate später schon wieder ab, und von Bimota hörte man fortan nur noch dröhnende Stille. Die Website wurde nicht mehr aktualisiert, es gab keine neuen Preislisten, die wenigen verbliebenen Händler standen ohne Motorräder da. Selbst als die Stadt Rimini im letzten September eine Ausstellung über die örtliche Motorradgeschichte organisierte und dabei sogar den angereisten deutschen Bimota-Club würdigte, ließ sich niemand von der Geschäftsführung blicken. Der geplante Werksbesuch der deutschen Gäste, unter ihnen der frühere Bimota-Importeur Reinhold Kraft, scheiterte schließlich, weil es nicht gelang, sich in der Via Giaccaglia anzumelden: E-Mails wurden im Vorfeld ebenso wenig beantwortet wie Telefonanrufe.

Anrufe im Werk liefen ins Leere

Ähnlich erging es MOTORRAD bei der Spurensuche, die bald an ein Detektivspiel erinnerte. Anrufe im Werk von Bimota liefen ins Leere, die Telefonzentrale war nie besetzt, die vorhandenen Durchwahlen funktionierten nicht mehr. Der privat kontaktierte Pres­sesprecher erklärte, er habe gemeinsam mit Marconi die Firma verlassen, und die ­Handynummern von Bimota-Vizepräsident Daniele Longoni und seiner Frau, die ebenfalls für die Firma gearbeitet hatte, entpuppten sich als abgemeldet. Die Handelskammer in Rimini wurde befragt, ebenso Kollegen italienischer Zeitschriften, außerdem deutsche Händler sowie reihenweise ehemalige Bimota-Mitarbeiter – ohne Ergebnis. Niemand wusste, ob in der Via Giaccaglia in Rimini überhaupt noch Motorräder gebaut wurden oder ob die Schotten dicht waren.

Kein Erfolg nach zehn Jahren

Nur einer hatte offenbar noch Kontakt zu den Eignern, wenn auch keinen direkten: Der Mailänder Pharma- und Lebensmittelunternehmer Roberto Comini, der Bimota nach dem Konkurs Anfang der Nullerjahre als Investitionsobjekt erworben hatte. Weil sich nach zehn Jahren noch kein Erfolg eingestellt hatte, verkaufte er an Chiancianesi und Longoni. Doch auch mit denen hatte er offenbar wenig Glück. „Miete für das Gebäude in der Via Giaccaglia, das wir behalten hatten, haben wir kein einziges Mal bekommen“, erzählt er indigniert. Und auch der damals vereinbarte Kaufpreis für Bimota sei nicht komplett bezahlt: „Da ist noch ein Verfahren anhängig.“ Comini jedenfalls hat von der Motorradbranche genug; zurückhaben will er Bimota nicht.

Was also tun? Bimota abhaken?

Für die Spurensuche ergab das Gespräch wieder kein positives Indiz. Was also tun? Bimota abhaken? Doch dann, als der Abgesang, der auf diesen Seiten stehen sollte, schon fast fertig war, kam unverhofft noch eine Rückmeldung aus Rimini. Man sei, so hieß es in einer Mail ohne Unterschrift, derzeit im Umzug begriffen und würde MOTORRAD gern begrüßen, sobald die Geschäfte wieder aufgenommen seien. Nach einigem Hin und Her meldete sich schließlich Bimota-Präsident Marco Chiancianesi per Telefon: Natürlich gebe es die Firma noch, er sei heute selber in Rimini. Beim eilig anberaumten Ortstermin drei Stunden später bestätigte er Schwierigkeiten im letzten Jahr, ver­sicherte aber, dass er Bimota auf jeden Fall fortführen wolle. Die Leidenschaft für Motorräder – „ich bin italienischer Meister der Ü-50-Klasse“, sagt er sichtlich stolz – nimmt man dem 58-jährigen Chiancianesi durchaus ab. Doch wie genau sein Konzept aussieht, wird in diesem Gespräch nicht eindeutig klar. Immerhin: Die Spurensuche war letztlich von Erfolg gekrönt, der Abgesang auf Bimota ist erst mal verschoben. Hoffentlich auf unbestimmte Zeit.

Interview mit Marco Chiancianesi

Breutel
Links: Bimota-Besitzer Chiancianesi mit den drei Mitarbeitern Massimo, Mimmo und Gianni vor dem Rahmen der Grand Prix-Bimota, die 2010/11 in der Moto2 startete.

Dem Immobilienunternehmer aus Lugano gehört der kleine Hersteller Bimota seit knapp vier Jahren.  Künftig soll die Marke noch teurere, noch exklusivere Luxusmotorräder bauen als bisher – zumindest wahrscheinlich.

MOTORRAD: Wo waren Sie denn abgeblieben?  Wir konnten Bimota seit etwa einem Jahr nicht mehr erreichen.

Marco Chiancianesi: Es gab uns schon, wir haben letztes Jahr  immerhin 80 Motorräder verkauft, zuge­gebenermaßen nicht so viele, wie es hätten sein sollen. Aber Daniele Longoni und ich mussten uns in den letzten eineinhalb Jahren vorrangig um unser Unternehmen in der Schweiz kümmern. Der Immobilienmarkt ist dort stark eingebrochen, jedenfalls im Luxussegment, in dem wir arbeiten. Klar, dass die Motorräder da zu kurz kamen. Aber Bimota machen wir ja nicht, um Geld zu verdienen.

MOTORRAD: Sondern?

Marco Chiancianesi: Um Spaß zu haben, um unsere Leidenschaft für Motorräder auszuleben, um ganz nah an der faszinierenden Technik zu sein.

MOTORRAD: Was hat Sie der Spaß denn gekostet?

Marco Chiancianesi: 4,2 Millionen Euro haben wir für Bimota bezahlt, und dann haben wir noch 1,5 Millio­nen investiert. Dafür ist Bimota jetzt schuldenfrei, das gab’s in der Geschichte der Firma auch noch nicht so oft.

MOTORRAD: Warum sind Sie umgezogen?

Marco Chiancianesi: Für das, was wir vorhaben, war das Gebäude in der Via Giaccaglia mit seinen 2.200 Quadratmetern viel zu groß. Jetzt haben wir nicht mal ein Zehntel davon, aber das reicht.

MOTORRAD: Was haben Sie denn mit Bimota vor?

Marco Chiancianesi: Wie wollen natürlich weiter veredelte Motorräder bauen, die Motoren bekommen wir nach wie vor von Ducati. Aber wir wollen sie künftig auch customizen und den Kunden echte Unikate und wirklich luxuriöse Motorräder bieten. Aktuell haben wir noch 58 Tesi 3D und 35 Rahmen für die BB3, davon sieben mit Motor. Vielleicht bauen wir daraus sogar ein echtes Superbike mit richtiger Renntechnologie. Aber das ist noch nicht sicher.

MOTORRAD: Und die Impeto, die Sie Ende 2015 vorgestellt haben?

Marco Chiancianesi: Die bauen wir auch. Die ehemaligen Bimota-Entwickler Pierluigi Marconi und Andrea Acquaviva haben in Rimini ein Projektbüro eröffnet, mit ihnen arbeiten wir zusammen.

MOTORRAD: Werden Sie Bimota behalten?

Marco Chiancianesi: Ja, ich will nicht verkaufen. Wenn ein geeigneter Investor kommt, könnte ich mir aber eine Zusammenarbeit vorstellen. Es waren in letzter Zeit mehrere Interessenten da, der Name Bimota hat eine starke Ausstrahlung. Aber das waren Abenteurer, und solche Leute brauche ich nicht. Ein Abenteurer bin ich ja schon selber – aber ich bringe wenigstens echte Leidenschaft für Motorräder mit.

MOTORRAD: Wenn Sie zurückschauen: Würden Sie manche Entscheidungen anders treffen?

Marco Chiancianesi: Ja, eine ganze Menge. Ich hätte nicht gedacht, dass die Motorradbranche so anders ist als der Immobilienbereich, aus dem ich komme. Der ist auch nicht einfach, aber  längst nicht so schwierig wie Motorräder! Wir haben viele Fehler gemacht, aber wir haben auch viel gelernt. Hoffe ich jedenfalls.

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Erscheinungsdatum 15.09.2023