Technik: Der Yamaha YZF-R1-Motor
Ist doch logisch

Er provoziert Grundlagen-Diskussionen und beflügelt Wunschträume. Dabei ist der Motor in Yamahas YZF-R1 nichts anderes als ein Muster an Konsequenz.

Jetzt verstehe einer die Motorradfahrer: Immer und ewig ergötzen sie sich an ungewöhnlichen Zylinderkonfigurationen und lobpreisen aufwendige Nockenwellenantriebe. Aber kaum rast so ein nüchterner Vierzylinder-Reihenmotor mit richtig Qualm daher, wanken alle Glaubenssätze. 150 PS aus einem Liter Hubraum lauten die elektrisierenden Daten, als Dreingabe ein Fahrzeuggewicht von vollgetankt gerade 203 Kilogramm.

Yamaha YZF-R1, der Stoff dieser Saison. Und bereits jetzt bestens verkauftes Beweisstück dafür, daß auch in der Szene letztlich des Kanzlers Worte gelten: Es zählt, was hinten rauskommt. Gleichzeitig ist ihr Motor ein Exempel für die Faszination technischer Konsequenz. Davon konnte sich MOTORRAD bis hinunter in die Tiefen des Ölsumpfs überzeugen, als in Löhne, im Kundendienstzentrum von Yamaha, der erste Schulungsmotor zerlegt wurde.

Ungemein kompakt steht er da auf der Werkbank, dieser wassergekühlte Fünfventiler. Vor allem in der Länge unterbietet er vergleichbare Aggregatte deutlich - wegen seiner über- statt hintereinander angeordneten Getriebewellen. Zylinder und obere Gehäusehälfte bilden ein einziges, äußerrst steifes Gußteil, dessen Festigkeit für eine tragende Rolle geradezu prädestiniert und dafür sorgt, daß am Brückenrahmen etliche Gramm eingespart werden konnten.

Doch auch der Motor zählt mit trocken 62,4 Kilogramm (ohne Vergaser und Krümmer) wirklich zu den Leichtgewichten. Wie konsequent mit Material gegeizt wurde, dokumentiert bereits die Demontage der Kupplung: Statt der üblichen Schraubenfedern preßt eine einzige - und leichtere- Tellerfeder das Paket aus acht Belag- und sieben Stahlscheiben zusammen. Schon bei den Drehmoment-Bullen FJ 1100/1200 und Vmax hat Yamaha auf diese sauber und mit degressiver Handkraft abhebende Alternative zurückgegriffen.

Direkt hinter dem Primärtrieb-Zahnrad sitzt das Antriebszahnrad für die konventionelle Zahnkette zu den beiden Nockenwellen. Durch seine exponierte Lage ganz am Ende der Kurbelwelle konnte bei dieser ein Lager eingespart werden, und so fällt der R1-Motor untenrum denn auch recht schmal aus.

Doch jetzt wieder der Reihe nach: Um in den Motor-Innereien werkeln zu können, muß zunächst mal der Magnesiumdeckel des Zylinderkopfes weichen. Er ist dank einer dauerelastischen, wiederverwendbaren Dichtung samt entsprechender Verschraubung vom Motor geräuschentkoppelt und behütet Nockenwellen samt der fünf Tassenstößel pro Zylinder. Letztere tragen übrigens innseitig kleine Farbmarkierungen, die mit solchen an den Stößelbohrungen korrespondieren. Beweis dafür, daß selbst kleinste Toleranzen beim Bearbeiten des Kopfes durch maßlich aufeinander abgestimmte Teile ausgeglichen werden. Die Shims liegen innen, das Ventilspiel muß nur alle 42000 Kilometer eingestellt werden.

Der Zylinderkopf selber besteht nun wieder aus einem Teil. Diese Form bietet gegenüber der zweiteiligen Ausführung, die Yamahas Fünfventil-Vierzylinder seit der FZ 750 charakterisierte, nennenswerte Gewichtsvorteile. Freilich lassen sich zwei getrennte Gußstücke leichter gießen und bearbeiten. Die Brennräume schauen keinesfalls revolutionär aus, im Vergleich mit dem bisherigen Tausender von Yamaha fällt lediglich auf, daß die Kerzen etwas weiter in den Brennraum ragen und die 23 (Einlaß) beziehungsweise 24,5 Millimeter messenden Ventile noch steiler im Zylinderkopf angeordnet sind.

Anders als Suzukis aktueller GSX-R 750-Motor weist das R1-Triebwerk im Bereich des Motorgehäuses lediglich eine Trennfuge auf. Erfreulicher Nebeneffekt: Nach Lösen der Gehäuseschrauben verbleibt die gesamte, auf den Kopf gestellte Einheit Oberteil/Zylinder im Montagebock, das untere Gehäuseteil kann einfach abgehoben werden. Kolben und Pleuel werden anschließend nach Lösen der Pleuelfußschrauben nach oben aus den Zylindern herausgezogen. Bei Getriebereparaturen bleibt natürlich vom Gehäuse bis zum Zylinderkopf alles beieinander, nicht einmal die Steuerkette müßte getrennt werden, um das komplette Oberteil des Motors zu entfernen.

Die Kolbenbolzen tragen nunmehr eine reibungsminimierende Beschichtung, die noch aus der Thunderace bekannte, verschleißfördernde Paarung Stahlbolzen in Stahlbuchse war auch wirklich von gestern. Extrem kurzes Hemd und geringe Kompressionshöhe kennzeichnen die Kolben, aber trotzdem gelang es, drei Kolbenringe unterzubringen. Die Beschichtung der Leichtmetallzylinder sorgt für einen optimalen Wärmeübergang und eine verschleißfeste Oberfläche. Mit 74 Millimetern Bohrung und 56 Millimetern Hub ist der Motor entgegen sonstigen Trands langhubiger ausgelegt als das Aggregat des Vorgängers. Genau wie die pfiffige Bauweise der Zylinder-/Gehäuseeinheit ließ sich Yamaha auch das Zylinder-Beschichtungsverfahren patentieren: In einem elektrochemischen Prozeß werden die Keramikpartikel aufgetragen.

Die Pleuel stemmen sich gegen eine kompakt gebaute Kurbelwelle, deren Lagerschalen - kleiner Lernerfolg bei Yamaha - im Interesse besserer Ölverteilung eine Nut aufweisen. Die Welle kann dank des verlegten Nockenwellen-Antriebs gegenüber mittig antreibenden Vierzylindern auf ein Lager verzichten. Für ausreichende Schwungmasse sorgt einerseits das als volle Hubscheibe ausgebildete Primärrad. Andererseits hilft die Lichtmaschine, wie bei Yamahas Fünfventil-Vierzylindern gewohnt, mit ihrem massigen Polrad auf dem linken Kurbelwellenstumpf dem Motor ebenfalls über die Runden.

Kurbelwelle und Getriebe-Ausgangswelle liegen knapp höhenversetzt auf der leicht ansteigenden Linie der Gehäuse-Trennfuge. Die Eingangswelle des recht massiv ausgefallenen Sechsgang-Getriebes steckt dagegen in einer Sackbohrung der oberen Gehäusehälfte. Um sie komplett montiert einschieben zu können, verwendet Yamaha auf der dem Sackloch gegenüberliegenden Seite ein großes, aufgeschraubtes Lagerschild. Die Welle des Schalthebels macht sich mit Nadellagern beliebt - das ereichtert die Schaltvorgänge ganz enorm. Bei Yamaha wundert man sich übrigens, daß die Getriebeanordnung derartigen Wirbel erzeugt: Schon im Zweizylinder, der in der Super-Ténéré XTZ 750 debütierte und mittlerweile TDM und TRX 850 befeuert, findet sich eine gleichartige Konfiguration.

Zur unteren Etage: Direkt angetrieben von der Kupplung verrichten Öl- und Wasserpumpe einträchtig nebeneinander ihren Dienst. Auf einer Welle also, aber - und darin liegt bei der R1 die Besonderheit - auch beide innerhalb des Motorgehäuses. Logisch, daß besondere Anstrengungen unternommen wurden, jedes Eintreten von Kühlwasser ins Motoröl zu vermeiden. Selbst im Falle eines Dichtungsring-Defekts, der bei einer Pumpe nach höherer Laufleistung schon einmal vorkommen kann, führt ein Kupferröhrchen das austretende Wasser durch den Ölwannendeckel direkt ins Freie.

Vor der Ölwanne lugen zwei kleine Töpfchen Richtung Vorderrad. Hinter dem einen befindet sich der Ölfilter, hinterm anderen der Ölkühler. Eine Aluminiumkonstruktion, vom Kühlwasser umspült. Die zweigeteilte Bauweise - üblicherweise wird eine weit herausragende Einheit verwendet - reduziert die Baulänge des Motors deutlich, ermöglicht vor allem, daß sich die Krümmer recht eng an den Motor schmiegen können. Und erst die Summer all dieser kleinen Tricks ermöglichte, eine Tausender mit dem Gewicht und den Maßen einer 600er zu bauen.

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Erscheinungsdatum 15.09.2023