Um in der Topliga der Supersportler mitzuspielen, müssen es heute schon 172 PS aus einem Liter Hubraum sein.
Um in der Topliga der Supersportler mitzuspielen, müssen es heute schon 172 PS aus einem Liter Hubraum sein.
Mit einem Paukenschlag präsentierte Yamaha 1987 den ersten Supersportler der Big-Bike-Klasse, die FZR 1000 Genesis. Ähnlich spektakulär geriet mehr als eineinhalb Jahrzehnte später die Vorstellung der jüngsten YZF-R1. Mit nominell 172 PS stößt sie nicht nur die derzeitige Topathletin Suzuki GSX-R 1000 vom Thron, sondern überbietet das Vorgängermodell zumindest laut Papierform um satte 20 PS. Das setzte die übrige japanische Konkurrenz kräftig unter Zugzwang. Honda und Kawasaki, denen bei der Präsentation ihrer Supersportler CBR 1000 RR und ZX-10R keine konkreten Leistungsangaben zu entlocken waren, zogen zwei Monate, nachdem Yamaha die Karten auf den Tisch gelegt hatte mit 171 beziehungsweise 175 PS nach. Da liegt die Vermutung nahe, dass zwischenzeitlich noch fleißig nach Leistung gesucht wurde. Denn obwohl es im Alltag wenig relevant ist, ob 150 oder 180 PS an der Kette zerren, fällt die Entscheidung der Käufer häufig zugunsten des Meistbietenden aus.
Wie zahlreich die Pferde wirklich versammelt sind, kann zwar erst der Lokaltermin auf dem Prüfstand beweisen. Doch weil die Ingenieure etliche Register ziehen muss-
ten, um 20 zusätzliche PS zu finden, lohnt sich ein Blick auf die leistungsbestim-
menden Bauteile des neuen R1-Motors. Als Erstes fällt die Vergrößerung der
Zylinderbohrung bei gleichzeitiger Reduzierung des Hubs auf, was höhere Maximaldrehzahlen ermöglicht. Ein probates Mittel zur Leistungssteigerung. Schafft es der Konstrukteur, bei höherer Drehzahl eine ähnliche Zylinderfüllung und somit ein vergleichbares Drehmoment zu er-
zielen, schlägt sich das in einer verbesserten Spitzenleistung nieder. So wuchs beim neuen Motor die Bohrung von 74 auf 77 Millimeter Durchmesser, der Hub schrumpfte von 58 auf 53,6 Millimeter. Im Reigen der 1000er-Konkurrenz ist die R1 damit am kurzhubigsten ausgelegt.
Einen unerwarteten Trumpf kann die Fünfventiltechnik ausspielen. Die geringen Massen der drei kleinen Einlassventile lassen sich dynamisch leichter beherrschen als zwei große und erlauben hohe Drehzahlen ohne große Kunstgriffe, wie etwa Titanventile. Der rote Bereich auf dem Drehzahlmesser beginnt erst bei 14000/min, knapp 2000 Umdrehungen später als beim Vorgängermodell. Eine Region, die vor wenigen Jahren selbst 600er-Supersportlern zur Ehre gereicht hätte.
Seine Maximalleistung erreicht der R1-Motor bei 12500/min. Mit Staudruck das Ram-Air-System mit doppeltem Lufteinlass in der Verkleidungsfront machts möglich gibt Yamaha sogar 180 PS an. Die Kehrseite: Was das Drehmoment
anbelangt, hat die alte R1 mit 108 Nm
bei 8500/min gegenüber dem 2004er-
Modell mit 107 Nm erst bei 10500/min die Nase leicht vorn; die radikalere Motorauslegung fordert ihren Tribut.
Dafür schreiben sich die Konstrukteure aus Iwata einen neuen Leichtbaurekord auf ihre Fahnen. Mit einem Trockengewicht von 172 Kilogramm erreicht die 2004er-R1 erstmals im Serienmaschinenbau ein nominelles Leistungsgewicht von einem Kilogramm pro PS. Mit zirka 190 Kilogramm vollgetankt rückt das Big Bike den leichtesten 600er-Supersportlern verdammt nahe auf den Pelz.
Um dieses Ziel umzusetzen, konstruierten die Ingenieure neben vielen peripheren Teilen wie der komplett aus Titan gefertigten Vier-in-eins-in-zwei-Exup-Auspuffanlage den gesamten Motor neu obwohl das Triebwerk auf den ersten Blick seinem Vorgänger sehr ähnelt. Wie bei diesem ist der Zylinderblock mit 40 Grad stark nach vorn geneigt, was Yamaha beim neuen Modell nutzte, um die beiden Profile des Alubrückenrahmens über den Motor zu führen. Das reduziert die Baubreite des Chassis im Beinbereich des Fahrers erheblich, ein Vorteil, der nicht nur der Ergonomie zugute kommt, sondern dank der kleineren Stirnfläche des Motorrads auch den Luftwiderstand reduziert. Dazu passt die bekannte ultrakurze Bauweise des Motors mit übereinander liegenden Getriebewellen und rechtsseitigem Antrieb der beiden oben liegenden Nockenwellen per Zahnkette direkt von der Kurbelwelle aus. Die jetzt kleinere und leichtere Mehrscheiben-Ölbadkupplung ist samt der Getriebe-eingangswelle wie gehabt oberhalb der Kurbel- und Getriebeausgangswelle positioniert.
Bei genauem Studium fallen jedoch auch von außen einige Merkmale auf, die das aktuelle Kraftpaket vom alten un-
terscheiden. Die Einspritzanlage arbeitet nun mit einem Doppeldrosselklappensystem, bei dem die Sekundärklappen wie bei der Konkurrenz elektronisch geregelt öffnen. Diese Bauart bietet im Vergleich zur unterdruckgesteuerten Lösung des Vorgängermodells mehr Möglichkeiten, sowohl bei der Suche nach Drehmoment und Leistung als auch bei der Einhal-
tung gesetzlicher Vorgaben wie etwa den
Geräuschbestimmungen.
Des Weiteren sitzt die Lichtmaschine nicht mehr wie bei der alten R1 auf dem linken Kurbelwellenstumpf, sie wanderte hinter die Zylinder und wird über Zahn-
räder direkt von der Kurbelwelle ange-
trieben. Diese Anordnung spart Bau-
breite, die Verkleidung ist in diesem
Bereich sichtlich schmaler gestaltet, was die ohnehin beträchtliche Schräglagenfreiheit nochmals erhöht. Auf Kurbelwellenniveau misst der Motor 410 Millimeter in der Breite, satte 55 weniger als das 2003er-Aggregat. Zudem dreht die Lichtmaschine jetzt 1,24-mal schneller als
die Kurbelwelle und geriet bei gleicher Leistung deutlich kompakter und leichter. Hinter der Lichtmaschine sitzt der Anlasser, der die Kurbelwelle über ein Vorgelege und den Antrieb der Lichtmaschine in Schwung bringt.
Und noch ein Unterscheidungsmerkmal lässt sich von außen erkennen:
Zylinderbank und Gehäuse-Oberteil sind
nicht mehr aus einem Gussteil produziert, sondern voneinander getrennt. Eine im ersten Moment erstaunliche Tatsache, denn die meisten Hersteller gehen bei
ihren Hochleistungsmotoren zu ersterer Bauweise über. So auch Kawasaki bei der ZX-10R, da dieses Konstruktionsprinzip die Steifigkeit der Motoren erhöht, die ja fast durchweg als tragendes Bauteil
zur Rahmensteifigkeit beisteuern. Bei der R1 muss dagegen der neue, fast doppelt so torsionssteife Rahmen die tragende Rolle übernehmen. Daher konnten die Techniker einen überaus schmalen Zylinderblock konstruieren, die Abstände zwischen den Bohrungen rückten von neun auf fünf Millimeter zusammen. Die getrennte Zylinderbank ermöglicht außerdem eine Closed-Deck-Bauweise, einen nach oben geschlossenen Kühlkreislauf, der für eine effektivere Kühlung sorgt.
Einem anhaltenden Trend zu engeren Ventilwinkeln folgend, rückten die Yamaha-typischen fünf Ventile im neu kon-
struierten, kompakten Zylinderkopf näher zusammen. Die mittleren Einlassventile sind 8,75, die äußeren 15,75 Grad zur
Zylinderachse geneigt, während die Auslassventile in einem Winkel von elf Grad
stehen. Dadurch geriet der Brennraum noch kompakter, die Verdichtung stieg von 11,8 auf beachtliche 12,3:1.
Die Größe der Ventilteller mit 23,5 Millimeter am Einlass und 25 Millimeter am Auslass ist erstaunlicherweise mit
denen der FZR 1000 identisch. Dabei hätte die größere Zylinderbohrung durchaus üppigere Ventildurchmesser zugelassen. Seis drum wenigstens vergrößern sich so die bewegten Massen nicht. Im Gegenteil: Dünnere Einlass-Ventilschäfte von nur vier Millimeter Durchmesser sparen sogar ein paar Gramm Gewicht. Das erlaubt größere Ventilhübe der Einlassnockenwelle.
Für fleißige Arbeit im Detail sind auch die geschmiedeten Slipperkolben ein
gutes Beispiel. Trotz drei Millimeter mehr Durchmesser wiegen sie zwei Gramm weniger als die alten R1-Kolben. Und die um 7,5 Millimeter kürzeren Pleuel dokumentieren das Ringen um jeden noch
so kleinen Raumgewinn. Übrigens sind die unteren Pleuelaugen, wie bei einigen BMW-Modellen, gecrackt. Heißt: Sie werden als ein Teil geschmiedet, dann an
definierter Stelle gebrochen und passen dank der Bruchstruktur bei der Montage ohne Nacharbeit exakt zusammen.
Die Kurbelwelle ist stolze 16 Prozent leichter als bei der 2003er-R1 und rotiert nun in einem Motorgehäuse mit großen Fenstern unterhalb der Zylinder. Sie sorgen für einen Druckausgleich im Kur-
belgehäuse und minimieren die Pump-
verluste. Der Trick ist uralt. Suzuki ließ
ihn bei der GSX-R 1000 wieder aufleben, neben Yamaha ziehen jetzt Kawasaki und Honda nach. Last but not least legten die Techniker Hand ans immer wieder beanstandete Getriebe, überarbeiteten die Schaltbarkeit und stuften den zweiten und dritten Gang enger.
Das Streben der Konstrukteure nach Leichtbau resultiert in einem Motorgewicht von 63,4 Kilogramm, womit das
R1-Triebwerk zwar leichter geworden ist, überraschenderweise jedoch nicht an den Klassenprimus Suzuki GSX-R 1000 herankommt. Der unterbietet den Yamaha-Vierzylinder um knapp vier Kilogramm. Nichtsdestotrotz darf man gespannt sein, wie die Leistung einer Hayabusa mit dem Gewicht eines 600er-Supersportlers umspringt. Zumal ja bereits die alte R1 kein Kind von Traurigkeit war.