Tipps für Rennstrecken-Einsteiger
Immer schön langsam

Da hat man sich wieder was eingebrockt: Nenngeld ist bezahlt, das Motorrad steht startklar an der Piste. Und jetzt die Hosen voll? Keine Bange, die MOTORRAD-Tipps machen fit für das Abenteuer Rennstrecke.

Immer schön langsam
Foto: jkuenstle.de

Der Zeitplan für ein stressfreies Wochenende auf der Rennstrecke beginnt nicht erst beim Vorstart, sondern bereits zwei Tage vor der Anreise.
Bis dahin sollte die komplette Ausrüstung zusammengestellt und das Motorrad durchgecheckt sein. Wer auf den letzten Drücker seine Klamotten zusammenrafft, darf sich nicht wundern, wenn er ohne Stiefel oder mit nur einem Handschuh im Fahrerlager steht. Auch bei der Anreise ist ein gutes Stündchen als Zeitpuffer einzuplanen. Das sichert einem die einigermaßen freie Platzwahl im Fahrerlager, denn der Stellplatz sollte eher in einer ruhigen Ecke und nicht direkt an der Zufahrt zum Vorstart liegen. Vor der Anfahrt nicht vergessen: Motorrad und Reservekanister volltanken.
Bei der Einteilung in die unterschiedlich schnellen Gruppen ist es eher ratsam, sich einer langsameren Gruppe anzuschließen, als sich bei den wilden Heizern gleich mal die Spiegel abfahren zu lassen. Das ist für die Spiegel mindestens so schlecht wie für Selbstbewusstsein und Motivation. Der nachträgliche Wechsel in eine schnellere Gruppe ist bei seriösen, gut organisierten Veranstaltern kein Problem.

Warm-up – nicht nur für den Motor

Bevor es mit dem Motorrad losgeht, wird der Körper auf Trab gebracht. Ein paar Balanceübungen mit dem Mountainbike, kombiniert mit Wheelies, Stoppies oder Drifts (aber bitte nicht im Fahrerlager!) bringen die Muskulatur in Schwung und trainieren die Reflexe.
Dynamisches Stretching und Lockerungsübungen beschleunigen Puls und Kreislauf. Dabei nicht vergessen: die Fahrerbesprechung des Veranstalters, bei der spezielle Regeln und Abläufe erklärt werden.
Spätestens 15 Minuten vor dem Turn schlüpft man in seine Funktionswäsche und streift sich die Lederkombi über - am besten einen komplett mit Protektoren bestückten Einteiler. In voller Montur kann man sich nun mit Dehnübungen und in unterschiedlichen Sitzhaltungen dem Motorrad anpassen.

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Für ein exaktes Timing über den Tag hinweg hilft ein gut sichtbar aufgehängter Zeitplan mitsamt Wanduhr. Helm, Handschuhe und Ohrstöpsel liegen in einer speziellen Schale oder Kunststoffwanne griffbereit. Und dort kommen sie nach dem Turn auch wieder hin.
Bei kühler Witterung verwendet man zumindest beim ersten Turn noch ein Visier mit Beschlagschutz. Denn oft fährt man am Anfang noch etwas verkrampft und mit entsprechend heftiger Pressatmung. Gefährliche Folge: schlechte Sicht durch ein beschlagenes Visier.
Bei gut organisierten Veranstaltungen genügt es, zwei bis drei Minuten vor dem Turn am Vorstart zu stehen. Und jetzt bitte nicht durch die brüllenden Motoren und die aufgeregte Meute anstecken lassen. Konzentrier dich auf dein Motorrad, auf deinen Strich, auf deinen Spaß. Blende den ganzen Trubel drum herum einfach aus, lege die volle Aufmerksamkeit auf das, was du machst, und nicht auf das, was andere machen. Viel Spaß!

Nach dem Turn ist vor dem Turn

Bevor du nach der Zielflagge in aller Euphorie deine Heldentaten verkündest, heißt es arbeiten. Zuerst nachtanken, Reifenoberfläche checken, den Motor auf Öl- und Wasserdichtigkeit prüfen, Reifenwärmer überziehen und einschalten. So, und jetzt raus mit den Geschichten von wilden Schräglagen, Überholmanövern und knackigen Rundenzeiten. Wie, du hast gar nicht überholt, sondern bist überholt worden? Und schräg war nur der Wahnsinnige, der dich außenrum vernascht hat? Na also, dann weißt du jetzt, wo du Zeit schinden, eine bessere Linie fahren und später bremsen kannst. Leg dich in den Campingstuhl, mach die Augen zu und fahr die Strecke noch mal ab. Mach dir klar, was du im nächsten Turn besser machen willst. Knöpf dir nach jedem Turn Kurve für Kurve, Linie für Linie vor und kontrolliere, ob es passt oder nicht. Aber die Messlatte ist nicht der wahnsinnige Heizer, sondern du selbst:
Du selbst erkennst, wie weit du von deinem Limit weg bist. Auch wenn das noch weit von der physikalischen Grenze entfernt ist. Dein eigenes Limit verschiebt sich nicht mit dem Brecheisen, sondern nur durch Übung und Konzentration. Und durch den Spaß, den du daran findest, an dir und deinem Können zu feilen.
Wenn die Konzentration in den Nachmittagsstunden nachlässt, ist es ratsam, den einen oder anderen Turn auszulassen. Nutze die Zeit und spioniere an den kniffligen Schlüsselstellen die schnellen Jungs aus.
Achte auf deren Linie, den Fahrstil, die Körperhaltung.
Steckst du mit deinen Rundenzeiten und den Nerven fest, wirst eher langsamer als schneller, frag beim Veranstalter nach, ob dich ein Instruktor für ein paar Runden ins Schlepptau nehmen kann. Das bringt dich meist weiter als der verbissene Kampf gegen dich selbst.

Verhaltensregeln beim Training

jkuenstle.de
Das Fahren in eng gestaffelten Gruppen verlangt nach höchster Konzentration. Für den Anfang ist es ratsam, mit maximal drei Fahrern im Gänsemarsch die Strecke zu erkunden.
  • Wer Reifenwärmer verwendet, regelmäßig Räder um eine halbe Umdrehung drehen, so verteilt sich die im Reifen aufsteigende Wärme besser über den ganzen Reifen.
  • Morgens Reifenluftdruck bei kalten Pneus prüfen, auf Rennstreckenwert (Nachfrage beim Reifenhersteller) einstellen.
  • Generell Rückspiegel abkleben oder einklappen.
  • Erste Runde zur Streckenbesichtigung nutzen, dabei zügiges Landstraßentempo wählen und Reifen warm fahren. Streckenbesichtigung heißt auch, die Weiträumigkeit der Auslaufzonen an schnellen oder kritischen Streckenpassagen abzuschätzen.
  • Beim Einrollen in der ersten Runde die Ideallinie fahren und sich die Einlenk- und Scheitelpunkte einprägen. Das hilft, wenn es anschließend hurtig zur Sache geht.
  • In Streckenpassagen mit geringen Auslaufzonen kann das Verletzungsrisiko bei einem Sturz beträchtlich steigen. Deshalb gerade hier ganz bewusst nicht auf der letzten Rille fahren.
  • Je nach Außentemperatur und Gummimischung in den ersten zwei bis drei Runden Reifen warm fahren, aber nicht schleichen (dabei entsteht zu wenig Temperatur). Achtung: Auf Strecken mit überwiegend Links- oder Rechtskurven muss man damit rechnen, dass die jeweils weniger belastete Reifenflanke noch nicht ganz aufgewärmt ist und deshalb weniger Grip bietet.
  • Zum effizienten Warmfahren auf der Geraden kräftig beschleunigen und abbremsen. Dabei wird der Reifen stark durchgewalkt und baut auch im Unterbau der Karkasse Temperatur auf, die dann über die gesamte Lauffläche weitergegeben wird.
  • Beim Warmfahren der Reifen in Kurven normale Sitzhaltung einnehmen oder das Motorrad in Schräglage drücken (Enduro-Stil). Dabei heizt sich der Reifen durch die größere Schräglage in der seitlichen Lauffläche, der Reifenschulter, auf. Zudem lassen sich in solcher Position „Kaltrutscher“ besser abfangen als im „Hanging-off-Stil“ mit dem Knie am Boden.
  • Wer mit Straßensportreifen fährt, immer damit rechnen, dass diese bei Lufttemperaturen über 15 Grad nach etwa zehn bis 15 Minuten bei schneller Gangart überhitzen und in Grip und Grenzbereichverhalten schlechter werden. Auch über den Tag werden Straßensportreifen nicht besser - im Gegensatz zum dann trainierten Fahrer.
  • Beim Einfädeln aus der Boxengasse in die Rennstrecke auf eine Lücke warten, zügig beschleunigen und in den ersten Kurven nicht die Ideallinie kreuzen, sondern auf der Seite der Boxenausfahrt bleiben.
  • Blick nur nach vorn auf die Ideallinie richten. Auf keinen Fall umdrehen, um möglicherweise einem schnelleren Piloten Platz zu machen.
  • Auf der Geraden immer so schnell wie möglich fahren, niemals bummeln oder unvermittelt verzögern oder abbremsen, denn ein möglicher Hintermann im Windschatten rechnet auf der Rennstrecke nicht mit solchen Manövern. Wer auf seinen Kumpel oder Gegner warten will, tut dies in der Boxengasse und nicht auf der Strecke.
  • Niemals unvermittelt die Spur wechseln oder die Fahrbahn frei machen, um anderen Fahrern, die mit höherem Tempo nahen, Platz zu machen. Erfahrene Hasen legen sich die passende Stelle zum Überholen selbst zurecht. Wer willkürlich die Spur wechselt, blockiert eventuell dem schnelleren Fahrer genau in diesem Moment die Überholspur. Und das kann dann böse Folgen haben.
  • Schnelle (erfahrene) Piloten nehmen beim Überholen in gemischten Gruppen aus Anfängern und Profis Rücksicht und drücken sich nicht auf der letzten Rille vorbei.
  • Bei Defekten oder sonstigen Problemen sofort ein deutliches Zeichen geben (Hand heben) und die Strecke auf der Seite verlassen, auf der man sich befindet. Niemals beim Ausrollen die Strecke kreuzen.
  • Wird die gelbe Flagge geschwenkt, heißt das: Vorsicht, Gefahr voraus! Zum Anhalten bereit machen, Tempo leicht reduzieren, dabei aufrichten, um den Hintermann auf die Gefahr aufmerksam zu machen. Nach Passieren der Gefahrenstelle wieder schnelles Tempo aufnehmen. Und: Bei gelber Flagge besteht im Bereich der Gefahrenstelle Überholverbot!
  • Bei roter Flagge (Abbruch, zum Anhalten bereit machen, Strecke über die Ausfahrt verlassen) Tempo reduzieren, aufrichten und mit Handzeichen bei gemäßigtem Tempo bis zur offiziellen Streckenausfahrt weiterfahren. Niemals auf der Strecke anhalten.
  • Bei rot/gelb gestreifter Flagge (Öl auf der Strecke, Rutschgefahr) Tempo reduzieren und nach möglichen Ölspuren Ausschau halten, zur Sicherheit Ideallinie verlassen und Kurven sehr verhalten durchfahren.
  • Bei blauer Flagge (Vorsicht, Fahrer setzt zum Überholen an!) Ideallinie weiterfahren, sicherheitshalber ein paar Zentimeter mehr Abstand zum Streckenrand lassen, um dem Schnelleren Platz zum Überholen zu lassen. Nicht umdrehen oder plötzlich bremsen.
  • Nach Passieren der Zielflagge Tempo leicht reduzieren und aufrichten, dabei nicht stark bremsen oder plötzlich die Spur wechseln. Mit zügigem Tempo die Auslaufrunde bis zur offiziellen Streckenausfahrt fertig fahren. Es kann durchaus sein, dass ein anderer Fahrer die Auslaufrunde noch mit vollem Speed fährt.
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MOTORRAD 12 / 2023

Erscheinungsdatum 26.05.2023