Tuning und Restaurierung für BMW-Zweiventilboxer
Boxer-Wellness

Im rheinland-pfälzischen Neuhäusel verhilft Gert Israel BMW-Boxermotoren am Ende ihres ­Lebens zum zweiten Frühling. Mit seinem Streben nach Perfektion hat sich der Zweiventil­experte ein hervorragendes Renommee erarbeitet. Eine Visite.

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Foto: markus-jahn.com

Deutschland, Rheinland-Pfalz, südlicher Westerwaldkreis. Wir be­finden uns in der Ortsmitte von Neuhäusel, direkt gegenüber der Kreissparkasse. Willkommen am Standort der Motoren Israel GmbH. Hier, in einer ehemaligen Zigarrenfabrik, baut Gert Israel seit über 30 Jahren Zweiventilboxer neu auf und verhilft ihnen zu mehr Qualm. Manchmal auch sehr viel mehr Qualm, das hängt ganz von den Wünschen der Kundschaft ab.

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Von einer einfachen Überholung mit optimierten Bauteilen und dem Aufbau sportlicher Motoren mit unterschiedlicher Charakteristik bis hin zu Rennmotoren ist al­les machbar. „Über 100 PS sind möglich“, so der gelernte Maschinenschlosser. Wie das funktioniert? Ein kleines Beispiel aus dem Katalog: Big Bore-Kit mit 1070 cm³, Erleichtern und Feinwuchten der Kurbelwelle, Race-Line-Pleuel, 344 Grad Sportnockenwelle, Zylinderkopftuning inklusive optimierten Kanälen und größeren Ventilen, erleichterter Ventiltrieb, Rennkipphebel, etc …

Saugmotortuning der alten Schule

Saugmotortuning der alten Schule also, nach allen Regeln der Kunst. Doch meist ist nicht die bedingungslose Suche nach Spitzenleistung der Grund, warum Boxerfans ihren Motor nach Neuhäusel geben. „Boxerfahrer sind Vielfahrer“, weiß Israel, „und die legen Wert auf Qualität und Haltbarkeit.“ Dass genau die hier geboten werden, hat sich längst herumgesprochen. Aus der ganzen Welt gehen die Aufträge ein. Gemeinsam mit seiner Frau Silvia, Chefin über Online-Teileversand und Büro, sowie zwei Mitarbeitern erneuert Gert Israel bei einer Durchlaufzeit von drei bis vier Wochen im Schnitt einen Motor pro Woche.

Und das läuft in der Regel so: Der Kunde bringt den ausgebauten Motor oder lässt ihn per Versand anliefern. Nach der Bestandsaufnahme am alten Triebwerk erstellt Israel je nach Arbeitsaufwand und den Vorstellungen des Kunden einen Kostenvoranschlag. Dann macht sich der Maestro ans Werk. Wer ihm dabei über die Schulter schaut, erhält ein Lehrstück in Sachen Rou­tine, Sorgfalt, Präzision und Aufmerksamkeit bis ins kleinste Detail.

Laufleistungen von 350.000 Kilometern

Auf der Montagebank ruht neben einem bereits fertiggestellten R 100/7 Motor der gerade eingetroffene Antrieb einer R 75/7. Ein langes, hartes Leben haben diese Motoren oft hinter sich: „Wir haben schon Laufleistungen von 350.000 Kilometern gesehen“, so der Firmengründer. Irgendwann ist dann aber Schluss, sei es aufgrund von allgemeinem Verschleiß, oder weil ein einzelnes Bauteil den Dienst quittiert. In diesem Fall verursachte ein Ventilabriss einen schweren Motorschaden. Die Folgen lassen sich am malträtierten Kolben ablesen. Kein Problem aber für Gert Israel, der den Boxer mit geschulten Handgriffen zerlegt. Köpfe und Ventiltrieb sind bereits demontiert, rasch folgen Zylinder und Kolben, bevor es an den Ausbau der Kurbelwelle geht. Schon so oft hat er das gemacht, da sitzt jeder Handgriff, hat jedes Werkzeug seinen festen Platz.

Wie kommt man dazu, seinen Lebensunterhalt mit der Restauration von Motoren zu verdienen? „Am Anfang stand der Spaß am Hobbyrennsport.“ Der brachte Israel in den frühen 80er-Jahren dazu, eigene Moto­ren aufzubauen. „Zuerst Honda Fours und Moto Guzzis. Bald haben wir uns dann auf Boxer-BMWs spezialisiert. Das hat sich über die Nachfrage so ergeben.“

Ventilführungen werden außen und innen abgedreht

Hier und jetzt folgen nach der Demontage die weiteren Arbeitsschritte. Vom Reinigen übers Strahlen, Bohren und Honen der Zylinder sowie die Erneuerung und Optimierung der Zylinderköpfe – alles erledigt der Chef selbst und mit der gleichen Präzision wie bei der Demontage. Sind schließlich alle benötigten Bauteile aufgearbeitet oder durch Neu- bzw. Gebrauchtteile ersetzt, kann der Wiederaufbau beginnen.

Dabei lässt Israel allerhöchste Sorgfalt walten, wiegt Kolben und Pleuel, wuchtet rotierende und oszillierende Massen, litert Brennräume, misst Toleranzen und verbaut eigens konstruierte Teile, um den Zweiventilboxer zur absoluten Topform zu bringen. Nur ein Beispiel sind die Ven­tilführungen: „Die Toleranzen der BMW-Origi­nalteile liegen schon im Neuzustand oft nah an der Verschleißgrenze. Unsere Ventilführungen werden außen und innen abgedreht, haben daher definierte, glatte Flächen. Das verbessert die Haltbarkeit.“ Dass angesichts solcher Liebe zum Detail auch sonst nur Spitzenteile wie leichte Wössner-Schmiedekolben den Weg in einen Israel-Motor finden, versteht sich von selbst.

"Reklamationen haben wir praktisch keine"

Klar auch, dass solche Qualität ihren Preis hat. Bei gut 2000 Euro für eine komplette Motorenüberholung fängt die Preis­liste an. Je nach Vorschäden und Aufwand des Tunings kann daraus auch deutlich mehr werden – auch klar. „Unsere Kunden sind technisch interessiert und schätzen die Wertigkeit des Aufbaus“ erklärt Israel, „und Reklamationen haben wir praktisch keine.“ Die Investition macht sich also bezahlt, denn ein derart akkurat aufgebauter Motor ist in Sachen Laufkultur, Leistungsentfaltung und nicht zuletzt Langlebigkeit dem Serienaggregat um Längen voraus. „Einen Zweiventiler perfekt aufzubauen, ist, wie ein Fachwerkhaus zu renovieren“, sagt Israel beim abschließenden Kaffee im Büro, „das kostet genauso viel wie ein normales Haus, und man hat immer noch niedrige Decken und kleine Fenster. Aber das Ergebnis entspricht ganz den eigenen Vorstellungen, hat Charakter und Seele.“

Wer jetzt damit liebäugelt, selbst Hand an seinen BMW-Fachwerkboxer anzulegen, findet dazu im Shop von Motoren Israel (Tel. 02620/8800, www.motoren-israel.com) ein umfassendes Sortiment an Teilen. Das hat sich seit 2005 zum zweiten Standbein der Firma entwickelt, fast die Hälfte des Umsatzes stammt heute aus dem weltweiten Versand von Einzelteilen. Hier finden sich auch die Eigenkonstruktionen der Neuhäuseler. Dazu zählen etwa gefräste Schalt­hebel mit Rolle, einteilige Kipphebelböcke, die das Axialspiel minimieren, ein Ölsammelbehälter mit erweitertem Ölvolumen oder eine elektronische Doppelzündung. Eben alles für die Boxer- Wellness.

Typberatung

Hartmann
Ab 1987 sorgte eine Doppelgelenkschwinge („Paralever“) für die Hinterradführung, und ab 1991 gab’s mit der R 100 R endlich wieder einen puren Straßen-Boxer. Das R 80 GS-Sondermodell „Basic“ war der letzte Zweiventiler.

BMW-Motorräder mit Zweiventil-Boxermotoren gibt es natürlich schon seit den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts, doch hier geht es um die „Zweiventiler-Neuzeit“, und die begann zweifellos erst 1969 mit der Einführung der Strich-Fünf-Baureihe. 1996 war dann endgültig Schluss mit der Zweiventil-Herrlichkeit.

Die Stricher: gleitgelagerte Kurbelwelle, Zwölf-Volt-Elektrik, Telegabel – 1969 startete BMW mit der Strich-Fünf (R 50/5, 60/5, 75/5) in eine neue Ära. Bis 1984 folgten Strich-Sechs (R 60/6, 75/6, 90/6) und -Sieben (R 60/7, 75/7, 80/7, 100/7).

Die Kleinen: Fahrschulen und 27-PS-Versicherungssparer konnten sich mit der R 45 (1978–1985, offen 35 PS) anfreunden, auch als „Rollende Wanderdüne“ bekannt. Viel dynamischer ar­bei­tete der Kurzhubmotor mit 50 PS in der R 65.

Die Schalentiere: Bei der R 90 S (1973–1976) hängte BMW erstmals Kunststoff ans Gebälk; mit der R 100 RS (1976–1984) gab’s die erste Vollverkleidung. S, CS und LS standen für Cockpitverkleidungen, RS und RT fürs Komplettprogramm.

Die Hochbeinigen: Die R 80 G/S (1980–1987) ist die Mutter aller Zweizylinder-Enduros und hatte von 1982 bis 1984 mit der R 80 ST ein völlig unterschätztes Straßen-Schwestermodell. Mit der G/S hielt die Einarmschwinge Einzug ins Programm.

Die Späten: Ab 1987 sorgte eine Doppelgelenkschwinge („Paralever“) für die Hinterradführung, und ab 1991 gab’s mit der R 100 R endlich wieder einen puren Straßen-Boxer. Das R 80 GS-Sondermodell „Basic“ war der letzte Zweiventiler.

Bücher-Tipps

mps-Fotostudio
Der Bucheli-Technik-Sonderband 6013.

BMW-Zweiventiler-Besitzer werden bestens mit Lesefutter versorgt. Im Internet ist online so ziemlich alles zu finden, was jemals an Bedienungsanleitungen und Werkstatthandbüchern veröffentlicht wurde (zum Beispiel über www.2-ventiler.de). Doch manchmal ist doch noch das gute alte Druckwerk gefragt, und da gibt es vier Bücher, die MOTORRAD ganz besonders empfiehlt:

Andy Schwietzers Boxer-Bände 1 bis 3 sind wohl das Ausführlichste und Beste, was jemals zum Thema Zweiventiler zwischen zwei Buch­deckel gepackt wurde. Band 1 beschreibt die von 1969 bis 1985 gebauten Modelle mit zwei Federbeinen. Band 2 widmet sich den Einarmigen von 1980 bis 1996. Jeweils auf 176 Seiten und für 29,90 Euro. Band 3 (Autor Helmut Heusler) ist das 240-seitige Schrauberbuch für alle Modelle und Gold statt nur 34 Euro wert.

Der Bucheli-Technik-Sonderband 6013 (222 Seiten, 29,90 Euro) ist eine gute Hilfe im „normalen“ Schrauberalltag und schließt die Lücke zwischen Bordbuch und Hardcore-Schrauberlektüre.

Interview mit Karl Maier

Stefan Wolf
Karl Maier (57).

Karl Maier (57) ist vierfacher Langbahn-Weltmeister und seit über 30 Jahren BMW-Vertragshändler in Neu­finsing bei München.

Karl, wollen wir über Zweiventiler reden?

Ja, Wahnsinn, das ist Gedankenübertragung. Die BMWler haben mir gerade so ein Schild „Zertifizierter BMW Classic
Händler“ geschickt. Da ist noch nicht mal ein Loch zum Aufhängen dran. Alles muss man selbst machen…

BMW hat also tatsächlich die Old- und Youngtimer-Kundschaft entdeckt?

Ganz neu, seit dem 1. September. BMW hatte heuer in Garmisch die Händler zusammengebracht, die eine Affinität
zu älteren Modellen haben. Und so steht auf meinem neuen Schild „Teilevertrieb, Reparaturanleitungen, Reparaturservice
für klassische BMW-Motorräder“.

Um was geht’s da vorrangig – die Teileversorgung?

Eher wohl darum, dem Kunden zu zeigen, dass es auch offizielle BMW-Händler gibt, die nicht nur Elektro-Scooter vorn im Ausstellungsraum stehen haben und sich mit Wasserboxern auskennen, sondern die auch Zweiventiler anlangen. Und dann wohl auch darum, das Ganze zu vernetzen, also dem Kunden sagen zu können, wo ihm weitergeholfen werden kann, auch wenn BMW selbst vielleicht mal keine Teile mehr liefern kann.

Worin unterscheidet sich das Werkstattgeschäft bei älteren und aktuellen Boxern?

Bei den älteren Schätzchen musst du einfach ein bisschen mehr Zeit aufwenden. Mal eben hier ein Teil abbauen und austauschen, damit ist das oft nicht getan. Da kommt dann eins zum anderen und funktioniert nicht unbedingt immer auf Anhieb.

Was ist dein Kauftipp für Zweiventil-Einsteiger? Auf was muss der Frischling achten?

Ab 1980 aufwärts sind die Bremsen einfach besser, und Unterbrecher gibt’s auch nicht mehr. Ab 1987 vertragen alle bleifrei. Und als konkretes Modell ist die R 100 GS mein Favorit. Die kann man relativ leicht unter 200 Kilo bringen, und dann mit Big Bore-Kit, da geht schon was…

Die aktuelle Ausgabe
MOTORRAD 20 / 2023

Erscheinungsdatum 15.09.2023