Deutschland-Tour

Deutschland-Tour 1000 neue Wege

Rhein und Mosel sind mir unbekannter als Amazonas und Nil, und ich war in den Rockies und im Altai, kenne aber weder Taunus noch Hunsrück. So gesehen war dieser Trip lange überfällig.

1000 neue Wege Schröder

Stuttgart-Bad Cannstatt. Sonntag früh, so gegen sieben Uhr. Bestes Wetter und dort, wo sonst der Berufsverkehr auf der kilometerlangen Geraden in Richtung Stadtmitte der schwäbischen Metropole staut, drei freie Spuren. Dann diese wunderbare Links-Rechts-Kombination kurz vor dem Zentrum Stuttgarts, schließlich die lindwurmartige Weinsteige, die ziemlich steil bergan wieder raus aus der Stadt führt. Kaum jemand außer mir, und ich ertappe mich, ein wenig zu flott unterwegs zu sein. Irgendwie ein guter Start für eine Runde durch einen Teil Deutschlands, der zwar direkt vor meiner Haustür liegt, aber mir zu meiner Schande recht unbekannt ist.Ganz genau steht meine Route allerdings noch nicht fest. Von Stuttgart aus grobe Richtung Pfälzer Wald, anschließend Hunsrück, Mosel, Rhein, Westerwald, Rothaargebirge, Taunus und schließlich der Odenwald. Die Porta Nigra in Trier und die Loreley am Rhein sind Pflicht; als Kür steht ein Abstecher auf den Großen Feldberg auf der Wunschliste.Damit das Ganze in Schwung kommt, pfeile ich bis Karlsruhe über die Autobahn, biege erst bei Kandel auf eine verlockende Landstraße ab. Sonntagsstimmung in den herausgeputzten Dörfern. Kirchgänger und Wochenendgäste, Autokennzeichen aus halb Deutschland. Wein und Kartoffeln werden vor vielen Häusern feilgeboten, ein Hänger mit riesigen, orange leuchtenden Kürbissen am Straßenrand sorgt für einen veritablen Stau. In Bad Bergzabern muss ich mich endgültig für eine Route entscheiden, nehme hinter dem kleinen Ort die erste rechts. Ein Volltreffer. Plötzlich bin ich wieder allein unterwegs, fahre durch einen dichten Wald, der sich nur gelegentlich für neblige Auen öffnet. Auf einmal zwei Reiher direkt neben der schmalen Straße. Genial. Wie der weitere Verlauf der Straße, die die ganze Zeit leicht bergan führt. Dicke, knorrige Märchenwaldbäume, deren beihane gold glänzendes Laub die Strecke längst wie mit einem Teppich überzogen hat. Eine rutschige Angelegenheit, mehr als Tempo 40 ist nicht drin. Aber ein fantastisches Bild. Nach einer Weile befinde ich mich auf dem 611 Meter hohen Weißenberg, dann führt die Strecke – nun noch ein wenig schmaler – durch diesen Zauberwald wieder hinab. Ich komme mir vor wie in einer anderen Welt.Etwas flotter, weil zweispurig, die Landstraße vom Eschkopf in Richtung Rodalben. Kurven. Kurven. Kurven. Kaum ein gerades Stück. Irre. Gemächlicher geht’s erst wieder auf dem Weg via Zweibrücken nach Saarbrücken zu, wo ich gleich drei unfreiwillige Runden durch die Innenstadt drehe, um den Weg nach Völklingen zu finden.Dort angekommen, ist mein eigentliches Ziel nicht zu übersehen: die »Alte Völklinger Hütte«, Europas älteste Anlage zur Erzeugung von Roheisen. Ein dahinrostender Gigant aus unzähligen Öfen und Schornsteinen, kilometerlangen Rohrleitungen, halbverfallenen Hallen und riesigen Behältern. Ich bin sprachlos ob der eigenartigen Faszination, die von dieser grauen Industrieleiche ausgeht, die inzwischen sogar zum UNESCO-Weltkulturerbe ernannt wurde. Für einem ausführlichen Rundgang ist es jetzt gegen 16 Uhr leider schon zu spät. Und es beginnt heftig zu regnen. Ziemlich heftig sogar. Morgen soll´s nicht besser sein, erfahre ich beim Tanken. Also weg von hier. Kurs Nord. Patschnass – ich habe noch immer nicht gelernt, rechtzeitig eine Regenkombi anzuziehen – treibe ich die Fazer über die ungeliebte Bahn nach Trier, Deutschlands älteste Stadt: bereits 18 vor Christus haben die Römer hier die ersten Mauern errichet. 470 Kilometer stehen am Abend auf der Uhr.Tags darauf hebt sich die aus dunklem Stein gebaute Porta Nigra, jenes mächtige, festungsartige Portal am Rand des Stadtkerns, kaum von dem grauen Himmel ab. Aber kein Regen. Immerhin. Wie gebannt schaue ich auf dieses Bauwerk, lausche nebenbei den Sprachen aus aller Welt. Ich weiß nicht, wann ich zuletzt so viele Reisebusse gesehen habe.Kaum unterwegs, kübelt es urplötzlich wie aus Eimern. Mist. Schon wieder nasse Füße. Schutz finde ich erst unter dem Dach einer Tankstelle. Unglaublich, wie laut der Regen auf das Blech trommelt. Erst zwei Kaffee und eine Tüte Gummibärchen später kann ich wieder loslegen, zockel gemütlich unter einem unerwartet blauen Himmel an der Mosel entlang, die sich in vielen Schleifen durch ein sonnenverwöhntes Tal bis zum Rhein windet. Reben allenthalben, Schwäne, Kanufahrer, Radler, Spaziergänger, blitzsaubere Dörfer und Gasthöfe, die mit bodenständiger Küche werben. Deutsche Flussromatik in Vollendung. Im herbstlich geschmückten Weindorf Niederrommel stelle ich fest, dass ich mit knapp 40 eindeutig zu den jüngsten Besuchern gehöre.Zwei Flussbiegungen weiter tausche ich diese Beschaulichkeit gegen ein wahrlich verwegenes Stück Straße. Spektakulär schraubt sich die Strecke von Bernkastel-Kues durch eine enge und dunkle Schlucht und schließlich durch schier undurchdringlichen Wald steil und vor allem extrem kurvig bergan. Bis Longkamp. Dieses Schmankerl hätte ich allenfalls in den Alpen erwartet, nicht aber am Rand des Hunsrück. Von der Lieblichkeit des Moseltals ist hier oben kaum noch etwas zu spüren. Die Landschaft wirkt karger, rauer, die schmucklosen Dörfer besitzen kaum noch etwas von dem vergleichsweise mediterranen Flair untem am Fluss, den ich über eine ebenfalls äußerst verwegene Abfahrt bei Traben-Trarbach wieder erreiche. Meine Landkarte sieht inzwischen aus, als sei ich bereits zwei Monate und nicht erst zwei Tage unterwegs.Weiter entlang an der Mosel. Sechster Gang und rollen lassen. Diese Landschaft beruhigt ungemein. Bis ich dem Fluss den Rücken kehre und über die Hunsrück-Höhen bei Emmelshausen den Rhein anpeile. Da geht´s plötzlich wieder zu Sache: Der Weg hinunter nach St. Goar erweist sich als so schwungvoll, dass ich einfach nicht anders kann, als diese Strecke ein weiteres Mal zu fahren. Die Loreley wird auch morgen noch auf ihrem Felsen sitzen.Tut sie auch. Doch nach einem guten Frühstück wäre ich fast an Deutschlands bekanntester Dame vorbeigefahren. Über ein Dutzend Reisebusse und einige hundert Schaulustige am Straßenrand lassen mich gerade noch rechtzeitig in die Eisen gehen. Man muss schon genau ans gegenüberliegende Ufer schauen, um das Bildnis der singenden Schönheit, die manch betörten Schiffer in den Untergang getrieben hat, auf einem unscheinbaren Felsen auszumachen. Irgendwie hatte ich mehr erwartet und überlege ernsthaft, ob es sich überhaupt lohnt, vom Motorrad zu steigen. Na gut, zehn Minuten Pause. Länger halten die meisten Reisebusse auch nicht.Bei der Weiterfahrt entdecke ich einen kleinen Weg, der hoch in die Weinberge führt. Einspurig, kurvig und ziemlich steil, bietet die Strecke nach wenigen Kilometern ein grandioses Panorama. Ohne störende Reisebusse. Tief unten verstecken sich die Weinreben noch in den letzten morgendlichen Nebelschwaden, windet sich der Rhein in einem großen Bogen um eine gezackte Klippe. Im Gegenlicht erkenne ich die Umrisse mehrerer Burganlagen, jede auf einem aussichtsreichen Felsen hoch über dem Fluss errichtet. Fantastisch.Per Fähre nach St. Goarshausen, von dort Richtung Norden. Bis Braubach am Wasser entlang, dann durch dunklen Wald, der sich erst am Ortsrand von Bad Ems wieder öffnet. Schließlich ein kurzes Stück an der Lahn entlang und hinter Nassau links ab. Ins Gelbachtal. Und über Montabaur und Neuwied ins Wiedtal. Was soll ich sagen? Etwa dass sich am Ende des Wiedtals kurz vor der Kreuzung mit der B 256 das »Haus Diskret« für Dessous, Party- und Freizeitmoden befindet? Oder dass die hemmungslose Streckenführung durch diese beiden gewundenen Täler wirklich kaum noch zu übertreffen ist? Auf jeden Fall weiß ich nicht, wann mir vom Kurven fahren zuletzt tatsächlich so schwindelig war. Am Abend in Siegen lerne ich in einer Pension Sergio, einen Wanderarbeiter aus Rumänien, kennen, der die im Voraus verlangte Zimmerrechnung nicht vollständig bezahlen kann. Weil ich die paar fehlenden Euro übernehme, revanchiert er sich mit selbst gebrannten Schnaps. Mit Zahnputzbechern stoßen wir auf eine neue Männerfreundschaft an.Hilcherbach, Kirchhundem, Bad Berleburg. Die Strecken im Rothaargebirge sind ein heißes Pflaster, und das winzige Oberhundem wird wegen seiner makellosen Fachwerkkulisse von mir zum schönsten Dorf dieser Tour erklärt. Dann noch diese verrückte Abfahrt von Dotzlar nach Bad Laasphe. Formel-1-Kurs-verdächtig. Mir fallen Überdurchschnittliche viele Golf, Kadett und alte 3er-BMW im »Breiter-tiefer«-Look auf. Jetzt lasse ich die Fazer einfach laufen. Endgültig Kurs Süd. Eine Stunde später Dillenburg, von dort geht´s in das idyllisch auf einer Anhöhe gelegene Weilburg, von dem ich noch nie etwas gehört habe. Weder von der tollen Burganlage noch von der zauberhaften Altstadt. Ärgerlich, dass man besonders an warmenTagen in Motorradklamotten so schlecht zu Fuß ist.Weiter durch das Weiltal. Wieder so eine Strecke, die am besten niemals aufhören sollte. Allerdings entpuppt sich das Ende als überaus standesgemäß – zumindest, was die geographische Lage angeht: Bei Schmitten beginnt allmählich die Auffahrt zum Großen Feldberg, dessen 880 Meter hoher Gipfel – der höchste im Taunus – sicherlich zu den bekanntesten Motorradtreffs der Region gehört. Verglichen mit dem, was ich in den letzten drei Tagen erlebt habe, ist die breite Strecke hinauf weniger spannend. Egal. Oben haben sich, obwohl mitten in der Woche und inzwischen recht regnerisch, tatsächlich eine Handvoll Motorradler versammelt. Zu Kaffee und Bockwurst dicht gedrängt im Windschatten vor dem Kiosk. Kurz darauf fliegt Frankfurt links am mir vorbei. Ich habe mich für ein Stück Bahn entschieden, um möglichst rasch an diesem Moloch vorbei in den Odenwald zu gelangen. Bis in die Nähe von Pfungstadt schaffe ich es heute noch.Kartenstudium. Wie jeden Morgen. Nur schwieriger sonst. Einfach zu viele Strecken, die ungemein vielversprechend aussehen. Tasse um Tasse zieht sich das Frühstück. Meine Wahl fällt schließlich auf das Mühltal mit einem anschließenden Schlenker nach Reichelsheim und über Affolterbach nach Beerfelden. Toll. Wirklich toll. Aber kaum mehr als eine Aufwärmrunde im Vergleich zu dem, was nun plötzlich anliegt: die kleine und recht enge Strecke über die Hirschhorner Höhe via Rothenberg in Richtung Hirschhorn. Rund 20 Kilometer, die sich nur aus Kurven zusammen setzen. Viel Zeit zum Luft holen bleibt da nicht.Noch enger und noch einen Tick spannender der Weg, der kurz vor Hirschhorn ins Brombachtal führt. Keine schnelle Strecke, dafür ist der Belag einfach zu schlecht. Maximal zweiter Gang. Aber dieser Wald. Gewaltige uralte Bäume, riesiger Farn, völlige Einsamkeit. Ist heute eigentlich überhaupt jemand außer mir unterwegs?Erst auf der B 27, die am Neckar entlang führt, muss ich wieder mit Gegenverkehr rechnen. Endspurt. Stuttgarts Fernsehturm ist fast schon auszumachen.

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Infos

Wer nicht fragt, bleibt dumm. Unterwegsredakteur Schröder, für den Deutschland noch immer ein unbekanntes Land ist, erkundigte sich per Internet bei MOTORRAD-Lesern nach den besten Strecken zwischen Pfälzer Wald, Rothaargebirge und Taunus.

Die Strecke Am Verlauf der im Text beschriebenen Route waren einige MOTORRAD-Leser nicht ganz unbeteiligt. Um herauszufinden, welche Strecken man zwischen Pfälzerwald, Rothaargebirge und Taunus unter die Räder nehmen muss, um möglichst viel Fahrspaß zu haben, gab Unterwegsredakteur Schröder seine Pläne für diese Geschichte im Reise-Forum von motorradonline (www.motorradonline.de) bekannt. Und war von der Menge der zum Teil sehr ausführlichen wie unterhaltsamen Antworten überwältigt. Das fantastische Gelbachtal wurde beispielsweise von Kai Wischnewski und Pit Biernot empfohlen. Peter Pfaffenberger stellte gleich einen DinA4-Seiten starken Tourentipp ins Netz (Stuttgart-Pfälzer Wald-Eifel) und schlug dem Autoren ebenso wie Annette Krones die tollen Ab- und Auffahrten rechts und links des Rheins vor. Stefan Appelt warnte Schröder schließlich davor, beim bekannten Lützel-Treff in der Nähe von Siegen ohne abgeschliffene Knieschleifer aufzutauchen. Udo Hartmann kam beim Lesen dieser Infos nur zu einem Schluss: Wenn Schröder alle genannten Strecken tatsächlich abfahren würde, wäre er garantiert länger unterwegs als bei seinem sechsmonatigen Südamerika-Trip.Allen, die geantwortet haben, sei an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön ausgesprochen. Das Forum als Streckenbörse – sicherlich eine gute Idee!Der endgültige Streckenverlauf hat sich dann unter Berücksichtigung der genannten Vorschläge tatsächlich erst unterwegs ergeben: die jeweiligen Tagesetappen wurden vor dem Start am Frühstückstisch geplant. Dabei galt es, so weit wie möglich die »größeren« Landstraßen zu vermeiden. Spaßiger und in der Regel um ein vielfaches kurviger sind fast immer die auf den Karten gelb verzeichneten Strecken. Hier herrscht generell sehr wenig Verkehr. Wer zudem noch Wochentags unterwegs ist, wird sich mancherorts überraschend einsam vorkommen.Um sich unterwegs zurecht zu finden, ist eine präzise Landkarte natürlich unerlässlich. Als sehr gut haben sich die Generalkarten von Mairs im Maßstab von 1:200000 erwiesen (das Kartenset Deutschland umfasst 20 Blätter). Einmal in Fahrt, verbringt man leider sehr viel Zeit damit, an den zahlreichen Kreuzungen und Abzweigungen nach dem rechten Weg zu suchen – Deutschlands Straßennetz ist eines der dichtesten überhaupt. Ohne Tankrucksack mit Kartenfach oder einer Lenkerkartentasche geht natürlich nichts. Wer über die dafür nötige Ausrüstung verfügt, kann sich seine Strecke auch im voraus auf einer digitalisierten Karte am PC ausarbeiten und anschließend in einen GPS-Empfänger überspielen. Dann genügt stets nur ein kurzer Blick auf den Richtungspfeil im Display und man weiß in der Regel, wohin man abzubiegen hat. (siehe dazu MOTORRAD-Ausgabe 10/2002).Spontane Richtungswechsel sind bei einer solchen Tour natürlich wie das Salz in der Suppe. Anstatt auf eine einmal geplante Route zu bestehen, kann es überaus reizvoll sein, auf eine verlockend aussehende Straße oder in ein schönes Tal abzubiegen und erst später wieder auf den ursprünglichen Kurs zurück zu kehren. Sich einfach treiben lassen, sich endlich einmal Zeit nehmen und der Fahrspaß stellt sich fast automatisch ein. Wer den ganzen Tag fährt, sollte ohnehin nicht ausschließlich im Renntempo unterwegs sein.

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