Jedes Frühjahr das gleiche Spiel. Eine italienische Vokabel mit acht Buchstaben treibt die BMW und mich in der Morgendämmerung auf die Straße, auf die Brennerautobahn und nach Süden über die Alpen. Sterzing, Bozen, Abzweig Mendelpass, dann das Schild mit dem Zauberwort am Straßenrand: Tornanti Kehren. Die ersten in diesem Jahr.
Tropfende Felsnasen huschen im Augenwinkel vorbei, dunkle Kiefern und zartgrüne Buchenwälder, die erst seit kurzem Blätter tragen. Die Sonne scheint, der Himmel ist wolkenlos, die Aussicht reicht übers Etschtal bis zu den frostigen Gipfeln der Dolomiten. Dann ziehen plötzlich Wolken auf, und die Passhöhe auf 1363 Metern empfängt mich mit eisigen Graupelschauern. Und einer Gelateria, die jetzt, Anfang Mai, noch geschlossen hat.
Fondo, Revò, Livo bereits im Val di Non kehrt der Frühling zurück. Leuchtend gelbe Löwenzahnwiesen und blühende Apfelbaumkolonien bedecken die von Schluchten durchzogene Hochfläche, die in mehreren Stufen nach Süden hin abfällt. Im warmen Fahrtwind schlängle ich mich durch den wohl kurvigsten Obstgarten Italiens rund 300 000 Tonnen Äpfel pro Jahr werden hier geerntet , streife Burgen, Palazzi, Bauerndörfer. Buchfink, Wiedehopf und Wendehals singen, Traktoren brummen durch die umliegenden Plantagen, und im Süden erheben sich ein paar schneebedeckte Zacken über dunklem Nadelwald: die Brenta-Dolomiten, Teil des Naturparks Adamello-Brenta.

In engen Schleifen klettert die Fahrbahn zum Stausee Santa Giustina hinab, auf der anderen Seite geht es hinauf nach Cles. Durch die weit geöffnete Tür des Caffè Bertolasi dudelt alpenländische Volksmusik, eine Espressomaschine kreischt, die Lotto- Annahmestelle hinter der Theke wirbt mit dem Jackpot: »Miliardi, Miliardi« was noch aus Lire-Zeiten stammen muss. Zwei Straßen weiter lockt das Spezialitätenlädchen La Baita mit »Strudel Val di Non« einem kulinarischen Relikt aus den Zeiten der österreichischen k.u.k-Monarchie, das man trotz ruppiger Wortmelodie nicht ins Italienische übersetzt. Für herbere Geschmäcker gibt es salzige Varianten wie Speck Val di Non, Speck di Montagna sowie deftiges Schwarzbrot.
Den Tankrucksack bis zum Rand mit Leckereien gefüllt, mache ich mich auf den Weg zum Lago di Tovel. Hinter Tuénno und den letzten Apfelbäumchen tut sich eine Felspforte auf und entlässt mich in ein enges, von Geröllfeldern durchzogenes Tal. Bergfichten rücken an den Fahrbahnrand, an steilen Hängen wuchern Wildblumen und Farne. Rund zehn Kilometer zwirbelt sich das Sträßchen hinauf zum Tovelsee, in dem sich die schneebedeckten Brenta-Gipfel spiegeln.
Frühjahrstour Trentino (2)

Ein Schild weist den Naturpark Adamello-Brenta als eines der letzten Refugien von Europas Braunbären aus. Mein Blick streift über die Landschaft: Albergo Miralogo, Souvenirladen schräg gegenüber, beide noch zu, ein Kanufahrer auf dem See, zwei Wanderer, die über einen Trekkingpfad im Dickicht verschwinden. Keine Bären. Doch wen wunderts. Gerade mal zehn Petze sollen laut offiziellen Zählungen durchs 618 Kilometer große Parkterrain streifen. Die zwei importierten, slowenischen Braunbären, denen ich im knapp 25 Kilometer entfernten Park von Spormaggiore einen Besuch abstatte, sind da leichter auszumachen. Mit frisch erwachten Frühlingsgefühlen tollen die beiden in trauter Zweisamkeit durch ihr mit Felsen, Bäumen, Wasserfällen und Höhlen perfekt ausgestattetes 7000-Quadratmeter-Gehege.
In exzellenten Kurven führt die 421 von Spormaggiore am Castel Belfort vorbei zum Lago di Molveno, der sich wie ein Fjord zwischen den Brenta-Dolomiten erstreckt. Ich suche mir einen Picknickplatz am See, ziehe Pane Negro da Speck aus dem Tankrucksack und betrachte die schneebedeckten Gebirgsnadeln und -türme der Brenta, die sich am anderen Ufer über 3000 Meter hoch in den Himmel recken.

Weiter geht es über winzigste Sträßchen an den Südausläufern des Gebirgsstocks entlang. Das mittelalterliche Castel Sténico taucht auf, belagert von einer Schulklasse, die das von Blumenwiesen umrahmte Gemäuer in schrillen Farben auf Malblöcke bannt morgen ist Muttertag. Doch keine Spur von Wochenendverkehr. Einsam brabbelt der Einzylinder durch grob behauene Felstunnel, Schluchten und Wasserfälle ziehen vorbei, ein Kuckuck ruft aus den Wäldern. Sogar die Strecke über Zuclo und Fiave in Richtung Gardasee ist frei. Aber keine Motorradfahrer. Vermutlich war der Wetterbericht zu abtörnend.
Als ich Arco erreiche, erreicht auch das prognostizierte »Tief über den Alpen« die Burgfelsen und das Castel. Grimmige Wolken verfinstern die Sonne, Zypressen biegen sich im Wind, und schon bald jagt mich der Regen durch die Stadt. Vorbei ein prachtvollen Jugendstilvillen und palmenbestandenen Parkanlagen, an Schönbrunn-gelb gestrichenen Fassaden. Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Arco Wintersitz der Habsburger Doppelmonarchie. Auch die Café-Bar im ehemaligen Spielcasino zeugt noch ein wenig vom alten k.u.k-Glanz Österreichs: Spiegelwände, Piano und bordeauxrot gepolsterte Empirestühle, von denen aus man die Marmorputten im Garten betrachten kann. Aufatmend hänge ich den Helm an den Hutständer, bestelle Cappuccino und eine Flasche Kaiserwasser und ahne, dass seit den Besuchen des österreichischen Kaisers Albrecht von Habsburg niemand so viele Blicke auf sich gezogen hat.
Frühjahrstour Trentino (Infos)
Kaum eine Region bietet solche Kontraste und solche Möglichkeiten wie das Trentino: perfekte Straßen aller Schwierigkeitsgrade, frühesten Frühling und zugleich hochalpines wie mediterranes Lebensgefühl.
Anreise
Die schnellste Route führt entweder über München oder über Ulm/Füssen/Fernpass bis Innsbruck und von dort über die mautpflichtige Brennerautobahn nach Bozen (Einstieg Mendelpass) beziehungsweise weiter nach Trento. Interessante Alternative im Frühjahr: Mit dem DB-Autozug aus mehreren deutschen Städten nach Bozen. Einfache Fahrt beispielsweise von Berlin ab 150 Euro. Infos unter Telefon 0180/5241224 oder www.dbautozug.de.
Übernachten
Sehr herzlich aufgenommen wird man im Hotel Silence in I-38020 Livo (Ortsteil Scanna) im Val di Non, Telefon 0039/04637/533153, Fax -533084, Internet www.hotelsilence.it. Übernachtung mit Frühstück ab 28,50 Euro pro Nase. Ein guter Ausgangspunkt für Exkursionen ins Adamello-Gebirge ist das Hotel Centro Pineta, Via Matteotti 43 in I-38086 Pinzolo. Telefon 0039/0465/502758, Fax -502311, Internet: www.centropineta.com. Übernachtung mit Halbpension ab 37 Euro. Am turbulenten Gardasee ist das Hotel La Gioiosa, Via Cartiere 70 in I-38060 Riva del Garda (Ortsteil Varone) empfehlenswert, Telefon 0039/0464/521356, Fax -521253, Internet: www.gioiosa.it. Übernachtung mit Frühstück kostet ab 32,50 Euro. Als Stützpunkt am Lago di Molveno empfiehlt sich das Alexander Hotel CimaTosa, Piazza Scuole, 7, I-38018 Molveno, Telefon 0039/0461/586928, Fax -586950, Internet: www.alexandermolveno.com. Hier übernachtet und frühstückt man ab 30 Euro.
Sehenswert
Das Museo della Guerra Bianca, das sich dem Krieg im Hochgebirge 19151918 widmet, ist zurzeit in der Mittelschule Spiazzo untergebracht. Auskünfte erteilt die Touristen-Information in Pinzolo unter Telefon 0039/00465/501007. Sehenswert ist auch das italienische Kriegsmuseum im Castel Pietro in Rovereto (Via Castelbarco 7), das die kompletten Burganlagen für eine Ausstellung zu den Kriegen in Italien im 20. Jahrhundert nutzt. Telefon 0039/0464/438100. Sichtbare (!) Bären bietet der Bärenpark von Spormaggiore. Außerdem Wissenswertes über das Bären-Auswilderungsprojekt LIFE URSUS, das den geschrumpften frei lebenden Petz-Bestand im Adamello-Brenta-Naturpark wieder erhöhen soll. Telefon 0039/0461/653622.
Literatur
Stimmungsvolle Eindrücke vermittelt der HB-Bildatlas »Gardasee, Trentino für 8,50 Euro, dichte Informationen der im Reise Know-How-Verlag erschienene Band »Gardasee, Verona, Trentino für 17,50 Euro und das Reisehandbuch »Trentino und Gardasee aus dem Iwanowski Reisebuchverlag für 22,95 Euro. Zur Orientierung eignen sich die Italien-Generalkarten von Marco Polo (Blatt 2) oder alternativ das Kümmerly+Frey-Blatt »Trentino Südtirol« in je 1:200000. Wanderfreunden sei beispielsweise die Kompass-Wanderkarte Nr. 678, »Friedenspfad/Sentiero della Pace im Maßstab 1:50000 empfohlen.
Infos
Umfangreiches Infomaterial auch für Motorradfahrer erhält man bei Trentino S.p.A., Via Romagnosi 11, I-38100 Trento, Telefon 0039/0461/839000, Fax -260245, www.trentino.to. Oder beim italienischen Fremdenverkehrsamt ENIT in München, Telefon 089/531317, www.enit.it. Weitere Büros in Frankfurt und Berlin.