Motorrad-Rundreise durch Gibraltar: Iberische Halbinsel – weit, warm, wolkenlos

Motorrad-Rundreise durch Gibraltar
Iberische Halbinsel – weit, warm, wolkenlos

Veröffentlicht am 17.11.2024

Es war einfach, Diana zu diesem Trip zu überreden: Wir fahren zum Whale-Watching nach Gibraltar! Ein Strahlen in ihrem Gesicht nahm die Antwort vorweg. Ein paar andere Elemente der Reise, die ich lieber noch für mich behalten wollte, sollten sich als härtere Nüsse erweisen. Die Übernachtung in einem KI-gesteuerten Hotel zum Beispiel. Oder die aus menschlichen Knochen gebauten Kirchen. Aber vorerst bleibt es bei einer Art Trans-Iberica. Weit, warm, wolkenlos!

Legendäre Route durch die Schlucht der Ardèche

Seit ein paar Stunden schon liegt der Pyrenäen-Hauptkamm hinter uns und die weitläufige N-211 lässt die 1.300 Kilometer bis Gibraltar schön schrumpfen. Aber die Fernstraßen-Romantik ebbt so langsam ab. Unter das Brummeln der Twins mischt sich ein erster Anflug von Müdigkeit. Wir brauchen entweder eine Kaffeepause oder eine Strecke, die uns aus dem aufkommenden Phlegma katapultiert. Rechts kündigt sich mit einem überdimensionalen Parkplatz ein Roadstop an. Hotel, Restaurant, Café. Genau links gegenüber zweigt eine Einladung ab. "Bienvenido – The Silent Route", prangt es halb Spanisch, halb Englisch von einer riesigen braunen Tafel. Das ist es! Die Kaffeepause kann warten.

Wieso hat niemand von dieser Hammer-Strecke erzählt? Die legendäre Route durch die Schlucht der Ardèche ist gerade mal 39 Kilometer lang. Das Stilfser Joch 25. Natürlich, die Silent Route geht nicht so hoch raus wie das Stilfser Joch. Dafür ist die Panoramastrecke 63 Kilometer lang, stürzt von einem Hochplateau wie ein Basejumper ins Tal, fräst entlang der Felsklippen von Montoro … Und unterwegs? Kaum Verkehr! Am Ende der Route, in Cantavieja, können wir die Helme wegen Permanentgrinsens kaum abstreifen. "Pause?" – "Besser wird’s heute bestimmt nicht mehr. Lass uns hier eine Bleibe suchen!"

Sprint durch enge Straßen mit makellosem Asphalt

Ein kleines Hotel in der Altstadt wäre gut. Irritierenderweise sind an jeder Straßenecke seltsam massive Stahlgittertore, die auch Elefanten aufhalten würden, angebracht. Wozu sollen die gut sein? Zudem sind alle Herbergen in der Altstadt ausgebucht. Okay, wo gibt’s noch was? Am Ortsausgang. Vier Sterne. Elvira, die jugendliche Rezeptionistin, überschlägt sich vor Freude, mit uns Deutsch sprechen zu können. Sie klärt uns auch über die Stahlgittertore auf. "Die sind für die Stierläufe da." – "Stierläufe? Wie in Pamplona?", frage ich. "No no!" Elvira lacht. "Viel harmloser. Immer nur ein Stier kommt auf den abgesperrten Rathausplatz und bleibt unverletzt. Aber wer sich traut, geht hinter die Absperrung zum Stier." Wir trauen uns nicht. Doch das abendliche Spektakel mit viel "Olé!" und den vor den Hörnern Wegsprintenden perfektioniert das Ibero-Feeling, das schon seit Tagen in uns wächst.

Tags drauf sprinten wir. Mit den Yamahas durch den bewaldeten Naturpark von Cazorla. Die enge Straße mit makellosem Asphalt duckt sich unter Steineichen und Schwarzkiefern hindurch, winkelt ständig in andere Richtungen. Zweiter, dritter, vierter Gang, scharf anbremsen, wieder runter in den zweiten. Der Stiefel sucht Kontakt zur Straße, die Augen den Kurvenausgang. Und wieder Gas! So geht das eine herrliche Ewigkeit. Am Ende dieser Herrlichkeit ändert sich die Landschaft dramatisch. Aus der Bergregion wird die Sierra de Gorafe, eine Halbwüste, in die sich tiefe Canyons eingegraben haben. Vom Negratín-Stausee her weht eine kühle Brise. Trotzdem pappen die Klamotten wie Cellophan auf der Haut. Diana wird langsam ungeduldig. "Wie weit ist es noch?" tönt es über die Helmsprechanlage. "Noch vier Kilometer. Und ein bisschen Piste." – "Piste?" Ich höre den Widerwillen aus Dianas Stimme. "Ist nicht weit und auch nicht schwer zu fahren." Behaupte ich, ohne je dort gewesen zu sein.

Eine Übernachtung im KI-Hotel

Vier Kilometer in die andalusische Einsamkeit. Das hatte ich gebucht. Ein Hotel im spanischen Nirgendwo. Eine Überraschung. Und romantisch sollte es auch noch sein. Und weil andere Leute bei Romantik eher stören, habe ich darauf geachtet, dass niemand außer uns in dieser Herberge ist. Niemand. Das ganze Hotel ist eigentlich ein supermoderner Wohncontainer ohne Personal. Dafür mit KI-Steuerung. Die rivalisiert mit der Romantik.

Ob ich die Zimmertür öffnen will, Licht an- oder ausschalten möchte, ständig benötige ich mein Handy, ohne dass mich die KI nichts machen lässt. Ist das die Zukunft? Captain Kirks Wochenenddomizil hatte ich mir irgendwie anders vorgestellt. Am nächsten Morgen fühlen wir uns wie auf Cape Canaveral. Nicht wegen einer Rakete, sondern wegen des Countdowns, den die KI jetzt beginnt. Wir haben nur für eine Nacht gebucht und müssen bis Punkt zehn Uhr raus sein. Noch fünf Minuten, mahnt die KI-App. Mit der kann man nicht verhandeln. Im letzten Moment haben wir unsere Sachen vor der Tür. Mit einem tiefen Durchatmer starten wir die Ténérés in Richtung Westen.

Vom Westen Gibraltars nach Tarifa

Ein Meer aus Olivenbäumen, Straßenbegrenzungen aus weißen Mauerblöcken. Offenes Visier, milder Fahrtwind. Und dazu eine swingende Kurve nach der anderen. Immer wieder ist nach links das offene Meer zu sehen, obwohl wir noch 20 Kilometer Luftlinie entfernt sind. Aber der Geruch des Mittelmeers scheint bis hierhin zu reichen. Wie ein Magnet zieht er uns an, treibt uns etwas westlich von Gibraltar bis nach Tarifa. Am nächsten Morgen sind wir dort mit Katharina Heyer verabredet.

Tarifa ist der Hotspot der Windsurfer, Kiter und Walbeobachter. Die Kundigste unter ihnen ist Katharina, die seit vielen Jahren die Meeressäuger-Schutzstation in Tarifa betreut. Sie ist inzwischen 80 Jahre alt. Ob sie sich nicht bald zur Ruhe setzen wolle, will ich wissen. Sie lacht: "Das ist meine Lebensaufgabe. Und noch bin ich am Leben." Mit einem ihrer Boote fahren wir hinaus in die Straße von Gibraltar. Und ich kann mein Versprechen gegenüber Diana einlösen. Delfinschulen tummeln um das Boot, Grindwale blasen, Finnwale zeigen ihre Rückenflosse. Und wir sind so nah an Marokko, so nah an Afrika …

Endloser Stau an der Küstenstraße

Wir überqueren die Grenze. Nicht nach Marokko, sondern nach Portugal. Ein Krimi bringt uns hier auf die richtige Fährte. "Lost in Fuseta" heißt er, und wir beginnen ein Location-Hopping. Startpunkt ist Fuseta, nicht weit von der spanischen Grenze. Erstaunlicherweise decken sich Romanvorlage und Wirklichkeit fast perfekt. Und was Tarifa die Wale und Delfine an großartigen Meerestieren sind, das sind Fuseta die Seepferdchen. Die sind zwar deutlich kleiner, aber hier gibt es die weltgrößte Population der putzigen Tiere.

Gar nicht putzig ist die küstenbegleitende Nationalstraße, die uns weiter nach Sagres bringt. Eine nicht enden wollende Schlange von Wohnmobilen spielt Kölner Ring im Berufsverkehr. Wir brechen aus! Zumindest versuchen wir es, die Stau-freunde nördlich zu umfahren. Unglücklicherweise treffen wir sie wieder. Alle! Zum Sonnenuntergang am Kap São Vicente. Auf Kilometer ist die Straße zum Kap zugeparkt. Am Leuchtturm wimmelt es vor Leuten und Kuriositäten. "Die letzte Bratwurst vor Amerika" wird angeboten, Fish & Chips, T-Shirts, Hoodies. Erst als der Leuchtturm sein Licht Richtung Amerika wirft, werden die Selfies weniger, die Buden schließen. Aber alleine werden wir heute Abend nicht mehr sein.

Évora – Eine Stadt voller Besonderheiten

Was für eine Wohltat! Die Straße nach Monchique perlt dahin, wie das Sagres-Bier, das wir uns gestern Abend noch gegönnt hatten. Wieso ich stramm nach Norden fahre, will Diana über die Sprechanlage wissen. Eigentlich müssten wir uns doch viel weiter östlich halten. "In Évora gibt’s noch etwas Besonderes." – "Was denn?" – "Eine Kirche aus Knochen." – "Was denn für Knochen?" – "Soweit ich weiß aus menschlichen Knochen." Stille in der Sprechanlage. Dann: "Da kannst du schön alleine hingehen!"

Ich kann Diana beruhigen, denn es gibt genug anderes in Évora zu sehen. Die Altstadt mit ihren Arkaden, Brunnen und verzierten Balkonen ist UNESCO-Welterbe. Aber die Knochenkapelle ist schaurig und besonders zugleich. Ich sehe sie mir alleine an. Warum auch nicht? Nach Wochen der Zweisamkeit kann man mal ein paar Stunden dem eigenen Sinn nachgehen.

Den Alqueva-Stausee, den größten in Europa, überquert eine schnurgerade Brücke. Meine Ténéré surrt mit Konstantgas dahin. Ein weiter Weg nach Hause liegt jetzt vor uns. Plötzlich sehe ich Diana direkt neben mir fahren. Filmreif cruisen wir nebeneinander, bis sie mir die Hand zum High-Five hinhält. Wir klatschen uns ab. Noch 2.500 Kilometer Gemeinsamkeit on the road.