Deutschland im Energiewandel: Braunkohle gegen alternative Quellen. Den Stand der Dinge wollen wir auf einer Tour hautnah erleben. Mit Schwerpunkt auf Zukunftstechnik. Also hin zu Solarfeldern und Windparks und dem grünen Lausitzring.
Deutschland im Energiewandel: Braunkohle gegen alternative Quellen. Den Stand der Dinge wollen wir auf einer Tour hautnah erleben. Mit Schwerpunkt auf Zukunftstechnik. Also hin zu Solarfeldern und Windparks und dem grünen Lausitzring.
Warum nicht mal eine Motorradtour mit einem gesellschaftlich brennenden Thema als Leitmotiv? Alle reden sich die Köpfe heiß, wenn es um den Energiewandel geht. Wir fahren einfach mal hin und schauen, wie weit das Land in dieser Hinsicht ist. Dann aber bitte stilecht mit einem Elektromotorrad, oder? Nein, denn wir haben keine Zeit für stundenlange Ladezeiten pro Tag und müssen daher zähneknirschend einen anderen Weg wählen: Eine Kawasaki Versys 300 ist immerhin grün und nippt mit ihrem kleinen Zweizylinder-Verbrennerchen nur ganz bescheiden am fossilen Brennstoff. Trotzdem ist unser erstes Ziel zügig erreicht: der E-Fun-Park Pottenstein. Nass vom Dauerregen, platschen Rainer und ich in die Freizeitanlage. Das Wasser steht auf der 300-Meter-Kartbahn, auf der bei besserem Wetter 17 Gokarts und 25 Segways herumsausen. Angetrieben werden sie durch Ökostrom aus der hauseigenen Fotovoltaikanlage. Schade: wegen Aquaplaning keine Chance auf flüsterleisen Spaß mit den elektrischen Flitzern. Fun gibt’s dennoch – mit Servicekraft Rosy, die als Grid-Girl posiert, damit das Fotoshooting nicht ins Wasser fällt. Danke dafür.
Was ja jeder weiß: Strom kommt aus der Steckdose. Aber wie nur dahin? Durch die Heinzelmännchen? Oder Amazon? „Keine Gleichstromtrasse durch unsere Heimat“, verkündet ein großes Transparent bei Schnabelwaid den Protest der Bürger gegen die geplante 380-kV-Leitung und 70 Meter hohe Masten. Zumal der Strom dann nur auf der „Durchreise“ wäre und die regenerative Energiegewinnung lieber dezentral organisiert werden könnte. Oder man würde Erdkabel legen, wodurch sich dann allerdings der Saft für den Wäschetrockner und andere Annehmlichkeiten verteuerte. Ein Dilemma. Da haben wir es doch vergleichsweise einfach, müssen uns nur für eine der unzähligen Strecken durchs kurvige Labyrinth von Fränkischer Schweiz und Fichtelgebirge entscheiden, um zum Biomasse-Heizkraftwerk Holenbrunn mit angegliedertem Pelletwerk zu kommen. Tja, pompöse Schlösser und trutzige Burgen begeistern sicher mehr Besucher als so eine funktionale Anlage. Die wärmt zwar keine romantischen Herzen, wohlig aber den Rest des Körpers. Durch jährlich rund 35.000 Tonnen Pellets, produziert aus dem ungenutzten Holz von Baumspitzen und Ästen nachwachsender Wälder. Wie’s funktioniert, demonstriert freundlicherweise der stellvertretende Betriebsleiter Frank Seibold bei einer Spontanführung.
Noch aus der Zeit der Postkutschen stammt die „Knapp-Mühle“ in Linda bei Neustadt an der Orla, die einzige Galerieholländermühle Thüringens. „30 Jahre haben wir von der Mühle gelebt, dort Konzerte und Kleinkunst veranstaltet“, erzählt die 73-jährige Brunhilde Knapp, die zusammen mit ihrem inzwischen verstorbenen Mann Hans die Mühle 1981 als Ruine gekauft und sie tipptopp restauriert und wieder funktionsfähig gemacht hat. Leitspruch: Die Mühle dreht sich nicht vom gestrigen Wind. Übernachten kann man im behaglichen Oberstübchen, in der zu mietenden „Windliebeskammer“. Kommt neun Monate später der Klapperstorch, gibt’s sogar das Geld zurück.
Dass Räder in der Geschichte nicht stehen bleiben, dafür stehen unsere beiden nächsten Stationen: Während ab Freital-Hainsberg eine Lok der Weißeritztalbahn schmalspurig gen Kipsdorf im Osterzgebirge losdampft, tüftelt man 80 Kilometer weiter in Klettwitz auf der hochmodernen Anlage des Lausitzrings an Mobilitätstechnologien von morgen, dem autonomen und vernetzten Fahren. Zur Stromversorgung übrigens gleich neben der Rennstrecke eine der leistungsfähigsten Windkraftanlagen der Welt, 200 Meter hoch und 7,5 Megawatt respektive 10.200 Pferdestärken stark. Dank der Gnade der journalistischen Mission dürfen wir außerhalb der offiziellen Termine ein paar Runden drehen, erst durchs Hochgeschwindigkeitsoval mit den zwei Steilkurven, dann auf der „normalen“ Renne. Rainer: „In der Wand hatte ich 140 drauf, da musst du Mut haben, um oben zu bleiben und das Gas stehen zu lassen.“ Dauergrinsen auf der Rennstrecke, wo die Versys, vorbei am dreiflügeligen Riesenspargel, richtig drehen muss und zeigt, dass auch kleine Motoren Spaß bringen.
Von der ob seiner klimaneutralen Energieversorgung einst mit dem Attribut „grün“ geadelten Rennstrecke zu einem Fossil des Braunkohletagebaus, der Abraumförderbrücke F60 im Besucherbergwerk bei Lichterfeld. 500 Meter lang ist das stählerne Gerippe, wegen seiner Konstruktion auch „liegender Eiffelturm“ genannt. Stillgelegt wurde der Koloss im Juni 1992 – und erlebt inzwischen einen zweiten Frühling als Besuchsmagnet. Kinder des Ruhrpotts kennen das. Und Fans der Band Kraftklub wissen vielleicht, dass das gigantische F60-Areal Kulisse war fürs Musikvideo „Dein Lied“ mit dem vieldeutigen Intro: „Wir haben uns auseinandergelebt. Tut weh, aber so ist das.“
„In welche Richtung soll’s denn weitergehen?“, fragt ein Passant beim Orientierungspäuschen in Neupetershain, Ecke Bahnhofstraße/Ernst-Thälmann-Straße. Vis-à-vis das Rathaus, an der Fassade in großen Buchstaben EINIGKEIT-MACHT-STARK. Ja, sie schickt die grauen Zellen immer wieder in neue Richtungen auf Reisen, so eine Tour durch die Wir-sind-das-Volk-Bundesländer. Bei Hoyerswerda am Horizont reihenweise Windräder wie Mercedes-Sterne, anderswo reihenweise verwaiste Häuser und Dörfersterben. Die Metamorphose von einem der letzten noch aktiven Tagebaue in der Lausitz hin zur freizeittauglichen Seenlandschaft wird bei Welzow gewuppt; wer sich im örtlichen Besucherzentrum anmeldet, kann sich per Quad oder Geländewagen durch bizarre Mondlandschaften wühlen.
Deutlich cleaner die Oberflächen im Energiepark Brandis-Waldpolenz, wo die Sonne auf rund 700.000 Solarmodule scheint, eine der größten Fotovoltaikanlagen der Welt. Blauäugig stiefeln wir ins Bürogebäude und fragen nach Besichtigungen für Besucher. Bauklötzestaunen: Darauf sei man nicht eingerichtet. Okay, der Reiseführer-Hinweis ist vier Jahre alt, da hat sich in so einer jungen Branche vieles verändert. Aber die Versys ist ja eine Enduro und bietet so beim artgerechten Stehendfahren zumindest einen flüchtigen Blick auf die Module. Ein ganzes Netz aus einsamen Feldwegen begeistert den Enduristen bei Stößen-Teuchern. Nirgends ein Haus, das dem staubigen Spaß entgegensteht. Kein Wunder, und für diese Geschichte noch relevanter, denn aktuell ackern hier 84 Windkraftanlagen mit einer installierten Gesamtleistung von 182 Megawatt. Wodurch Stößen auf Platz vier der größten deutschen Onshore-Windparks liegt.
Schlussetappe. Durch den Thüringer Wald in die Rhön. Einfach schön. Aber nicht nur Endreime. Eine Entdeckung vielleicht fürs nächste Mal ist das Gasthaus „Zur Tautenburg“ im gleichnamigen, malerisch abgelegenen 300-Seelen-Nest mit Burgruine und Damhirschgehege. Idyllisch wie irgendwie typisch auch das Hoppelsträßchen durchs Gönnatal, wo man sich selbst zwar den Strom, anderen aber die Infrastruktur gönnt: „Keine Windräder im Gönnatal“. Keineswegs verzichten möchten wir auf die kurvige Knallerstrecke Gräfenroda – Gehlberg – Schmücke – Oberhof. Oh, wie ist das, um mal „schön“ zu vermeiden, alles andere als doof. Weiter auf der oft als „Renne“ missverstandenen L 3247 am Rennsteig runter zum Sterngrund und nach Zella-Mehlis. Da dreht die 300er schon richtig hoch, doch hubraumstärkere Maschinen donnern vorbei und knacken peinlicherweise im Tiefflug auch noch die Dezibel-Schallmauer.
Besonders hübsch kurvig ist der Weg mal wieder zwischen Stepfershausen und Helmershausen, beneidenswerte Hausstrecke für einen Mechaniker im Blaumann, der mit seiner rüstigen MZ ETZ 251 in den Feierabend rängtängtängt. Für uns noch etwas zu früh. In Ehrenberg-Seiferts verspricht das Hotel „krenzers rhön“, die Akkus mehr als doppelt so schnell wieder aufzuladen. Mit regionalen Leckereien aus dem Biosphärenreservat Rhön oder auch bei einer Nacht im Schäferwagen auf der Streuobstwiese, wo du dann statt vom Braunkohlebagger beim Schäfchenzählen oder verdauen von der Zukunft und dem „Wind of Change“ träumen kannst.