Motorradtour Tegernsee/Berchtesgaden
Mögen Sie Sackgassen? Nein? Ich schon. Natürlich nicht jene, die bizarr in groß städtischen Hinterhöfen enden. Aber denken Sie zum Beispiel an die wunderbaren Seitentäler im schweizerischen Wallis. Alles Sackgassen. Aber was für welche! Deshalb stört mich der Hinweis am Tegernsee nicht, dass die Route zum Spitzingsee ab Valepp gesperrt ist. Zwei kleine Unannehmlichkeiten gibt’s allerdings: Das Speedlimit liegt bei 30 km/h, und bei Kilometer 4,5 liegt die Mautstelle. Es ist schon später Nachmittag, und wohl deshalb ist das Kassenhäuschen verwaist. Trotzdem stoppen wir kurz. Aus dem Augenwinkel hatte ich einen Zettel mit großen Lettern an der Zahlstelle gesehen: „Tschüss-freie Zone!“ Wer hier arbeitet hat entweder einen besonderen Humor – oder gar keinen.
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Motorradtour: Tegernsee/Berchtesgaden
Mit dem Motorrad durch das Tegernseer Land
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Auf die einspurige Straße durch die Tschüss-freie Zone fallen die langen Schatten des frühen Abends. Gut, dass der Maut-Mann für heute schon ausgestempelt hat. Womöglich hätten wir ihn mit einem wortlosen Gruß brüskiert, nur um das uns angewachsene „Tschüss“ zu umgehen. Der Asphalt laviert durchs Unterholz, schrappt an schroffem Fels vorbei. Letzte Sonnenstrahlen stechen durch die Bäume, während rechts von uns der Bach gurgelt. Gerade rechtzeitig zum Abendessen erreichen wir das Forsthaus Valepp. Von den Balkonen ergießen sich Blütenströme über gedrechselte Brüstungen, und aus der Küche strömt ein unwiderstehlicher Geruch hinaus auf die Terrasse. Nach 700 Kilometern Anreise aus der Tschüss-Zone darf der Tag hier seinen Hut nehmen. Wenn nicht…
Ein Bub, als Kellner herausgeputzt, erklärt, dass der Tag für uns noch nicht zu Ende sei: „Wegn des Brandschutzs dürffa mia derzeit koa Zimma vermietn“. Meine gestenreiche Anmerkung, dass wir Nichtraucher sind, zählt nicht, und mein Hinweis auf die brandgefährlichen Vorgänge in der Küche verpufft in einem Achselzucken. Ja, dann: „tschüss!“ „Pfiat di!“ Ach ja, schon vergessen. Dann halt doch woanders übernachten.
Schäfer
Herr der Fliegen: Rock ’n’ Roll auf der Achenseestraße.
Eine Lage federleichter Dunst steigt vom noch blassblauen Tegernsee auf in den Himmel. Gleich wird die frühe Sonne den Wasserspiegel in Ultramarin umfärben. An der Tegernseer Uferstraße werden erste Fensterläden aufgeschlagen. Im Rückspiegel wird der See mit dem mild wogenden Land von einer Baumreihe verschluckt. Während andere noch die Marmelade aufs Brötchen streichen, treten unsere Maschinen bergan in die Vollen Richtung Achenpass. Am See wird gerade der zweite Kaffee eingeschenkt, da fliegt die Passhöhe in einem Kipferl-Linksbogen schon vorbei. Gas zurück, zwei
Gänge runter, vor dem Abzweig zum Sylvensteinsee geht’s rund. Ich bin hellwach.
Die nächste Sackgasse. Oder doch nicht? Gerade eben jenseits der Grenze nach Tirol zweigt eine Straße nach Steinberg ab. Sieht auf der Karte verlockend aus. Die durchgehende Verbindung weiter nach Kramsach ist aber hinter Steinberg durchgeixt. Blinker links, schau’n wir mal.
Von einer nahen Weide scheppern Kuhglocken herüber. Das ferne Brummeln zweier Traktoren wird von den Wäldern zu Füßen des Rofan fast verschluckt. In Sichtweite aalen sich die Häuser Steinbergs zwischen satten Wiesen. Noch deutlich vor dem Kirchturm zweigt der geixte Weg ab. Ob der wirklich gesperrt ist? Wenige Hundert Meter später kommt die ebenso salomonische wie kauzige Antwort: Ja, er ist gesperrt. Aber in den ersten 30 Minuten einer jeden geraden Stunde ist die Zufahrt dennoch erlaubt. Ein Blick auf die Uhr: 10:28. Also dürfen wir jetzt oder nicht? Die ersten 30 … gerade Stunde … Gas!
Der Schotter gibt sich zahm. Ganz im Gegensatz zur Steinberger Ache. Rechts von uns, am Boden des Abgrunds, schäumt der Fluss ungestüm. An seiner Mündung treiben mehrere Kajakfahrer auf dem inzwischen ruhigeren Wasser. Sie kommen geradewegs aus dem Wildwasser der Kaiserklamm. Noch vor 100 Jahren wurde hier das Holz aus den Bergen bis zum Inn getriftet. Die Tiger und die BMW driften noch zwei Kilometer flussaufwärts in eine diesmal echte Sackgasse, bis der Fahrweg kurz vor der Klamm am Biergarten des „Kaiserhauses“ endet.
Schäfer
Der Wilde Kaiser ist heute zahm.
Vom „Kaiserhaus“ zum Wilden Kaiser ist’s nicht mehr weit. Und der macht heute auf Urlaubsidyll. Wie die meisten Motorisierten, die unsere Richtung teilen. Alle sind relaxt unterwegs. Bis zur Grenze bei Schneizlreuth. Ich weiß nicht, ob es nur an der Grenze liegt, aber kurz nach dem imaginären Schlagbaum ist’s mit dem Relaxen vorbei. Und spätestens ab Unterjettenberg geht die Post ab. Die Deutsche Alpenstraße zeigt sich von ihrer griffigsten Seite, und weit voraus lugen Hochkalter und Watzmann dem Asphalt über die Schulter. Zwischen den Kehren, die ins Ramsauer Tal wedeln, taucht die Straße kurz in ein schattiges Waldstück.
Finden die Sonnenstrahlen einen Weg durch die Wipfel, explodieren sie im Bruchteil einer Sekunde zu einem gleißenden Stern, um genauso schnell wieder zu verschwinden. Raus aus dem Schatten, hinein ins Licht! Wenn wir uns halbwegs sputen, können wir das Ende des Tages auf der Rossfeldstraße begehen. Berchtesgaden bleibt mit seiner Schar von Kirchtürmen links liegen. Für die werden wir morgen auf der Rückrunde zum Tegernsee noch Zeit genug haben. Jetzt nichts wie rauf zur Panoramarunde über der Stadt. Vollgestopfte Reisebusse und ein paar Kleinwagen mit gelben Nummernschildern trollen sich zum Abendessen ins Tal. Uns ruft der Abend auf den Berg.
Schäfer
Kurvenschwingen auf der Rossfeldstraße.
Die Mautstelle Süd ist so verlassen wie die gesamte Strecke zum Ahornbüchsenkopf. Zweiter, dritter, vierter Gang. Der Dreizylinder feuert bergan, die BMW brennt hinterher. Dann leuchtet rechter Hand die schroffe Wand des Hohen Göll glutrot im letzten Tageslicht. Auf der kurzen Kammstrecke purzelt die gefühlte Temperatur auf erfrischendes Niveau, und wir lassen die Motorräder ausrollen. Außer uns parkt nur noch eine 125er hier. Der gar nicht so jugendliche Pilot stiert in die Sonne. „Schee, was?“ „Jau!“ Er stiert weiter in die Sonne. „Und, woha kommts ihr heid?“ Mir fällt das Mauthäuschen vor Valepp wieder ein: „aus der Tschüss-freien Zone“. Die Sonne kippt hinter die Berge. „Is as weid von hia?“ „Nö, vielleicht so 200 Kilometer.“ Er knipst die Zündung an. „Ja dann guade Fahrt. Servus!“ „Auch so, tschüss!“ Ich glaube, ich lern’s nicht mehr. Tschüss!
Infos und Tourentipps
jkuenstle.de
Bullig, sicher, stabil: Die BMW kann alles gut, liegt den meisten Fahrertypen.
fact
Sportiv, sinnlich, draufgängerisch: Die Tiger taugt für aufrechte Dynamiker.
Motorrad-Info:
Die vorliegende Tour wurde mit einer Triumph Tiger 1050 und einer BMW R 1200 R unternommen. Beide Bikes waren mit Touratech-Zubehör ausgestattet, was die serienmäßigen Fahreigenschaften nicht groß veränderte. Auf den geschwungenen Landstraßen und enge-ren Bergkehren der Region zeigte sich das Duo handlich, sicher, fahrstabil und komfortabel. Während die BMW noch energischer aus niedrigsten Drehzahlen andrückt, gibt sich der Triumph-Dreizylinder über das gesamte Drehzahlband auch akustisch sportlicher und obenheraus eine Spur bissiger. Die BMW ist als ehemalige MOTORRAD-Alpenkönigin der souveränere, perfekt austarierte Allrounder, während die Triumph mit leichten Supermoto-Anleihen vorderradorientierter, zugespitzter und fahraktiver wirkt. Einfache Feldwege sind mit beiden Maschinen gut machbar, insbesondere die BMW überrascht hier mit guter Performance.
Werel
Gemessen an anderen kurvenintensiven und landschaftlich grandiosen Regionen ist die Anreise in das deutsch-österreichische Grenzgebiet locker zu bewältigen. Ideal also für einen Wochenendtrip, der alles beinhaltet, wovon Motorradfahrer träumen.
Tour-Infos und Tipps
Reisedauer: 2 Tage
Gefahrene Strecke: 390 Kilometer
Anreise/Reisezeit: Vom späten Frühling bis in den Herbst ist man vor den gröbsten Wetterkapriolen sicher. Aber gerade die Tage, an denen noch deckender Altschnee auf den Bergen ausharrt oder der erste Schnee vor dem Winter die Gipfel einpudert, sind besonders reizvoll. Ein Auge auf die Wetterkarte ist dann Pflicht. Die Strecke 390 Kilometer und die Runde ist komplett: vom Tegernsee nach Tirol, dann zum Highlight Rossfeldstraße (www.rossfeldpanoramastrasse.de) und über Teile der Deutschen Alpenstraße (www.deutsche-alpenstrasse.de) wieder zum Tegernsee. Nach Denzels Alpenstraßenführer fallen alle befahrenen Straßen in die einfache Kategorie SG 1-2. Mit anderen Worten: gute Beläge, guter Grip und jede Menge Spaß beim Fahren. In Sachen gute Beläge und guter Grip stellt der Abschnitt Achental-Steinberg-Brandenberg-Kramsach allerdings eine Ausnahme dar. Kurz hinter Steinberg beginnt ein zehn Kilometer langer, geschotterter Weg, der allerdings von routinierten Fahrern auch auf Straßenmotorrädern gut bewältigt werden kann. Die Einfahrt in die Schotterpassage ist jedoch nur zu geraden Stunden für 30 Minuten gestattet. Wer den losen Untergrund umfahren möchte, wählt die Alternativroute von Achental über Jenbach nach Kramsach.
Übernachten: An den touristischen Hotspots der Bayerischen Alpen und Tirols stehen gediegene Herbergen an fast jeder Straßenecke. Wir haben uns am Tegernsee beim „Kistlerwirt“ (www.kistlerwirt.de) wohlgefühlt. Der ehemalige Bauernhof bietet schlichte Zimmer zu sehr zivilen Preisen (DZ ab 35 Euro). Mit 71 Euro für das Doppelzimmer teurer, aber auch gediegener, ist das „Hotel Neuhäusl“ zwischen Oberau und der öster- reichischen Grenze (www.neuhaeusl.de).
Aktivitäten: Actionfreaks werden sich für Rafting- oder Canyoningtouren begeistern. Für Adrenalinschübe in den Flüssen des Berchtesgadener Landes sorgt z. B. ASL-Strub (www.asl-strub.de) ab 29 Euro. Wer sich an einem Klettersteig versuchen möchte, ist am Wilden Kaiser genauso richtig wie jene, die den Vertikalakrobaten am dortigen Schleierwasserfall, einer der schwierigsten Kletterrouten in Europa, einfach nur zusehen möchten (www.wilderkaiser.info). Zwischen Berchtesgaden und der Rossfeldstraße kann man nicht unterwegs sein, ohne mit der Geschichte des Obersalzbergs und der nationalsozialistischen Diktatur konfrontiert zu werden. Das Dokumentationszentrum Obersalzberg (www.obersalzberg.de) vermittelt beeindruckend die erschreckende Rolle von Hitlers zweiter Machtzentrale inmitten des alpinen Paradieses. Der Besuch ist dennoch oder gerade deshalb ein Muss.
Karten: Die Michelin-Karten 546 Bayern (ISBN 2067132083) und 730 Österreich (ISBN 2061004164) decken das Reisegebiet für 7,50 Euro je Karte ab.