Reisen mit Sportlern

Reisen mit Sportlern Last und Lust

Wer den Schnellsten der Motorradwelt die Last des Reisens aufbürden will, braucht sportlichen Ergeiz und Kompromißfähigkeit. Der Lohn dafür ist allerdings nicht übel: unbegrenzte Fahrenslust.

Ihre aufsehenerregendste Zeit hatten sie Mitte der achtziger Jahre. Als vollverschalte Renner mit Namen wie GSX-R, Genesis oder ZXR auf den Straßen erschienen, hinterm Lenker Piloten, die sehnsüchtig vom Land der immerwährenden Kurve träumten, während auf dem Sozius Freundinnen mit Tragegestellrucksäcken mindestens ebenso innig die Zeiten erträglicher Transportbedingungen für Mensch und Gepäck herbeiwünschten. Reisen mit Sportlern forderte damals den ganzen Mann und die ganze Frau. Doch gleichzeitig war es auch genial. Endlich das Renn-Tier nicht mehr bloß zwischen Bottrop und Bigge-See Gassi führen, sondern im Urlaub mal ins echte Leben entlassen. In den Kurven des Grand Canyon du Verdon oder der Scala di Santa Regina oder auf all diesen genialen Cols, Jochs und Pässen dieser Welt endlich die nach oben offene Richterskala seines Könnens auf- und abrasen dürfen. Oder einfach nur auf der Strandpromenade von Tossa oder Lloret de Mar mit röchelnder Vier-in-eins-Anlage auf der Standgasdüse dahinflanieren - Reisen mit Sportlern ist Last und Lust zugleich. Damals und heute immer noch, wie eine Umfrage unter xx betroffenen MOTORRAD-Lesern ergab. Einhellig wurden in den Briefen schmerzende Handgelenke und taube Nackenmuskeln der ungeheuren Leichtigkeit des Seins untergeordnet, die ein gleichzeitig bärenstarkes wie federleichtes Motorrad verströmen kann, der Pulsschlag-erhöhenden Präzision, die so nur Sportler bieten.Den meisten Betroffenen stellt sich ohnehin gar keine Alternative. Der Durchschnitts-Biker absolviert mit ein und demselben Motorrad alle Fahrens- und Lebenslagen. Wer ein sportliches Motorrad besitzt, fährt damit auch in Urlaub. Basta! Und bringt beim Reisen offenbar denselben sportlichen Ehrgeiz ein wie beim Rastenschliff auf der Hausstrecke. Den braucht es auch, denn so locker vom Hocker fährt sich ein Sportmotorrad auf langen Strecke nur in Ausnahmefällen. Gebaut für schnelles, konzentriertes Fahren, sind sie mit Sitzen, Rasten und Lenkern ausgestattet, die nicht dem Komfort dienen sollen, sondern möglichst direktem Maschinen- und Fahrbahnkontakt. Körperschwerpunkt weit vorn, Lenker tief unten, Bürzel weit oben - ergonomische Daten, die jeden Orthopäden erschauern lassen. Auf Reisen erzielt dieses Bauprinzip auch keinerlei Vorteile mehr. Tatsächlich würde auf alpinen Strecken eine bessere Streckenübersicht und entspanntere Haltung nicht nur körperlich, sondern auch fahrtechnisch deutliche Pluspunkte bringen. Eine Erkenntnis, die nicht nur MOTORRAD-Tüftler Werner Koch bei seinem R1-Touring-Umbau umsetzte, sondern die sich seit einigen Jahren auch in den Konstruktionsabteilungen mancher Motorradhersteller zeigt. So wurden Supersportlern wie beispielsweise CBR 900, 600 oder ZX-6R mit zunehmenden Modelljahren immer bequemere Sitzpositionen zugestanden. Auch in Sachen Fahrwerk gilt Bockelhart inzwischen nicht mehr als ultimative Faustformel für schnelle Bikes, sondern Sensibilität. Und die hilft auf den schlechten Straßen im sonnigen Süden genauso weiter wie in den Schikanen der Motodrome. Die Federelemente einer Triumph Daytona T 595 oder einer Kawasaki ZX-6R bügeln Buckelpisten derart souverän glatt, daß sie auch in Portugal vor einigen schlabrigen Allroundern in die Punkteränge brausen könnten. Und was der Hersteller nicht mitgibt, läßt sich in vielen Fällen per Nachrüstung regeln. So verwandelt ein Federbein vom Zubehörmarkt beispielsweise manche Ducati auf schlechten Strecken vom störrisch auskeilenden Ackergaul in ein deutlich präziser und komfortabler führbares Dressurpferd (siehe Kasten »die Tests«).Nächste Komponente ist der Sitz. Austausch oder Umpolstern können beispielsweise auf einer Yamaha TRX das Durchhaltevermögen um einige Stunden erhöhen. Einer Suzuki RF 600 genügte bloßes Perforieren des Polsters mit einem käselochdicken Bohrer, um ihre Fahrer deutlich komfortabler über die Langstrecken zu bringen. Bei der abgebildeten SS 900 wurde dagegen die üppige Bank abgespeckt, um eine aufrechtere und bequemere Haltung zu erzielen. Allerdings ist an den spartanischen Sportsitzen nur selten solches Potential für ergonomische Veränderungen auszumachen. Mehr Möglichkeiten bietet in der Regel der Lenker. Firmen wie LSL oder die großen Zuhehörketten haben für viele Sportmotorräder Lenkerhälften mit längeren Stegen im Programm, die die Griffhöhe über die Gabelbrücke liften und so nicht nur für kleine Menschen eine deutlich entspanntere Sitzposition erzielen. (Für Ducati 916 gibt`s Gabelbrücken für obenliegende Stummel). Zu Risiken und Nebenwirkungen ... ja, richtig. Neben dem mitunter schlechteren Windschutz kann bei den immer leichter werdenden Sportmaschinen der jüngsten Generation durch die nun reduzierte Vorderradlast bei Autobahn-Highspeed mehr Auftrieb und damit Unruhe im Fahrwerk entstehen. Beladung am Heck verstärkt diesen Faktor noch. Hier kommt man um einen Kompromiß und eine Anpassung der Fahrweise nicht herum. Über die weitaus gravierenderen Veränderungen eines sogenannten Superbike-Umbaus, bei dem ein breiter Rohrlenker die Stummel ersetzt, informiert der Kasten auf Seite xx.Ist die Ergonomie nun einigermaßen auf die Maße des Piloten abgestimmt, muß noch die Sache mit dem Gepäcktransport geklärt werden. Liest man die Kataloge von Koffer- und Trägerherstellern wie Givi oder Hepco & Becker, sollte man meinen, das Thema sei kein Problem mehr. Für nahezu jedes existierende Motorrad einen Träger anbieten zu können ist für Hepco & Becker geradezu ein Stück Firmenphilosophie. Bis auf ein paar Einzelfälle wie Yamaha R 1 oder Ducati 916 kann dort jede GSX-R, FZR, Guzzi oder 900 SS touristisch ausgerüstet werden. Entweder mit kompletten Kofferträgern oder bloß einer kleinen Brücke auf dem Heckbürzel, ganz nach Wunsch. In jedem Fall ein prosperierender Markt, wie man bei der Firma versichert. Und dennoch verlassen sich laut Umfrage nur wenige Sport-Biker auf die Susi-Sorglos-Komplettausstattung mit Hartschalen-Komfort. Für sowas fühle er sich zu jung, erklärt ein Leser unumwunden und bringt damit die verbreitete Abneigung auf den Punkt, die Sport-Aura mit Plastiktonnen zu vermasseln. Während Fernreisende mit Sozius und Campingausrüstung dennoch kaum um diese wirklich enorm stauraumschaffende Lösung herumkommen, greifen die meisten Solisten auf die kleineren und deutlich besser mit einem Sportler harmonierenden Softbags zurück. Direkt auf dem Soziusplatz verzurrt, liegt das Zusatzgewicht näher am Fahrzeug, und entsprechend treten Fahrwerksunruhen, wie viele Kofferpiloten sie aufgrund des stark nach hinten wandernden Schwerkpunkts beobachten, kaum mehr auf. Und in Sachen Wasserdichtigkeit sind sie den Hardcore-Kollegen mitunter sogar überlegen. Bei hoch angebrachten Auspuffanlagen erfordert ihre Montage manchmal jedoch viel Tüftelei, wie einige Leser berichten. (Five Stars hilft hier mit speziellen Abstandshaltern weiter.) Eine Anprobe beim Händler ist daher ratsam. Als unstrittiger Favorit und weit vor allen Topcase- und Höckertaschen-Systemen schneidet bei den Viel-Reisern die altbewährte Gepäckrolle ab. Egal ob quer oder aerodynamisch längs verzurrt, ob mit 30, 40 oder 60 Litern Volumen, ob mit Top- oder Querverschluß - sie bringt für wenig Geld alle Arten touristischen Hausstands sicher und dank Ortliebschem Rollverschluß inzwischen auch trocken durch die Welt. Eine(s) ist der Entwicklung allerdings zum Opfer gefallen: eine, die uns immer und überallhin flatternd, hellblau und abgrundtief häßlich auf den Hecks unserer Bikes begleitete - genau, die gute alte Mülltüte. Sie hat nun ihren endgültigen und eigentlichen Bestimmungsort erreicht. Beim Befestigen der Ladung scheint aber der Innovationsschub oft schon wieder zu stocken. Während manche Sportmotorräder praktischerweise bereits ab Werk kleine Gepäckhaken tragen, sind vor allem italophile Reisende auf Soziusrasten, Griffe, standhafte Gurte und die richtige mentale Einstellung angewiesen. Spätestens jetzt beginnt der Begriff Sport eine neue Dimension zu erreichen: Nicht aufgeben, irgendwie wird es schon klappen.Ein Einstellung, die viele Sport-Touristen zu einen scheint und sich in zum Teil abenteuerlichen Transport-Konstruktionen niederschlägt. So tüftelte Fireblade-Fahrer Michael Marx aus Cottbus einen Träger aus, der seine Koffer wie ein Doppel-Topcase hintereinander auf Sitzbank und Höcker fixiert -»so kann ich auf breite Seitenkoffer verzichten« -, und der Wendlinger Mechaniker Andreas Kustner schneiderte seiner ZX-9R einen Träger auf den Leib, der dem Gepäck einer kleinasiatischen Urlauberfamilie gewachsen wäre und vermutlich auch das Fahrverhalten der Kawa in Bereiche eines alten Strich Acht-Daimlers bringen könnte. »Vier Wochen bastelten wir nächtelang, bis die Koffer an unsere ZX-6R und 9R paßten«, erinnern sich ein Elternpaar aus Thüringen, das später samt seiner beiden Kinder bis ans Nordkap brauste. Die Vorbereitung für eine Urlaubsreise mit einem Sportmotorrad kann ähnliche Ausmaße annehmen wie die für eine Schwarzafrika-Durchquerung. Und das Erlebnis scheint ähnlich erfüllend. »Sicher werden die Tourenfahrer den Kopf schütteln«, vermutet CBR-Pilot Jürgen Häse aus Aschaffenburg, »und sicher gibt es komfortablere Möglichkeiten des Reisens, aber für mich gibt es kaum eine aufregendere.« Na also.

Die Alternative: Superbike

Wer mit seinem Sportler unterwegs absolut nicht glücklich wird, dem bietet die Zubehörindustrie eine letzte Möglichkeit: den Superbike-Umbau. Dazu wird statt Lenkerstummel ein breiter Rohrlenker auf die Gabelbrücke montiert. Der Fahrer sitzt dadurch relativ aufrecht und kann die Maschine an der Segelstange geradezu enduromäßig um Ecken und Kehren zirkeln. Die Nachteile sind offenbar: der Windschutz sinkt rapide und beendet bequemes Reisen oberhalb von 160 km/h. Außerdem verändert sich die Charakteristik des Motorrads unter Umständen mehr als gewünscht. Eine Probefahrt mit einem vergleichbaren Modell ist daher ratsam, um zu sehen, ob einem die Sache wirklich liegt. Denn der zwischen 500 und 800 Mark teure Umbau ist eventuell irreversibel: Meist müssen Züge und Bremsleitungen verlängert und die Verkleidung gekürzt werden.

Die Leser

Sportpiloten sind unserem Aufruf in Heft 4/1999 gefolgt und haben ihre Erfahrungen zum Thema eingebracht. Allen noch mal herzlichen Dank. Vertreten war die ganze Sportler-Bandbreite, vom 125er Zweitakter Aprilia RS Extrema bis hin zur Ducati 916. Besonders reisefreudig scheinen dabei die Besitzer von Honda CBR 600/900, Kawasaki ZX-6 und 9R, Suzuki GSX-R 750/1100, Ducati SS 600/900 und Yamaha R1, die sich vielfach meldeten. Beachtenswert war das enorme Engagement, mit dem das Thema angegangen wird. Mitunter wurden die Maschinen über Jahre immer weiter optimiert, Gepäcksysteme ständig perfektioniert, die ideale Gewichtsverteilung zentimeterweise ausgelotet. Niemand bezweifelte, daß technische wie mentale Vorbereitung fürs Reisen not tat. Dann waren allerdings Trips nach Asien, Afrika und Amerika drin. Die häufigsten Modifikationen galten dem Lenker - etwa zu gleichen Teilen als Superbike-Umbau und per Stegverlängerung. Und je entfernter die Ziele, desto kompromißloser wurde aufgerüstet: Koffer und Segelstange zieren die am weitest gereisten Maschinen. Den Vogel schoß Frank Siepmann ab, der mit einer alten Guzzi Le Mans, Enduroreifen und Alu-Koffern bis nach Indien und zurück fuhr (Fotos Seite 130/131). Seine Geschichte wurde im Unterwegsteil in MOTORRAD 3/1995 veröffentlicht.

Die Redaktions-Praxis

MOTORRAD unterzieht seit Jahrzehnten nahezu jedes neue Motorrad einem 50 000 Kilometer langen Dauertest. Egal ob Tourer, Chopper oder Sportler - auf lange Strecken müssen alle. Dabei werden viele der angesprochenen Modifikationen zu Ergonomie, Fahrwerk und Gepäck-Transport in der Praxis ausprobiert und im Testprotokoll sowie dem Abschlußbericht vorgestellt und beurteilt.

Die Vorbereitung

Da Sportler nur rudimentär für Lastentransport ausgelegt sind, sollten sie vor der Tour etwas präpariert werden. Wer auf ein Koffer-System verzichtet, kann zur besseren Fixierung von Softbags und Packsäcken eine kleine Gepäckbrücke montieren. Kostet etwa 200 Mark und wird meist anstelle der Soziusgriffe verschraubt. Zusätzlich sollten alle lackierten Flächen, die später unter Taschen, Riemen oder Tankrucksack liegen, mit Klebefoile vor Kratzern geschützt werden. Zum Befestigen der Ladung bieten Textilgurte aus dem Outdoor-Bereich oft mehr Möglichkeiten als die üblichen elastischen Expander. Bastler könne außerdem Hacken und Ösen an unbelegten Gewinden oder Nummernschild-Bohrungen nachrüsten. Anschließend das Gepäck möglichst nah am Fahrzeugschwerpunkt befestigen und jegliche »Eigendynamik« durch festes Verspannen minimieren. Zwischen Heckladung, Tankrucksack und Rucksack aber auch genügend Bewegungsspielraum einplanen. Zu guter Letzt noch den Reifenluftdruck hinten um etwa 0,3 bar erhöhen sowie alle Fahrwerkkomponenten etwas straffer einstellen.

Die Tests

Weitere Informationen zum Thema bieten die folgenden Ausgaben von MOTORRAD (Nachbestellungen unter Telefon 0711/182-1229). Gepäck-Spezial 7/99Federungs-Spezial 4/99Koffersysteme 7/99+8/96Magnet-Tankrucksäcke 7/99Gepäcksysteme für Sportler 15/96+7/99Gepäckrollen 11/98Spoilerscheiben 17/96R1-Tourer Eigenbau 21+25/1998 ZXR 750 Superbike-Umbau 24/94

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