Wordsworth oder Campbell - ist das hier die Frage? Nachdem sich der romantische Dichter William Wordsworth, von schwärmerischen Seelen noch heute verehrt, im frühen 19. Jahrhundert durch die liebreizenden Landschaften des Lake Districts hatte inspirieren lassen, wurde die geografische Beschaffenheit der Region in der Folgezeit gänzlich anders genutzt: Auf dem Coniston Water schraubte Donald Campbell am 14. Mai 1959 mit seinem Bluebird K7 den Weltrekord für Motorboote auf 418,99 km/h. Da der Speedfreak auch zu Lande gerne Gas gab, daheim aber kein passendes Terrain fand, reiste er 1964 zum ausgetrockneten Salzsee von Eyre in Südaustralien und stellte einen Rekord für Automobile auf: 648,58 km/h. Wenn das keine Indizien dafür sind, dass der Lake District ausgesprochen hübsch sein muss, die dortigen Straßen aber eher für entschleunigte Fortbewegung taugen dürften.
Nur 40 mal 50 Kilometer misst der Lake District. Kann das denn überhaupt Spaß machen? Und ob! Beispielsweise, wenn man am südlichen Zipfel des Windermere, mit knapp 18 Kilometern längster See Englands, die breite A 590 verlässt und nach Rusland fährt. Kleine Welt ganz groß. Abenteuerspielplatz für fette Bikes, die hier in den Hügeln ungestört herumtollen können. Die schmalen Sträßchen sind dicht gesäumt von Farn und bemoosten Natursteinmauern. Neugierig beäugt vom einheimischen Rindvieh, navigieren wir über Oxen Park zum Coniston Water. Dort, wo Donald Campbell 1967 bei seinem letzten Rekordversuch tödlich verunglückte, herrscht eine geradezu pastorale Ruhe. Durch dichtes Blätterdach blinzelt die Abendsonne, am Horizont winken einladend die imposanten Cumbrian Mountains. Wir vertrösten sie auf morgen. Offenbar hat selbst jahrtausendelanges Bewässern und Berieseln aus der großen Himmelsgießkanne nichts genutzt. Bei 978 Metern hat er sein Wachstum eingestellt, der Scafell Pike, Englands höchster Berg. Natürlich kann man die Zahlen frisieren und in Fuß rechnen, dann sind es stolze 3209. Aber nur keine falschen Vorstellungen, zusammen mit seinen Kollegen - die meisten zwar rund geschliffen von der Eiszeit und später kahl gerodet, doch stellenweise auch felsig schroff - macht der Scafell Pike den Lake District zum anspruchsvollen Revier für Wanderer und Kletterer.

Apropos Berge: Einem Hochplateau gleicht der Drehmomentverlauf der CB 1300. Immer wieder ein Genuss, auf der Woge von Newtonmetern zu surfen. Besonders nach einem opulenten Full English Breakfast. Satte 25 Prozent Steigung hat die B 5343, die uns in einem Schlenker von Ambleside nach Langdale führt, mitten hinein in die Cumbrian Mountains. Plötzlich dann MGs. Dutzendfach ballern die schnuckeligen Sportwagen im Rahmen einer Oldtimer-Rallye durchs Langdale und lassen die Honda staunend verstummen. "Extreme Caution, Narrow route, Max 30 %", warnt ein Schild vor dem Hard Knott und dem Wrynose Pass. Auch wenn die Pässe nur knapp 400 Meter erreichen: Sie entpuppen sich als so eng und steil, dass kaum jemand fehlende Höhenmeter bemängeln wird. Schon gar nicht der Fahrer jenes Vauxhalls, der nach einem Navigationsfehler - oder hat sich der Steuermann vom grandiosen Bergpanorama ablenken lassen? - nun mit dem Wagen halb über der Böschung schwebt, während hilfsbereite Wanderer auf dem Türschweller rumturnen wie auf der Bordwand eines Segelbootes und versuchen, durch Gewichtsverlagerung den Absturz zu verhindern.
Nur 40 mal 50 Kilometer? 2000 Möglichkeiten zum Hin-und-weg-Sein. Ob am Bahnhof von Dalegarth die liliputeske Schmalspurbahn oder bei Ulpha die an Norwegen erinnernden kargen Fjälls, ob die Kolonie von Gartenzwergen auf dem Grund des 80 Meter tiefen Wast Water oder der Blick auf die glitzernde Irische See - langweilig wirds im Lake District nie. Weniger lustig: Manch fotogene Farm dürfte ohne EU-Fördermittel nicht überlebensfähig sein, und das an der Küste bei Seascale gelegene, wegen schwerer atomarer Zwischenfälle berüchtigte Nuklearzentrum Sellafield ist mehr als nur ein Schönheitsfleck. In Calder Bridge rechts ab nach Ennerdale Bridge, und dann flutscht die CB durchs grüne Universum wie ein rotweißer Korallenfisch und eilt über Crummock Water, Buttermere, Honister Pass und Thirlmere zurück nach Windermere "in unser Heim".

Anderntags geht es zum Warmfahren hoch auf den Kirkstone Pass, wo ein kräftiger Wind zwar die Wolken vor sich herpustet, die kunstvoll geschichteten Natursteinmauern am Straßenrand jedoch in Ruhe lässt. "Winter conditions can be hazardous", kitzelt ein Schild oben am Pass die Fantasie. Wie Hasardeure der Landstraße knallen etwas später eine Super Duke und eine R6 am Ufer des Ullswaters entlang, sodass die Passagiere auf den historischen Ausflugsdampfern mal was anderes als monotone Schiffsdiesel zu hören bekommen. Während es am nördlichen Ende des Sees in Pooley Bridge rappelvoll ist, entführt uns die Stichstraße nach Martindale und Sandwick zu einem verlassenen Flecken Erde, der von Google Street View auch in 100 Jahren noch nicht gescannt sein wird. Dann Haweswater. So umstritten der Stausee, für den 1935 zwei Dörfer geflutet wurden, auch ist, heute zeigt er sich von seiner attraktivsten Seite. Wie ein Pool liegt der See im Tal von Mardale. Je nach Wasserstand lugen daraus zwei Inselchen hervor, als bade Naomi Campbell.
Getaucht in goldenes Abendlicht stehen auf einem Hochplateau bei Keswick die 38 Steine des Castlerigg Stone Circles. Sie sehen aus wie erstarrte Murmeltiere. Der Megalithring ist zwar nicht so prominent wie Stonehenge, dafür ist er nicht eingezäunt und ein Hort für Romantiker. Nach so viel Gefühl und Natur ist der perfekte Kontrast das Restaurant "The Lighthouse" in Windermere. Die silbrig glänzenden Tische sind getaucht in ein Lichtermeer aus Farben, sodass wir dort gerne für ein Stündchen andocken, während überm See bereits der Mann im Mond flaniert. Sonntagmorgen. Was gehört dazu wie Majo zu Pommes? Richtig, ein Abstecher zum Motorradtreff, in diesem Fall also zur Devils Bridge bei Kirkby Lonsdale. Selbst wenn viele "Teufel" inzwischen grau geworden sind: Die anmutige Steinbrücke übers Flüsschen Lune ist die richtige Adresse, um mal englisches Benzin zu quatschen. Geschichten en masse erzählt auch das Lakeland Motor Museum zwischen Newby Bridge und Haverthwaite. Neben automobilen Preziosen sowie einer Campbell-Bluebird-Ausstellung berichten zum Beispiel Barry Sheenes Dunstall Suzuki und Joey Dunlops 125er Honda von glorreichen Zeiten. Das tun übrigens ebenso, nur ein paar Kohlenwürfe vom Museum entfernt, die Dampfloks der Lakeside & Haverthwaite Steam Railway.
Beim ehemaligen Fischerdorf Ravenglass wird wegen der radioaktiven Verseuchung des Wassers durch Sellafield vom Baden im Meer abgeraten, und so gönnen wir uns noch einmal Loweswater, Buttermere und Honister Pass. Spätestens am Derwent Water wissen wir, dass die Attraktionen des Lake Districts uns noch lange umtreiben werden. Deswegen gibt es zum Schluss noch ein paar Zeilen von Wordsworth, der die Region so populär gemacht hat: "Die Sonne längst schon unterging, die Sterne, schau, zu zweit, zu dritt, ein Fitis noch zu Abend singt, und Drosseln, Kuckuck halten mit … Wer will schon städtisch promenieren und für Empfänge sich maskieren in solcher lauen Juninacht, wo sanftes Licht ein Halbmond macht: Ach, lass uns einfach sein Genießer so einer Sommernacht wie dieser!"
Lake District: Toureninfos
Auf seiner Tour nach Schottland oder zur Isle of Man fährt der gemeine Kontinentaleuropäer meist achtlos am Lake District vorbei. Weil es dort aber den schönsten Mix aus Seen und Bergen in ganz England gibt, ist das wirklich gemein - und müsste eigentlich nicht sein.

Anreise: Der übliche Weg in den Lake District besteht aus der nächtlichen Fährpassage Rotterdam–Hull und anschließender, rund 250 Kilometer langer Ost-West-Durchquerung Englands fast bis zur Irischen See. Deutlich attraktiver als die Route über die Autobahnen ist dabei die Variante durch den Yorkshire-Dales-Nationalpark. Wer dem Wasser lieber länger die Chance gibt, von oben statt von unten zu kommen, kann alternativ auch zum Beispiel die Fähre Calais–Dover nebst Fahrt über die Insel via London, Liverpool und Lancaster wählen. Fahrplan und Preise jeweils unter www.poferries.com.

Unterkunft: Da der Lake District mit etwa 40 mal 50 Kilometern gut in Tagesetappen zu erkunden ist, empfiehlt sich ein festes Quartier. Dieses vorzubuchen kann zumindest für die Ferienzeit nicht schaden, strömen doch viele Engländer im Urlaub gerne an ihre "Lakes". Die Aussicht auf Nightlife bieten Orte wie Ambleside, Keswick, Windermere und Bowness-on-Windermere; dort ist auch das Angebot an Unterkünften mit Bed & Breakfast am größten. Bereits mit einem Award geadelt wurde das "Storrs Gate House", Longtail Hill, Bowness-on-Windermere, LA23 3JD, Telefon 00 44/1 53 94/4 32 72, www.storrsgatehouse.co.uk, ab 50 £.
Besonders motorradfreundlich sind: "Lindisfarne House", Sunny Bank Road, Windermere, LA23 2EN, Telefon 00 44/1 53 94/4 62 95, www.lindisfarne-house.co.uk, ab 28 £; "Watendlath Guest House", 15 Acorn Street, Keswick, CA12 4EA, Telefon 00 44/1 76 87/7 41 65, www.watendlathguesthouse.co.uk, ab 33 £; "Melrose Guesthouse", Church Street, Ambleside, LA22 0BT, Telefon 00 44/1 53 94/3 25 00, www.melrose-guesthouse.co.uk, ab 30 £; "Holme Lea Guest House", Church Street, Ambleside, LA22 0BT, Telefon 00 44/1 53 94/3 21 14, www.holmeleaguesthouse.co.uk, ab 30 £. Eine günstige Alternative sind Jugendherbergen, auch für Erwachsene. Ein Pfund (£) entspricht etwa 1,20 Euro. Tipp für kleine Gruppen, die eine Ferienwohnung in den "Bergen" suchen: "Cockley Beck Farm", Seathwaite, Broughton-in-Furness, LA20 6EQ, Telefon 00 44/1229/71 64 80, www.cockleybeck.co.uk
Adressen/Literatur:
www.golakes.co.uk, www.visitbritain.com, www.lakelandmotormuseum.co.uk,
www.lakesiderailway.co.uk,
www.ullswater-steamers.co.uk.
"Reisehandbuch Nord- und Mittelengland", DuMont, 22,95 Euro, "The Lake District", Lonely Planet, 12,50 Euro. Karte: "Lake District & Cumbria", Ordnance Survey, 1:110000, 9,50 Euro.
Reisedauer: vier Tage
Gefahrene Strecke: 700 Kilometer