Revival Bikes
Wir brauchen keine Millionen...

Von der Idee, mit ein paar übrig gebliebenen 70er-und 80er-Jahre-Bikes um die Welt zu fahren. Oder wenigstens bis Korsika.

Wir brauchen keine Millionen...
Foto: Johann

Alles war besser. Einfach alles. Die Alpen, der Cappuccino, das Wetter...Obwohl – auf der Heimreise hat’s streng genommen immer gekübelt, und an den Kisten ging eigentlich laufend was kaputt. Egal, schön war’s trotzdem. Damals, als Korsika noch am Ende der Welt und uns das Leben längsseits zu Füßen lag. Keine Kohle, keine Ahnung, dafür Zeit, Pioniergeist und Bordwerkzeug genug, die Erde aus den Angeln zu hebeln. Notfalls mit übelstem Material, Hauptsache, es hatte einen Motor und zwei halbwegs frei drehende Räder.Sprotzend über den Splügen, triumphierend durch die pottlangweilige Po-Ebene, auf dem letzten Tropfen Sprit ans Mittelmeer. »Liebe Mutter, es geht mir gut, bitte schicke mir mein Postsparbuch.« Es war herrlich. Okay, die Tütensuppen hätten vielleicht nicht sein müssen, und der Pulverkaffee für 1,29 Mark kam ein bisschen streng, aber sonst: gerne alles von vorn. Die ersten großen Nummern noch mal erleben. Jeden Kilometer, jedes Schlagloch und den Nervenkitzel: Hält die angeschlagene Lichtmaschine durch, das Schlussverkaufs-Zelt wenigstens von oben dicht und die Fähre tatsächlich in Savona an?Mobilitätsgarantie, GPS, ABS – vergiss es! Da traut sich das Abenteuer doch nicht mehr auf die Straße. So eine Revival-Tour fängt mit den original Shootingstars der 70er und 80er Jahre an. Als Annette die letzten Schrauben an ihrer 77er-Honda CB 500 Four festzieht (siehe MOTORAD 1/2003), weiß sie, dass es gelingt. Dass alles genau so werden würde wie einst – mit diesen immergleichen durchschraubten Nächten vorm Abflug. Und der Rest der kleinen Reisetruppe weiß es auch: Karsten, der gerade versucht, die vermurkste Ölablassschraube einer billig erstandenen Honda XL 500 zu fixieren; Moni, deren Zweifel an einer schmucken Suzuki GS 450 mangels Fahrwerk und Bremsen wachsen; Olli, dessen Yamaha SR 500 vor sechs Monaten erfolgreich reanimiert, seitdem aber in Scheunen-Dunkelhaft gehalten wurde.Morgen geht’s los. Gepackt ist noch nichts, und die Four läuft noch immer viel zu fett. Falsch bedüst, garantiert. Da muss sie jetzt durch. Um 2.15 Uhr werden keine Vergaser mehr geöffnet. Man kennt das doch: Nur geschwind danach geschaut und alles versaut. Dichtungen geschrottet, Schwimmernadelventile oder weiß der Henker. Nö, nö. Lieber einen Tick zu fett unterwegs als gar nicht. Letzte Kurzmitteilungen vor dem Start: »Annette sucht handlichen 24er-Schlüssel für die Zündplatte...Ollo hat keine Isomatte...Moni bringt Kocher und Töpfe...Acht Uhr, Rasthof Herrenberg!«Beim Eintrudeln muss die Four direkt an die Tanke. Nach 145 Kilometern, au backe. Karstens Einzylinder-Enduro genehmigt sich die erste Ölung, Moni berichtet von Beklemmungen im Engelbergtunnel. Mittendrin die alte Angst: »Was, wenn die Karre jetzt verreckt?« »Wart’ ab, bis wir den Gotthard unterqueren«, unkt Olli. »Nix, da! Fahren wir nicht.« Autobahn nur, solange sie nichts kostet. »Vignetten und Maut konnte sich doch kein Schwein leisten.« Mit maximal 110 km/h öttelt das Schreckens-Kabinett Richtung Bodensee. Die XL kann nicht schneller, die SR will nicht schneller, die CB würde sich tot saufen, die GS verbiegen. Federn – ja, aber zu dämpfen hat der trendige 80er-Twin vermutlich schon in einem früheren Leben verlernt.Konstanz, Grenze, Magenkribbeln. Ob sie’s merken? Mit ihren roten Kennzeichen sind GS und CB am Rande der Toleranz eidgenössischer Zöllner unterwegs. Aber es guckt eh keiner. Überhaupt guckt eigentlich nie einer. Ganz vielleicht mal ein Kenner auf die 500 Four, zweifellos die Prinzessin des Panoptikums. Auch wenn sie sich immer hemmungsloser voll laufen lässt. Geschönte acht Liter auf 100 Kilometer – Respekt, die Dame. Alle anderen begnügen sich mit vier bis fünf.Strahlende Sonne treibt die Combo dem Alpenhauptkamm entgegen. Chur, Thusis, Via Mala, Splügen. Wow. War der schon immer so hoch? Echte Pioniergefühle jetzt: Was für ein Pass! Auf die Idee muss man erst mal kommen, in so einen Berg eine Straße zu sprengen. »Alarm, Westfalia-Wohnmobil achtern!« Ollis Warnschrei beendet die Andacht: Wer zuerst oben am italienischen Grenzposten ist. 2113 Meter über N.N. gelegen, für die Prinzessin jenseits des guten Geschmacks. Mit jedem Höhenmeter läuft der Vierzylinder mieser, überfettet komplett, muss kurz vor der Passhöhe an die Box. Ende. Schieben. Dahinter werde alles wieder gut, redet Annette ihrer Honda zu. Und dass sie’s früher immer prima gekonnt hätte – mit den Splügens, Bernardinos und den Gotthards und so. Per rechtem Fuß und stinkender XL-Kupplung drückt Karsten die Four die letzten Höhenmeter hinan, vorbei am mitfühlend dreinblickenden Grenzer. Und als sie im Abendlicht nach Montespluga Dorf hinunterrollt, kurz vorm Ortseingang sogar die ersten Töne spuckt, ist sie schon fast wieder die alte Prinzessin.Noch 350 Kilometer bis Savona. Zunächst aber senkrecht die Splügen-Südrampe hinab. Harakiri für Family Vans, hol-ländische Käsetransporter und Harley-Fahrer. Vor allem die dramatische Wendung direkt hinter diesem Sacknacht-Tunnel – aus der Serie »Kehren, die man nie vergisst«. Unendlich langsam schneckt der Gurken-Trupp runter nach Chiavenna. Wohl denen, die jetzt ein bisschen Fahrwerk haben. Die GS 450 hat’s nicht, bremst gegen Ende der Abfahrt so gut wie gar nicht mehr, wackelt dafür gotterbärmlich um die Hüften.Motorrad fahren war anders damals. Allmählich dräut die unverklärte Erinnerung. Es ging weniger ums »Wie« als ums »Überhaupt«. Man passte die Geschwindigkeit den Gegebenheiten an, nicht umgekehrt. Und anstrengender war’s auch. Weil 100 Kilometer vor 20 Jahren noch ziemlich genau 100 Kilo-meter maßen, nicht ein halbes Stündchen auf der Autobahn.Autobahn, Tangenziale Nord, wäre übrigens eine prima Alternative zum Mailänder Berufsverkehr gewesen. Selbst aus Monikas päpstlicher Perspektive, weil’s um die Stadt ja keine Mauthäuschen gibt. Nur passte der anvisierte Anschluss nicht. Jetzt also fröhlicher italienischer Feierabend. Gehupe, Ge-dränge und Geschubse an den Ampeln. Quietschende Reifen, kreischende Motoren, trillerpfeifende Polizisten und mittendrin die Korsika-Revival-Band auf der Suche nach vorgestern. Mit kochenden Kupplungen, klemmenden Getrieben, hakenden Trommelbremsen. »Autostrada Genua?« brüllt Karsten über den barbarischen Lärm einem Zeitungsverkäufer entgegen.»Il Giornale, Corriere della Sera, Gazzetta dello Sport...« Aha.Irgendwie an den Stadtrand gespült, laufen Menschen und Maschinen auf dem Trockenen. Tankstelle. Subito! Öl, Cola, Wasser, Eis, Kaffee, Sprit – in genau der Reihenfolge. Die Luft flirrt vor Hitze, die Motoren glühen, sämtliche Peilstäbe signalisieren schwere Unterversorgung. Das war eindeutig zu viel. Direkt nach Savona Vado jetzt! Per Autobahn. Keine Widerrede.Zweieinhalb Stunden später rollt der kleine Korso an Bord der Sardinia Regina. Abfahrt 23 Uhr. »Die landet aber schon in Bastia, oder?« Olli traut der Sache mit »Sardinia« nicht. »Go happily«, beruhigt ihn der Ticketverkäufer. Erschöpft, aber glücklich stolpert die Reisetruppe an Deck. Eine Runde Zielbier an der sündteuren Bar, Rotwein und Abendessen im Rucksack. Moni peilt nach einem Schlafplatz bei den Rettungsbooten – sie sei doch eine so schlechte Schwimmerin.6.30 Uhr, Ankunft in Bastia. Kurze Lagebesprechung. Ostküste, Ajaccio und Bonifacio braucht kein Mensch. Sonst alles: Calanche, Cap Corse, Castagniccia. Karsten hat den Kickstarter schon unterm Stiefel. »Liebe Renate, sind gerade in Bastia gelandet...« »Ollo, hör auf zu simsen und komm!« Über den Col de Teghime geht’s auf die verwegene D 38, dann, der fadendünnen D 5 folgend, mitten ins Herz der Insel. Von kargen Felslandschaften hinab in dicht bestandene Kastanienwälder. Meterhohe Farne, Olivenhaine, einsame Gehöfte, Hundegebell. Halbwilde Schweine fegen ins Unterholz, alte Autos dämmern einem besseren Leben entgegen, und über allem dieser vollendete Duft nach Maccia.Kurs: Corte. Lebhafte Stadt im hochalpinen Zentrum der Insel. Monte Cinto und Monte Rotondo setzen mit rund 2700 Metern die Messlatte. Kurzer Abstecher ins Restonica-Tal – wie kann ein so kleines Eiland nur so viele spektakuläre Wildwasserflüsse führen? Als wollten auch sie keinen Zentimeter Korsika verpassen, laufen die Maschinen allesamt wie’s Lottchen. Also gut: rüber an die Westküste. Scala di Santa Regina, Col de Vergio, Evisa. In der dramatischen Spelunca-Schlucht, die das Röhren der vier Motoren bis Gibraltar zu übertragen scheint, fällt Annette ohne erkennbaren Grund zurück. Unten in Porto gesteht sie, ihr sei vor lauter Kurven schlecht.»Nur noch g’schwind in der Calanche Sonnenuntergang gucken.« Top-Test-Karsten ist voll auf dem Touren-Trip. »Sind doch keine zehn Kilometer – und wer weiß, was morgen ist.« Recht hat er. Auf gen Piana. Und dann dieses unglaubliche Schauspiel, diese unglaubliche Küste...von der untergehenden Sonne in flammendes Rot getaucht, mit türkisgrünen Buchten und Felsformationen, so schön, als habe Napoleon sie höchst selbst meißeln lassen. Ergriffen sinkt Olli auf das Mäuerchen, das die Straße hoch über dem Meer fixiert. »Wir haben es echt geschafft, Leute. Wir sind angekommen.« Mit den tapferen kleinen Rackern, von denen keiner wusste, ob sie’s überhaupt bis in die Schweiz packen würden. Anderntags ist die Bremse der SR 500 fest. Der Kolben geht keinen Millimeter mehr zurück. Scheint ernst zu werden. Die Jungs packen ihr Werkzeug aus. Ollo ’nen Leatherman, Karsten ein Taschenmesser...aber eins mit 21 Funktionen! Gottlob hat Annette ihre halbe Garage dabei und Ollo noch ’ne Tube »Simone Sonnencreme LF 12«, die Stunden und etliche Versuchsauf-bauten später das nötige Fett liefert, den Kolben wieder flutschen zu lassen. Ansonsten keine weiteren Klagen. Außer, dass sie einen platt machen, die Kleinen. Prinzessin beispielsweise legt mit ihrem coolen M-Lenker und brachialem Kraftaufwand für Gas und Bremse längerfristig die beste Physis lahm. Moni tauscht gerne, erträgt die durchgesessene Sitzbank, den Nähmaschinensound und das Klappradfahrwerk der Suzuki nicht mehr. »Das will ich«, lacht Karsten, bietet hämmernde Single-Power, klemmende Trommelbremsen und ein rastendes XL-Lenkkopflager dagegen. Olli? »Liebe Renate, tut mir echt leid...« »Hey, Ollo, hör mal, wie läuft’n die SR?« »Och, ganz okay so.«Cap Corse fällt am Samstag. Filmreifer Abschluss der Tour. Erbalunga, Luri, Canari, Nonza. Bildschöne Ausblicke auf die Küste, die zweimillionste Kurve kurz vor St. Florent. Kurz danach Zieleinlauf in Calvi. Um 20 Uhr dreht die Fähre in der riesigen Bucht unter der Zitadelle bei.Der folgende Tag ist anders. Die Jungs müssen (pro familia) rackzack heim. Starten im Hafen von Savona voll durch, brettern mit 105 km/h nonstop nach Stuttgart und funken zehn Stunden später »alles im Lack«. »Bravo, Buben!« Da haben die Mädels gerade ihre klingelnden Mühlen über den Splügen geprügelt. Bis dahin lief’s gemütlich, Landstraße, schön am Comer See entlang. Aber dann dieser Pass und dieser 77er-B-Kadett aus Dornbirn. Er wollte es unbedingt wissen. Wie die Löwinnen sind die Damen ran, obwohl die Four ab 4500/min nur noch gekotzt hat. Sogar einen Diesel-Ducato am Berg verblasen, dann ein Wohnmobil, innen! Im Vollgasrausch (Vmax 63 km/h) hat sie’s nach Montespluga hochgerissen vor Kampfgeist.Danach war Schicht. Nicht nur wegen der völlig verkokten Kerzen, auch mental, er hatte sich nicht abschütteln lassen, der Dornbirner. Zudem fing die CB-Elektrik zu spinnen an. Ab Konstanz ging der Motor aus, sobald der Blinker an ging. An Autobahnsteigungen packte die Karre noch 80. Im Vierten! Und tanken – zuletzt alle 85 Kilometer. Zehn Liter! Beim letzten Nothalt in Sindelfingen, gegen 23 Uhr, passierte das Unfassbare: kompletter Stromausfall bei little Suzi. Einfach so aus dem Nichts. Ausgerechnet an der vermutlich härtesten Tankstelle jenseits der Bronx, wo man nicht mal seine Tageszeitung offen liegen lassen würde. Zum Glück sprang sie beim Anschieben an. Mit 70 Sachen im Mondschein nach Hause, ein Scheinwerfer für zwei, Drehzahl nicht unter 3000/min fallen lassen. »Hey Jungs, und ihr ward nicht dabei.« Um 1.15 Uhr waren die Mädels daheim. »17 Grüße. M&A“

Unsere Highlights

Wir können auch billig!

Motorradspaß basic, ohne jeden Schnickschnack, mit den günstigsten Maschinen, die
der Markt hergibt. Geht das? Wir haben’s ausprobiert und das 500-Euro-Bike gesucht.

Fahrbereit und in der Lage, die nächsten 2000 Kilometer ohne Basteleinlagen zu überstehen – die Suchvorgabe war überschaubar. Eine Enduro und ein typischer 80er-Jahre-Twin sollten unbedingt dabei sein. 500 Euro lautete die Ein-satzhöhe. Damit müsste theoretisch gemäß Kleinanzeigen und Internet schon was Fahrtüchtiges zu finden sein. Nach zwei Wochen Praxistest wurde der Einsatz heraufgesetzt: 750 Euro. Drunter gab’s zwar spannende Angebote, die Probleme bei näherem Nachfragen jedoch gleich mit dazu: seit Jahren nicht mehr gelaufen, Brief verloren oder verfallen, Bremsen fest, astronomische Kilometerstände bis hin zu völliger Verwahr-losung. Besonders kompliziert gebärdete sich die Offroad-Fraktion, die für völlig runtergerittene Exemplare oft noch Preise wie auf dem arabischen Basar verlangte. Satte 900 Euro sollte die gut abgehangene, 21 Jahre alte XL 500 R mit Motoranstrich und coolen Tankaufklebern kosten. 36000 Kilometer, kaum Vorbesitzer: Bis Korsika würde sie locker hämmern. Für 720 schlug Karsten schließlich zähneknirschend ein. Die Suzuki GS 450, Baujahr 1980, jedoch jenseits aller Kultverdächtigungen, präsentierte sich für 825 Euro (die Verkäufer wollten anfangs 1000) wie aus dem Ei gepellt und sieht mit ihren 32450 Kilometern einer unbeschwerten Zukunft entgegen. Heimtückischer waren die Scheuenfunde, Honda CB 500 Four und Yamaha SR 500. Jahrzehnte irgendwo rumgemodert und nun für die Tour wieder flottgemacht, brachten sie die typischen verschleppten Standschäden mit. An der Four sorgten falsche Düsen im Tauschvergaser (der originale war aufgrund vergessenen Sprits restlos zugeklebt) sowie verdeckte Korrosionsschäden in der Stromfabrik fast für ein vorzeitiges Ende der Tour, während die Yamaha kurzzeitig auf Korsika mit festgegangenem Bremskolben flach lag. Ergebnis? Ja, es geht auch billig. Aber nicht von heute auf morgen. Glück hat man häufig in der kleinen Hubraumklasse der einstigen 27-PS-Riege, die oft mit TÜV und sofortiger Startbereitschaft zu haben sind. Vorsicht dagegen bei »Scheunenträumen« und »Jahre gestanden«.

Die aktuelle Ausgabe
MOTORRAD 12 / 2023

Erscheinungsdatum 26.05.2023