Sardinien mit dem Motorrad: Empfehlung für die Nachsaison
Unterwegs auf Sardinien: Ein Kurvenrausch im Entspannungsparadies

Zur Handvoll echter Motorradparadiese in halbwegs erreichbarer Nähe zählt Sardinien. Die Mischung aus traumhaften Buchten, wilder Bergwelt, unvergesslichen Kurvenstrecken und kulinarischen Hits sorgt für Adrenalinschübe und Genussgänsehaut.

Unterwegs auf Sardinien: Ein Kurvenrausch im Entspannungsparadies
Foto: Geringer

Da dringt er schon in den Helm, dieser für Mittelmeerinseln typische Duft von Blumen, Blüten, Wärme und Entspannung. Ich stoppe die BMW auf dem Marktplatz von Santa Teresa und lasse die Anspannung der letzten Wochen aus mir herausfließen.Die jahrhundertealten Gassen wirken tiefenentspannend, der karibisch anmutende Strand tut ein Übriges, und ich werfe meine Routenplanung sofort über Bord. Setze mich in den Sand, bleibe einfach nur sitzen, stumm und ergriffen. Nicht immer war es hier so schön, denn besatzungsgeschichtlich hatte Sardinien in der Vergangenheit harte Zeiten durchzumachen. Über die Jahr-hunderte waren alle da, Karthager, Römer, Byzantiner, Phönizier, Genueser, Araber, Pisaner, Spanier, Piemontesen und zuletzt jene, die dann geblieben sind - die Italiener als solche. Natürlich kamen sie alle nicht, um Geschenke zu bringen, sondern um sich welche zu holen. Mit leeren Händen landeten sie an, mit vollen zogen sie ab, und den Sarden blieben nur Hunger und Sklaverei.

Die ersten Kilometer entlang der Nordwestküste sind Genussgleiten pur, sanfte Hügel wellen sich vor der GS. Entlang der Straßen und Wege unzählige kleine Mäuerchen, die das ganze Land feinmaschig durchziehen. Überbleibsel einer Boden-reform aus dem Jahre 1820, die völlig aberwitzig war: Um privaten Grundbesitz einzuführen, erging der Erlass, dass jeder das Land behalten konnte, welches er einfriedete. Das kam den Großgrundbesitzern zugute, die ihre Knechte zum Aufschichten von Mauern scheuchten. Dem kleinen Mann blieb wenig, doch am schlimmsten traf es die Hirten, die nun kein Gemeindeland mehr nutzen durften und für die Beweidung privaten Landes zahlen mussten.

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In der Nebensaison wird deutlich, dass Sardinien wenig von der Hektik besitzt, die man sonst aus Italien kennt. An der ganzen Nordwestküste stören weder Verkehr noch Ortsdurchfahrten den sanften Ritt über eine perfekt asphaltierte Straße. Hoch oben auf einem Hügel erbaut, überwacht Castelsardo das Meer zu seinen Füßen, immer ein Auge auf Korsika gerichtet, das nicht so schrecklich weit weg und im Dunst des Meeres noch zu sehen ist. Nach einem Abstecher zum Capo del Falcone verbringe ich die Nacht in Alghero, das eine unglaubliche Altstadt zu bieten hat. Außerdem eine Promenade hoch oben entlang der Festungsmauer, gespickt mit Restaurants und Bars, von denen der Ausblick auf den Sonnen-untergang garantiert ist. Auch hier war es nicht immer so friedlich, denn 1353 übernahmen nach einer ordentlichen Keilerei in Porto Conte die Katalanen die Herrschaft über Alghero und übten für die nächsten 400 Jahre so viel Einfluss auf die Stadt aus, dass Alghero heute auch die „spanische Stadt“ heißt. Was soll’s, es sieht toll aus!

Geringer
Traumhafte Straßen und Kurven satt.

Das gilt auch für die Küstenstraße, die mich von Alghero entlang der Klippen runter nach Bosa bringt. Ein Traum, ein einziger, in Asphalt gegossener, 47 Kilometer langer Traum. Meine Augen wissen nicht mehr, wohin. Hinaus auf das Meer, die Klippen hinunter, den Berg hinauf oder einfach nur in die nächste Kurve hinein, um die ideale Linie zu treffen? Auch Bosa gehört zu den schönsten Städten Sardiniens. Kleiner als Alghero und doch ebenso bemerkenswert liegt es am Fluss Temo, zurückgezogen vom Meer an eine Hügelkette gelehnt.

Ich bleibe noch bis Santa Margherita an der Küste, genieße karibische Buchten und schlage mich dann in die Bergwelt des Landesinneren, das die Römer Barbagia getauft hatten, das Barbarenland. Eine andere Welt tut sich auf: steile Kalksteinplateaus und Felsentürme, zerklüftete Felsabbrüche und tiefe, dunkle Wälder.

Geringer
Einer der schönsten Campingplätze liegt in Palau. Von dort schweift der Blick auf die Isola Maddalena.

Wie ein Ring umspannt das Land der Barbaren die Berge des Gennargentu, wo auch der Punta La Marmora steht, mit 1834 Metern der höchste Berg Sardiniens. Fünf Millionen Schafe und ungezählte Ziegen tummeln sich in den Bergen und sorgen für den berühmten sardischen Käse. Ich surfe zwei Tage durch diese dramatische Bergwelt, die genialste Straße liegt zwischen Desulo und Fonni. Zahlreiche Schotterwege zweigen ab, von Verbotsschildern keine Spur. Um sie zu erkunden, müsste ein zusätzlicher Urlaub eingereicht und besser auch ein leichteres Motorrad als meine bepackte 1200er GS mitgebracht werden. Müsste, könnte - es gibt immer was zu optimieren, aber nicht jetzt. Jetzt genieße ich den Kurvenrausch in vollen Zügen. Anschließend sardischen Käse und dazu Cannonau di Sardegna, einen unglaublich guten Rotwein, der im Gegensatz zum Käse noch keine so große Berühmtheit erlangt hat. Zu Unrecht, wirklich zu Unrecht!

Geringer
Die Überreste von Gairo Vecchio.

Cala Gonone, ganz in der Nähe von Dorgali direkt an der Küste gelegen, ist nur durch einen Tunnel zu erreichen, der zu einer steilen, serpentinenreichen Bergstraße führt, die zum Wasser hin abstürzt. Ein Wahnsinn, wie man hier fahren kann. Ich schwinge nach Palau, genieße noch einmal die Costa Smeralda samt Hinterland. Außerdem gibt es bei Arzachena noch etwas Geschichte zu sehen. Neben den Nuraghen, den kegelförmigen Steintürmen im Landesinneren, die aus der um 1800 vor Christus entstandenen Kultur der Nuraghier stammen, und den sogenannten Sarazenentürmen an der Küste gibt es noch ein drittes Relikt der Vergangenheit, das auf der ganzen Insel zu finden ist. Die sogenannten Gigantengräber, die Tombi di Gigante, die ebenfalls auf die Nu-raghier zurückgeführt werden, galten den Sarden früher als letzte Ruhestätte übernatürlich starker Riesen. Tatsächlich waren es aber Gräber, die zuweilen mehr als 200 Verstorbenen eine Ruhestätte boten. Es hilft nichts, ich muss hier noch einmal hin, hier gibt es noch so unendlich viel zu erleben, und hier fühle ich mich am Ziel verdammt vieler Träume.

Reiseinfos

Geringer
Sardinien Hauptstadt: Cagliari Fläche: 24 090 km². Gründung: 1946 Autonomie Währung: Euro Einwohnerzahl: 1 675 411.

Sardinien ist mit landschaftlicher Vielfalt, genialen Kurvenstraßen, italienischen Momenten und moderatem Tourismus vor allem in der Nebensaison ein Traumziel für Motorradfahrer.

Allgemeines:
Sardinien ist nach Sizilien die zweitgrößte Insel im Mittelmeer. Die Insel ist eine autonome Region Italiens, verfügt über Gold- und Silbervorkommen und gilt als Naturreservat, in dem Tausende seltener Tiere und Pflanzen unter Schutz gestellt sind. Die sardische Wirtschaft basiert auf Tourismus, Erdölindustrie, Handel, Dienstleistungen und Informationstechnologie. Schaf- und Ziegenkäse, Wein und Kork werden exportiert. Mit Cagliari, Olbia und Alghero besitzt Sardinien drei Verkehrsflughäfen, wichtige Fährhäfen sind Cagliari, Olbia, Arbatax, Palau und Santa Teresa di Gallura.

Anreise:
Die Fähre ist die populärste Verbindung nach Sardinien. Ansonsten geht nur Fliegen und der Transport des eigenen Motorrades auf die Insel, Infos beispielsweise unter www.riders projekt.de. Oder fliegen und auf der Insel mieten. Infos beispielsweise unter motorrad-urlaub-sardinien.com oder www.sardinienpoint.com. Für die Anreise mit der Fähre gibt es mehrere Möglichkeiten. Von Genua oder La Spezia ist es am sinnvollsten, vor allem wenn man die Anreise mit dem Autozug bevorzugt (www.dbautozug.de). Alle Fährverbindungen nach Sardinien findet man unter www.ferrylines.com. Moby Lines zum Beispiel ist in Sachen Schiffsqualität, Service und Preise keine schlechte Wahl.

Klima und Reisezeit:
Am besten reist es sich auf Sardinien mit dem Motorrad auf jeden Fall im Frühjahr oder Herbst. Im Sommer ist es so heiß, dass es wohl nur wenigen Spaß macht, in der Schutzkleidung zu köcheln. Der Winter ist zwar mild, aber auch niederschlagsreich.

Motorradfahren:
Sardinien ist der Kurve gewordene Traum aller Biker. Die Straßen sind bis auf wenige Ausnahmen in einem hervorragenden Zustand, der Verkehr nicht so hektisch wie auf dem italienischen Festland.

Unterkunft:
Wer früh oder spät im Jahr zelten möchte, sollte im Reiseführer nach Campingplätzen schauen. Von April bis Oktober haben genügend Plätze geöffnet, um gut über die Insel zu kommen. Pensionen und Hotels findet man in der Nebensaison immer, in der Hauptsaison kann es voll werden.

Highlights:
Ganz Sardinien ist ein einziges Highlight. Es ist schwer, etwas besonders herauszustellen, wo doch alles sehenswert ist und bei der Größe der Insel auch ohne Probleme innerhalb kurzer Zeit erreicht werden kann. Städtebaulich seien wenigstens San-ta Teresa, Castelsardo, Alghero und Bosa empfohlen. Landschaftlich kommt man auf jeden Fall in der Barbagia, den Monti del Gennargentu, an der Costa Smeralda, Costa Verde und Costa del Sud mehr als nur auf seine Kosten.

Karten/Literatur:
Der Führer „Sardinien“ von Peter Höh und Kristine Jaath aus dem Verlag Reise Know-How (21,50 Euro) und die Sardinien-Karte im Maßstab 1:200 000 von Marco-Polo (8,50 Euro) bieten eine Fülle an Informationen. Zur Einstimmung eignet sich der „DuMont Bildatlas Sardinien“ für 8,50 Euro. Weitere Infos unter: www.ciaosardinia.com
Reisedauer: 8 Tage. Gefahrene Strecke:1200 Kilometer.

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Erscheinungsdatum 15.09.2023