Kurven und Pässe? Nein, dafür ist Ungarn sicher nicht bekannt. Aber Gründe, um dorthin zu fahren, finden sich zwischen Plattensee, der ewig flachen Puszta und der quirligen Metropole Budapest zuhauf.
Kurven und Pässe? Nein, dafür ist Ungarn sicher nicht bekannt. Aber Gründe, um dorthin zu fahren, finden sich zwischen Plattensee, der ewig flachen Puszta und der quirligen Metropole Budapest zuhauf.
Vor mir erstreckt sich im silbrigen Grau der Plattensee. Allerdings ist es von Westen kommend gar nicht so leicht, direkt bis ans Meer der Ungarn, wie Europas größtes Binnengewässer von den Einheimischen stolz genannt wird, zu gelangen. Als würde der See sich vor ungebetenen Gästen schützen wollen, sind viele Uferbereiche mit dichtem Schilf bewachsen. Ein Paradies für allerlei Wasservögel, und tatsächlich sind die Schilfbestände so groß, dass damit auch heutzutage noch Dächer gedeckt werden Badefans kommen erst an den feinsandigen Stränden bei Siófok am Südufer auf ihre Kosten.
Dort angelangt, kehre ich dem See den Rücken zu und schlage Kurs Süd ein, peile den Ort Bedegkér an. Auf einmal werden die Wege kleiner, die Orientierung fällt zunehmend schwerer. Die einspurige Straße schleicht sich etwa zehn Kilometer durch dichte Wälder, und kurz darauf bin ich zwischen abgeernteten Feldern auf einer welligen Trasse unterwegs, passiere einige schmucklose Dörfer. Hinter Bedegkér ist der Teer dann endgültig zu Ende.
Aber irgendwie kann ich den eingeschlagenen Kurs auf den recht sandigen Wegen halten und gelange so nach einiger Zeit in das Mecsek-Gebirge. Na ja, Gebirge ist etwas übertrieben. Auf jeden Fall ist die Ecke bucklig genug, um von einer herrlich kurvigen Straße durchschlängelt zu werden. Die Strecke von Abaliget hinauf nach Pécs ist Labsal für jede Bikerseele. Eine echte Überraschung. Wie die Pracht von Pécs, die ich nach den eher ärmlichen Provinznestern nicht erwartet hätte. Mit einem Schlag fühle ich mich in das alte Ungarn versetzt, staune im Stadtzentrum am Széchenyitér-Platz über tolle historische Gebäude, die von einst glanzvollen Zeiten zeugen und inzwischen teilweise hervorragend restauriert sind. Natürlich werfe ich auch einen Blick in die einstige Moschee des Pascha Kasim Gezi, die während der Herrschaft der Türken im 16. Jahrhundert errichtet wurde. In dem mächtigen Kuppelbau befindet sich heute allerdings die katholische Marienkirche. Wenn das der Pascha wüsste...
Mich zieht es weiter in den Süden Ungarns. In der Nähe von Villány gelange
ich schließlich zu einem stillgelegten Steinbruch, der bereits seit Jahrzehnten Bildhauern als Freiluftatelier dient. Eine merkwürdige Szenerie, die sich da vor mir ausbreitet: Die zu Stein gewordenen Ideen der Künstler wirken wie Gebilde aus einer anderen Welt. Wieder zurück in Villány, gönne ich mir eine kurze Pause in einer urigen Weinstube. Ein älterer Herr spricht mich nach einer Weile an auf deutsch. Ich erfahre, dass seine Urgroßeltern und die der meisten anderen Dorfbewohner aus Schwaben stammten. In ein paar Sätzen erzählt er mir seine Geschichte, berichtet davon, dass viele, nachdem sie Deutschland verlassen hatten, hier anstatt Wohlstand nur Leid und Armut gefunden hätten.
Aber im Laufe der Jahre hätten es die Donauschwaben schließlich durch Fleiß und Arbeit doch zu ein klein wenig Wohlstand gebracht. Und heute seien sie besonders stolz auf ihre guten Weine.
Es heißt, dass der Himmel über Ungarn etwas weiter sei als anderswo auf der Welt. Je weiter ich in die ungarische Tiefebene gelange, desto mehr verstehe ich diesen Satz. In allen Richtungen breitet sich eine Weite aus, wie man sie in Europa nicht erwartet. Bei Baja überquere ich die Donau und fahre ein Stück nach Norden bis Kalocsa. Hier wird Ungarns wohl größter Exportschlager angebaut: Paprika. In unzähligen Reihen wachsen Hunderttausende der kleinen feuerroten Schoten heran oder hängen zum Trocknen in der Sonne. Im nahen Kalocsa, sozusagen der Paprika-Hauptstadt, ist die Luft sogar von einem äußerst würzigen Duft geschwängert dort wird aus den Schoten feines Pulver hergestellt.
Pralles Großstadtleben in Budapest, ein Bad im Plattensee, fantastische Altstädte oder der berühmte Wein aus Tokaj und Eger eine Motorradreise durch Ungarn ist in vielerlei Hinsicht ein Erlebnis.
Anreise
Am schnellsten gelangt man nach Ungarn, wenn man die A 8 nach Salzburg unter die Räder nimmt und von dort weiter über Wien und Eisenstadt zum Grenzübergang Klingenbach fährt. Die Strecke MünchenWienKlingenbach beträgt rund 450 Kilometer. Wer etwas mehr Zeit für die Anreise hat, fährt ab Salzburg lieber über Landstraßen quer durch Österreich. Streckenlänge geringfügig länger, Spaß unbezahlbar.
Reisezeit
Das kontinentale Klima beschert kalte Winter und warme bis heiße Sommer. Die Gegend rund um den Plattensee ist für ihr mildes Klima bekannt und im Ferienmonat August völlig überlaufen. Die beste Reisezeit sind das Frühjahr und besonders der Herbst, wenn der Wein geerntet wird.
Papiere
Für die Einreise nach Ungarn genügt der Personalausweis oder der Reisepass und der Fahrzeugschein. Die normale Fahrzeughaftpflichtversicherung wird anerkannt. Eine grüne Versicherungskarte ist nicht vorgeschrieben, sollte aber mitgeführt werden.
Unterkunft
Einfache Zimmer (Szobe) oder Pensionen (Panzio) finden sich überall in Ungarn. In den stark touristisch orientierten Regionen wie beispielsweise die Orte rund um den Plattensee herrscht längst kein Mangel mehr an Unterkünften. Die Preise für ein Privatzimmer mit Frühstück liegen zwischen 10 und 20 Euro, eine Nacht in einem Hotel kostet ab zirka 30 Euro pro Person. An den Ufern des Plattensees gibt es auch Campingplätze. Im August herrscht hier allerdings reges Treiben. Auskünfte erteilen die ungarischen Tourismusämter in Berlin, Telefon 030/2431460; e-mail: htberlin@hungarytourism.hu sowie in München, Telefon 089/12115230; e-mail: htmunich@hungarytourism.hu. Weitere Infos über Unterkünfte: im Internet unter www.hungarytourism.hu/nemet/index.htm.
Essen und Trinken
Kurz gesagt: gut und billig. Gegessen wird in der Csárda oder im Restaurant. Csárdas einfache traditionelle Gasthäuser besonders für Touristen liegen meist in der Nähe der Hauptattraktionen des Landes sowie an den Hauptstraßen. Die ungarische Küche ist sehr vielfältig. Auf der Karte einer guten Csárda steht alles, was sich aus Schwein, Rind oder Geflügel zubereiten lässt. Und Ungarn offeriert, für ein Binnenland ungewöhnlich, gute und günstige Fischgerichte. Denn neben der Donau sorgt vor allem der fischreiche Plattensee für ein reiches Angebot. Weinfans sollten die Region um Villány und besonders die Städte Tokaj und Eger besuchen. Letztere wird wegen der trockenen und feurigen Rotweine auch als das ungarische Bordeaux bezeichnet, während Tokaj für seinen lieblichen Weißwein berühmt ist.
Die Strecke
Ungarn verfügt über ein gut ausgebautes Straßennetz. Der Zustand ist allerdings recht unterschiedlich Endurofahrer reisen auf dem oftmals welligen und teilweise von vielen tiefen Spurrillen verunstalteten Asphalt deutlich komfortabler. Kreuzungen und Abzweige sind häufig schlecht oder gar nicht ausgeschildert. Ohne gute Karte geht nichts. In Ungarn gilt die Null-Promille-Grenze.
Literatur
Gut gemacht, informativ und aktuell ist der Ungarn-Reiseführer von DuMont für 22,50 Euro. Kurz und bündig informiert der handliche Polyglott Ungarn für 7,95 Euro. Gewohnt umfangreich und ausführlich präsentiert sich der Baedecker Ungarn, 19,95 Euro. Sieben ausführliche und reichhaltig bebilderte MOTORRAD-Reisegeschichten aus Osteuropa finden sich im gleichnamigen Band aus der Edition Unterwegs, darunter auch eine Reportage über den Osten Ungarns. Für 16 Euro zu bestellen im MOTORRAD-Shop unter www.motorradonline.de sowie unter Telefon 0711/1822424. Gutes Kartenmaterial bietet der RV-Verlag: die »Ungarn Länderkarte« im Maßstab von 1:300000.