Bulgarien bedeutet nicht nur Transitland oder Billigbadeurlaub am Schwarzen Meer. Das junge EU-Mitglied hat viel mehr zu bieten, etwa die höchsten Berge des Balkans mit spannenden Wegen und dem märchenhaften Rila-Kloster.
Bulgarien bedeutet nicht nur Transitland oder Billigbadeurlaub am Schwarzen Meer. Das junge EU-Mitglied hat viel mehr zu bieten, etwa die höchsten Berge des Balkans mit spannenden Wegen und dem märchenhaften Rila-Kloster.
Fotos können mächtig sein, gefährlich und doch verlockend. Fernwehinfizierte kennen das: Beim Blättern in einem Magazin stößt man völlig unvorbereitet auf ein fesselndes Bild und weiß sofort - egal, wo das ist, da will ich hin. Genauso erging es mir mit Bulgarien als Reiseziel, verspürte ich doch noch nie den Drang, dorthin zu fahren. Dann aber überraschte mich beim Schmökern in einer MOTORRAD von 1997 ein Josef-Seitz-Bild des Rila-Klosters: geheimnisvoll, märchenhaft, verlockend. Augenblicklich setzte ich dieses Kloster auf meine „Muss-ich-unbedingt-hin-Liste“. 13 Jahre später bin ich endlich da.
Aber der Reihe nach. Robert und ich kommen von Süden, tauschen unser griechisches Analphabetentum gegen das bulgarische. In Griechenland fanden wir zumeist zweisprachige Schilder, und gelegentlich konnten wir uns sogar mit Englisch oder Deutsch verständigen. Das ist nun diesseits der Grenze vorbei. Wir verstehen nur noch Bahnhof und können nichts mehr lesen. Kyrillisch. Immerhin gelingt uns in einem Café die Bestellung, Kaffee und
Cola sind international verständlich. Überraschenderweise bringt uns die hübsche Kellnerin - das Gegenteil der maskulinen, bis in die Barthaare gedopten bulgarischen Gewichtheberinnen der 80er-Jahre - jedem ein Glas, gefüllt mit einem lauwarmen Mix aus Kaffee und Cola. Igittigitt!
Derartig gedopt suchen wir das Weite und finden es schon am Ortsausgang von Simitli. Wir verlassen die Lkw-verseuchte E 79, und sofort kehrt Ruhe ein. In weiten Radien klettert die 19 hinauf zum 1140 Meter hohen Predenpass und gleich wieder runter ins Mestatal. Es gibt kaum Verkehr, ab und an zischt ein alter Lada vorbei, Wartburgs und Trabbis erinnern an die sozialistischen Zeiten. Viel öfter begegnen uns Pferde- und Eselskarren. Menschen arbeiten gebückt auf Feldern, andere hämmern auf flache weiße Steine ein und stapeln sie am Straßenrand, freundliche alte Frauen verkaufen selbst gemachte Marmelade und Honig. Der Geldsegen der EU ist hier noch nicht angekommen. Trotzdem wirkt das alles nicht arm, eher ursprünglich und echt.
Die Orte wie Razlog, Dobrinište oder Goce Dolčev haben kaum Sehenswertes zu bieten, bestehen meist aus nüchternen Zweckbauten nebst Moschee, sind aber sauber und aufgeräumt. Dafür trumpft die Landschaft groß auf. Die verschneiten Berge des Pirin-Gebirges ragen bis zu 2915 Meter auf.
Wir lassen uns treiben an diesem wunderschönen Frühlings- und Fern-Seh-Tag. Die Einzylinder tuckern mit Wohlfühldrehzahl über die noch einwandfreie Straße. Aber das ändert sich hinter Dospat, wo wir auf die 37 nordwärts abbiegen. Ein 1000-mal geflicktes Teerband, Löcher in Kühlschrankformat, Sand, Steine, ein einziger Slalomparcours. Anfangs spaßig, mit der Zeit aber nervig. Es geht immer höher durch dichte Fichten- und Kiefernwälder, vorbei an unzähligen Seen und Tümpeln. Sieht aus wie in Mittelschweden. Und es ist genauso kalt wie dort, bewegen wir uns doch jenseits der 1200-Meter-Marke.
Doch es geht noch höher. Hinter Jundola nehmen wir die einspurige Straße hinauf zum Belmeken-Stausee ins Visier. Der dichte Nadelwald verhindert jede Aussicht, bis er uns plötzlich auf eine subarktisch anmutende karge Hochfläche entlässt. Eine andere Welt. Auf den graubraunen Wiesen sprießen die ersten Krokusse, meterhohe Schneewände engen die Straße ein. Es ist Mitte Mai, aber die Winter in Bulgariens Bergen sind lang und hart. Weit im Süden ragen die weißen Pirin-Berge auf, eine erhabene, menschenleere und wilde Landschaft. Wenn es bloß nicht so kalt wäre, hier auf 2000 Meter Höhe.
Zum Glück sind es nur 20 Kilometer bis in den warmen Frühling des Maricatals. Der junge, hier noch höchst lebendige Fluss hat eine weite Reise bis in die Türkei vor sich, mündet dort in die Ägäis. Die Marica entspringt am höchsten Berg Bulgariens, dem 2925 Meter hohen Musala im Rila-Gebirge.
Aussichtsreiche Begegnungen mit diesen schroffen Fast-Dreitausendern verspricht die Straße von Sapareva Banja nach Govedarci. Was in der Karte einfach aussieht, entwickelt sich zum grenzwertigen Enduro-abenteuer. Zunächst klettert die harmlose Teerstraße in unendlichen Kurven im Buchenwald bergan, endet dann an einer Skistation. Auf unsere Frage „Govedarci?“ zeigt ein freundlicher Mann eindeutig auf eine gute Piste. Alles klar, die Richtung passt. Es geht weiter hinauf. Die Pfützen, anfangs noch lustig, wachsen allmählich zu einer Seenplatte, gefüttert von schmelzenden Schneeresten.
Eine weitere Skistation. „Govedarci?“ Da entlang. Erste Schneefelder wollen durchquert werden. Die Piste gabelt sich, es gibt keine Schilder. Ein Lada Niva mit zwei Rangern des Nationalparks kommt uns entgegen. „Govedarci?“ „Kein Problem, rechts und dann immer geradeaus.“
Die Spur wird schwieriger, Matsch, Äste, Steine, Rinnen, Absätze, nicht gerade das Traumterrain für eine voll beladene Tourance-bereifte Ténéré. Nicht mehr lustig.
Wir rutschen und baggern weiter und werden belohnt, erreichen ein Hochplateau, ausgelegt mit gel-bem Gras und gesegnet mit einer tollen Sicht zu den mächtigen, weißen Rila-Bergen, dem höchsten Gebirge des Balkans. Einfach grandios.
Unsere Piste vervierfacht sich, endet dreimal als Sackgasse. Plötzlich hören wir Einzylinder-Wummern. Eine Fata Morgana? Mitnichten, zwei einheimische Enduristen stürmen mit WR 450 und EXC 525 die Hochfläche, halten erstaunt an. Gegen ihre potenten Geländeflitzer sehen unsere sogenannten Enduros aus wie ein Umzugsunternehmen. „Govedarci?“ „Kein Problem, folgt uns einfach.“ Womit die Probleme erst anfangen. Spuren im Gras, ein Stück Piste durch einen verschlammten Hohlweg, dann eine schmierige steile Abfahrt, für uns der Point of no Return. Also weiter, was sonst? Es wird immer heftiger, steil, verspurt, tiefste Rillen, wo beide Alu-Kisten Furchen in die Seitenwände schraddeln, die Reifen ringen meist vergeblich um Haftung. Wir schwitzen, fluchen, zweifeln und hoffen auf einen vernünftigen Waldweg. Endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, plumpsen wir über eine letzte Steilabfahrt direkt auf eine real existierende Piste. Geschafft! Tief durchatmen und den beiden Kollegen ehrlich danken, die vielsagend grinsen, umdrehen und leichtfüßig den Steilhang wieder hochbollern.
Govedarci? Ach ja, es sind nur noch ein paar entspannte Kilometer zum Luxus eines 25-Euro-Hotels, wo wir trotz unseres zweifelhaften Erdferkel-Aussehens freundlich empfangen werden.
Die Sonne wirft uns zeitig aus den Betten. Wir umrunden das Rila-Gebirge, schnuppern im Tal der Struma sommerliche 26 Grad und klettern dann wieder in die Berge zum Rila-Kloster. Von außen unscheinbar, abweisend und trutzig, öffnet sich nach dem bunt bemalten Eingangstor eine andere Welt, ein anderes Zeitalter. Die Kinn-lade klappt vor Staunen runter. Was für eine mystische und stille Atmosphäre, vor allem, als später die Touristen weg sind.
Im Zentrum des mit dreistöckigen Arkaden umstandenen großen Innenhofs steht die schwarz-weiß-rot quer gestreifte Klos-terkirche mit fünf bunten Türmen, verziert mit meisterhaften Schnitzereien, Fresken und Malereien. Ein schwarz gekleideter, vollbärtiger Mönch verlässt die Kirche, scheint über das Pflaster zu schweben. Hätte er nicht sein Handy am Ohr, das Bild könnte jahrhundertealt sein. Das RilaKloster sieht noch immer so aus, wie auf dem Foto in der alten MOTORRAD: verlockend, märchenhaft, geheimnisvoll. Gut, dass wir endlich hier sind.
Bulgarien zählt nicht gerade zu den Topzielen für Motorradfahrer. Warum eigentlich? Wer Berge, Einsamkeit und ursprüng- liches Leben mag und Neugier auf neue Horizonte hat, der findet alles im Südwesten des kleinen Landes.
Anreise:
Von Köln bis zum Rila-Kloster kommen 2000 Kilometer zusammen. Der direkte Südostkurs geht über Frankfurt, Nürnberg, Graz, Zagreb, Belgrad und Sofia. Stressfreier und bequemer ist es, einen Teil der Strecke mit dem Autozug zurückzulegen, der wöchentlich von verschiedenen deutschen Bahnhöfen bis Villach oder Triest fährt. Das spart etwa 1000 Kilometer der Anreise auf den eigenen zwei Rädern. Pro Person und Motorrad kostet die einfache Fahrt beispielsweise von Düsseldorf je nach Saison 186, 266 oder 306 Euro. Infos unter Telefon 0 18 05/99 66 33 oder unter www.dbautozug.de.
Reisezeit:
In den Bergen des Balkans sind die Winter lang und hart. Erst im Mai kommt der Frühling, und die Bergstraßen werden geräumt. Im Hochsommer kann es im Landesinneren 35 bis 40 Grad heiß werden. Die besten Reisemonate sind daher Mai, Juni sowie September und Oktober.
Unterkunft:
Die Situation hat sich seit dem EU-Beitritt am 1. 1. 2007 spürbar verbessert. Nahezu in jedem Ort gibt es Pensionen und Hotels, gute Doppelzimmer werden schon ab 20 Euro angeboten. Spontane Zimmersuche ist meistens unproblematisch, außer in der Hochsaison. Campingplätze sind sehr selten. Wer zelten möchte, sucht sich einfach draußen einen Platz.
Preise:
Die Währung Bulgariens ist der Lev, Plural Leva (1 Lev = 0,51 Euro). Geldumtausch geht am einfachsten mit EC- oder Kreditkarte an Automaten, die es in allen größeren Orten gibt. Bleibt noch Geld übrig, am besten vor Ort zurücktauschen. Hierzulande tauscht kaum eine Bank Leva zurück in Euro. Das Preisniveau im Land liegt deutlich unter dem West-europas. Für die Einreise reichen der Personalausweis und die deutschen Fahrzeugpapiere.
Literatur:
Der beste Reise-führer für Individualisten ist das „Bulgarien Handbuch“ vom Verlag Reise-Know-how für 19,90 Euro. Ebenfalls gut ist der Reiseführer vom Verlag Dorling Kindersley für 20,90 Euro. Deutlich weniger informativ sind die kleinen Reiseführer von Marco Polo (9,95 Euro) sowie DuMont (12 Euro). Ebenfalls vom Verlag Reise-Know-how kommt die Karte Bulgarien (8,90 Euro) im Maßstab 1:400 000.Im gleichen Maßstab, aber mit einem anderen Kartenbild, gibt es die nicht fehlerfreie Landkarte von Freytag & Berndt für 9,95 Euro. Fürs Einstimmen zu Hause eignet sich der DuMont-Reiseführer Bulgarien für 8,50 Euro.
Infos:
Am einfachsten funktioniert die Suche im Internet, beispielsweise auf diesen Seiten:
www.bulgariatravel.org
www.visitBG.de
www.bulgarien.info
www.bulgarien-web.de
www.rastlos.com/bulgarien
www.reiselandbulgarien.de