Diese Reisegeschichte handelt von zwei Helden: dem Ahrtal in der Eifel und einer Royal Enfield Classic aus dem indischen Madras.
Diese Reisegeschichte handelt von zwei Helden: dem Ahrtal in der Eifel und einer Royal Enfield Classic aus dem indischen Madras.
Der Amazonas entspringt einem Gletscher in den Anden Perus, der Nil in den Bergen Burundis und der Jangtsekiang im tibetischen Himalaya. Die Ahr entspringt in einem Haus. Das hat gleich mehrere Vorteile: Die Quelle wird bei Regen nicht nass, und sie lässt sich einfach mit dem Motorrad erreichen. Zum Beispiel mit einer Royal Enfield Classic, die durchaus etwas mit der Ahr gemein hat. Das Enfield-Werk liegt zwar in Indien, aber der deutsche Importeur residiert nur ein paar Kilometer von der Ahrquelle entfernt in Blankenheim. Vielleicht wäre es sogar möglich, den größten Flüssen der Erde mit einer Enfield zu folgen, doch das gleiche Ansinnen entlang der Ahr ist viel einfacher umzusetzen.
Bleiben wir bei der Quelle, die sich im Erdgeschoss eines Fachwerkhauses von 1726 versteckt und sich durch eiserne Gitterstäbe einem Studium unterziehen lässt. Bedächtig nimmt das Rinnsal Fahrt auf. Selbiges gelingt mit der Enfield modern per E-Starter. So leise wie die junge Ahr flüstert der Einzylinder nicht. Er bollert dumpf, laut und weich aus seinem verchromten Auspuff. Alles klar im Maschinenraum.
Im weiten Tal der Bundesstraße ist von der Ahr zunächst nichts zu sehen, sie versteckt sich zwischen Wiesen und Fichtenwald. Zeit für die Enfield. Bei Tempo 80 schnurrt sie erstaunlich kultiviert. Ihr Motorenbau alter Schule mit viel Schwungmasse, langem Hub und niedriger Verdichtung erübrigt eine Ausgleichswelle. Bei 3000 Umdrehungen, wo moderne Einzylinder noch auf die Kette einhacken, flutscht bei der Enfield längst der nächste Gang rein. Ortsausgang, fünfter Gang, Gas auf - für moderne Singles unmöglich, mit der Enfield leichte Übung. Der „moderne“ Eintopf, seit 2009 renoviert und mit Einspritzung sowie Katalysator in die Euro-3-Neuzeit gehievt, hat noch immer den Charakter eines -kleinen Lanz Bulldog. Für Drehzahl- und Schräglagenjunkies ein Albtraum, für Fans nostalgischer Motoren eine Offenbarung.
Das Ahrtal knausert noch immer mit Sehenswertem, obwohl sich der Bach inzwischen zum Fluss gemausert hat. Kein Problem, schließlich gibt es immer wieder kleine Straßen, die das Tal verlassen und hinauf in die Berge der Eifel kurven. In Antweiler biegt eines dieser Exemplare ab, sauber geteert, gleichmäßige Kehren, stetig berghoch. Perfekt für die Enfield, die dank schmaler Reifen enorm handlich ist und kräftig aus dem Drehzahlkeller zieht. Ihr Sound macht süchtig. Passanten, die akus-tisch prägnanten Motorrädern selten wohlwollend begegnen, reagieren beim Anblick der Enfield völlig anders, oft mit hochgerecktem Daumen. Der vermeintliche Oldtimer hat einen mächtigen Bonus.
Im kleinen Ort Rodder erreichen wir die Hochfläche der Eifel mit einer grenzenlosen Aussicht. Deutlich sind die vielen Vulkane zu erkennen, die maßgeblich an der Gestaltung der Eifel beteiligt waren. Kaum zehn Kilometer entfernt ragen die Hohe Acht, mit 747 Metern der höchste aller Eifelberge, und die Nürburg, um die sich die berühmteste aller Rennstrecken windet, in den Sommerhimmel. Im Gegensatz zu den übrigen Bergen, deren Vulkanformen weg-erodiert sind, sieht der Aremberg im Nordwesten immer noch aus wie ein Vulkan.
Genau dorthin zielt eine der schönsten Eifelstraßen - von Rodder bis Reifferscheid und dann als kaum handtuchbreiter rumpeliger Weg hinunter zur Ahr und wieder hoch zum Aremberg. Solche Wege, in der Eifel nicht selten, machen den Reiz dieser Gegend aus, weit entfernt von den besonders an Wochenenden nervigen Nürburgring-Einflugschneisen. Für die Enfield ist das Terrain wie geschaffen: gemütliches Kurvenschwingen, stetiges Auf und Ab, den Motor fühlen. Eine Art des Fahrens, die entschleunigend auf das eigene Gemüt wirkt.
Pause im Café Ahrwind, einem der vielen Motorradtreffpunkte der Eifel. Wer Enfield fährt, braucht länger. Nicht nur für die Fahrt, erst recht für die Pausen. Der indische Anachronismus wird sofort umlagert, die Statements der Neugierigen reichen von „Toll restauriert“ und „Wie prähistorisch ist die denn?“ bis „Ah, der neue EFI-Motor“ und „Wo gibt’s denn so was?“
Pause vorbei, nun ist es an der Ahr, aufzutrumpfen. Vorbei an der kleinen Burg Kreuzberg und dem Fachwerkort Altenahr geht es hinein ins Tal, dem Durchbruch durch das Rheinische Schiefergebirge. Hoch über Altenahr thront Burg Are, oder vielmehr der Rest von dem, was Truppen des Kölner Erzbischofs vor 300 Jahren in die Luft gejagt haben. Burg Are, damals ein gefürchtetes Verlies für aufsässige Kölner Patrizier, ist nur eines von zahlreichen mittelalterlichen Gemäuern entlang des Ahrtals. Kaum eines überstand die kriegerischen Jahrhunderte, ohne wenigstens einmal gesprengt zu werden. Burgenschicksal.
Das Ahrtal lebt vom Wein, die steilen Südhänge sind übersät mit Weinbergen. Heute gedeihen hier zumeist teure Rotweine. Das war nicht immer so. In den 60er- und 70er-Jahren verkam das Ahrtal zum -Kegelklub-Mekka. Nach dem Motto „Wer an der Ahr war und weiß, dass er da war, war nicht an der Ahr“ suchte so mancher Zecher sein Rendezvous mit Bacchus, dem griechischen Gott für Wein und Rausch.
Mir reicht das Rendezvous mit der Enfield. Wir rauschen vorbei an der alten Brücke in Rech, der einzigen, die vom großen Hochwasser 1910 nicht beschädigt wurde, und dann hinauf in die Weinberge. Über ein Gewirr kleiner Wirtschaftswege navigiere ich zwischen den Reben hindurch, staune über die Blicke ins Tal und das Wohlwollen der Spaziergänger. Kein Mensch regt sich auf, die Enfield verbreitet gutes Karma.
Fast hat es die Ahr geschafft, dümpelt vorbei an der prächtigen Altstadt von Ahrweiler und dem Kurort Neuenahr hinaus in das seichte untere Ahrtal, bevor sie klammheimlich bei Sinzig im Rhein verschwindet. Die Mündung versteckt sich im Schilfdickicht des Naturschutzgebietes, unerreichbar für die Enfield. Am Rheinufer drehe ich den Zündschlüssel um, leise knisternd beruhigt sich der rustikale Motor. Täusche ich mich, oder schielt die Enfield über den großen Fluss, träumt von einer Fahrt bis zur Quelle in den Schweizer Alpen? Gerne, und wenn das klappt, ruft sicher der Amazonas.
Die Ahr ist zwar nur 90 Kilometer lang, doch entlang des Tals gibt es eine Menge zu entdecken: alte Orte und Burgen, kaum befahrene Nebenstraßen, den Nürburgring - oder einfach nur die Vulkanlandschaft der Eifel.
Anreise:
Von Norden und Westen führen fast alle Wege über Köln und dann entlang des Rheins bis zur Ahrmündung bei Remagen. Wer der Ahr bereits von der Quelle folgen möchte, fährt ab Köln über die A1 bis Blankenheim. Von Süden kommend führt die A61 bis zum Ahrtal nach Bad Neuenahr.
Sehenswert:
Viele Orte in der Eifel lassen zwar jede Sehenswürdigkeit weitestgehend vermissen, doch gibt es durchaus schöne Dörfer und Städtchen mit historischen Fachwerkhäusern. Als Beispiele seien Blankenheim, Adenau, Altenahr, Ahrweiler und Bad Bodendorf genannt. Ebenfalls sehenswert sind die Weinorte entlang des Ahrtals, wo im September und Oktober diverse Weinfeste gefeiert werden (www.ahrwein.de). Interessante Einblicke ermöglicht der Besuch des ehemaligen, angeblich Atombomben-resistenten Regierungsbunkers Marienthal tief in den Bergen bei Ahrweiler. Von den insgesamt 17 Kilometer langen Stollen kann ein kleiner Teil besichtigt werden (www.regbu.de). Die Hauptattraktion der Region sind natürlich die Nürburgring-Nordschleife und die Ausstellungen und Museen zur Renngeschichte des Rings (www.nuerburgring.de).
Motorradtreffpunkte:
Die beliebtesten sind Café Fahrtwind in Hönningen, Café Ahrwind in Ahrbrück, Café Waldfrieden bei Schuld, der Treffpunkt Breid-scheid am Nürburgring und das Café Steinerberghaus bei Kesseling.
Streckentipps:
Im Umfeld des Ahrtals gibt es überraschend viele kleinste Straßen, selten mit erstklassigem Asphalt, dafür oft mit tollen Aussichten. Wenig spaßig für hart gefederte Supersportler, doch bestens geeignet für komfortable und handliche Motorräder. Besonders schön sind die drei folgenden Strecken: 1. Fuchshofen - Reifferscheid - Honerath - Rodder - Antweiler - Aremberg - Eicherscheid; 2. Insul - Harscheid - Schuld - Liersbachtal - Ahrbrück - Kesseling - Ramersbach - Ahrweiler - Kesseling - Jammelshofen; 3. Kesseling - Stei-nerberghaus - Kreuzberg -Krälingen - Heckenbach - Cassel - -Plittersdorf- Ahrbrück und Dernau - Esch.
Literatur:
Sehr empfehlenswert ist der „Motorradführer Eifel“ aus dem Highlights-Verlag für 11,90 Euro. Detaillierte Infos zur Ahr liefert der Reiseführer „Die Ahr“ für 19,90 Euro aus dem Bouvier Verlag. Eine gute Landkarte für die Reise entlang der Ahr ist das Großblatt 4 der „Deutschen Generalkarte“ im Maßstab 1:200000. Noch genauer ist die „Geotouristische Karte Vul-kan-land Eifel“ vom Landesamt für Vermessung im Maßstab 1:100000.
Internet:
Empfehlenswerte Seiten finden sich unter
www.eifel.de
www.eifel.info.de
www.ahrtal.de
www.ahr-rhein-eifel.de
Neue Erfahrungen: Royal Enfield Classic 500 EFI
Royal Enfield ist die älteste noch produzierende Motorradmarke der Welt. Bereits 1901 wurde im englischen Redditch die erste Enfield gebaut. Ab 1949 wurde die Royal Enfield Bullet nach Indien exportiert und seit 1955 in Madras produziert. Die Royal Enfield Classic interpretiert das Design der Enfield J2 aus den 50er-Jahren neu. Plastik ist out, alle Teile sind aus Metall gefertigt. Optisches Prunkstück ist der neue, luftgekühlte 500er-EFI-Einzylinder, der Keihin-Einspritzung und geregelten Kat besitzt. Erstmals werkeln Getriebe und Motor in einem gemeinsamen Gehäuse. Modern ist der Single deshalb nicht: 27 PS, 41 Nm, Verdichtung 8,5:1, untenliegende Nockenwelle und zwei Ventile. Ein fabrikneuer Oldtimer, der im Drehzahlkeller ordentlich Kraft hat, hohe Drehzahlen aber scheut.
Dank fetter Schwungmasse und niedriger Verdichtung läuft der Motor auch ohne Ausgleichswelle weich und kultiviert, Vibrationen schleichen sich erst bei höheren Drehzahlen ein. Adäquat bewegt, begnügt sich der Langhuber mit 3,5 Litern Benzin. Die weiche Fahrwerksabstimmung dämpft erstaunlich gut, der gefederte Einzelsitz erhöht das komfortable Fahrerlebnis. Dank schmaler Avon-Reifen ist die Inderin enorm handlich, doch lassen die fest montierten Fußrasten nur gemäßigte Schräglagen zu. Das Fünfgang-Getriebe gibt sich störrisch, die Doppelkolben-Scheibenbremse im Vorderrad macht hingegen einen passablen Job. Und die Verarbeitungsqualität? Rustikal. 5950 Euro Kaufpreis verlangen ein großes Herz für Inder.
Infos: www.eifeltec.de, www.royalenfield.com