Der stets vor Ideen sprühende Leopoldo Tartarini (1932–2015) war in den 1950ern Ducati-Werksfahrer und umrundete 1957/58 mit Giorgio Monetti in 13 Monaten auf einer Ducati 175 die Welt, bereiste dabei drei Kontinente und 42 Länder. 1959 gründete er die Firma Italjet und leitete sie bis zu ihrem Konkurs 2003. Im Laufe ihres Bestehens brachte Italjet über 150 verschiedene Roller- und Motorradmodelle auf den Markt, die meist vom Meister selbst entworfen worden waren und oft mit innovativen Ideen und fantasievollem Design aufwarteten. Sogar bis ins Museum of Modern Art (MoMA) und ins Guggenheim- Museum in New York schafften es die Fahrzeuge aus der Emilia-Romagna.
Achsschenkellenkung und Gitterrohrrahmen
Während des Rollerbooms in den 1990ern war Italjet unter anderem mit den Modellen Velocifero, Formula und eben besagtem Dragster gut im Geschäft. Von 1995 bis 2003 konnten immerhin 70.000 Exemplare des exaltierten und unpraktischen, dafür aber recht teuren Dragsters unters Volk gebracht werden. Achsschenkellenkung und offen zur Schau gestellter Gitterrohrrahmen zeichneten schon damals den Dragster aus. Bereits 2005 kaufte Tartarinis ältester Sohn Massimo (57) die Marke Italjet zurück und produzierte unter diesem Namen exklusive High-End-Elektrofahrräder mit eigenem Design. Doch das eigentliche Ziel war es, die Ikone Italjets, den Dragster, wiederauferstehen zu lassen. Das Ziel schien erreicht, als der neue Dragster 2018 auf der EICMA präsentiert wurde und großen Anklang fand. Der für 2020 vorgesehene Produktionsstart wurde jedoch durch Corona vereitelt. Er soll nun im März 2021 beginnen. Gefertigt wird der Dragster in der alten Italjet-Fabrik südlich von Bologna, die dohc-Motoren sind Konstruktionen von Piaggio und werden in China gefertigt. Die Auslieferung soll direkt nach Ostern beginnen, und von den 5.000 Einheiten, die für 2021 geplant sind, sei ein großer Teil schon verkauft bzw. vorbestellt, so Tartarini. Doch wie fährt sich der exzessiv gestaltete Flitzer nun?

Der Autor dieser Zeilen, der privat drei Jahre lang einen zweitaktenden 180er-Dragster besaß, bis dieser ihm gestohlen wurde, konnte bereits mit einem Vorserien-125er eine Runde drehen. Und auch wenn man als Tester immer wieder auf exklusiven Rennmotorrädern, exquisiten Oldtimern oder höchst elitären Einzelstücken und Kleinstserienbikes unterwegs ist: der Dragster ist, obwohl bar jeglicher Ablagen und mit rudimentärem Wetterschutz, winzigem Helmfach und eher übersichtlicher Ausstattung, ein praktisches Transportmittel, das nicht nur für die Passanten eine Augenweide ist, sondern auch Spaß macht. Der drehfreudige, kaum vibrierende dohc-Vierventiler geht kräftig zur Sache, gute 110 km/h sind nach kurzem Anlauf erreicht.

Im kurvigen Hinterland kann das aufwendige Fahrwerk mit dem im Sichtbereich des Fahrers liegenden vorderen Federbein zeigen, was es kann. Stoisch zieht der Dragster seine Bahn. Ungewohnt ist das durch die entsprechende Geometrie der geschobenen Einarmschwinge fehlende Abtauchen der Vorderhand beim Bremsen. Durch die fehlende Rückmeldung ankert man aber oft stärker als geplant. Das gefahrene Vorserienmodell hatte noch die Kombibremse CBS, weswegen das Vorderrad gelegentlich kurz blockierte. In der Serie wird auch der 125er mit ABS ausgestattet. Eine gute Entscheidung.
Italjet Dragster 300 in Planung
Die dragstertypische, stilbildende und raumgreifende Vorderradführung ist es auch, die es für Piloten ab Schuhgröße 44 zu einer Herausforderung macht, die Füße auf den schmalen Trittbrettern unterzubringen, zumal sich dort auch der mit elf Litern recht große Tank breitmacht. Dafür gibt es, sofern man die 1,80 m nicht wesentlich überschreitet, genügend Platz fürs Gebein. Das überraschend plüschige Sitzpolster liegt mit 770 Millimetern in für Große wie Kleine passender Höhe. Und im Gegensatz zum sonstigen Habitus des Italjet ist die Ergonomie keineswegs extrem, sondern sogar recht leger und bequem. Die beim gefahrenen Vorserienmodell von Bitubo stammenden Federbeine werden in der Serie durch Paiolis mit einstellbarer Federvorspannung ersetzt. Grundsätzlich sind 125er und 200er bis auf den Antrieb identisch, wobei der Große hinten einen mächtigen 150/70-13er-Pirelli anstelle des vergleichsweise schmächtigen 140/60-13ers hat.

Und am Ende des Tages verrät Massimo Tartarini noch ein kleines Geheimnis: Mit dem 200er sei keineswegs das Ende der Fahnenstange erreicht. Man habe schon einen 300er in der Mache, auch noch mehr Hubraum sei möglich. Hoffentlich lassen sich diese Träume verwirklichen.
Italjet Dragster 125 [Dragster 200]
Wassergekühlter Einzylinder-Viertaktmotor, zwei obenliegende, kettengetriebene Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, Tassenstößel, Nasssumpfschmierung, Fliehkraftkupplung, Variomatik.
- Bohrung x Hub: 58,0 x 47,0 [63,0 x 58,0] mm
- Hubraum: 125 [200] cm³
- Nennleistung: 11 kW (15 PS) bei 10.000/min [15 kW (20 PS) bei 8.250/min]
- Max. Drehmoment: 12,5 Nm bei 7.750/min [17 Nm bei 6.250/min]
- Fahrwerk: Stahlgitterrohrrahmen mit Aluminiumgussteilen, geschobene Aluminiumschwinge mit Achsschenkellenkung vorn, Zentralfederbein, verstellbare Federbasis, Triebsatzschwinge mit einem Federbein, direkt angelenkt, verstellbare Federbasis, Scheibenbremse vorn, Ø 200 mm, Doppelkolben-Schwimmsattel, Scheibenbremse hinten, Ø 240 mm, Doppelkolben-Schwimmsattel, ABS.
- Aluminiumgussfelgen: Größe k. A.
- Reifen: 120/70-12; 140/60-13 [150/70-13]
- Bereifung: Pirelli Diablo Rosso Scooter
- Maße + Gewichte: Radstand 1.335 mm, Lenkkopfwinkel k. A., Nachlauf k. A., Federweg k. A., Sitzhöhe 770 mm, Leergewicht 108 [112] kg, Tankinhalt 11 Liter.
- Garantie: zwei Jahre
- Farben: Anthrazit/Gelb, Anthrazit/Weiß/Rot Grau/Orange
- Preis ohne Nebenkosten: ca. 4.900 [5.400] Euro