Keine leichte Aufgabe, den ersten Supersportler der Firmengeschichte zu bauen, der dann auch noch funktioniert und hält. Ob und wie er das tut, zeigt die Halbzeitbilanz des Dauertests der KTM RC8.
Keine leichte Aufgabe, den ersten Supersportler der Firmengeschichte zu bauen, der dann auch noch funktioniert und hält. Ob und wie er das tut, zeigt die Halbzeitbilanz des Dauertests der KTM RC8.
Eine runde Sache, ganz ohne Ecken und Kanten? Ganz ehrlich, das durfte bei KTMs erstem Superbike-Projekt, der RC8, niemand erwarten. Nicht angesichts dieses kantigen Kiska-Designs. Und erst recht nicht angesichts der Tatsache, dass KTM die Messlatte gleich ganz hoch legte und sich mit den Besten des V2-Genres messen wollte.
Was bedeutete: Um die 160 PS und 200 Kilogramm Gewicht sollten es sein. Kein leichtes Unterfangen für einen Neueinsteiger, aber die RC8 nahm die Hürde souverän. Bei der Eingangsmessung drückte der Alpen-V2 157 PS auf die Prüfstandsrolle und das Bike 201,5 Kilogramm auf die Waage. Und lag damit auf Ducati-Niveau.
Anders als die roten Diven schmeichelte sich die die RC8 jedoch nicht nur durch stahlharte Fitness, sondern auch durch gelungene ergonomische Gegebenheiten in der Redaktion ein. Schmaler Tank, in würdiger Höhe angeklemmte Lenkerhälften, genau an der richtigen Stelle plazierte und in der Höhe justierbare Fußrasten und ein in zwei Stufen höhenverstellbares Rahmenheck – auf der RC8 fanden Groß und Klein für ihre Extremitäten ein passendes Arrangement. Einzig die harte Sitzbank stieß nicht auf ungeteilte Anerkennung. Zwar liefert sie ein glasklares Hinterrad-Feedback und passt somit glänzend zu den hohen sportlichen Ansprüchen, andererseits malträtierte sie das Sitzfleisch über Gebühr.Doch selbst das hielt Profi-Reisende nicht ab: „Mega-Klasse! Vor lauter Begeisterung sogar geputzt“, vermerkt die ehemalige Unterwegs-Ressortleiterin Annette Johann ins Fahrtenbuch: „Tolle Details und Verarbeitung, komfortable Sitzposition, würde ich sofort allen Ducs vorziehen.“ Da hatte die KTM runde 1600 Kilometer auf der Uhr.
Und schon einiges hinter sich. Eine Vorgängerin zum Beispiel, die es im ersten Anlauf nur auf knappe 2000 Kilometer brachte, bis sie vorzeitig die Zylinder streckte. „Aufgeriebenes unteres Pleuellager im vorderen Zylinder“, lautete die Diagnose (siehe „Defekte beim Test“, Seite 50). Angesichts der geringen Laufleistung und der Schwere des Schadens entschied sich MOTORRAD für einen Neustart, zumal KTM versicherte, mittlerweile würden die Pleuel nicht nur feingedreht, sondern auch gehont, sodass derartige Schäden in Zukunft ausgeschlossen seien.
Bis Redaktionsschluss dieser Ausgabe bei 22700 Kilometern traf das auch voll und ganz zu. Der Motor hielt bislang, trotzdem machte die RC8 neben jeder Menge Spaß auch immer wieder durch kleinere Malheure auf sich aufmerksam.
Eines der schlimmsten: Die Fehlkonstruktion Nummernschildhalter. Offensichtlich ist nie einer der österreichischen Konstrukteure mit hohem Tempo auf deutschen Betonplattenautobahnen unterwegs gewesen. Sonst wäre aufgefallen, das der ausladende Hartplastik-Arm den harten Schlägen bei Querrillen nicht gewachsen ist. Ergebnis: Nicht ein-, sondern mehrere Male zog die 190er-Walze das Nummernschild samt Halter mit Gewalt Richtung Federbein – und einmal, nach rund 1500 Kilometern, riss es dann komplett ab.
Man mag sich vorstellen, mit welch mulmigen Gefühlen die Tester fortan unterwegs waren (bis zur Montage eines Zubehörhalters, siehe Kasten Seite 48). Immer in Sorge um Kennzeichen und Hinterreifen des Bikes – und nebenbei um die eigenen Bandscheiben, denn das, was das Federbein besonders auf Absätzen auch dem Fahrerrücken zumutet, ist mit „hart“ nur unzureichend beschrieben. MOTORRAD experimentierte daher mit einer 95-Kilo-Feder von Wilbers statt der originalen 110-Kilogramm-Feder, was den Komfort spürbar anhebt, ohne die Rückmeldung über Gebühr zu verwässern. Trotzdem: Weitere Versuche mit einem RC8-Federbein des Jahrgangs 2009 (weichere Feder, geänderte Abstimmung) und Nachrüstfederbeinen stehen noch an.
Anders als beim Federbein, als der Hersteller erst im Rahmen der Modellpflege auf Kritik reagierte, setzte KTM hinsichtlich der Schaltbarkeit des Getriebes sofort den Hebel an. Die Dauertest-RC8 bekam wie auch die Kundenmotorräder im Rahmen einer Inspektion einen neuen Schaltstern spendiert, der die erforderlichen Kräfte für den Gangwechsel reduzieren sollte. Das gelang auch – doch von einem vor-bildlichen Getriebe ist die RC8-Schaltbox immer noch ein Stück entfernt.
Ebenso, wie der V2 von einem vibrationsfreien Antrieb. Ab 7000/min wird es so heftig, dass auf der Autobahn in den Rückspiegeln nichts mehr zu erkennen ist und Hände wie Füße auf längeren Strecken einschlafen. So richtig lang werden können die Strecken allerdings nicht, denn nach gut 15 Litern ist absolute Ebbe im Tank. Das musste der Autor am eigenen Leib erfahren, als an einem frühen Samstagmorgen (menschenleere Autobahn, dringender Termin) die Reserveanzeige aus unerfindlichen Gründen den Dienst verweigerte. Ein anderes Mal blieb ihm die KTM in Südfrankreich liegen, weil sich urplötzlich die Kette verabschiedete.
Trotzdem steigt er wie so viele in der Redaktion jedes Mal wieder mit einem erwartungsfrohen Kribbeln im Bauch auf die RC8. Und freut sich auf die nächsten 25000 Kilometer.
Scheibe
Kontrastprogramm: Deutlich gefälliger als mit der klaren Scheibe wirkt die weiße RC8-Front mit dem getönten Teil aus dem KTM-Zubehörprogramm (49,48 Euro). Am nicht herausragenden Windschutz ändert sich dadurch jedoch nichts. Dafür ist auch weniger die Höhe der Verkleidung als deren schmale Form verantwortlich, die zumindest Arme und Schultern voll in den Fahrtwind stellt.
Tank-Pads
Es ist eine Qual, die Schmutz-Empfindlichkeit des stylischen mattweißen Lacks mit anzusehen, der besonders an der neuralgischen Tank-ausbuchtung leidet. Die KTM-Tankpads (29,65 Euro) sehen nicht nur gut aus, sondern schützen den empfindlichen Lack auch.
Felgenringe
Und noch was für die Optik: Das trostlose Schwarz der Felgen lockern die orangen Zierringe (KTM, 24,69 Euro) angenehm auf. Die Montage (drei Teile pro Seite) erfordert jedoch Ruhe und Augenmaß, die Haltbarkeit ist gut.
Nummernschildhalter
Schick und funktionell: Mit dem höher angebrachten Nummernschildhalter von tecbike (www.tecbike.de, inklusive Kellermann-Blinker und Rückstrahler 177,85 Euro) erledigt sich das leidige Kennzeichenproblem. Die Montage allerdings ist kein Spaß, weil die Steckverbindungen nicht passen und Zubehör aus dem Elektronik-Fachhandel benötigt wird.
Brems- und Kupplungshebel
Schick anzusehen, hochwertig verarbeitet, aber ergonomisch ein eindeutiger Rückschritt: die klappbaren Hebel aus dem TM-Zubehörprogramm (Kupplungs- und Bremshebel je 147,76 Euro). Die Hebel sind deutlich kürzer als die Originale, was die Bruchgefahr im Falle eines Sturzes nochmals reduziert, die Bedienkräfte vor allem des Kupplungshebels jedoch deutlich erhöht. Eine Empfehlung daher nur für die Rennstrecke.
Fußrastenanlage
Und noch etwas fürs Auge: Angesichts der ideal platzierten und zudem in der Höhe einstellbaren Original-Fußrasten geht die aufwendig verarbeitete und mannigfaltig einstellbare Anlage aus dem KTM-Zubehörprogramm (475,01 Euro) als echter Luxus durch. Für den Anbau sollte man sich etwas Zeit nehmen, weil die Montage der Druckstange für den Geberzylinder des Fußbremshebels nicht ganz einfach ist. Funktionell unterscheidet sich die Anlage nicht entscheidend vom Original, wirkt allerdings deutlich hochwertiger.
Federbein
Neben dem Nummernschildhalter ist das Federbein die zweite Großbaustelle. Die Originalfeder (links) ist zu hart für den Alltagsbetrieb. MOTORRAD baute eine kürzere, weichere, komfortablere Wilbers-Feder (95 N/mm) ein. Spürbar besser.
Anti-Hopping-Kupplung
Speziell auf der Rennstrecke ist eine Anti-Hopping-Kupplung gerade bei großen Twins eine prima Sache und auch die Suter-Kupplung (KTM, 1189,01 Euro) funktioniert, wenn schnell und heftig heruntergeschaltet wird, tadellos. Im Alltag ist sie wegen der höheren Handkraft kein Gewinn.
Spiegel
Deutlich zierlicher als die Originalspiegel fallen die Exemplare von FAR (www.tecbike.de, je 54,50 Euro) aus. Ihr größter Vorteil: Sie vibrieren deutlich weniger als die Originale und erlauben so bis zirka 200 km/h einen nur durch Teile des Ellenbogens getrübten Blick nach hinten.
Gasgriff
Die harte und heftige Gasanahme der RC8 geht im Alltag auf die Nerven. Schnelle und unkomplizierte Abhilfe schafft der Gasgriff mit variablem Hub aus dem KTM-Programm (127,93 Euro). MOTORRAD favorisiert die mittlere Variante, die das Ansprechverhalten sanfter gestaltet, ohne dass zuviel von dem erfrischenden Temperament auf der Strecke bleibt, das den V2 ja auszeichnet.
Tankrucksack und Hecktasche
Farblich und formal gut auf die RC8 abgestimmt sind Tankrucksack und Hecktasche aus dem KTM-Zubehörprogramm (Tankrucksack 168,48 Euro, Hecktasche 147,76 Euro). Der Tankrucksack wird vorn an den seitlichen Rahmenrohren und hinten unter der Sitzbank befestigt.
Bei der Hecktasche rasten einfach zwei Bolzen in die Beifahrersitz-Aufnahmen ein. Beide Taschen werden mittels Regenhülle vor Feuchtigkeit geschützt. Das Öffnen und Schließen des Tank-rucksacks ist wegen der darüber liegenden Kartenhülle fummelig, bei der Fahrt stört er nicht.
Akrapovic-Auspuff
Der Zubehörmarkt gibt nicht viel her, doch selbstverständlich hat KTM für die RC8 einen edlen Akrapovic-Zubehörauspuff im Programm. Allerdings ohne ABE, nur für den Rennstreckengebrauch. Die federleichte Titan-Anlage (4,5 Kilogramm gegenüber 11,4 Kilogramm des Originals) ist wunderschön ge-fertigt, mit guter Passform und tadelloser Verarbeitung. Die Montage ist in zirka zwei Stunden erledigt, der Sound ist schon mit dB-Eater deutlich lauter als das Original und ohne noch viel lauter. Allerdings – und das ist schade – bekommt der Kunde für runde 3000 Euro (1973,41 für die Krümmer, 1081,91 für den Schalldämpfer) kaum oder gar nicht mehr Leistung. Mit dB-Eater packt die Akrapovic-Anlage gerade einmal zwei PS oben drauf, ohne dB-Eater liegt die Leistung gar auf Original-Niveau, die Kurven sind nahezu gleich.
Riss in der Kette
Die alte war unauffindbar, die neue montierte ein Yamaha-Händler in Bollène in Südfrankreich bei 15600 Kilometern. Dabei war die Kette keineswegs über Gebühr verschlissen.
Schaltstern getauscht
Kein Defekt im klassischen Sinne, sondern eine Umrüstaktion: Weil sich der erste Gang nur widerwillig einlegen ließ und auch die Gangwechsel viel Nachdruck erforderten, tauschte KTM den Schaltstern (links der neue).
Riß im Cockpit
Bereits seit einigen tausend Kilometern ziert ein unschöner Riß die linke Cockpitseite (das passierte auch bei der Dauertest-690-Supermoto, bei der das Cockpit gleich zwei Mal getauscht wurde). Kürzlich kam ein zweiter Riss auf der rechten Cockpitseite hinzu. Das Bauteil scheint den kernigen Vibrationen einfach nicht gewachsen zu sein.
Nummernschild-Malheur
Eine Fehlkonstruktion: Der Nummernschildhalter der RC8. Ein ums andere Mal kollidierten Hinterrad und Nummernschild. Mit bösen Folgen für das Kennzeichen. Erst ein Halter aus dem Zubehör (siehe Kasten Seite 48) schaffte Abhilfe.
Pleuellager
Unschön, wenn sich ein Pleuellager aufreibt und die sich mitdrehende Lagerschale reichlich Späne hinterlässt. Das passierte beim ersten Anlauf des RC8-Dauertests bereits nach 2000 Kilometern, so dass MOTORRAD den Dauertest abbrach und mit einer zweiten Maschine nochmal begann.
Am Anfang mochte ich sie gar nicht, war mir das Motorrad zu hart, zu steif, zu rappelig. Mittlerweile jedoch habe ich sie richtig ins Herz geschlossen. Auch dank ihrer Variabilität, was die Ergonomie angeht, die mir die perfekte Sportler-Sitzposition beschert. Wer dann noch das passende Fahrwerks-Setup gefunden hat, will nicht mehr absteigen, weil sie mit ihrem direkten Ansprechverhalten, ihrem feinen Feedback und der Balance begeistert.
Ich sehe immer Rot, wenn ich mit der RC8 fahre – aber nur mit dem geistigen Auge. Denn optisch ist die KTM von der Ducati, der Mutter aller V2-Sportler, meilenweit entfernt. Totzdem wird sie immer an ihr gemessen, kann dem Vergleich aber locker tandhalten. Denn die RC8 erscheint ausgewogener und überzeugt mit pfiffigen Detaillösungen. Trotzdem bleiben Kritikpunkte, vor allem das Getriebe stört mich enorm. Und manche Oberflächen könnten edler sein.
Klasse, ein Sporttwin, der handlich ist und eine menschenwürdige Ergonomie besitzt. Einerseits. Dennoch ist mein Verhältnis zu diesem mächtigen Kanten ein wenig zwiespältig. Die harte Gasannahme, das bockige Federbein, die derbe Schaltung – in der Stadt, auf engen Pässen oder ausgelutschem Asphalt der Graus. Aber darf sie rennen, auf glattgebügelten Pisten, darf sich dieser prächtige Motor austoben, dann ist’s mit ihr eine Wucht.