Seit gut 20 Jahren versucht sich die Edelschmiede aus Rimini an Motorrädern ohne Telegabel. Kann die neue Tesi 3D die Diskussion wieder anfachen?
Seit gut 20 Jahren versucht sich die Edelschmiede aus Rimini an Motorrädern ohne Telegabel. Kann die neue Tesi 3D die Diskussion wieder anfachen?
Autsch! Italienische Motorraddesigner halten es wohl mit den aktuellen Haute-Couture-Schöpfern: Erst Size Zero als Konfektionsgröße bringt ihre Schöpfungen so richtig zur Geltung. Wie sonst gäbe schon das erste Platznehmen dem Tester das Gefühl, seine Körpermitte in einen Schraubstock gespannt zu haben, mit den Backen genau an den Stellen, an denen gemeinhin harte Kunststoffteile nichts zu suchen haben. Nein, über die hintere Tankform sollten sich die Formgebenden der Bimota Tesi 3D nochmals Gedanken machen. Sonst drohen Klagen wegen Beschädigung von Familien-Juwelen.
Aber über solche kleinen Unzulänglichkeiten wollen wir großzügig hinwegsehen und uns darüber freuen, mit der Vorserien-Bimota eines der einzigartigsten Motorräder der Welt zur Verfügung gestellt bekommen zu haben. Toll, wie fein die filigranen und aufwendigen Radaufhängungen mit dem dynamisch gestalteten Hauptkörper der Maschine kontrastieren.Keine Frage, die neue Tesi ist die schönste bisher. Zeigt ihre besondere Konstruktion voller Selbstbewusstsein. Und dank des luftgekühlten 1100er-Ducati-V2, der die Maschine antreibt, baut sie extrem schlank. Kein Vergleich zu den ziemlich pummeligen Entwürfen der Vergangenheit.
Wow! So muss der Ducati-Twin klingen! Kehlig röcheln, wenn Drehzahl und Gasgriff noch Stadtmodus befehlen. Entfesselt losballern, wenn kurvige Landsträßchen Attacke erlauben. Die Tesi klingt noch nach Motorrad, nach kernigem italienischen Stoff, aus dem die Träume aller Zweizylinderfans geschneidert sind.
Sollte der schlanken Schönheit jemals eine schnöde MOTORRAD-Leistungsmessung zugemutet werden, so würde das Messprotokoll wohl ein paar PS weniger als die von Bimota erhofften 95 ausweisen. Das bleibt allerdings nur eine Vermutung, deren weitere Erhärtung sowohl der intensive Verkehr auf der Autostrada als auch der wilde Werte anzeigende Digitaltacho verhindern. Immerhin liegt die Tesi in schnellen Autobahnkurven stabil. Nervosität ist ihr trotz eines sehr steilen Lenkkopfs von 71,5 Grad fremd. Das beruhigt, denn die Vorderrad-Führung sieht bereits im Stand verstörend kompliziert aus. Über ein vielfach umgelenktes Gestänge werden die Lenkimpulse des Fahrers an die Radnabe übertragen. Das kennt man prinzipiell vom Automobil. Die geschobene Schwinge die Bezeichnung rührt daher, dass die Radachse in Fahrtrichtung vor der Schwingenachse liegt greift sich ein kreuzförmiges Rohrgebilde, dessen senkrechter Arm in der Nabe den Lenkkopf bildet. Ein gewisser Jack Difazio, der Erfinder der Radnabenlenkung, würde uns sicher viele Vorteile erklären können, wenn er denn noch lebte.
Für Nicht-Techniker klingt das bis jetzt schon reichlich kompliziert. Dabei fehlt ja noch die Federung. Die wird über ein Gestänge realisiert, das ein neben dem Motor befindliches Luftfederbein auf Zug belastet. Vorder- und Hinterradschwinge sind in zwei mit dem Motor verschraubten, kunstvoll aus dem Vollen gefrästen Rahmenbrücken gelagert. Eine enorm steife und auch sehr leichte Lösung. Trotz des schweren Ducati-V2 wiegt die Tesi laut Bimota trocken nur 168 Kilogramm.
Erstaunlich ist immer wieder und das kann der Autor mit Fug und Recht behaupten, denn er hat fast alle Tesi-Modelle gefahren , dass die immens komplizierte Vorderradaufhängung vom Fahrgefühl her zunächst einmal sehr normal wirkt. Der durch die sorgsam gewählte Geometrie erzielte Anti-Dive-Effekt beim Bremsen erinnert etwas an die BMW-Telelever-Fahrwerke.
Großer Vorteil der Tesi: Beim Bremsen spricht die Federung überaus feinfühlig an, das ergibt eine immense Haftung am Vorderrad selbst auf heftigen Bodenwellen. Nachteil: Es fehlt an Rückmeldung. Bodenwellen werden wunderschön glatt gebügelt, und das eben auch in Schräglage. Was man sich als Motorradfahrer über hunderttausende von Kilometern antrainiert hat, nämlich auf jede noch so kleine Erschütterung in Schräglage zu achten und sie einzukalkulieren, ist plötzlich überflüssig. Das Tesi-Vorderrad wirkt komplett entkoppelt, egal, ob man geradeaus oder in großer Schräglage fährt. Daran muss man sich gewöhnen, aber mit viel Gottvertrauen erfährt man nach einiger Zeit, dass wenn bei der Tesi 3D ein Rad zu rutschen beginnt, es immer zuerst das hintere ist.
Womit wir beim Thema Reifen sind. Die heißen Conti und bieten zumindest auf den Straßen rund um Rimini keine sonderlich gute Haftung. Außerdem unterstützt der vordere Pneu noch das leicht indifferente Verhalten der Tesi in Kurven. Man wünscht sich schnell bewährtes Schuhwerk für die ungewöhnliche Maschine, zumal dann die Beurteilung des ganzen Systems leichter fiele.
So lässt man das mit ambitionierten Schräglagen erst mal sein und genießt den für ein so leichtes Sportmotorrad ungewöhnlichen Federungskomfort. Überzeugend sind auch die speziell von Grimeca für die Tesi entwickelten Vorderradbremsen, mit denen man hart und schmerzfrei spät ankern kann. Zusammen mit dem Motor, der aus dem Keller äußerst kräftig antritt und lochfrei durchzieht, kommt so richtig Freude auf. Eine Freude, die sich aber sicher nur wenige gönnen können. Denn satte 30000 Euro für dieses herrlich aufwendig verarbeitete Motorrad sind eine Stange Geld. Wem jedoch eine Ducati 1098 zu sehr Massenware und eine MV Agusta zu stark ist, der kann sich die Tesi 3D in die Garage stellen. Er sollte allerdings vorher noch auf eine ordentliche Sitzposition bestehen, wenn er sie nicht nur betrachten, sondern auch genussvoll fahren möchte.
Mit hydraulischer Lenkung und Honeycomb-Rahmen fing alles an. 1984 stellte der damalige Entwicklungsleiter von Bimota, Federico Martini, die erste Tesi mit Honda VF 750-Motor vor. Schnell stellte sich heraus, dass eine mechanische Lenkung fürs Motorradfahren unabdingbar ist. Immerhin bewies Martini, dass zumindest die Difazio-Radnabenlenkung ordentlich funktionieren kann. Zur ersten Kleinserienproduktion brachte es 1990 die Tesi 1D mit dem Motor der Ducati 851, die schnell von der Version 1D SR abgelöst wurde. Darin werkelte ein auf 906 cm3 vergrößerter Ducati-Vierventiler. Was im Prototypen-Stadium gut funktionierte, war bereits in der Kleinserien-herstellung schwer zu beherrschen. Die komplizierte Radnabenlenkung benötigt extreme Genauigkeit bei der Montage. Vor allem die Lagerung in der Nabe beeinflusste das Fahrverhalten außer-ordentlich. Immer wieder kam es bei einzelnen Exemplaren zu extremen Fahrwerksschwächen wie Hochgeschwindigkeitspendeln. Auf die heftige Kritik der Fachpresse reagierte Bimota mit der überarbeiteten 1D ES. Bei dieser deutlich verbesserten Tesi waren die meisten Probleme ausgemerzt, der große Erfolg blieb dennoch aus. Bimota hatte inzwischen andere Pläne, entwickelte verschiedene Vierzylinder-Maschinen und die sensationelle Zweitakt-Rakete Vdue, von der auch eine Tesi-Version gebaut wurde. Die Zweitakt-Entwicklung sprengte schließlich die finanziellen und personellen Kapazitäten des Kleinserienherstellers, weshalb er im Jahr 2000 seine Tore vorerst schließen musste. 2005 tauchte erneut eine Bimota Tesi auf. Die improvisiert wirkende 2D integrierte erstmals einen luftgekühlten Zweiventil-Motor von Ducati. Und zeigte endlich die spektakuläre Fahrwerks-Konstruktion. Auf der Messe EICMA im Spätherbst 2006 präsentierte die wieder auferstandene Rimineser Edelschmiede die deutlich hübscher gestaltete Bimota Tesi 3D. Mit dem modernen Doppelzündungs-1100er-V2 von Ducati steht ihr nun auch ein angemessener Motor zur Verfügung.