Fahrbericht Fogarty-Ducati
Das haut dem Fass die Krone mitten ins Gesicht

Carls Kiste ist einfach der Hammer.

Ungewöhnlich, der Slogan dieser Geschichte. Da haben Sie Recht. Ungewöhnlich aber auch das Motorrad. Des Königs Arbeitsgerät, der Schlüssel seines Triumphs, seine Waffe. Und diesmal ist die Waffe, im Gegensatz zu früheren Presseterminen mit schlappen Alibi-Maschinen, scharf, messerscharf. 168 PS soll sie haben – woran ich keinerlei Zweifel hege.

Denn das Ding brennt aus der letzten Schikane auf die Zielgerade der Misano-Strecke hinaus, dass es mir den Glauben ans Gute im Menschen raubt. Das Vorderrad eine Handbreit über dem Boden. 9000/min stehen erst auf dem digitalen Drehzahlmesser, trotzdem, ich schalte lieber. Ein kurzer Tritt auf den filigranen Hebel, die Fuhre schiebt dank Schaltautomat ohne das geringste Rucken weiter. Dritter Gang, fast 11 500/min, das Vorderrad ist immer noch in der Luft. Ein kurzes Zucken im Lenker, ein leichtes Schütteln im Fahrwerk: Das Rad hat Kontakt. Vierter und kurz, ganz kurz den Fünften einklinken, schon fliegt das Hundert-Meter-Schild vorbei. Anker werfen.

Was für eine Bremse. Der Druck eines Fingers genügt, die Hinterhand wird leicht - und ich bin eigentlich noch viel zu schnell. Fast zeitgleich in Sekundenbruchteilen zwei Gänge runter. Einfach Unglaublich, was passiert: So muss sich ein Düsenjägerpilot bei der Landung auf einem Flugzeugträger fühlen. Wie an einem Gummiband hängend steigt die ohnehin schon beeindruckende Verzögerung progressiv an, kein Stempeln, keinerlei Unruhe, nur brachiale, kontrollierbare Verzögerung. Erzielt wird dieser Effekt durch eine spezielle Rutschkupplung, die das Bremsmoment des Motors beim Herunterschalten auf exakt das Maß verringert, das der Hinterreifen noch eben so auf den Asphalt übertragen kann. Das Einlenken auf der Bremse geht kinderleicht, und ich bin mir sicher, ein bisschen später bremsen wäre noch drin gewesen. Nur, wie viel ist ein Bisschen?

Eine enge Linie fahren, den inneren Randstein unter dem Knie. Jetzt früh das Gas aufziehen, aber immer schön langsam und mit Bedacht. Denn sonst ist es wieder so weit: Das Biest steigt. Und schiebt. Schiebt an wie besessen, keineswegs aggressiv, aber mit unglaublichem Nachdruck. Und nicht erst ab 10000/min, mit 4000 ums Eck, und ab geht’s. Dagegen verkommt eine Hayabusa zum Einsteiger-Bike.

In voller Schräglage schnell die Gänge durchschalten und mit viel Schwung auf die lange Gegengerade hinausfeuern. Und jetzt tu ich’s endlich mal, ich zieh’ den Hahn voll auf und lass’ die Kiste drehen. Drehen, bis bei 12500/min der Begrenzer einsetzt. Noch mal auf den Schalthebel treten und ja nicht mit der Rechten zucken. Keine zehn Sekunden später ist der Vollgas-Zauber vorbei. Gut 200 Meter bleiben, um aus 260 auf 90 km/h zu verzögern. Diese Bremsen, ein Traum.
Was folgt, ist ein langer Radius und die Frage: Wie bekomme ich bloß die Leistung auf den Boden? Theoretisch ist alles klar. Druck in den Rasten, Gewicht nach vorn. Allein die Umsetzung macht Schwierigkeiten. Dieser rote Feuerstuhl steigt, wieder und wieder. Erster, zweiter, dritter Gang – Drehzahl spielt kaum eine Rolle. Alles über 8000/min ist zu viel.

Schlüsselstelle Schikane. Der Werksrenner fällt nicht nur hinein, er wischt auch ungewöhnlich leicht hindurch. Der Kraftakt an den Lenkerstummeln entfällt. Es folgt eine lange Welle am Ausgang dieser Schikane und erstmals ein Anflug von Kritik. Die Hinterhand fängt an zu Pumpen, schaukelt sich richtiggehend auf. Zu weich die Abstimmung, zu hart mein Fahrstil. Bei King Carl dagegen liegt die Kiste laut Datenaufzeichnung wie ein Brett - ich nehme die Kritik zurück.

Die letzte Kurve, ein 180-Grad-U-Turn. Wieder bis fast an den Scheitelpunkt bremsen. Anfangs brachial, dann fein und perfekt dosierbar. Glasklare Rückmeldung statt schwammiges Gefühl. So kann ich selbst in voller Schräglage noch locker die etwas schlampige Linie korrigieren und am Scheitelpunkt einen engen Haken schlagen. So früh wie möglich aufrichten, lautet die Devise. Den Vortrieb nutzen, den dieser V2 bereitwillig zur Verfügung stellt. Das aufstrebende Vorderrad bezwingen, ohne ständig das Gas zudrehen zu müssen. Das ist die Kunst, die keiner so gut beherrscht wie Sir Fogarty. Denn Leistung ist eins, sie zu nutzen das andere.

Die schwarzweiß karierte Flagge ist draußen, meine Zeit ist um. Ein letztes mal noch durch die Zielschikane und die Gerade hinunterfeuern. Den unglaublichen Schub spüren, untermalt vom dumpfen Ton des Zweizylinders. Noch einmal unterm Helm johlen und die brachiale Kraft genießen. Kraft, die niemals aggressiv und unberechenbar wirkt, Kraft, die einfach nur da ist, ob bei 4000 oder bei 12000/min. Diese Ducati ist der Hammer.

Unsere Highlights

Analyse Carl Fogarty - Der kleine Unterschied

Warum ist Superbike-Weltmeister Carl Fogarty schneller als andere Fahrer? Eine Analyse.

Der König war verschnupft. Im nasskalten Misano verzichtete Carl Fogarty dankend auf die Ehrenrunde. Zu kalt und zu feucht das Wetter, dazu auch noch leicht fiebrig Carls Kopf. Fahren sollten diesmal lieber die anderen.Was sie auch taten. Für MOTORRAD trat Gerhard Lindner auf dem Original Ducati-Superbike-Werksrenner an. Der war zunächst fast so verschnupft wie Fogarty, hätte er doch nur allzu gern eine Runde in Misano mit Fogarty gedreht, unter gleichen Bedingungen für beide. Doch der fiebernde Foggy konnte nicht, und so arbeitete sich Lindner allein auf der abtrocknenden Strecke zu immer schnelleren Rundenzeiten vor. 1,40.7 Minuten lautete schließlich sein bestes Resultat - deutlich schneller als viele Wild Card-Piloten beim Superbike-Rennen im Juni auf der gleichen Strecke, und das bei viel schlechterem Wetter.Zum Vergleich der beiden Fahrer Fogarty und Lindner zogen die Ducati-Messtechniker eine Fogarty-Runde aus dem zweiten Lauf in Misano heran, für die der Superbike-Weltmeister damals 1,36.5 Minuten brauchte - gut vier Sekunden weniger als Lindner. Wo macht Fogarty nun was besser? Bei der Analyse hilft, wie heutzutage immer, der Computer. Sensoren an der Werks-Ducati zeichnen Unmengen von Daten auf. Ob Federweg, Temperaturen von Luft, Wasser und Öl, Geschwindigkeit, Drehzahl, Lambda-Werte oder die Stellung der Drosselklappen, hier gibt es keine Geheimnisse.Auf Wunsch spuckt der Computer dann ein Diagramm aus, auf dem sich Lindners und Fogartys Kurven überlagern. Eine zeigt die gefahrene Geschwindigkeit, die andere die Stellung der Drosselklappen. Eine Analyse der unterschiedlichen Fahrwerksreaktionen macht kaum Sinn, zu unterschiedlich ist die Statur beider Fahrer: Lindner mit 1,90 Meter Länge und 83 Kilo Gewicht, Fogarty nur 1,72 Meter groß und 65 Kilo leicht. Die Drehzahlkurve über die ganze Strecke wollte Ducati leider nicht rausrücken: »Daran kann die Konkurrenz zu viel ablesen«, beschied Chefingenieur Corrado Cechinelli. Doch auch an Geschwindigkeit und Gasgriffstellung kann Fogartys Elektronik-Ingenieur Matthew Casey einiges erkennen: »Im Wesentlichen entsprechen Lindners Linien denen von Fogarty, nur das letzte Quäntchen fehlt noch.« Aha. Aber wo genau? Fogartys absolute Höchstgeschwindigkeit in der Vergleichsrunde lag kurz vor der Tramonto-Kurve (5) bei 268 km/h, Lindners dagegen bei 260 km/h, am langsamsten Punkt dieser langen Linkskurve (6) fuhr Fogarty immer noch 97 km/h, Lindner 91 km/h. Den niedrigsten Speed insgesamt hatten beide in der zweiten Kurve nach dem Start (3) drauf: Lindner 80 km/h, Fogarty 83 km/h. Bei der Analyse der Tramonto-Kurve zeigt sich anhand der Gasgriffstellung, dass Fogarty früher und deutlich schneller herunterschaltet. »Da musste sich Lindner wahrscheinlich erst noch an unsere Spezialkupplung gewöhnen«, trösten die Ducati-Techniker. Diese von SFM entwickelte Sliding Clutch bewirkt, dass die Kupplung auch dann noch etwas weiter rutscht, wenn der Fahrer den Hebel bereits wieder losgelassen hat. »Wir haben dadurch weniger Motorbremse, und das Motorrad wird stabiler«, sagt Casey. Bleibt festzuhalten, dass Meister Fogarty entgegen landläufiger Meinung also nicht später anbremst, sondern früher, dafür die Geschwindigkeit nicht so weit reduziert wie Vergleichsfahrer Lindner. Und ein weiterer kleiner, aber entscheidender Unterschied: Fogarty reißt das Gas viel öfter komplett auf, nämlich 13,4 Prozent pro Runde, was knapp 550 Metern entspricht. Lindner dagegen kommt nur auf 8,9 Prozent, hält also umgerechnet auf 360 Metern das Gas ganz offen. So gewinnt Fogarty entscheidende Zehntelsekunden, die sich über die gesamte Distanz dann zu ganzen Sekunden addieren. Etwa nach der Tramonto- und vorm Anbremsen der Quercia-Kurve (8) , wo Fogarty kurzfristig stolze 217 km/h schnell ist, Lindner dagegen bloß auf 205 km/h kommt. Wieder nimmt Ingenieur Casey den MOTORRAD-Testchef in Schutz: »Man sieht ganz klar, dass er das Motorrad erst noch kennenlernen musste, das geht nicht so leicht in ein paar Runden.« Also doch alles nur eine Frage der Übung? Mitnichten. Denn in der Liga, in der Carl und Konsorten um Sieg und Niederlage kämpfen, geht es nicht mehr um Sekunden, sondern um hundertstel Bruchteile davon. Dann hängt der Erfolg nicht mehr allein vom richtigen Material ab, dann spielt die Psyche eine entscheidende Rolle. Und die scheint bei Carl Fogarty in Ordnung zu sein. Eva Breutel

Technische Daten -

Ducati 996 FactoryDaten Bauart, Zylinderzahl V, 2Hubraum 996 ccmBohrung x Hub 98 mm x 66 mmLeistung 124 kW (168 PS) bei 11 500/minDrehmoment k.A.Verdichtung k.A.Gemischaufbereitung EinspritzungRahmenbauart GitterrohrrahmenFederweg v/h 127/130 mmReifengröße v/h 12/60-17; 18/67-17Radstand 1430 mmLenkkopfwinke 65°30´ bis 66°30Nachlauf 91 bis 97 mmTankinhalt 24 LiterGewicht 162 kg trockenPreis inkl. Mwst xxxx

Die aktuelle Ausgabe
MOTORRAD 12 / 2023

Erscheinungsdatum 26.05.2023