Honda NR 750 im Fahrbericht

Honda NR 750 im Fahrbericht Ovale Offenbarung

Es gab Zeiten, da war Honda der Konkurrenz meilenweit enteilt. Und es gab Zeiten, da feierte Honda sich einfach selbst. Genau dazu war die Honda NR 750 gedacht. Die einzige Maschine mit Straßenzulassung mit ovalen Kolben. MOTORRAD fuhr sie noch einmal.

Ovale Offenbarung Rivas
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Mein alter Freund Harry war früher dran. Er machte unser Hobby Motorradfahren schon zum Beruf, als ich noch mit meiner klapprigen Guzzi Richtung Hörsaal schickerte. Harry handelte mit allem, was man zum Motorradfahren brauchte. Heute betreibt Harry seinen Motorradhof in der Nähe von Würzburg, verkauft immer noch komplette Motorradausrüstungen und widmet sich ausgiebig seiner Sammelleidenschaft. „Du musst mich besuchen, ich hab endlich eine NR!“ „Eine Honda NR 750, dieses sensationelle Ovalkolbenteil?“ „Genau, du glaubst nicht, wie die geht! Ich hab eine offene, die für Finnland gebaut wurde.“

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Harry will mich tatsächlich eine Honda NR 750 fahren lassen. Das ist gut so, denn die 50 Kilometer, die ich in meinem Leben mit Ovalkolben-Hondas gefahren bin, reichen nicht. Außerdem: Damals, Anfang der 90er-Jahre, kamen mir die üppigen Formen und der schwere Motor reichlich übertrieben vor. Eine Fireblade 900 wog über einen Zentner weniger und hatte mehr PS. Also, was sollte das Ganze?

Verarbeitung heute noch sensationell

Heute sehe ich die Sache anders. Und bin total überrascht. Harry hat nicht nur eine Honda NR 750, er hat zwei. „Ja, die Moni hat auch gemeint, ich würde spinnen. Aber ich glaube, in ein paar Jahren werden die gesucht. Warte es ab!“ Harry, der alte Freak. Stellt sich zwei (!) NR 750 auf den Hof und freut sich sichtlich über meine Sprachlosigkeit. Das hätte ich nicht erwartet. Zwei NR, quasi im Neuzustand, eine mit 1.000 Kilometern auf der Uhr, die andere mit 4.300. Wir simpeln fach. „Die Verarbeitung ist noch heute sensationell. Karbonteile, Lackierung, Schrauben, Muttern: Damals hat Honda noch den Standard gesetzt. Schau dir nur die Lenkergriffe an, selbst da steht ‚NR‘ drauf!“ Harry schwärmt. Damals, das war 1991, baute Honda 300 Stück des Ovalkolben-Wunders und bot sie für 100.000 Mark an. Nicht viele davon kamen nach Deutschland, und noch weniger wurden echt gefahren. Den Besitzern war die Maschine oft zu schade.

Technisch fußte der Motor auf der Langstrecken-Rennmaschine Honda NR 750 mit etwa 160 PS. Aber die Idee zu den Ovalkolben kam den Honda-Ingenieuren schon in den 70er-Jahren. Um mit einem Viertakter gegen die Vierzylinder-Zweitakter in der 500er-WM bestehen zu können, wäre eigentlich ein V8-Motor nötig. Das Reglement erlaubte aber maximal vier Zylinder. Also verschmolzen die Honda-Mannen jeweils zwei Kolben zu einem ovalen, realisierten irrwitzige Drehzahlen bis 20.000/min und brachten pro Brennraum acht Ventile und zwei Zündkerzen unter. Verrückt? Verrückt!

Honda NR 750: Soundcheck und Probefahrt

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In der heutigen Ära ein undenkbares Projekt

Noch verrückter war es, die abgefahrene Technik in ein Serienmotorrad zu konstruieren. „Ich denke, Honda hat zu jeder produzierten Honda NR 750 nochmals 100.000 draufgezahlt“, rechnet Harry, und er wird damit sicher nicht untertreiben. Allein die acht Titanpleuel, die wirklich quasi in Einzelfertigung hergestellten Kolben und Zylinder, die Kolbenringe, oh mein Gott … Den Beruf des Controllers gab es damals in Japan noch nicht, oder sie hatten ihren irgendwo eingesperrt. Heute, in der Ära des Shareholder-Values, wo Quartalsgewinne wichtiger als Markenwerte sind, ein undenkbares Projekt.

Aber jetzt steht sie da, startet nach zwei, drei Versuchen und faucht sonor aus dem Underseat-Auspuff. Mühelos dreht der Motor der Honda NR 750 hoch, als Harry ihn anwärmt. „Viereinhalb Liter Öl, die lassen wir ein Weilchen warm laufen, bevor du fährst.“ Die Zahnräder der Nockenwellenantriebe singen, die Gasstöße werden wilder, die Drehzahlmessernadel zuckt. Das klingt nicht wie ein normaler Viertakter, irgendwie bissiger, böser. Ich fahre los.

Ab 10.000/min feuert die NR aus allen Rohren

Die NR ist schwer, der erste Gang lang, Schwungmasse gefühlt gleich null: jetzt nur nicht abmurksen. Mit schleifender Kupplung rolle ich aus Harrys Dorf. Saukalt ist das heute, meine Löcherkombi wirkt etwas deplatziert. Hat Harry mir nicht noch etwas von „Erstbereifung“ und „Der fuhr nie eine Kurve“ zugerufen? Ich fühle Euphorie, gepaart mit dicken Sorgen. Euphorie, weil ich tatsächlich eine Honda NR 750 fahre. Sorgen, weil die Fuhre macht, was sie will. 16-Zoll-Vorderrad mit 130er-Reifen hat eben noch nie funktioniert. 16-Zoll-Vorderrad mit 25 Jahre altem Reifen und vier Grad Außentemperatur und reichlich staubigen Straßen in der Hohenloher Provinz machen etwas mutlos. In Kurven will ein dicker starker Arm mir die edlen Lenkerstummel aus der Hand wringen. Und die deftig ansprechenden Festkolbensättel vorne waren und sind natürlich ABS-frei. Immerhin: Der Motor ist der Hammer. Sahnig spricht er auf jede noch so kleine Gasgriffbewegung an. Steigt fast vibrationslos, aber immer drohender auf der Drehzahlleiter nach oben.

Ab 5.000/min kommt richtig Druck, ab 10.000/min feuert die Honda NR 750 aus allen Rohren. Wahnsinn, wie federleicht und grenzenlos der 32-Ventiler hochdreht. Bei 15.000/min beginnt der rote Bereich, und die peitscht der V4 locker auf die Kette. Selbst heutige Supersportler scheuen solche Drehzahlorgien. Wie macht das die NR? Mit 42 Millimetern Hub bewegt sie ihre Kolben genauso wenig auf und ab wie eine aktuelle Yamaha R6. Und kann deshalb genauso hoch drehen, ja, dank Titanpleuel eher noch höher. „Du musst mal kommen, wenn es wieder wärmer ist.“ Harry tröstet seinen Schlotterkumpel mit der Löcherkombi. Ich verspreche ihm, nach aktuellen Reifen für die Edel-Honda zu schauen. Wäre doch zu schade, wenn dieses einzigartige Gefährt wegen Holzware auf den Felgen zerschrammt würde. Und in Sachen Handling können neuere Reifenkonstruktionen ja Wunder wirken. Vielleicht machen wir dann ja eine Ausfahrt mit zwei NR 750? Gab es das überhaupt schon mal? Wir lachen.

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