KTM RC 390 im Einzeltest
Flaggschiffchen

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Erstaunlich: KTM bezeichnet die neue KTM RC 390 als Flaggschiff seiner Modellpalette. Ein Bike der unteren Mittelklasse als Top-Performer? Wie zum Henker kommen die Österreicher denn darauf?

Flaggschiffchen
Foto: KTM

Bescheidene 373 Kubikzentimeter Hubraum, mäßige 44 PS Spitzenleistung, magere 35 Nm Drehmoment: Als Sportfahrer lächelt man gerne über solche Werte. KTM sieht das natürlich ganz anders. „Nach den riesigen Erfolgen der kleinen Duke-Modelle und der Präsentation der RC 125 vor wenigen Monaten, ist die KTM RC 390 ein weiterer Schritt auf unserem Expansionskurs“, frohlockt ein Sprecher.

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Doch wo bitte will man mit solchen Hüpfern expandieren? „In Südamerika oder Südostasien sind Maschinen wie die KTM RC 390 extrem beliebt“, weiß der KTM-Mann. „Dort genießen sie so viel Prestige wie ein Superbike bei uns. Global gesehen ist sie also durchaus ein Flaggschiff. Doch auch in Europa erwarten wir eine hohe Nachfrage, denn die 390er ist maßgeschneidert für Inhaber des A2-Führerscheins. Außerdem macht sie auch erfahrenen Piloten Spaß.“ Das ist ein perfektes Stichwort, also nichts wie rauf auf den kleinen Renner!

KTM
Insgesamt bringt das Bike 147 kg auf die Waage.

Die erste Etappe führt durch die Bergwelt nahe des italienischen Modena. Doch kühle Temperaturen, Nebel und Regen mahnen zur Vorsicht – auch wegen der nicht sehr transparenten Erstbereifung Metzeler Sportec M5 Interact. Immerhin hat der Pilot die KTM RC 390 dank der sportlichen, aber bequemen Sitzposition gut im Griff. Auch der quirlige, wunderbar elastische Einzylinder gefällt. Ab 6500/min bekommt er einen zweiten Schub und dreht munter bis in den fünfstelligen Bereich.

Dadurch angespornt, zieht der Pilot der KTM RC 390 gerne und kräftig am Kabel. Die Brause voll aufzuziehen, gestaltet sich allerdings wegen des langen Hubs am Gasgriff etwas schwierig. Außerdem mag der Antrieb Drehzahlen unterhalb von 3000/min nicht und wirkt dort mürrisch. Doch der sympathische Blubber-Sound, die weiche Gasannahme und der lebendige Einzylinder-Schlag machen diese Eigenschaften mehr als wett. Den spritzigen Eintopf übernahm KTM eins zu eins von der im letzten Jahr vorgestellten 390 Duke.

Bögen aller Art nimmt die KTM RC 390 im Sturm

Auf der anderen Seite des Passes warten trockene Straßen, Attacke! Herzerfrischend, wie easy die KTM RC 390 durchs Kurvenwirrwarr zischt. Sofort werden Erinnerungen an die Sturm- und Drangzeit der eigenen Jugend wach. Doch es liegt nicht an den mittlerweile gestiegenen Pfunden des Testers, dass das Federbein bei tiefen Wellen mit harten Kanten gnadenlos durchschlägt und die Wirbelsäule als dämpfendes Element missbraucht. Trotz progressiver Bauart geriet die Feder offenbar zu weich, und auch die Dämpfung setzt dem Auf und Ab nur wenig entgegen. Immerhin funktioniert der direkt angelenkte Monoshock auf weniger zerfurchtem Untergrund recht passabel. Dort kann auch die angenehm straffe Gabel mit genügend Durchschlagreserven überzeugen. Einzig über gröbere Unebenheiten holpert das nur mittelmäßig ansprechende Teil etwas unsensibel hinweg.

Auf der winkeligen Rennstrecke „Autodromo di Modena“ muss der kleine Schleifer zeigen, was er abseits öffentlicher Straßen kann. Schließlich brennen die Jungs und Mädels im ADAC Junior Cup mit aufgemotzten RC 390 um die Wette. Wie gehabt nimmt die KTM RC 390 die Bögen im Sturm und sticht zielgenau in die Ecken. Allerdings könnte sie im Angriffsmodus etwas mehr Feedback von der Front liefern, da ist das Limit nur schwer zu ertasten. Außerdem rattert das Hinterrad in Schräglage bisweilen plötzlich seitlich weg, was sicher an der zu laschen Abstimmung des Federbeins liegt. Beim harten Ankern könnte die RC außerdem etwas mehr Reserven bieten, was ein Experiment verdeutlicht.

Flaggschiff hin oder her

Bei Vollbremsungen aus zirka 125 km/h (Tacho) überhitzt die 300 Millimeter große Bremsscheibe mitsamt der organischen Beläge auf den letzten 10 bis 15 Metern, was sich durch Fading bemerkbar macht. „Leider kann man nicht ohne Weiteres die 320er-Scheibe und die Sintermetall-Beläge der Cupversion auf die Straßenmaschine montieren“, weiß ein KTM-Ingenieur. „Auf die höhere Bremsleistung ist das ABS nicht abgestimmt.“ Mit Serienkomponenten funktioniert das System der KTM RC 390 hingegen super, es regelt schön spät, zuverlässig und mit kurzen Intervallen.

Prinzipiell basiert die KTM RC 390 auch beim Fahrwerk auf der 390er-Duke. Nur eine geänderte Geometrie mit steilerem Lenkkopfwinkel, kürzerem Radstand und weniger Nachlauf sowie ein anderes Rahmenheck unterscheiden sie von ihrer nackten Verwandten. Auch die Federelemente sind anders abgestimmt. Wie alle Straßenmodelle mit kleinem Hubraum fertigt der indische Teilhaber Bajaj (sprich: Badschadsch) auch die RC 390. Für mitteleuropäische Maßstäbe könnte das Finish freilich etwas feiner ausfallen. Billig wirkende Schrauben, offene Bohrungen ohne Blindstopfen an der Oberseite der Schwingen-Enden und teils lieblos zusammengebrutzelte Rohre vor allem am Rahmenheck überraschen bei einem 5595 Euro teuren Bike. Dennoch wird der flotte Feger zahlreiche Fans nicht nur in Übersee finden, sondern auch bei uns – Flaggschiff hin oder her.

Technische Daten KTM RC 390

KTM
Herrlich in die Verkleidung integrierter Auspuff mit typischem Einzylinder-Blubber-Sound.

Antrieb
Einzylindermotor, vier Ventile/Zylinder, 32 kW (44 PS) bei 9500/min*, 35 Nm bei 7250/min*, 373 cm³, Bohrung/Hub: 89,0/60,0 mm, Verdichtung: 12,9:1, Zünd-/Einspritzanlage, 46-mm-Drosselklappe, mechanisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Sechsganggetriebe, Kette.

Fahrwerk
Stahl-Gitterrohrrahmen, Lenkkopfwinkel: 66,5 Grad, Nachlauf: 88 mm, Radstand: 1340 mm, Ø Gabel­innenrohr: 43 mm, Federweg v./h.: 125/150 mm.

Räder und Bremsen
Leichtmetall-Gussräder, 3.00 x 17/4.00 x 17, Reifen vorn: 110/70 ZR 17, hinten: 150/60 ZR 17, 300-mm-Einscheibenbremse mit Vierkolben-Festsattel vorn, 230-mm-Einzelscheibe mit Einkolben-Schwimmsattel hinten, ABS.

Gewicht (trocken): 147 kg*
Tankinhalt: 10,0 Liter Super
Grundpreis: 5595 Euro (zzgl. NK)*

* Herstellerangabe

Fazit

KTM
Feder mit progressiver Wicklung am Federbein. Das komplette Setup geriet sehr weich.

KTM goes global. Auf diesem Weg ist die RC 390 sicher ein wichtiger Schritt. Dass das Konzept kleiner Hubräume in fetzig verpackten Bikes auch hierzulande Erfolg haben kann, beweist die 390 Duke eindrücklich. Trotz ihrer
Schwächen ist die RC im Alltag ein sympathischer Feger, der selbst leistungsverwöhnten Treibern nach etwas Eingewöhnung viel Spaß bereitet – alles Einstellungssache!

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PS 10 / 2023

Erscheinungsdatum 13.09.2023