Die goldunterlegte Eins an der Verkleidung ist das untrügliche Zeichen: Das ist das Superbike des Weltmeisters. PS durfte Jonathan Reas siegreiche Kawasaki ZX-10R exklusiv über die Piste in Aragon peitschen.
Die goldunterlegte Eins an der Verkleidung ist das untrügliche Zeichen: Das ist das Superbike des Weltmeisters. PS durfte Jonathan Reas siegreiche Kawasaki ZX-10R exklusiv über die Piste in Aragon peitschen.
Am Ende fehlten Jonathan Rea bei 548 Punkten nur schlappe vier Zähler auf Colin Edwards’ Superbike-Punkte-Rekord von 2002. Aber 23 Podestplätze in 26 Rennen, davon allein 14 Siege mit elf schnellsten Runden sprechen eine klare Sprache: Die Werks-Kawasaki ZX-10R muss eine phänomenale Waffe sein. Was bei einem Testredakteur, der dieses Rennmotorrad gleich fahren darf, natürlich ein Wechselbad der Gefühle auslöst. Zur unbändigen Freude, eine dieser raren Einladungen bekommen zu haben, mischt sich Skepsis, so ein Motorrad wenigstens ansatzweise würdig bewegen zu können.
Zudem ist die Strecke in Aragon extrem anspruchsvoll und dem Tester nahezu unbekannt. Und nach mir fahren noch Shinya Nakano und Andrew Pitt mit der Kawasaki ZX-10R – ein Ex-MotoGP-Pilot und ein Ex-Supersport-Weltmeister. Da kann man zwar sicher sein, mit Originalmapping zu fahren, aber spürt auch den Druck, bloß nicht zu versagen. Dann ist es so weit. Das Team zieht die Reifenwärmer ab, und Johnny Reas Mechaniker erklärt kurz die Besonderheiten: „Keine Kupplung ziehen beim Runterschalten, sonst funktioniert die Motorbremse nicht mehr. Finger von den Knöpfen – genieß es!“
Die ersten Eindrücke auf der Out-Lap sind blankes Erstaunen. Die Kawasaki ZX-10R hat Druck wie ein Faustschlag von Wladimir Klitschko, aber im Gegensatz zu dessen hartem rechten Haken kommt der Punch aus dem WM-Vierzylinder zu keiner Zeit hinterhältig. Selbst im Schau-wo’s-lang-geht-Betrieb funktioniert das Ride-by-Wire tadellos, nimmt die 10er richtig sanft das Gas an und dreht absolut berechenbar und erstaunlich gleichmäßig bis zum Schaltblitz bei 15.000/min durch. Vibrationen kennt der Motor gar nicht.
Genial, denn das beruhigt, und so traue ich mich, ab der ersten Runde mehr Gas zu geben. Wieselflink ist die Kawasaki ZX-10R, deren Gewicht mit Wasser und Öl, aber ohne Sprit bei genau 170 kg liegen soll – zwei Kilo über dem Minimum. Im ersten Geschlängel nach Start-Ziel entpuppt sich die sehr wuchtig wirkende Rea-Kawa als extrem agiler Racer, der sich mühelos von einer Seite auf die andere werfen lässt. Anfangs stimmt hier natürlich noch kaum eine Linie, aber mit diesem „sanften“ Motor kosten einen die Korrekturen keinerlei Nerven. Gas zu, wieder etwas aufrichten, Gas langsam auf – weiter!
Klar schießt man dann auch mal etwas übermütig in die teilweise extrem engen und auch blinden Ecken der spanischen Rennstrecke. Doch selbst das verzeiht dieses Motorrad. Die Kawasaki ZX-10R stellt sich kein bisschen auf, verzögert wie gewünscht und stürmt dann entschlossen aus den Ecken. Die Wheelie-Neigung ist minimal, nur im ersten und zweiten Gang nutzt Rea die Elektronik gegen das steigende Vorderrad. Das ist zum einen extrem geil, auf der anderen Seite gibt sie einem so keinerlei Ausrede für die eigene Stümperei. Ständig scheint die Kawa mir zuzuflüstern: „Ist schon okay, du armes Würstchen.“
Dass der Motor so smooth und fast schon unspektakulär ist, erklärt sich aus dem Können der Kawasaki-Truppe und dem Superbike-Reglement für 2015. Selbst den Werksteams ist es mittlerweile verboten, die Kurbelwellen im großen Stil zu ändern. Auch die Kolben inklusive der Ringe und die Ventile müssen der Serie entsprechen, und die Pleuel dürfen nicht leichter sein als bei jeder handelsüblichen Kawasaki ZX-10R. Dazu kommen noch ein paar Einschränkungen, die die Leistung der Kawa nicht über 220 PS am Getriebeausgang hinausschießen lassen.
Das Augenmerk liegt auf ganz linearem Leistungsverlauf. „Bei dem Reglement ist es gar nicht möglich, dass der Motor so sprunghaft nach oben dreht und leistungsmäßig geradezu zu explodieren scheint“, erklärt Teamchef Perre Riba. „Johnny kann das perfekt einsetzen, denn er fährt extrem rund mit hohem Kurvenspeed. Teamkollege Sykes pflegt mehr den bisher typischen Superbike-Stil mit irrem Bremseinsatz und gnadenlosem Beschleunigen am Kurvenausgang.“ Wohl deshalb hatte Tom Anfang der Saison seine Schwierigkeiten.
Entsprechend „weich“ ist Reas Fahrwerk abgestimmt, und so kann ich selbst mit meinen zahllosen Fehlern in jeder Runde entschlossener am Kabel ziehen. Da habe ich schon gnadenlosere IDM-Setups erlebt. Ab einem gewissen Punkt fängt die Kawasaki ZX-10R dann aber doch an, mit dem Heck zu wedeln – besonders in der superschnellen Links-Parabolika nach der Cork Screw. Aber vielleicht bin ich auch einfach nicht schnell genug für Reas Setup? Kawasaki-Testfahrer Tobias Schading bestätigt meine Vermutung später, als er nach einigen Turns feststellt, dass je schneller es vorwärts geht, die Kawa auch in diesem Eck immer stabiler wird.
Erstaunen löst dagegen die Front in Verbindung mit der Bremse in der harten Bremszone nach der schnellen Start-Ziel-Geraden aus. Die Stopper sind unglaublich fein progressiv, erfordern echtes Fingerspitzengefühl, denn mit jedem Mü mehr Zug in den Fingern beißt die Bremse mächtiger zu. Als ich mich zwei, drei Runden später sicherer fühle und nach der Brücke in die Eisen gehe, wird mir schlagartig bewusst, wie schnell diese 10er ist. Etwas panisch greife ich entschlossener in die Eisen. Die Kawasaki ZX-10R nickt noch tiefer nach vorn, steigt hinten hoch, und ich mache bei gefühlten 200 Sachen einen Stoppie vom Feinsten. Auch im weiteren Verlauf wirkt die Kawa bei harten Bremsattacken hinten etwas nervös.
Bei einer Gewichtsverteilung von vorn 56 zu 44 Prozent hinten kein wirkliches Wunder. Erstaunlich ist dabei nur, das Rea hinten überhaupt nicht mitbremst und trotzdem so verdammt hart und punktgenau verzögern kann. Das Datarecording attestiert ihm 14 bar Bremsdruck! Verblüfft über das Wesen dieser WM-Rakete gebe ich das Bike nach sieben Runden zurück. Es ist gar nicht so schwierig, Johnny Reas Motorrad zu fahren. Diese Kawasaki ZX-10R hat nur ein Geheimnis: Du musst eben ein knallhart schneller und präzise fahrender Bursche sein – dann wirst du damit Weltmeister!