Tracktest: Endurance-Werks-Yamaha YZF-R1

Tracktest: Endurance-Werks-Yamaha YZF-R1 Marathon-Maschine

Die Einladung kam ebenso überraschend wie der Sieg des Yamaha Austria Racing Teams (YART) beim berühmten 24-Stunden-Rennen von Le Mans: Ob wir sein Siegermotorrad fahren wollten, fragte YART-Chef Mandy Kainz eine Woche nach dem Endurance-Klassiker an. Die Chance auf ein Rendezvous mit dem prominenten Dauerläufer ließ MOTORRAD sich nicht entgehen.

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Donnerstag, 30. April, gegen halb elf. Im Halbdunkel der Box neun an der Rennstrecke in Oschers-leben drückt Mandy Kainz auf den Startknopf der Yamaha R1. Blitzartig springt der Vierzylinder an und brabbelt unternehmungslustig durch die Endtöpfe der Akrapovic-Auspuffanlage, als wäre er kein bisschen müde. Dabei hätte er sich eine Ruhepause durchaus verdient gehabt. Erst zwölf Tage zuvor hatte der Franzose Gwen Giabbani das Triebwerk abgestellt, kurz nachdem er das Ziel der 24 Stunden von Le Mans als Sieger passiert hatte. Nach exakt 24 Stunden und 47,964 Sekunden, nach 3042,495 Kilometern im Renntempo, nach einer kalten Nacht, nach 20 Stunden im Regen. Es war nicht weniger als ein historischer Sieg: der erste für das Yamaha Austria Racing Team bei einem 24-Stunden-Marathon, der erste eines nicht-französischen Teams seit 1984, der erste einer Yamaha seit 2005. Der Triumph seines Piloten-Trios Giabbani, Steve Martin und Igor Jerman trieb Teamchef Kainz ein paar Freudentränen in die Augen.

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Jetzt ist dieses Motorrad startklar für mich. Ein Traum wird wahr, den ich nie zu träumen gewagt hätte. Denn es ist nicht das erste Mal, dass ich in Oschersleben mit einem Endurance-Motorrad auf die Rennstrecke einbiege. 2001 bin ich hier zum ersten Mal bei einem 24-Stunden-Rennen an den Start gegangen – das Ergebnis war Platz zwei in der Kategorie Pro-to-B. Danach gab es nur noch Ausfälle. 2003 stürzte einer meiner Kollegen nach drei Stunden und fabrizierte Kernschrott. 2004 rutschten wir auf der Ölspur aus, die eine Werks-Suzuki gelegt hatte. Heute auf dem berühmtesten Motorrad der aktuellen Endurance-WM-Saison die Boxengasse in Oschersleben entlang zu rollen ist für mich deshalb ein ganz besonderes Erlebnis. „Bist du nervös?“ hatte mich Steve Martin noch gefragt und hinzugefügt: „Bring das Baby bitte wieder heil zurück.“ Die Warnung hätte er sich sparen können. Schon in der Box war mir aufgefallen, wie überaus pfleglich die Mechaniker mit der R1 umgingen – dieses Motorrad schien für sie ein Heiligtum zu sein.

Erste Kontaktaufnahme. Der Sitz schwebt höher über dem Boden als bei der Serienmaschine, die Lenkerstummel sind etwas weiter ausgestellt – eine übliche Maßnahme bei Endurance-Bikes, damit es die Piloten bei ihren 60-Minuten-Einsätzen etwas bequemer haben. Sonst ist die YART-R1 wenig gewöhnungsbedürftig. Die Schalter an den Lenkerenden sind ordentlich beschriftet, ganz links der Knopf für den Drehzahlbegrenzer, der zu schnelles Fahren in der Boxengasse verhindern soll, daneben der rote Schalter, mit dem die zwei Basis-Motor-Mappings abgerufen werden können, zu denen es jeweils vier Unter-Mappings gibt – zu aktivieren über einen Taster am rechten Lenkerende. Als Informationszentrale dient das Seriencockpit mit großem Drehzahlmesser, Schaltblitz und Display. „Das Serienteil ist robust und hält bei einem Sturz am meisten aus“, hatte Mandy Kainz den Verzicht auf Hightech an dieser Stelle begründet. Die ist dafür überall sonst zu finden. Ob das der Werkskühler aus der Superbike-WM ist, der Handbremshebel, der bei einem Unfall erst mal wegklappt, bevor er bricht, oder die unzähligen Schnellverschlüsse, mit denen alle Bauteile am Motorrad befestigt zu sein scheinen. Räder, Verkleidung, Fußrastenanlage, sogar die Bremsleitungen sind mit – sündhaft teuren – Schnellkupplungen ausgerüstet.

Einzelne Komponenten

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Kostspielig wirds auch beim Fahrwerk. Die Hinterradschwinge ist ein Werks-Bauteil, wie sie auch Yamahas neuer Superheld Ben Spies in der Superbike-WM verwendet. Öhlins steuert hochfeine und in allen Parametern verstellbare Komponenten bei, ein TTX-Federbein und eine TTX-Gabel. Deren Standrohre sind eine Spezialanfertigung, 30 Millimeter länger als üblich. „Damit wir mehr Bodenfreiheit bekommen“, erklärt Kainz. Sein Team ist dieses Jahr Entwicklungspartner von Michelin, die Yamaha rollt deshalb nicht wie in der Serie auf 17-Zoll-Felgen, sondern vorne auf einem 16-Zoll- und hinten auf einem 16,5-Zoll-Rad. Kainz: „Gwen Giabbani fährt ultraschräg, der hatte deshalb dauernd Bodenkontakt mit dem Motorgehäuse. Dagegen mussten wir etwas tun.“ Das Problem sei fast gelöst. Für meinen Fahrversuch in Oschersleben war die Schräglagenfreiheit jedenfalls ausreichend. „Die Reifen müssen drei Runden lang warm gefahren werden, bevor sie vollen Grip entwickeln“, hatte mir Steve Martin eingeschärft – obwohl Reifen-wärmer aufgezogen waren. Bitte sehr, Zeit genug, einen ersten Eindruck vom Fahr-verhalten dieser speziellen R1 zu bekommen. Das völlig neue Chassis der 2009er-R1 ist sehr stabil, das hatte sich schon im Vergleich mit dem Vormodell (MOTORRAD 6/2009) offenbart. Entsprechend fährt sich die Rennversion, folgt Lenkbefehlen präzise und zielgenau, lässt sich erstaunlich leicht über den kurvigen Kurs dirigieren.

Ende der dritten Aufwärmrunde, Ziel-gerade. Jetzt ist Vollgas angesagt. Die Boxenanlage links von mir registriere ich schon gar nicht mehr, alle Konzentration gilt dem Bremspunkt vor der ersten Kurve. Die Bremsanlage mit France-Equipement-Scheiben und Nissin-Sätteln im Vorderrad verzögert vehement, obwohl sie mit nur zwei Fingern bedient wird. Bereits aus mittleren Drehzahlen, so ab 7000 bis 8000/min, beschleunigt die Yamaha am Kurven-ausgang geradezu begeisternd. Da ist die Besonderheit des Big-Bang-Motors mit seinen 90 Grad Hubzapfenversatz an der Kurbelwelle in der YART-Version zu spüren: Er liefert Drehmoment satt, 127 Nm sollen es sein – statt 116 in der Serie. Und die stehen gefühlt von 7500 bis 14000/min zur Verfügung. Das Triebwerk wurde bei Auspuffhersteller Igor Akrapovic im slowenischen Ivancna Gorica mit 180 PS am Hinterrad gemessen. Nach der 24-Stunden-Tortur in Le Mans wohlgemerkt. Die Endrohre der Le-Mans-Auspuffanlage hat Akrapovi? nicht mehr herausgerückt. Die Hobby-Racer zu überholen, die außer mir auf der Piste sind, ist da natürlich kein Problem. Auch nicht, wenn sie auf einer Suzuki GSX-R 1000 sitzen, derzeit das Maß der Dinge in Sachen Großserien-Super-sportler für die Rennstrecke. Die Yamaha fliegt einfach vorbei. Auf der Geraden sowieso. Und in Kurven nach Belieben innen, auf der engeren, oder außen, auf der weiteren Linie. „Wir haben die Leistung im mittleren Drehzahlbereich um 15 PS reduziert“, hatte mir Mandy Kainz erklärt, „das verbessert die Fahrbarkeit etwas.“ Und schont die Fahrer beim Langstreckeneinsatz. Ich habe kein einziges PS vermisst.

Kaum dass jemand Notiz von mir nimmt, als ich wieder vor Box neun angekommen bin. „Alles okay?“ fragt Kainz nur über die Schulter. Was für eine Frage – natürlich nicht. Hätten mich Steve Martin und die hochkonzentrierte YART-Boxencrew dort erwartet, hätten sie in stark 20 Sekunden Vorder- und Hinterrad getauscht und den Tank neu gefüllt, während ich Steve ein „Alles okay mit dem Motorrad und der Strecke“ zugerufen und, den Helm noch auf, beim Rausfahren nachgeschaut hätte – dann hätte ich das Gefühl gehabt, dass diese Yamaha zwei Stunden später wieder meine ist. Für den nächsten Turn bei einem 24-Stunden-Rennen, bei dem ich endlich mal ein siegfähiges Motorrad gehabt hätte. So aber ist es ein Abschied, vermutlich für immer. Zum Glück bleibt mir das Video von der Testfahrt, das ich per Helmkamera aufgenommen habe, als Souvenir.

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