„Hoffentlich läuft‘s jetzt“, schießt es mir durch den Kopf. Ich halte die Drehzahl der Yoshimura-Suzuki GSX-R 1000 um die 4000 Touren, kuppele dabei sanft ein und rolle leicht beschleunigend aus der Box, hinaus auf die Pitlane des legendären Suzuka Circuits in Japan. Unter mir das Motorrad, das im letzten August das für japanische Motorradhersteller so wichtige Achtstunden-Rennen nach Sturz und Durchfahrtsstrafe nur um lausige 111 Sekunden verloren hat. Eine Waffe, die die Strecke im Gegensatz zu mir aus dem Effeff kennt – und leider keinen Autopiloten besitzt. Doch woher das ungewohnte Zaudern?
Knappe zwei Stunden zuvor haben Suzuka und ich uns auf ganz spezielle Weise kennengelernt. Speziell deswegen, weil Suzuka nicht nur eine ähnliche Topografie besitzt wie die Nürburgring-Nordschleife und ebenso schwer zu lernen ist. Sondern auch, weil ich meine ersten Runden auf einer Stocksport-BMW S 1000 RR drehen durfte. Allerdings mit neuen Slicks und einem kalten Vorderreifen – der defekte Reifenwärmer blieb unentdeckt –, was für vier Beinahe-Stürze in den ersten beiden Runden und ein extrem angeschlagenes Selbstvertrauen sorgte.
Yoshi-Gixxer im Langstrecken-Trimm kein Handlingswunder
„Konzentrier dich, diese Pellen sind heiß!“. Ich zische die Boxengasse entlang und fahre auf die Strecke. Die winterlichen Temperaturen von knapp unter zehn Grad lassen mich freiwillig hinter die Bubble-Scheibe schrumpfen. So brenne ich auf der Yoshimura-Suzuki der ersten Doppelrechts entgegen. Die Gixxer im Langstrecken-Trimm und auf 16.5-Zoll-Entwicklungsreifen von Bridgestone winkelt willig ab und zieht dann stoisch ihre Bahn. Ausgangs der zweiten Rechts geht es steil bergauf in eine Passage, die ich für mich „Hatzenbach“ taufe, denn hier passt der legendäre Nordschleifen-Spruch: „Wer hier zu schnell reinfährt, kommt hinten nicht mehr raus“.
Danach geht es extrem flott links bergauf über eine fiese Kuppe, ähnlich wie in Jerez der Eingang der Gegengeraden, nur eben anders herum. Harte Jungs fliegen hier sicherlich im Vierten volle Kanone drüber. Ich belasse es bei Dreiviertelgas und werde der folgenden engen Rechts-Links-Rechts-Schikane trotzdem viel zu schnell entgegengespuckt. Auch diese, den flüssigen Rhythmus des ersten Streckendrittels brechende Passage, stellt für die Yoshimura-Suzuki GSX-R 1000 kein Problem dar. Schon eher für den Streckenneuling, der natürlich entweder viel zu früh oder viel zu spät bremst. Einen sauberen Einlenkpunkt zu finden ist genau so schwierig, wie überhaupt eine flüssige Runde hinzulegen. Drei Runden später bin ich dann weiter. Die Suzuki hat mir im Sattel bislang alle Fahrfehler verziehen, die Strecke auch. Mit gesteigerter Harmonie gehen wir unsere vierte Runde an. Die GSX-R drückt mich mächtig die Start-Ziel-Gerade hinab, der Doppelrechts und dem „Hatzenbach“ entgegen, der Eingangsspeed passt hier.
Die ganz private Suzuka-Hölle des Testers
Im dritten Gang bei mittlerer Drehzahl pfeile ich durch das Gewirr und werfe die Gixxer beherzt von links nach rechts. Dazu ist allerdings etwas Kraft nötig, denn ein Handlingswunder ist die Yoshimura-Suzuki GSX-R 1000 im Langstrecken-Trimm nicht. Sie macht zwar genau das, was der Pilot will, verlangt dabei aber nach einem direkten und klaren Lenkbefehl.

Unglaublich dann das, was in vermeintlich tiefer Schräglage passiert. Je schräger man auf den 16.5-Zöllern von Bridgestone unterwegs ist, desto transparenter wird das Fahrgefühl, desto besser fühlen sich die Reifen an. Korrekturen der Linie – bei Suzuka-Neulingen unvermeidbar – gehen einfacher von der Hand, je schräger man fährt. Ellenbogenschleifen à la Marc Marquez scheint gar in erreichbare Nähe zu rücken. Selbst diese verhassten „ui-ui-ui-Bremsungen“ in Schräglage, wenn man sich dem Scheitelpunkt viel zu schnell nähert, gehen ohne störendes Aufstellmoment über die Bühne. Am Kurvenausgang dann nur ein klitzekleines Aufstellen bei voll gespanntem Hahn und regelnder Traktionskontrolle. Diese wurde von den Technikern durchaus konservativ eingestellt, um dem Tester das Leben etwas zu erleichtern.
Heureka, war die vierte Runde gut. Jetzt folgt hoffentlich ein noch besserer fünfter Umlauf! Und siehe da: Mann und Maschine meistern die Prüfung zur Zufriedenheit des Piloten. Endlich habe ich das Gefühl, die Strecke ein wenig zu kennen und fliege im Fünften volle Suppe durch einen mörderisch schnellen Linksknick. Die Yoshimura-Suzuki GSX-R 1000 liegt wie ein Brett, ein Moto3-Fahrer wird inhaliert und durch den Auspuff wieder ausgespuckt. Bamm, die Rundenzeit passt für einen Suzuka-Erstling, das Selbstvertrauen ist zurück.
In der Auslaufrunde poppen Gedanken an die legendären „8 hours of Suzuka“ hoch. Hier acht Stunden lang schnell fahren? Noch dazu in der mörderisch-schwülen Hitze eines japanischen Augusts? Nie im Leben würde ich diese Gluthölle überleben!
Dann erlebe ich meine private Suzuka-Hölle. Ich bin für das herbstliche Wetter zu langsam unterwegs, der Vorderreifen kühlt aus und schwenkt in Linksschräglage die weiße Fahne. Auf unserem gemeinsamen Weg ins Kiesbett raunt der Gummi mir zu: „Hey Junge, ich bin zum Brennen gebaut, nicht zum Bummeln!“
PS-Daten

Antrieb
Vierzylinder-Reihenmotor, vier Ventile/Zylinder, ca. 154 kW (210 PS), max. Drehmoment: k.A., 999 cm3, Bohrung/Hub: 74,5/57,3 mm, Verdichtung: k. A., Zünd-/Einspritzanlage von Magneti-Marelli, 44-mm-Drosselklappen, mechanisch betätigte Mehrscheiben-Ölbad-Anti-Hopping-Kupplung, Sechsganggetriebe, Kette, Traktionskontrolle.
Fahrwerk
Leichtmetall-Brückenrahmen, Lenkkopfwinkel: 65,5 bis 66,5 Grad, Nachlauf: k.A., Radstand: 1400 bis 1460 mm, Ø Gabelinnenrohr: 43 mm, Federweg v./h.: 120/130 mm.
Räder und Bremsen
Magnesium-Schmiederäder, 3.75 x 16.5/6.25 x 16.5, Reifen vorn: 120/600 R 16.5, hinten: 190/650 R 16.5, 320-mm-Doppelscheibenbremse mit Vierkolben-Festsätteln vorn, 220-mm-Einzelscheibe mit Zweikolben-Festsattel hinten
Gewicht (vollgetankt): 193 kg*,
Tankinhalt: 24 Liter
*Herstellerangabe |