Fast Freddie Spencer kehrte 1990 auf einer Honda RC30 vom Two Brothers Team in die AMA-Superbike-Meisterschaft zurück. Exakt diese Maschine stand am Pannoniaring für eine Attacke bereit. Was steckt in dem Rennflügel, der damals kaum zu schlagen war?
Fast Freddie Spencer kehrte 1990 auf einer Honda RC30 vom Two Brothers Team in die AMA-Superbike-Meisterschaft zurück. Exakt diese Maschine stand am Pannoniaring für eine Attacke bereit. Was steckt in dem Rennflügel, der damals kaum zu schlagen war?
Der größte Moment? „Drei Tage nach dem Gewinn der Weltmeisterschaft in der Königsklasse wurde ich von Soichiro Honda zu Hause empfangen. Er öffnete die Tür, nahm mich bei den Schultern, schaute mir tief in die Augen und sagte: Danke!“, erinnert sich Freddie Spencer. 1983 hatte der damals 21-jährige Amerikaner dem japanischen Visionär und Imperiumgründer einen großen Traum erfüllt. Honda war zum ersten Mal Weltmeister in der höchsten Motorrad-Rennsportklasse geworden.
Als mir das Fast Freddie vor zwei Jahren beim Oldtimer-GP in Schwanenstadt erzählte, lief mir ein Schauer über den Rücken. Da ging mir das Herz auf, wie man so sagt. Der größte Moment war also nicht draußen auf der Strecke passiert, wo Spencer äußerst spektakuläre Rennen fuhr (1985 wurde er noch Doppelweltmeister für Honda in der 500er- und in der 250er-Klasse), sondern an der Türschwelle eines 77 Jahre alten Mannes. „Gewinnen ist gut. Aber richtig gut ist es nur, wenn man den Sieg mit jemandem teilen kann. Die tief empfundene Freude und Zufriedenheit in Mr. Hondas Augen werde ich nie vergessen“, sagte mir Spencer.
Und dann stieg er auf die Honda RC30 vom Two Brothers Team, die er bei seinem Comeback 1990 in der AMA-Superbike-Meisterschaft gefahren war, und feuerte sie auf dem Straßenkurs in Schwanenstadt dermaßen befreit ab, dass gleich einmal ein neuer Streckenrekord auf der Welt war. Fast Freddie! Ein Wahnsinn, wie locker und spielerisch er die knapp ein Vierteljahrhundert alte AMA-RC30 bewegte! Die Menge tobte. Da Spencer auch heuer wieder beim Oldtimer-GP in Schwanenstadt (17./18. September) starten wird und Bertl Gastinger, der Besitzer von Freddies damaliger RC30, noch Runden am Pannoniaring abspulen wollte, um sicherzustellen, dass die Maschine top in Schuss ist, bekam ich die Gelegenheit, eine PS-Attacke auf dem Wahnsinnsflügel zu reiten. Wow!
Die VFR 750 R mit dem internen Kürzel RC30 war bei ihrem Erscheinen 1988 ein unfassbar gutes Sportmotorrad, das mittels Kit zur echten Rennmaschine mutierte. Honda gewann damit die 1988 erstmals ausgetragene Superbike-WM, holte sich Siege auf der Isle of Man-TT und war jahrelang auch bei den AMA-Superbikes eine Macht. Spencer selbst konnte zwar keine Meisterschaft mehr gewinnen, fuhr aber mit der Honda RC30 noch einige spektakuläre Siege ein. Anfang der 90er Jahre.
„Die schaut genauso aus wie die Maschine vom Spencer, aber sie ist es natürlich nicht mehr“, sagte ich jetzt zu Bertl Gastinger und erntete dafür Empörung: „Die ist komplett original. Genauso ist er 1990 gefahren. Die Magnesium-Werksgabel von der NW6, also der Werksrennmaschine auf Basis der Honda RC24, die kurze Kit-Schwinge, das Öhlins-Federbein mit der Showa-Feder, der kurze erste Standard-Gang, die Geometrie, die Jet-Titanpleuel von der RC15. Wir haben nichts verändert. Vor zwei Jahren in Schwanenstadt hat er es nicht gepackt, dass sich das Gefühl von damals sofort wieder einstellte. Als er nach den ersten Runden zurückkam, hatte er ein breites Grinsen im Gesicht. Und er war ja auch vom Fleck weg unheimlich schnell gewesen.“
„Unheimlich schnell werde ich jetzt nicht sein. Aber muss ich sie schonen? Wie hoch darf ich sie drehen?“, wollte ich noch wissen, während ich den Kinnriemen in den Doppel-D des Arai fädelte. 13.500/min wären kein Problem, Schonung wäre überflüssig, eine Schrottung allerdings keine gute Idee, meinte Bertl, ehe er sich zum Anschieben bereit machte. Ich nickte. Alles klar. Bin ja kein Barbar.
Den zweiten Gang nach unten drücken, den schiebenden Bertl auf Geschwindigkeit kommen lassen, den Allerwertesten mit Nachdruck in den Sattel pressen, die Kupplung auslassen – der V4 lebt! Mörder Klang! Nicht wahnsinnig laut, aber rau, heiser, voll und sehr, sehr ehrlich. Ich meine, unter mir werkt ein 750er-Vierzylinder mit 135 PS Spitzenleistung, der es Ende der 80er und Anfang der 90er allen so richtig besorgt hat, und der darf einfach nicht klingen wie ein topmoderner Knebelmotor im Euro-4-Wahn.
Während ich verhalten durch die Boxengasse in Richtung Strecke rolle, wundere ich mich noch über die angenehme Sitzposition. Okay, der Kniewinkel ist supersportlich ernst und das flache HRC-Sitzpolster spartanisch hart, aber Sattel und Lenker haben einen für mich perfekten Abstand, der Oberkörper ist leicht nach vorne geneigt, doch von großem Druck auf die Handgelenke kann keine Rede sein. Die extreme Vorderrad-Orientierung heutiger Superbikes hat die Honda RC30 definitiv nicht.
Wird das Einlenken ein Kraftakt? Wird das Fahrwerk der Honda RC30, das mir beim Aufsteigen sehr weich vorgekommen ist, beim Ankern und Beschleunigen in die Knie gehen? Bremst das überhaupt würdig? Werde ich den markanten Bereich des V4 dosieren können, wenn zwischen 7000 und 8000/min der echte Schub zündet?
Ich war wirklich gespannt. Aber nervös war ich nicht. Ich bin in meinem Leben schon Hunderte Hondas gefahren, und es gab keine einzige, die heimtückisch gewesen wäre. Selbst die RC211V vom Rossi damals, mit der ich fünf Runden fahren durfte, war keine hinterlistige oder heikle Diva, sondern brillierte mit einem absolut logischen, selbsterklärenden Fahrverhalten. Spencers Honda RC30 würde mir jetzt das Leben nicht schwer machen, dessen war ich mir absolut sicher. Ohne Fahrmodi, ohne Traktionskontrolle, ohne ABS.
Da man sich bei den AMA-Superbikes viel weiter von der Serie entfernen konnte als in der Superbike-WM, finden sich in der Two Brothers-RC30 von Spencer unfassbar edle Teile und irr aufwendige technische Lösungen. Die Gabel zum Beispiel ist ein HRC-Showa-Werksteleskop, das in der Werks-NW6 (Honda RC24) eingesetzt wurde. Die Tauchrohre sind aus Stahl, die Füße aus Magnesium – aus dem Vollen gefräst. Extrem wirkungsvoll ist das hydraulische Anti-Dive-System. Beim Ankern bewegt die Bremszange einen kleinen Hebel, der ein Ventil schließt. So wird der Fluss des Öls, das beim Eintauchen der Gabel nach oben drängt, gedrosselt. Dieses System hatte Honda auch bei den Gabeln der GP-Rennmaschinen.
Das Innenleben wird beherrscht von ultrapräzise gefertigten Teilen aus Titan. Wer kann bei so einem edlen Stück wie der Honda RC30 den Service machen? „Zunächst habe ich die Gabel zum deutschen Showa-Techniker Andi Vogt gebracht“, erzählt Bertl Gastinger, „und er war wirklich beeindruckt. Kit-Gabeln aus Aluminium konnte man kaufen, aber eine echte Werksgabel nicht. So eine hatte er selber noch nicht gesehen. Mittlerweile kann auch mein Bruder Peter den Service erledigen.“
Dass die Tauchrohre weit aus der oberen Gabelbrücke ragen, wirkt irgendwie eigenartig, hat aber einen guten Grund: Die RC24 war höher als die Honda RC30. Hinten vertraute Spencer der Kit-Schwinge (die HRC-Techniker schnitten die Originalschwinge auseinander, kürzten sie um 15 mm und schweißten Versteifungsprofile ein) und einem Öhlins-Federbein mit Showa-Feder. Die hintere, ultraleichte 6-Zoll-Felge aus Magnesium stammt aus einer NR 750, die 320-mm-Bremsanlage von der NW6.
„Spencers Honda RC30 ist hinten etwas höher gestellt, als die meisten RC30 damals im Renneinsatz waren“, hatte mir Bertl erklärt. In Verbindung mit der kurzen Kit-Schwinge, dem daraus resultierenden sehr kompakten Radstand von 1390 mm und dem geringen Gewicht (160 Kilo) erwartete ich ein scharfes Handling.
Aber schon nach den ersten Radien war klar, dass Spencers Honda RC30 auf keinen Fall nervös ist, sondern durchaus einen gewissen Input beim Einlenken braucht. Für mich und meinen Speed aber absolut gutmütig und Vertrauen fördernd. Die knapp 30 Jahre alte Bremse war natürlich nicht superscharf, aber auch keineswegs schlaff. Die Dosierbarkeit taugte mir sehr, für den echten Biss musste ich jetzt den Hebel aber schon erheblich würgen.
Richtig begeistert war ich vom Fahrwerk. Beim Aufsteigen und der Bummelei durch die Boxengasse hatte ich noch das Gefühl, die Federelemente wären zu weich abgestimmt, aber in voller Fahrt lieferte das Fahrwerk wunderbare Straffheit und Stabilität. Das Anti-Dive-System funktionierte beim Anbremsen – im Gegensatz zu den nahezu wirkungslosen Serienablegern damals – dermaßen gut, dass ich während der gesamten Phase des Gewichtstransfers nach vorne ein sehr klares Gefühl fürs Vorderrad hatte. Wow! Und obwohl ich bei echter Affenhitze in Pannonien mit Michelin Pilot Power 3 mit Straßenluftdruck unterwegs war (Spencer wird die Maschine ja nur in Schwanenstadt fahren), legte ich Runde für Runde immer schärfer um, weil ich die Honda RC30 in ihrer Gesamtheit so logisch wie einen Hammer bedienen konnte. Irgendwann schrie dann der Vogel im Hirn: „Fahr in die Box! Du wirst es übertreiben!“ Gute Idee.
Nachdem ich die Honda RC30 dann wieder dem Besitzer übergeben hatte, sprudelte es aus mir heraus: „Wahnsinn, wie leinwand und mördergut Fahrwerk und Motor zusammenpassen. Ich hatte schon vergessen, wie voll und weich ein perfekt abgestimmter Vergaser ans Werk geht. Herrlich ist auch, wenn der V4 bei 8000 Touren forsch zulegt. Toller Punch! Ich hätte nicht geglaubt, dass sich ein 26 Jahre altes Motorrad so gut am Ring bewegen lässt. Geschmeidig und thrillreich zugleich. Ein großartiges Erlebnis. Danke, Bertl!“
Was steckt im Motor? Im Wesentlichen sind es die Teile des HRC-Kits. Allerdings kommen die TT-F1-Gleichdruckvergaser von 1988 zum Einsatz, die aufgrund des 36,5-mm-Querschnitts (Serie: 35,3) in der Superbike-WM verboten waren. Mit 39er-Flachschiebern hatte die Honda RC30 etwas mehr Spitzenleistung (ca. 140 PS), die Leistungsentfaltung war aber deutlich giftiger und das nutzbare Band schmäler.
Ein weiterer, großer Unterschied zum Superbike sind die Pleuel: In der Two Brothers-RC30 arbeiten nicht die HRC-Titanpleuel, sondern die ausgehonten und mit neuen Buchsen versehenen Jet-Titanpleuel der Honda RC15. Warum denn? Bertl Gastinger zuckt mit den Schultern: „Genau weiß ich das nicht. Der Gotthard Gugler und ich haben selber fest gestaunt, als wir den Motor zum ersten Mal komplett zerlegt haben. Bekannt ist, dass die Amis damals beim Titan besser waren als die Japaner. Die RC15-Jet-Pleuel sind jedenfalls noch immer in einem bemerkenswert guten Zustand."
Die eigenen Wege der Amerikaner beim Tunen scharfer Motoren sieht man auch in den Zylinderköpfen dieser Honda RC30: „Die Einlaufphase vor dem Ventilbereich ist extrem ausgenommen, damit das Frischgas noch schneller zum Ventil kommt. Von europäischen Tunern kennt man diese Art der Bearbeitung nicht. Two Brothers-Köpfe sind ganz speziell“, weiß Bertl.
Gastinger besitzt nicht nur die Honda RC30 von Spencer, sondern auch die beiden Honda RC15, mit denen Fast Freddie 1983 und 1984 die 200 Meilen von Daytona gewonnen hat. Nachdem die AMA für die Saison 1983 den zulässigen Hubraum von 1000 auf 750 Kubik reduziert hatte, setzte Honda alles daran, mit der V4-Interceptor den Titel zu holen. Die Serien-VF 750 wog damals 240 Kilo, die Rennversion mit Trockenkupplung und Titanpleueln nur 180 und leistete 120 PS.
Wir sitzen nach dem Test bei einem Kaffee, der Bertl brennt ein Feuerwerk an V4-Wissen ab, und ich muss noch eine Frage klären: „Warst du immer schon ein Honda-Fan?“ Nein, war er nicht. Für ihn war damals Kenny Roberts der Größte, und er lackierte sein Moped wie die GP-Yamaha. Als der Spencer Roberts besiegte, war Bertl gar nicht erfreut. Aber als er dann sein erstes Motorrad kaufen konnte, fragte er seinen Bekannten Gotthard Gugler, in technischen Belangen eine Koryphäe, nach dessen Meinung. Und die war eindeutig: „Unbedingt eine Honda mit V4. Die sind aus technischer Sicht weit in Führung. Ein geniales Konzept. Da kommen die anderen nicht mit.“ Also kaufte er sich eine VF 500 mit 70 PS und fuhr Honda-Cup. Und bis heute brennt die Leidenschaft für den V4 von Honda. Letzte Frage: „Würdest du die Spencer-RC30 verkaufen?“ – „Niemals. Da steckt so viel Herzblut drin. Ich bin nicht reich, aber ich komme durch.“
Antrieb
90-Grad-V4, vier Ventile/Zylinder, 99,2 kW (135 PS) bei 13.000/min, 82 Nm bei 11.000/min, 748 cm³, Bohrung/Hub: 70,0/48,6 mm, Keihin-Gleichdruckvergaser, Ø 36,5 mm, Ölbadkupplung, Sechsganggetriebe, Kette
Chassis & Bremsen
Leichtmetall-Brückenrahmen, Lenkkopfwinkel: 65,3 Grad, Nachlauf: 91 mm, Radstand: 1390 mm, Showa-Magnesium-HRC-Werksgabel mit hydraulischem Anti-Dive-System, Öhlins-Zentralfederbein mit Showa-Feder, Magnesiumfelgen, 3.50 x 17/6.00 x 17, Reifen vorn: Michelin Pilot Power 3, 120/70-17, hinten: Michelin Pilot Power 3, 180/55-17, 320- mm-Doppelscheibenbremse mit Vierkolben-Festsätteln vorn, 220-mm-Einzelscheibe mit Einkolben-Schwimmsattel hinten
Maße und Gewicht
Sitzhöhe: 795 mm, Gewicht: 160 kg (trocken)
Wenn ich so über die AMA-RC30 nachdenke, bin ich tief beeindruckt, wie großartig sich diese mehr als 25 Jahre alte Maschine auf der Rennstrecke bewegen lässt. Diese perfekt abgestimmte und bestens ausbalancierte Honda RC30 führte mir wieder vor Augen, wie herrlich und direkt das Fahren ohne elektronische Assistenz-Systeme ist. Große Bewunderung habe ich auch für den Gastinger Bertl, der in seiner Garage alte V4-Racing-Hondas mit großem, technischem Know-how in unermüdlicher Kleinarbeit und unter Mithilfe des Motorengenies Gotthard Gugler am Leben erhält.
Nicht, weil er damit Kohle machen will, sondern, weil er diese Maschinen als unwiederbringliches Kulturgut versteht. Angesichts der Honda RC30 komme ich nicht umhin, eine dringende Bitte nach Japan zu schicken: „Hochverehrte Honda-Techniker, lasst euch nicht von den regierenden Rotstift-Managern unterkriegen, die keine Ahnung davon haben, wie sehr die Seele des Motorradfahrers für außergewöhnlich scharfe Geräte brennt, und baut wieder einen zulassungsfähigen, halbwegs erschwinglichen V4-Meilenstein, der es allen besorgt. Danke!“