Sound of Singles-Rennserie Jubiläum

25 Jahre Sound of Singles-Rennserie Basteleien, Handwerkskunst und trockengelegte Bierzelte

1988 ballerten die wilden Einzylinder-Renner zum ersten Mal um die Wette. MOTORRAD-Redakteur und Ex-SoS-Treiber Werner Koch wagt einen Rückblick auf skurrile Basteleien, feine Handwerkskunst, atemberaubende Hightechmotoren und eine höchst lebenslustige Szene, die so manches Bierzelt trockenlegte.

Basteleien, Handwerkskunst und trockengelegte Bierzelte fact
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Warum kommen ehrgeizige Rennfahrer eigentlich auf die Schnapsidee, ausgerechnet mit sonor daherblubbernden Einzylindermotoren um die Wette zu fahren? Jeder popelige Vierzylinder presst bei schier unbegrenzter Lebensdauer nahezu die doppelte Leistung aufs Hinterrad und läuft dabei so geschmeidig wie ein Haarföhn auf Standgas.

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Doch genau diese zivilisierte Geschmeidigkeit, dieser spießige Bügelfaltencharakter ging und geht so manchem Sportsmann erheblich auf den Zeiger. Nicht vergessen, man schrieb das Jahr 1988, die Sportfraktion konnte wählen zwischen Vierzylindermotoren von 400 bis 1100 Kubikzentimetern, in Reihe oder als Vau, im Zweitakt oder mit Ventilen. Ducati zum Beispiel versuchte sich mit der Halbierung der erlaubten Zylinderzahl und geigte unter Verdoppelung der Motorprobleme auch in der Superbike-Weltmeisterschaft vorne mit.

Nur ein paar ganz Widerspenstige traten dem Zeitgeist in den Hintern und versammelten sich zur ersten konspirativen Wettfahrt im Eifelörtchen Dahlem. Am 1. Oktober 1988 rollten über 30 Einzylinder-Rennmaschinen an den Start. Ein brillanter Einstand, der in den Folgejahren einen regelrechten Einzylinder-Boom ins Rollen und mich auf dumme Gedanken brachte.

„Die Knochenbrüche sind so weit gut verheilt, aber die Schulter, Herr Koch, die Schulter! Das dauert! Nehmen Sie einfach mal das Gas raus und gehen die Sache ein bissel gemütlicher an. Dann wird’s schon werden.“ Der liebe Doktor hat gut reden, so krumm, wie das Rennmotorrad in der Werkstatt steht, wird daraus gar nix mehr. Und jetzt ist Mai, die Rennsaison 1989 in vollem Gang, und ich lasse – im wahrsten Sinne des Wortes – die Schulter hängen. Na ja, eventuell, aber nur eventuell, könnte ich mir die Gilera Saturno-Testmaschine fürs Wochenende ausleihen. Schwupp, das TÜV-Geraffel weg, eine laute Tröte auf den Krümmer stecken und ab nach Hockenheim, da gibt es eine neue Klasse: Sound of Singles, da soll’s tatsächlich etwas gemütlicher zugehen, Herr Doktor.

Was für’n Auflauf, die Zuschauer und Single-Freaks trampeln dir schier die Werkzeugkiste krumm, drängeln sich zum Vorstart, wenn die Motoren warmlaufen, und grinsen, als ob sie ein paar gefüllte Plätzchen in den Kaffee getunkt hätten. Ist aber auch ein echtes Hörspiel, wenn 30 Einzylindermotoren ballern, dass die Bude wackelt. Rissbildung in der Haupt­tribüne – mich hätt’s nicht gewundert.

Gewundert hat man sich beim Rundgang durchs Fahrerlager. Daniel Düsentriebs Erfindungen sind nix gegen das, was sich die Single-Fraktion in der Anfangszeit so alles ausgedacht hat. Wobei mancher Erfinder offensichtlich den Sinn eines Wettrennens nur vom Hörensagen kannte. Denn was sich damals an wilden Schweißkonstruktionen unter Aufbietung höchster Fachunkenntnis an den Start wagte, Stichwort Gollum 750, lässt sich in Worten nicht beschreiben.

Gott sei Dank hielt die Gilde der Edelschrauber und echten Düsentriebs stramm dagegen. Mit blitzsauber konstruierten Eigenbau-Fahrwerken und professionell aufgebauten Rennmotoren wurde das SoS-Fahrerlager zum Schaulaufen der echten Motorradtuner. Tuner, die im Gegensatz zu den gähnend langweiligen Serien-Rennklassen nicht einfach eine uniforme Sammlung an Karbon- und Frästeilen zusammenschraubten, sondern komplette, eigenständige Rennmaschinen auf die Räder stellten. Jeder mit einer anderen Philosophie und Herangehensweise, aber alle mit dem hehren Ziel, dasselbe als Erster zu kreuzen.

Aus Österreich reisten Wolfgang Felber und Josef Frauenschuh ins Badische, um mit ihren KTM-Racern den Piefkes Mores zu lehren. Die aber wetzten die Messer und zeigten den Ösis, wo der Hammer hängt. Allen voran die trinkfesten Augsburger UNO-Mannen, die den luftgekühlten Rotaxmotor in ein luftig-leichtes Gitterrohrchassis schraubten. Eine Kombination, die durch die furchtlosen Herren Geh, Wassermann und Auernhammer zur Nagelprobe für das Alpen-Duo Felber und Frauenschuh werden sollte. Wobei sich die schwäbischen Bayern nicht nur wegen ihres zackigen Fahrstils, sondern auch wegen der ungebremsten Feierlaune einen Namen machten. Was nicht selten dazu führte, dass die Truppe ihre schlanken UNO-Renner nach dem letzten Zeittraining direkt am Eingang zum Bierzelt parkte – egal, ob’s zur Bestzeit oder nur in die zweite Startreihe gereicht hatte.

Im Zweikampf UNO gegen KTM mischten gelegentlich auch ein paar Japaner mit. Gelegentlich. Denn trotz der zahlenmäßigen Überlegenheit durften die SR- und SRX-Treiber nur selten aufs Treppchen. Dazwischen pressten sich ein paar feuerrote Gilera Saturnos, die mit brillantem Fahrwerk, aber eher schwäch­lichem Motor speziell auf den engen, kurvigen Strecken die Spitzengruppe aufmischten. Doch mit gemütlich war bei den SoSlern ohnehin nichts zu machen. Für Rundenzeiten um die 1.12 Minuten auf dem alten, kleinen Kurs in Hockenheim hilft bei 50 PS nur die allerletzte Rille, um zwischen UNO- und KTM-Rennern nicht zerrieben zu werden.

Großes Thema der Szene: die Vibrationen. Die sich auch deshalb breitmachten, weil die meisten Fahrer die Ausgleichswellen demontiert hatten, in der Hoffnung, dass sich der Gewichtsvorteil in den Rundenzeiten niederschlagen würde. Spätestens zur Saisonmitte waren die meisten Balancer-Wellen aber wieder montiert, weil die derben Vibrationen das halbe Motorrad in seine Einzelteile zerlegt hatten.

Zudem kämpften die Techniker und Tuner im SoS-Fahrerlager nicht nur um jedes halbe PS, sondern auch um die Standfestigkeit der Motoren, die ausnahmslos auf biederen Serientriebwerken mit maximal 50 PS basierten. Lagerschäden, Kolbenbrüche, abgerissene Ventile, sogar komplett der Länge nach aufgerissene Motorgehäuse nagten an Budget und Nerven der Bastler und Privatfahrer.

Gegen Ende der Saison 1989 brachte es die Semi-Werks-KTM auf stramme 60 PS, geprüft und gemessen auf dem MOTORRAD-Prüfstand und der Hockenheimer Waldgeraden. Der Speedrekord aber ging an die gertenschlanke, weil noch luftgekühlte UNO, die mit sagenhaften 213 km/h durch die Lichtschranke ballerte. Und das mit gerade mal 54 PS. Was Anfang der 1990er-Jahre als Spielplatz für Hobby-Tuner und Edelschrauber begann, entwickelte sich zusehends zu einem Leistungswettlauf, der das bis zu 70 Starter große Feld in zwei Fraktionen trennte.

Zum einen die Hobby-Rennfahrer, die mit ihren aufgemöbelten Yamaha SRX und SR 500 einfach nur Motorradrennen fahren wollten, zum anderen dann die Riege der höchst ehrgeizigen Tuner und semiprofessionellen Rennfahrer, die nicht um Plätze, sondern nur um Siege kämpften.

Den Startschuss für die fragwürdige Entwicklung gab der schwäbische Motoren-Guru Georg „Schorsch“ Daiber, der aus den Rotaxmotoren mit wassergekühltem Zylinderkopf mit immensem mechanischem Aufwand über 90 PS herauspresste. Mit der Folge, dass das Motor­gehäuse in rund 800 Kilometer kurzen Intervallen gewechselt werden musste. Wenn nicht, brach der Motor schlicht und einfach in zwei Teile und verschlang das halbe Jahresbudget. Was nichts daran änderte, dass die Rotaxmotoren im UNO-Fahrwerk das Feld regelrecht überrollten. Mit Rundenzeiten, die auch in der heiß umkämpften 600-Supersportklasse einen Platz unter den ersten zehn gesichert hätten, wandelte sich der SoS-Cup von der Bastelbude zur vollwertigen Rennklasse, die sich europaweit etablierte.

Namhafte Hersteller wie Rumi, Gallina und Bimota aus Italien oder Kobas aus Spanien entwickelten blitzsaubere Rennmaschinen mit getunten japanischen Einzylindermotoren. Das Meisterstück im SoS-Motorenbau aber kam aus dem bayerischen Penzberg. Unter dem Kürzel BMR konstruierte Rupert Baindl auf Basis der Suzuki DR 800 einen Rennmotor der Superlative. Über 100 PS soll der Motor mit Apfelbeck-Zylinderkopf in seinen besten Zeiten mobilisiert haben. Katja Poensgen räumte damit 1998 die SoS-Europameisterschaft ab.

Bereits Anfang der 1990er-Jahre kon­struierte Ducatis leidenschaftlicher Technik-Chef Massimo Bordi die zweitschönste Ducati aller Zeiten: die Supermono 550. Ein brillantes, damals 45 000 Mark teures Motorrad mit liegendem 550er-Einzylinder, desmodromischer Ventilsteuerung und besten Zutaten. Aber ähnlich wie die von Gilera produzierte Piuma hinkte auch die fein gemachte Ducati den bärenstarken Eigenbaumotoren in Sachen Leistung hinterher.

Mit den serienmäßigen 75 PS der Ducati Supermono war die UNO-Rotax nur durch unbarmherziges Gasgeben in den Griff zu bekommen. Nur: Gasgeben konnten die UNO-„Werksfahrer“ wie der Europameister und Daytona-Sieger Tommy Körner, Hans-Peter „Hansi“ Meyer und Konsorten auch. Und zwar mächtig. Was mit ein Grund dafür war, dass Ducati keinen einzigen SoS-Cup-Titel in Deutschland einfahren konnte.

Bedingt durch das absolut freizügige technische Reglement seitens OMK und FIM war dem Leistungswettlauf in der SoS-Klasse Tür und Tor geöffnet. Was den ehemaligen BMW-Rennmotoren-Ingenieur Gottfried Michels auf den Plan rief. Zunächst aus Spaß an der Bastelei – er machte den zweiventiligen Yamaha SR-Motoren mit über 60 PS mächtig Beine – blies Michels 1993 mit dem wassergekühlten BMW F 650-Motor im englischen Harris-Fahrwerk zum Angriff. Bereits ein Jahr später gewann die Pami-BMW mit Herbert Enzinger im Sattel den Meister­titel – mit einem winzigen Punkt Vorsprung auf die UNO-Rotax des Autors.

Auch die Yamaha-Vierventiler hatten im Lauf der Zeit mächtig an Leistung und Standfestigkeit zugelegt und zeigten
sich nicht nur in den japanischen Over-Rennmaschinen als nahezu ebenbürtig. Mitte der 90er-Jahre zeichnete sich ab, dass die SoS-Renner die Grenzen des Mach- und Bezahlbaren erreicht hatten. Um die 95 bis 100 PS bei 120 Kilogramm Gewicht markieren bis heute die Eck­daten der schnellsten Singles bei einer durchaus akzeptablen Standfestigkeit. Schließlich bringt es der derzeit modernste Einzylindermotor von KTM bereits serienmäßig auf über 70 PS, mit überschaubaren Tuning-Kits werden daraus auch schnell knappe 90.

Unter der Gattung Minimonos laufen die kleinen 450er-Einzylinder aus dem Cross-Sport, die mit 90 Kilogramm und 60 PS in Sachen Handling und Leichtigkeit kaum zu überbieten sind.  Eingepflanzt in stabile Gitterrohrkonstruktionen oder Alu-Rahmen im Format der 250er-Klasse und mit eben deren Feinheiten (Kohlefaserheck, Magnesiumräder, Bremsanlagen) und Aerodynamik (Verkleidung und Sitzbank) ausgestattet, wetzen die SoS-Renner heute unter Schirmherrschaft der GSA (German Supermono Association) wieder um die Wette. Und immer noch ganz vorn dabei sind die Männer der ersten Stunde: KTM-Spezialist Josef Frauenschuh und Manfred „Manni“ Kehrmann, die beide mehrfach als Gesamtsieger den Pokal kassierten.

Dass die Spielwiese Sound of Singles auch eine immense technische Herausforderung war, beweisen zwei der maßgeblichen SoS-Konstrukteure: KTM-Ingenieur Wolfgang Felber zeichnet für die weltmeisterlichen Moto3-Rennmaschinen von KTM verantwortlich, und BMR-Konstrukteur Rupert Baindl entwickelte den neuen, einzigartigen VR6-Motor für Horex. Aber auch Meinrad Huber mit seiner Gollum ist der SoS-Szene bestens im Gedächtnis geblieben. Nicht unbedingt als Genie, aber als einer der bunten Hunde, die aus dem heutigen Fahrerlager völlig verschwunden sind. Schade drum.

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