Abgeschlagen auf hinteren Plätzen – dort war Mahindra in der vergangenen Moto3-Grand-Prix-Saison zu finden. Bis auf den verregneten Frankreich-Grand-Prix, in dem Marcel Schrötter Zwölfter wurde, blieb das indische Werk punktelos. Weil die Weiterentwicklung der Mahindra-Moto3-Maschine, die der indische Konzern an die italienische Firma Engines Engineering vergeben hatte, schon früh in der Saison ins Stocken kam und die Konkurrenz immer überlegener davonfuhr, drehte der Bayer dem Team zu Saisonmitte den Rücken zu und stieg in die Moto2-Klasse auf.
Mahindra ist überall engagiert
Dieses Jahr ist alles ganz anders. Mahindra fuhr ab Saisonbeginn vorne mit, der neue Star Miguel Oliveira holte schon dreimal den vierten Platz und brauste in Assen auf die Pole Position, ein Meilenstein, der in der Chefetage von Mahindra tumultartige Szenen der Begeisterung auslöste. Dort, in Mumbai, regiert der 58-jährige Anand Mahindra über ein Imperium, das in 65 Jahren vom bescheidenen Lizenznehmer für den Nachbau amerikanischer Jeeps zu einem multinationalen Konzern mit 155.000 Mitarbeitern und über 16 Milliarden Dollar Jahresumsatz herangewachsen ist. Mahindra ist überall engagiert: in Luft- und Raumfahrt, Wehr- und Energietechnik, bei Autos und Nutzfahrzeugen, Bau- und Agrarmaschinen, im Einzelhandel und bei Immobilien, Logistik und Finanzdienstleistungen – nur Rennmotorräder bauen sie nicht.
Radikale Wende zum Guten
Die radikale Wende zum Guten ist deshalb nicht den Überstunden schlauer Mahindra-Ingenieure, sondern einer strategischen Entscheidung der Konzernlenker und des Renndirektors Mufaddal Choonia zu verdanken. Beim Brünn-Grand-Prix 2012 gaben die Inder bekannt, künftig Suter Racing Technology in der Schweiz den Auftrag zum Bau der Werksrenner zu erteilen und sich von Engines Engineering zu trennen.
Das Designstudio hatte sich zwar mit italienischem Chic bei Malaguti-Rollern und anderen Avantgarde-Flitzern einen Namen gemacht, war mit moderner Grand Prix-Technologie aber chronisch überfordert gewesen. Oral Engineering, die Firma des einstigen Formel-1-Konstrukteurs Mauro Forghieri, beim Bau des neuen Moto3-Viertakters einzuschalten entpuppte sich als weiterer Fehlgriff. Die Triebwerke hatten eine zu spitze Leistungskurve und blieben ständig mit Defekten stehen.
Mit Eskil Suter, einem alten Grand Prix-Haudegen, der schon zu seiner aktiven Zeit mit dem Bau von Tuningteilen begonnen hatte und mit der Entwicklung eines Superbike-Motors für Petronas und Fahrwerksprojekten für Kawasaki in der MotoGP-Klasse einen eigenen Technologiebetrieb etablieren konnte, holten sich die Inder dagegen jahrzehntelange Rennsporterfahrung ins Haus.
Suter Racing Technology war im August 2012 auf dem Weg zum dritten Markenweltmeistertitel der Moto2-Klasse hintereinander, war mit BMW-Triebwerken in der MotoGP-Klasse engagiert und stand auch in der kleinsten Kategorie nicht mit leeren Händen da, weil der spanische Teamchef Emilio Alzamora mit seinen Senkrechtstartern Alex Rins, Alex Márquez und Miguel Oliveira auf Suter-Honda vertraute.
Etliche Tuningstufen gezündet

Als Mufaddal Choonia wissen wollte, wie Suter in den wenigen Monaten bis zum Saisonstart 2013 ein konkurrenzfähiges Motorrad auf die Räder stellen wolle, brauchte Suter nur in die Schreibtischschublade zu greifen. Dort lagen bereits Skizzen zu einem Triebwerk, das nur noch auf einen zahlungskräftigen Investor wartete. Während KTM mit Drehzahlen bis zu 15 000/min gerechnet und seinem Einzylinder bei 81 mm Bohrung nur 48,5 mm Hub verpasst hatte, setzte Suter auf 78 Millimeter Bohrung und 52 mm Hub, was bei dem letztlich verabschiedeten Moto3-Drehzahllimit von 14 000/min moderate Kolbengeschwindigkeiten, aber satteren Durchzug versprach. Was sein Motor mit KTM gemeinsam hatte, aber von Honda unterschied, war die Ventilbetätigung über Schlepphebel statt Tassenstößel, eine aufwendige Technik, die aggressivere Steuerzeiten zulässt.
Wie bei KTM auch werden die Mahindra-Gehäuseteile in dem bei kleinen Stückzahlen typischen Sandgussverfahren hergestellt. Doch auch so gelang es Suter, das Gewicht seines Motors mit dem der Honda, deren dünnwandige Druckguss-Gehäuseteile nur 24 Kilogramm auf die Waage bringen, gleich zu halten. Gleichzeitig blieb Suter seinem Grundsatz treu, einen möglichst robusten Motor zu bauen – ohne kostspielige und zeitaufwendige technische Experimente.
War der Leistungsrückstand gegenüber KTM zum Saisonauftakt noch offensichtlich, so hat Suter mittlerweile etliche Tuningstufen gezündet, die das Triebwerk nach viel Kleinarbeit am Prüfstand näher an die KTM-Werksmotoren heranbrachten. Auf den Geraden ist es immer noch so, dass Oliveira aus dem Windschatten heraus viel schlechter als die KTM-Werkspiloten überholen kann. Die Suche nach noch mehr PS geht deshalb fieberhaft weiter, auch weil der Motor bis zum Jahresende ausgereizt sein muss: 2014 wird die Weiterentwicklung während der Saison per Reglement eingefroren – wer nicht bereits vorher konkurrenzfähig ist, hat das Nachsehen.

Eine Trumpfkarte haben die Mahindra-Piloten in der Hand, um die sie selbst die erfolgreichsten KTM-Stars beneiden: das Suter-Fahrwerk. Mahindra-Fahrer, so staunen die Gegner, bremsen, wo sie wollen, wählen beliebige Linien, überholen innen und außen, und selbst wenn sie über alle Limits hinausgehen, stürzen sie selten oder nie.
Was das auf dem Suter-Honda-Chassis von 2012 basierende Mahindra-Fahrwerk so gut macht, ist Eskil Suter nur schwer zu entlocken. Optisch ähnelt das Moto3-Chassis den Moto2- und MotoGP-Modellen, ist sofort als Suter zu erkennen. Trotzdem hat das Fahrwerk einen eigenen Charakter. „Moto3-Maschinen sind ein anderes Kapitel als die schwereren Motorräder, deshalb haben wir das Moto2-Chassis nicht einfach runtergerechnet", erklärt Suter. „Die Moto3-Piloten fahren sehr hohe Schräglagen und geben dabei schon wieder Vollgas. Das Limit ist auf Messers Schneide, etwas schärfer als bei einer Moto2-Maschine, die etwas gutmütiger ist. Deshalb ist es wichtig, dem Fahrer ein besonders gutes Gefühl für den Grenzbereich zu vermitteln."
Kundenteams stehen bereits Schlange
Die richtige Philosophie, präzise Aussagen der letztjährigen Fahrer und „ein bisschen Glück“ haben die Mahindra erfolgreich gemacht. Fürs nächste Jahr stehen die Kundenteams bereits Schlange. Gleichzeitig denken Suter und Mahindra über eine Offensive im Bereich der Serienmaschinen nach. Thema ist aber weniger ein Massenprodukt für den in Asien boomenden Markt für 150-cm3-Mopeds als vielmehr anspruchsvolle, ästhetisch gelungene Flitzer für die europäische Kundschaft. Womöglich sogar schnelle, federleichte Mahindra-Grand-Prix-Replicas, um stärkeren, aber auch schwereren Supersportlern auf Schwarzwaldsträßchen und Alpenpässen einzuheizen.