Die Drosselklappen stehen auf Anschlag. Meine Suzuki Gladius feuert aus der Kohlbachschikane heraus auf die Gerade in Richtung der gefürchteten Seng. Zuerst leicht rechts, dann blitzartig umlegen auf links, dann sofort wieder rechts – alles mit Vollgas. Da ist es wieder, dieses sensationelle Gefühl – Männerkurve!
Zwei Rennen je Veranstaltung
Hält das Vorderrad? Gript es hinten? Alles gut, und wieder kann ich ein paar Meter auf den Vordermann gutmachen. Der breite und hohe Lenker der Gladius bietet bei den sauschnellen Richtungswechseln echte Vorteile. Nach drei Runden bin ich von Startplatz 19 schon bis auf den vierten Platz nach vorn gefahren, denn als Gaststarter im Minitwin-Cup muss man sich im Rennen immer hinten anstellen. Leider verliert der bis dahin Führende in besagter Seng die Kontrolle über sein Bike und kann beim Versuch, auf die Strecke zurückzukommen, den Sturz nicht mehr verhindern. Mein Vordermann kam gerade noch an ihm vorbei, und zu allem Überfluss fing das auf der Strecke liegende Motorrad auch noch Feuer. Rennabbruch. Meine Aufholjagd war damit fürs Erste beendet. Aber zum Glück gibt es bei den Minitwins zwei Rennen je Veranstaltung. Ich bekam also noch eine Chance.
Mein Bike ist eine von Suzuki-Händler Ralf Altzschner aus Neukirchen-Vluyn aufgebaute Suzuki Gladius 650. Arrow- Komplettauspuffanlage, Micron-Powercomander, Gabelumbau und Federbein von Twenty Suspension, Hebeleien und Rasten von LSL und eine Verkleidungsmaske mit Spoiler und Höckerabdeckung aus dem italienischen Gladius-Cup – fertig ist der Hobby-Racer. Der zieht einem mit den gemessenen 72 PS zwar nicht unbedingt die Arme lang, aber die Gladius lässt sich deshalb gerade auch von Rennstreckenanfängern stressfrei schnell bewegen. Mit dem breiten Lenker hat man alles spielerisch im Griff. Lediglich in lang gezogenen Kurven mit Bodenwellen war in Schleiz ein deutliches, aber immer noch kontrollierbares Pumpen am Hinterrad zu spüren, was sich leider auf die Schnelle nicht beseitigen ließ.
Aber was sind jetzt Minitwins – ein anderer Begriff für Gladius-Cup? Es geht um kleine Zweizylinder, genauer Viertakter mit maximal 650 Kubik Hubraum. Das sind neben der Gladius die Kawasaki ER 6 oder die gute alte Suzuki SV 650, die im Minitwin-Racing überwiegend benutzt wird. Klarer Vorteil: Wenn mal etwas schiefgeht, kann bestimmt jemand vor Ort mit Ersatzteilen oder Ratschlägen weiterhelfen.
Minitwin-Racing ist unter Freunden beim Bier entstanden
Überhaupt ist Minitwin-Racing quasi unter Freunden beim Bier entstanden. Die Initiatoren Holger Nick, Christian Otto und Ingo Volmari überlegten, wie man die darbende kleine Zweizylinder-Klasse in der Deutschen Seriensportmeisterschaft wieder interessanter gestalten könnte. Die clevere Idee war dabei, sich einfach des bestehenden, gut organisierten Formats des Seriensports zu bedienen und innerhalb der kleinen Seriensportklasse, in der auch 250er-Zweitakter und 400er-Vierzylinder-Viertakter fahren, einfach eine eigene Wertung für die Minitwins auszuschreiben.
Die anfängliche Gegenwehr des DMSB und der Seriensportorganisatoren wich sehr schnell. Denn durch gutes Marketing, Internetauftritt, attraktive Prämien und Sponsorings konnten viele neue Starter angelockt werden. Mittlerweile ist die Klasse 4 im Seriensport durch die Starter der Minitwins die zahlenmäßig größte Klasse geworden.
Bikes in Anschaffung und Unterhalt sehr günstig
Viele Hobby-Rennfahrer haben erkannt, dass man mit diesen Motorrädern, die in Anschaffung und Unterhalt sehr günstig sind, attraktiven Rennsport betreiben kann. Das merkt man auch im Fahrerlager. Lkw-Auflieger, riesige Wohnmobile oder Vorzelte mit Kirmescharakter gibt es hier nicht. Alles wirkt noch familiär und ehrlich. Ein weiterer Vorteil dieser „kleinen“ Motorradkategorie ist die relativ langsame Neu- und Weiterentwicklung der eingesetzten Technik. Dadurch ist es beispielsweise heute noch möglich, mit einer zehn Jahre alten SV 650 durchaus konkurrenzfähig zu sein. Auch Wolfgang Pohler, bei dem mein Einsatzmotorrad über das Wochenende auf dem Schleizer Dreieck unterkam und gegen den ich 2003 schon im Seriensport gefahren bin, bewegt noch immer so ein betagtes Motorrad über die Rennstrecke.

Im nächsten Jahr könnte ein Gladius-Cup innerhalb der Rennserie etabliert werden. Schon für zirka 8500 Euro soll dann eine neue Gladius mit allen Umbau- und Tuningteilen und dem Nenngeld für die ganze Saison zu haben sein. Zum Abschluss der Veranstaltung in Schleiz durften wir aber dann noch unser zweites Rennen fahren. Nach zwölf Runden und vielen Monaten ohne ein Rennen konnte ich tatsächlich in Schleiz gewinnen. Und als Belohnung gibt es bei der Siegerehrung sogar die deutsche Nationalhymne! Sicher ist der Speed beim Minitwin-Racing nicht so hoch wie bei anderen Cups oder Rennserien. Aber der Rennspaß ist gigantisch!
Der Cup-Checker
René Raub begann 2001 im Suzuki SV 650-Cup. Im Seriensport gewann er mehrfach die kleine Twin-Klasse und 2004 die 750er-Wertung. 2006 wurde der Heiligenstädter in der Langstrecken-WM Dritter und gewann mit seinem Team bei den 24 Stunden von Oschersleben. Dort siegte er noch zwei Mal in der Open-Klasse. Mit dem Team PS-LSL-X-Lite 61 holte René Raub 2011 den dritten Platz beim 24-Stunden-Klassiker im französischen Le Mans.
Fakten

Plus:
Gut organisiert
Extrem familiäre und lockere Atmosphäre
Faires Racing besonders für Einsteiger, Wiedereinsteiger und spaßorientierte Hobby-Piloten
Sehr günstiger Rennsport, da dank Reglement auch ältere Suzuki SV 650 konkurrenzfähig sind
Großes Angebot an Motorrädern und Ersatzteilen für wenig Geld im Internet und bei den Händlern
Rennstrecken von Assen bis Schleiz
2014 voraussichtlich ein Cup-Komplettangebot mit der Suzuki Gladius unter 10.000 Euro
Minus:
Kein Qualifying, die Ergebnisse der Rennen davor ergeben den Startplatz
Innerhalb des Seriensports wenig Fahrzeit
Für schnelle Leute mit Ambitionen nicht empfehlenswert – reines Hobby-Spaß-Niveau