Drei Deutsche machen die Moto2-Klasse für die Fans in der Heimat dieses Jahr zum Spitzenspiel der Straßen-WM. Ein Team hat gleich zwei Trümpfe in der Hand.
Drei Deutsche machen die Moto2-Klasse für die Fans in der Heimat dieses Jahr zum Spitzenspiel der Straßen-WM. Ein Team hat gleich zwei Trümpfe in der Hand.
Das erste Rennen der neuen MotoGP-WM war noch nicht gestartet, als bereits das Transferkarussell zu kreisen begann. Valentino Rossi bleibt für weitere zwei Jahre bei Yamaha. Bradley Smith wird Werkspilot des neuen KTM-Teams ab 2017. Jorge Lorenzo geht zu Ducati, Maverick Viñales als dessen Nachfolger zu Yamaha. Johann Zarco wird Nachfolger des Nachfolgers bei Suzuki. Alex Rins wechselt zu Repsol-Honda – oder auch zu Suzuki, falls seinem Moto2-Teamchef Sito Pons der Wiedereinstieg in die Königsklasse gelingt und er dort Werksmaschinen loseisen kann. Es gab handfeste Fakten, aber auch zahllose Gerüchte und Halbwahrheiten.
Zu der letzten Kategorie zählte auch der bevorstehende MotoGP-Einstieg von Jonas Folger als Ersatz für Bradley Smith. Schon vor anderthalb Jahren hatte er mit dem französischen Tech 3-Team verhandelt, war aber aus verschiedenen Gründen zu keinem Ergebnis gekommen. Jetzt ist Folger bei der in Los Angeles ansässigen Management-Agentur Wasserman unter Vertrag, deren Vertreter Rhys Edwards nun ebenfalls bei Tech3 vorstellig geworden ist. „Ich habe schon seit langem Interesse an Jonas. Ein Deutscher wäre mir lieber als ein weiterer Spanier. Und er hat das Talent“, erklärt Tech3-Teamchef Hervé Poncharal.
Allerdings muss der Franzose auch Yamaha von seiner Idee begeistern. Die Japaner wollen einen Fahrer, der nicht nur Einzelerfolge feiert, sondern auf konstant hohem Niveau in der Weltmeisterschaft mitfährt. Folger muss Konstanz zeigen, und das weiß niemand besser als der 22-jährige Oberbayer selbst, der bereits seine achte Grand Prix-Saison bestreitet, aber trotz allem Talent bislang noch nie um einen WM-Titel mitkämpfte.
„MotoGP? Erst mal muss ich auf dem Moped sitzenbleiben“, lacht Folger auf die Frage nach dem Aufstieg. Damit spielt er auf den Saisonauftakt in Katar an, wo er in allen Trainings an der Spitze mitkämpfte, mit einer Fabelzeit auf die Pole Position fuhr, nach zwei Rennrunden schon anderthalb Sekunden Vorsprung hatte und in der dritten übers Vorderrad ins Aus rutschte. Zwei Wochen später in Argentinien machte er den Schnitzer wieder wett und fuhr nach früher Führung auf Platz drei.
Dass er den nötigen Speed für Siege besitzt, hat Jonas Folger in seiner Karriere schon oft bewiesen. Insgesamt vier Siege, fünf Pole Positions und fünf schnellste Rennrunden machten ihn zum Wunschkandidaten für Dynavolt-Intact-Chef Jürgen Lingg, der „gesunde Konkurrenz“ in sein Ein-Mann-Team bringen und Sandro Cortese einen starken Kollegen zur Seite stellen wollte. Lingg, ein erfahrener Techniker, Stefan Keckeisen, ein Fahrzeugbatterie-Unternehmer aus Memmingen sowie Wolfgang Kuhn, ein Bauunternehmer aus Bad Wurzach, hatten den Rennstall nach Corteses Moto3-Titelgewinn 2012 gegründet, um ihm den Aufstieg in die Moto2-Klasse zu ermöglichen.
Vom Werbewert her war das Engagement für die beiden Hauptsponsoren sofort ein Erfolg: Keckeisen freute sich über steil ansteigende Verkaufszahlen bei Motorrad-Batterien, Peter Baumann, Chef des Ulmer Unternehmens Liqui Moly, staunte über die Zuwachsraten bei Schmierstoffen und Reinigern. „Beide Unternehmen können den Werbeerfolg genau analysieren und die Investitionen rechtfertigen“, erklärt Lingg. „Dass sich das Sponsoring lohnt, gibt uns ein Gefühl der Sicherheit.“ Selbst die Verdopplung des Budgets für ein Zwei-Mann-Team war keine unüberwindliche Hürde. Das neue Projekt ist auf drei Jahre abgesichert, wobei Folger für zwei Jahre unterschrieb und eine Ausstiegsklausel für den Fall eines MotoGP-Angebots vereinbarte.
Corteses Vertrag geht noch bis zum Jahresende, und was dann passiert, ist auch erfolgsabhängig. Nachdem er das erste Jahr der Moto3-Viertaktklasse dominiert und auf dem Weg zum WM-Titel mit seiner überlegenen KTM-Werksmaschine fünf Siege gefeiert hatte, lagen die Erwartungen hoch. Doch in drei Jahren Moto2-WM hat Cortese erst zwei Podestplätze erobert, ein Sieg ist ihm bislang noch nicht geglückt.
Ob Jürgen Linggs Rechnung aufgeht und mit dem starken Teamkollegen Jonas Folger auch Cortese Flügel wachsen oder ob Cortese an einem schnelleren Fahrer im Team zerbricht, ist noch nicht abzusehen. Bislang zeigte sich, dass beide Fahrer mit der neuen Kalex sehr gut zurechtkommen. Besonders wichtig für Jonas Folger ist die Rückkehr von WP- auf Öhlins-Federelemente, die mit dem Wechsel von seinem spanischen AGR-Team zu Dynavolt Intact einherging. „Das Motorrad liegt mit Öhlins ruhiger, ist nicht ganz so nervös. Ich kann entspannter ans Limit gehen, spüre mehr Feedback“, erklärt Folger den Unterschied. Öhlins ließ das Intact-Team vor Saisonbeginn nicht weniger als drei völlig unterschiedliche Gabeltypen testen. „Das größte Problem der früheren Öhlins-Gabeln war nicht Dämpfung oder Reibung. Sie waren einfach zu steif“, klärt Jürgen Lingg auf.
Doch jetzt passt das Motorrad, ebenso wie Folgers Umfeld. Der Bayer ist erleichtert, dass er mit den Mechanikern, Cheftechniker Patrick Mellauner und Teamchef Lingg in seiner Muttersprache plaudern kann, weil er das, was ihm selbstverständlich auf Deutsch über die Lippen geht, bisher nur holprig auf Englisch formulieren konnte. Er staunt auch, wie schnell der erfahrene Lingg mit seiner Crew ein passendes Setup findet. „Wir haben Jonas in recht kurzer Zeit ein Motorrad hingestellt, das in die richtige Richtung ging. Schon am zweiten Tag der ersten Tests in Valencia waren wir so weit. Da war auch Glück dabei“, lächelt Lingg, der von größeren technischen Experimenten bei den einzelnen Grand Prix nichts hält. „Die Grundabstimmung macht man im Frühling. Ich bin absolut dagegen, bei einem Grand Prix gravierende Eingriffe vorzunehmen. Was nutzt es, wenn man das Motorrad von einem Training zum anderen besser macht, der Fahrer sich aber nicht daran anpassen kann?“, fragt Lingg.
Auch diese Philosophie ist es, die Folger das Gefühl gibt, zu Hause angekommen zu sein. „Ich bin rundum zufrieden. Ich muss mich wohlfühlen, bevor ich Resultate bringen kann. Im neuen Team kann ich mich aufs Fahren konzentrieren, weil ich jedem vertraue. Das macht vielleicht den Unterschied zum letzten Jahr“, erklärt Folger.
Nicht, dass sein letztjähriges Team schlecht gewesen wäre, immerhin feierte er zwei Siege mit dem spanischen AGR-Rennstall von Fernsehkoch Karlos Arguignano. Dort machte er den Weg frei für Marcel Schrötter. „Erst Jonas, jetzt Marcel. Wir landen immer wieder bei den Deutschen“, schmunzelt Arguignano, der zusätzlich auch noch den deutschen Cheftechniker Alfred Willeke verpflichtete.
Allerdings ist Willeke nicht für Schrötter, sondern dessen spanischen Teamkollegen Axel Pons zuständig, nicht zuletzt, um einer deutschsprachigen Enklave innerhalb des AGR-Teams entgegenzuwirken. Schrötter wird von dem erfahrenen Spanier Chus Sánchez betreut. Schrötter versteht sich, auf Englisch, blendend mit Sánchez, was auch daran liegt, dass der Grand Prix-Vagabund an wechselnde Stationen seiner Karriere gewöhnt ist. In Landsberg am Lech aufgewachsen und von Toni Mang, Sepp Schlögl und Adi Stadler für den GP-Sport entdeckt, fuhr Schrötter fürs indische Mahindra-Team, für die italienische Marke Bimota sowie ein spanisches Kalex-Team, bevor er für 2014 und 2015 beim an der französischen Côte d’Azur ansässigen Tech3-Rennstall unterkam. Mit dessen nur schwierig auf eine Kurvenlinie zu zwingenden Eigenkonstruktion Mistral konnte er jedoch nie sein wahres Talent zeigen.
Jetzt, mit der Kalex, fährt Schrötter raus und ist „ab der ersten Runde mit dabei“, wie er zufrieden berichtet. Mit Plätzen um die Top Ten, manchmal auch weiter vorn. „Jetzt kann ich zeigen, was ich kann. Es ist schön, zu sehen, dass ich auch während der Trainings immer wieder vorne mitmischen kann. Wenn es mit der Kalex passt und wenn ich Druck machen kann, bin ich Achter, Sechster, oder plötzlich auch mal Zweiter, wie in einem der freien Trainings in Katar.“
Noch kann sich Schrötter nicht mit Folger oder Katar-Sieger Tom Lüthi messen, sieht aber das Verbesserungspotenzial, das ihm die Kalex mit ihren unzähligen Einstellmöglichkeiten bietet. „Wir suchen immer noch nach einem Setup, das mir noch mehr entspricht. Zum Beispiel am Kurveneingang, in den Bremszonen, wie ich den Grip finde beim Sliden und was das Motorrad macht, wenn ich die Bremse loslasse. Da können wir uns noch gut verbes-sern.“ Es gebe viele ähnliche Probleme wie mit der Mistral, aber auf einem ganz anderen Niveau. „Im letzten Jahr waren wir 18. oder 20. mit 1,5 Sekunden Rückstand. Jetzt sind wir Achter oder Zehnter, mit 0,4 Sekunden Rückstand“, verdeutlicht Schrötter. „So, wie ich ihn einschätze, ist er ein harter Arbeiter. Ich zweifle nicht an seinem Erfolg“, erklärt Karlos Arguignano.
So bleibt die spannendste Frage, wie sich Sandro Cortese im deutschen Dreikampf der Moto2-Klasse behaupten wird. Sein Fahrstil ist präzise und elegant, anders als Jonas Folger sucht er sein Glück weniger auf der Bremse als beim frühen Herausbeschleunigen. Während Folger in den Kurven viel mit dem Oberkörper arbeitet und damit seine Körpergröße wettmacht, sitzt der rund zehn Kilo leichtere Cortese kompakt und wie angegossen auf dem Motorrad. Was ihn beim Fahren aus der Komfortzone reißt, ist eine zu starke Nickbewegung beim Bremsen und ein zu deutliches Aufrichten des Bikes beim Beschleunigen. Er braucht eine ausgeglichene Balance des Fahrwerks und könnte laut Lingg noch schneller werden, wenn er ebenso hart wie Folger bremsen und ebenso viel Speed in die Kurve mitnehmen würde.
Vor allem aber braucht er Selbstvertrauen im neuen, teaminternen Konkurrenzkampf. Jonas Folger im Team zu haben, ist Fluch und Segen zugleich. „Wenn ihm Folger davonfährt, spürt er Druck. Aber wenn er nachziehen, wenn er sich befreien kann, dreht sich der Trend wieder ins Positive. Es gibt nicht nur Schwarz und Weiß, sondern viele Grautöne dazwischen“, so die Meinung von Kalex-Chef Alex Baumgärtel.
Bei den ersten beiden Rennen lagen die Grautöne allerdings eher im dunkleren Bereich. Ein nachträglich mit einer Zeitstrafe geahndeter Frühstart warf Cortese beim GP-Auftakt in Katar auf Platz 15 zurück. Und in Argentinien rutschte ihm im Kampf um Platz neun das Vorderrad weg. Jürgen Lingg: „Er ist bitter enttäuscht. Aber wir müssen nach vorne schauen.“