Ihr Lachen ist klar und warm. Sie bewegt sich frei wie ein Vogel zwischen altem Holz, Motorendonner, heißem Öl, Männerschweiß und wüstem Fluchen. Kara wollte das, seit sie es das erste Mal gesehen hatte, auf dem Volksfest. Das Zittern des hölzernen Todeskessels, die Rohheit und Reinheit dieser fast 100 Jahre alten Tradition. Mit dem Dreifachen ihres Gewichtes an die Wand gepresst werden. Auf dieser endlosen Straße den Schwindel fühlen, das Präzise einer Kunst, die Fehler grausam bestraft. Das wollte sie mehr als alles andere auf der Welt: Steilwandfahrerin werden.
Und so lag sie dem Profi-Steilwandfahrer Donald Ganslmeier, heute Chef des Motodroms, zehn Jahre lang in den Ohren: Zeig mir, wie es geht, nimm mich mit, mach mich zur Steilwandfahrerin. Donald ließ sich zunächst nicht erweichen. Er weiß, dass nur ganz besondere Menschen an der Wand zu Ehren kommen. Und er weiß, dass man mit jeder Show sein Leben riskiert. Diese totale Hingabe ist nichts für Luschen und Weicheier. Und für Frauen schon gar nicht. Obwohl es in England eine Steilwandfahrerin gibt, die aussieht wie Claudia Schiffer und fährt wie der Teufel: Kerri Cameron.
Redegewandt, charismatisch, auch mal Femme fatale
Donalds Schülerin Kara heißt eigentlich Katharina Maria Hutterer. Aufgewachsen ist sie auf einem Bauernhof bei München. Ein Naturkind. Landmaschinen bedient sie spielerisch. Die Schule fällt ihr leicht, das Abtanzen in Münchner Clubs ist elementar. Sie wird Requisiteurin bei Film und Fernsehen. Geht ihren Weg. Redegewandt, charismatisch, auch mal Femme fatale. Tief in sich drin aber einfühlsam und zart besaitet.
Was sie nur wenigen Menschen zeigt. Bei Facebook nannte sie sich Kara, das wurde für den Einsatz in der Steilwand übernommen. Kara Satana, dieser Künstlername, so scherzt Donald, zeige die Gefährlichkeit ihres Wesens. Ein Satansbraten. Charmant, sexy, liebenswert und kompetent auf der einen, launisch und durchtrieben auf der anderen Seite. Kara lächelt nur. Man nimmt ihr ab, dass sie zupacken kann. Dass sie keine Angst und einen eisernen Willen hat. Den braucht sie auch, denn Don Strauss, so Donalds Künstlername, ist kein einfacher Chef. Darf er auch nicht sein, sonst würde nichts funktionieren. Donald zeigt gnadenlose Konsequenz. Ein harter Knochen, der die Tradition des Steilwandfahrens mit jeder Faser lebt. Der durch eine grauenhafte Schule gegangen ist.
Ein Steilwandfahrer klagt nicht, ein Steilwandfahrer arbeitet
Erst bei Ken Fox in England, dann bei Hugo Dabbert, dem früheren Besitzer der ehrwürdigen Wand, die 1928 gebaut wurde. Gnade gab es nie. Bei Ken musste Donald monatelang in einem Verschlag an der Wand übernachten. In einen Eimer scheißen, den er anschließend reinigen und als Waschbottich für sich verwenden durfte. Die Stürze am Anfang seiner Laufbahn taten weh. Auch dem Ego. War er ernsthaft verletzt, höhnte der Meister: „Du Simulant.“ Ein Steilwandfahrer klagt nicht, ein Steilwandfahrer arbeitet. Einmal fiel das Motorrad aus sechs Metern Höhe auf Donald. Sein Brustkorb war nach innen gedellt.
Ken griff unter den Rippenbogen und riss alles wieder nach außen. Donald gab nie auf. Er wollte Steilwandfahrer sein oder sterben. Und er wurde es. Einer der besten der Welt. Einer, der mit höllischen Schmerzen fährt, mit Knochen, die rausstehen, weil sie gebrochen sind. Einer, der trotz allem unter seiner rauen Schale ein weiches Herz hat. Format, Charakter, Cleverness. Und Donald ist Karas Lehrer. Er hat sie gern, will sie im Team, möchte ihr alles beibringen.
Indian Scout steht schon bereit
Kara steht noch am Anfang. Sie ist noch nicht ganz reif für die Fahrt auf der altehrwürdigen Indian, dem Nonplusultra-Fahrzeug aller Steilwandfahrer. Noch bezwingt sie die Todeswand auf einer Honda CM 200. Mit diesem Moped fangen die meisten an. Doch Donald hat schon eine Indian Scout für Kara aufgebaut. In ihren Wunschfarben lackiert. „Du musst noch mindestens fünf Kilo abnehmen“, raunzt er sie an. „Und ich will, dass du nächstes Jahr mit der Akrobatik anfängst“, blafft er hinterher. Kara lächelt, in ihr brodelt es. Sie weiß, er meint es bitterernst. Sie will es schaffen, spürt, dass sie es kann. Aber es erfordert so viel Mut, in die Wand zu fahren – ohne Helm, ohne Netz. Im Sattel der Indian an die senkrechte Holzbahn gepresst zu werden, an den richtigen Punkten zu schalten, auf den richtigen Speed zu kommen und dann mit der Akrobatik zu beginnen. Freihändig fahren, aufstehen, sich im Sattel drehen, mit dem Rücken zum Kesselboden im Damensitz, lächeln, elegant, anmutig, trotz des mörderischen Anpressdrucks, der nicht ohne Folgen ist für ihre Blutzirkulation. Kara fühlt keine Angst, sie hat Ehrfurcht.
Unter ihr wischt das Holz vorbei, ihr Blick ist konzentriert nach vorn oben gerichtet. Sie darf nicht die dunklen Schrammen auf der patinierten Oberfläche des Kessels sehen. Punkte, die Stunts bedeuteten, gescheiterte Stunts, Stürze, Knochenbrüche, Krankenhaus. Sie wird auch hier ihren Weg gehen, wird helfen, dieses archaische Handwerk aus einer anderen Zeit in die Zukunft zu retten. In ihren Augen flackert Leidenschaft. „Das ist die Grundvoraussetzung zum Steilwandfahren“, sagt Donald.
Im ersten Jahr bereits schwer gestürzt
„Ja“, sagt Kara. Wenn man neben ihr steht, spürt man die Fähigkeit zu Hingabe und Tiefgang. Die seltene Mischung aus femininer Zartheit und maskuliner Härte. In ihrem ersten Jahr ist sie bereits schwer gestürzt. Egal, tapfer macht sie weiter. „Ich fühle mich wie 25, und ich will mich immer wie 25 fühlen.“ Klingt gut. Auch wenn zarte Lachfältchen auf ein Alter Anfang dreißig hindeuten, strahlt Kara Energie und jugendliche Frische aus. Raucht und säuft wie ein Mann, bringt aber in das betagte Holz der Todeswand und in die Schicksalsgemeinschaft der stahlharten Jungs eine Prise Erotik. Manchmal sogar einen Hauch mütterlicher Wärme.
Während der Saison ist Kara Mann und Frau gleichzeitig. Sie hilft beim Aufbau, bei dem über 25 Tonnen Material zusammengefügt werden müssen. In Rekordzeit, in höchster Präzision – und alles mit Muskelkraft. Ein Wahnsinnsjob. Zeit ist Geld, aber reich kann man hier nicht werden. Verdienen dafür umso mehr. Kara heizt mit ihrer angenehmen Stimme dem Publikum ein, dem vom großen Don Strauss garantiert wird, dass es sein Geld zurückerhalten werde, wenn die Show nicht gefällt.
Der Lohn ist die Begeisterung des Publikums
Keiner hat bis jetzt davon Gebrauch gemacht, denn Don Strauss ist ein Gott in der Wand, und auch seine Fahrer Peter und Clemens sorgen für atemberaubende Action. Bei ihren Dreier-Formationen müssen sie absolut präzise und exakt zusammenarbeiten, der kleinste Fehler kann fürchterliche Folgen haben. Keine Versicherungsgesellschaft der Welt wird diese wahnsinnigen Artisten versichern. Es kostet Don ungeahnte Energie, das Team am Laufen zu halten. Auch Kara wächst über sich hinaus. Kara kocht, Kara schraubt, Kara putzt, Kara reißt Karten ab, Kara fährt. Das muss sie machen als Mädchen für alles, als Steilwandfahrerin, als kommende Göttin.
Der Lohn ist die Begeisterung des Publikums. Adrenalin, das in Strömen fließt. Feeling, das süchtig macht. Die Gewissheit, etwas zu können, was nur noch ganz wenige wirklich können: eine ultimative Show bieten. Pure, raue Kunst, echt und wahr, für die ein Steilwandfahrer jedes Mal sein Leben riskiert. Dem Publikum alles schenkt, was er hat. Spätestens jetzt möchte man Kara in den Arm nehmen.
Weitere Informationen
Steilwand: Der vollständig aus Holz gefertigte Zylinder mit 18 Wandelementen misst 9,80 Meter im Durchmesser und ist sechs Meter hoch. Der Zentralmast hat eine Höhe von zwölf Metern, der komplette Durchmesser inklusive Sohlbalken liegt bei 15,20 Metern. Das Motodrom wurde 1928 erbaut, mehrfach modernisiert, ist TÜV-geprüft und gilt als die älteste reisende Steilwand der Welt. Donald Ganslmeier arbeitet extrem hart daran, die Ursprünglichkeit und Emotionalität von Fahrzeugen, Steilwand und Show beizubehalten.
Fahrzeug: Das Lieblingsarbeitsgerät des Steilwandfahrers ist die Indian Scout 101. Niedriger Schwerpunkt (noch unter der Radachse), robuste Bauart und hohe Zuverlässigkeit machen diese Maschine ideal für die Tortur im Kessel. Produziert wurde sie in Springfield, USA, in den Jahren 1927 bis 1931. Der seitengesteuerte 750er-V-Motor leistet 18 PS, insgesamt wiegt die Scout 166 Kilogramm. Das Dreiganggetriebe wird per Handschaltung am Tank und per Fußkupplung betätigt. Donald Ganslmeier unterhält fünf dieser legendären Maschinen. Das Steilwand-Fahrschulfahrzeug ist eine Honda CM 200, bei der die Schutzbleche entfernt und die hinteren Federbeine durch Vierkantrohre ersetzt wurden. Darüber hinaus befindet sich im Motodrom-Fuhrpark ein BMW-Monoposto aus dem Jahre 1929.
Programm/Info: Donald nach dem großen Tourerfolg von 2014: „Die Begeisterung des Publikums gibt uns den unbändigen Elan, an einer noch perfekteren Show zu arbeiten.“ Für alle Interessierten: Der Hamburger Fotograf Olaf Tamm hat wunderbare Bilder und einen Bildband zum Thema Steilwandfahren erstellt: www.olaftamm.de. Kontakt Original Motodrom: info@motodrom.de. Tourdaten 2015: www.motodrom.de oder Facebook: Original Motodrom.