Böse Absicht oder nur dumme Nachlässigkeit? Ausgerechnet der Designer des Originals wurde von BMW nicht nach seiner Meinung gefragt, als die Bayern mit viel Brimborium die Reminiszenz an die R 90 S vorstellten. Das hat MOTORRAD nun nachgeholt.
Böse Absicht oder nur dumme Nachlässigkeit? Ausgerechnet der Designer des Originals wurde von BMW nicht nach seiner Meinung gefragt, als die Bayern mit viel Brimborium die Reminiszenz an die R 90 S vorstellten. Das hat MOTORRAD nun nachgeholt.
Herr Muth, bevor wir auf die BMW-Studie „Concept Ninety“ zu sprechen kommen, vielleicht noch ein paar Bemerkungen zum Original und Ihrer Rolle vor 40 Jahren. Wie kamen Sie überhaupt dazu, BMW-Motorräder zu entwerfen?
Muth: Als BMW-Neuling stellte ich mich dem Motorrad-Entwicklungsleiter Hans-Günther von der Marwitz vor. Da mir die Strich-fünf-Modelle nicht besonders gefielen, fragte ich ihn: „Wer gestaltet eigentlich bei euch die Motorräder?“ Marwitz antwortete: „Niemand Spezielles! Mögen Sie Motorräder, Herr Muth? Dann machen Sie es doch!“ Und so wurde ich der BMW-Motorraddesigner und machte den Job lange Zeit parallel neben dem Pkw-Interieur.
Welche Vorgaben gab es für die R 90 S?
Muth: Der bestehende Baukasten sollte natürlich weitgehend genutzt werden, und auch die technischen Neuerungen, die für die Strich-sechs-Baureihe anstanden, waren gesetzt. Das Tankvolumen von 24 Litern war vorgegeben, und ein sportlicher Zweisitzer sollte es werden. Vertriebschef Bob Lutz, bis zu seinem Wechsel von Opel zu BMW privat Fahrer einer Honda CB 750 Four, wollte 67 PS – bei BMW war zu diesem Zeitpunkt bereits bei 50 PS Schluss. Über allem stand der Wunsch, vom alten Kradmelder-Image wegzukommen.
Wie groß war Ihr Designteam und wie lange haben Sie für die R 90 S gebraucht?
Muth: Vier Mann als Modelleure und meine Wenigkeit haben alles gemacht. Das war auch später bei der R 100 RS und bis Ende der 70er-Jahre so. Die R 90 S haben wir in kürzester Zeit hingestellt. Innerhalb einer Woche waren die Skizzen zu Papier gebracht, das ganze Ding hat sechs Wochen gedauert – wenn es hochkommt.
Wie beurteilen Sie mit 40 Jahren Abstand die Rolle der R 90 S in der BMW-Historie und wie ist sie im Vergleich zu Ihrem zweiten großen Wurf, der R 100 RS, zu sehen?
Muth: Die R 90 S war für BMW der Anfang des heutigen Erfolgs, denn mit ihr hat BMW einen gewaltigen Imagewandel geschafft, hin zum Hersteller durchaus sportlicher Motorräder. Die R 100 RS ist in allen Belangen das bessere Motorrad, aber beide Modelle sind ganz sicher Meilensteine in der BMW-Geschichte. Die R 90 S in Sachen Markenimage, die R 100 RS im Hinblick auf die technische Kompetenz.
Kommen wir zur „Concept Ninety“. Wie war Ihre Reaktion, als Sie die ersten Bilder sahen?
Muth: Meine Reaktionen waren von enttäuscht bis empört, wie man so etwas bringen kann. Da stellt man sich hin und treibt einen Riesenaufwand, geht nach Kalifornien, schreibt blumige Pressetexte, und da kommt etwas heraus, was vom Design her ein Nichts ist.
Erklären Sie uns das Nichts doch bitte etwas genauer.
Muth: Die Frage ist doch: Was ist hier neu dran? Nichts! Es ist niedrig, es ist straffer, es hat Stummellenker dran, aber unterm Strich ist es eine ältere Dame im daytona-orangefarbenen Bikini zu schwarzen Strümpfen und High Heels. Das ist doch keine Botschaft. Das können Sie mit jeder Maschine machen, die Sie einfach runterstrippen.
Welche Botschaft hatten Sie denn erwartet?
Muth: BMW betont in der Presseinformation, dass die „Concept Ninety“ zeigen soll, wie reduziert und pur ein Motorrad sein kann. Da frage ich mich doch erstens: Was machen die eigentlich heute? Und zweitens: Falls man’s heute nicht macht – aber trotzdem immer schön betont –, will man zukünftig eventuell dorthin? Und wenn man da hinwill, kann das doch keine Antwort sein. Wenn Sie die „Concept Ninety“ von der Seite betrachten, fragt man sich: Fährt sie? Nein, sie steht! Da ist nichts von einer Dynamik drin. Das ganze Motorrad hat keine Spannung, es ist fast langweilig, ein Déjà-vu-Erlebnis. Die Studie besteht nur aus Tank und einer sich bananenförmig nach oben wiegenden Cockpit-Verschalung, getragen von der technisch interessanten und kraftvollen Fahrwerks- und Antriebspartie.
Sie hat aber nicht nur die Langweiligkeit des Entwurfs geärgert. Da war doch noch mehr, oder?
Muth: Ich hätte es ganz nett gefunden, wenn BMW beim ganzen R 90 S-Zitieren auch an den ehemaligen Designer herangetreten wäre und ihn gefragt hätte, was er denn heute über seine 40-jährige Geliebte zu sagen hat. Frei nach dem Motto: „Gibt’s den Muth noch? Fragen wir den doch mal!“ Stattdessen bleiben in der Presseinformation ein paar historische Zusammenhänge auf der Strecke, und BMW stellt Selbstverständlichkeiten als weltbewegende Neuheiten heraus.
An welchen Stellen schwächelt die Presseinformation denn?
Muth: Die R 90 S war nicht das erste Motorrad, welches serienmäßig mit einer Frontverkleidung ausgestattet war. So etwas gab es bei der fernöstlichen Konkurrenz und auch in Italien schon früher. Wenn dann auch noch der Tank „mit eingezogenem Kniebereich für eine optimale Verbindung zwischen Fahrer und Maschine“ als Besonderheit der „Concept Ninety“ herausgestellt wird, dann frage ich mich wirklich, ob man extra nach Text suchte, um eine Botschaft zu vermitteln. Solche Einbuchtungen zum Knieschluss sind an fast jeder Maschine zu finden.
Haben Sie vielleicht ein grundsätzliches Problem mit der aktuellen Designergeneration oder der Bedeutung, die dem Design heute zugeschrieben wird?
Muth: Überhaupt nicht. Auch nicht mit dem Zitieren der Vergangenheit. Der neue Mini ist für mich ein tolles Beispiel für gelungenes Design, bei dem auch mit den Proportionen gespielt wurde – ich fahre sogar selbst einen. Aber was mich tatsächlich an einigen heutigen Designern – speziell bei BMW – stört, ist der Hang zur Selbstdarstellung. Das Produkt ist manchmal nur noch Nebensache.
Haben es die Designer heute leichter als Sie vor 40 Jahren?
Muth: Damals hatte Design noch nicht diese Macht von heute, man musste darum kämpfen. Aber man konnte mit einem kleinen Team viel bewegen und hatte ein klares Ziel: Wo wollen wir hin, was wollen wir zukünftig machen? Das fehlt der aktuellen Designergeneration vielleicht. Erschwerend kommt hinzu, dass heute hinter jedem Designer ein Controller hockt.
Auf den Punkt gebracht: der größte Fehler bei der „Concept Ninety“?
Muth: Die Macher kennen die Geschichte der R 90 S einfach nicht. Dem armen Roland Sands musste man überhaupt erst mal zeigen, was da vor 40 Jahren Motorradgeschichte geschrieben hat. Und BMW mache ich einfach den Vorwurf, dass man in der Traditionspflege ärmlich agiert.
Wie lief eigentlich Ihr Ausstieg bei BMW ab?
Muth: Ich bin gegangen worden. BMW wollte Ende der 70er-Jahre unbedingt etwas mit Choppern machen, alle machten ja in Chopper. Ein Schweizer Studio hatte entsetzliche Entwürfe vorgelegt – meterhohe Sissybars mit Malteserkreuzen und so etwas – und ich sollte mit denen zusammenarbeiten. Ich habe darauf mit dem Götz von Berlichingen-Zitat reagiert, mich somit quergelegt, etwas, was zu dieser Zeit bei BMW ein Unding war. Nach vier Jahren bekam ich aber schon wieder BMW-Aufträge.
Hans Albrecht Muth wurde 1935 im brandenburgischen Rathenow geboren. Nach dem Krieg siedelte die Familie in den Westen um. Muth lernte nach dem Realschulabschluss Werkzeugmacher in Solingen, besuchte danach für zwei Semester die Werkkunstschule in Wuppertal und bildete sich dann autodidaktisch weiter. Als freischaffender Grafiker und Designer arbeitete Muth in der Automobilwerbung und -fachpresse. 1965 wurde er von Ford in Deutschland angestellt, zwei Jahre später wechselte er zu Ford in die USA, kehrte 1968 zurück und war für Fords Zukunftsentwürfe verantwortlich.
1971 wechselte er zu BMW nach München, um dort „Designchef Interieur“ zu werden. Parallel dazu übernahm er auch das BMW-Motorraddesign und gestaltete u. a. die R 90 S und R 100 RS. 1980 ging Muth für zehn Jahre nach Japan, wo er Autos, Kameras, Golfschläger, Uhren, Hubschrauber und natürlich Motorräder entwarf – zusammen mit Hans-Georg Kasten von Target Design die Suzuki Katana-Modelle. Heute lebt und arbeitet Hans A. Muth in der Nähe von München.
Pünktlich zum Markenjubiläum ließ BMW Motorrad die legendäre R 90 S wieder hochleben. Inspiriert vom Sport-Boxer von 1973, hat US-Designer Roland Sands die „Concept Ninety“ entworfen. Und zwar nicht als hohle Pappattrappe: Die BMW-Studie fährt wirklich!
Präsentiert wurde die BMW „Concept Ninety“ auf einem für Motorräder eher ungewöhnlichen Terrain. Bei einem Treffen feiner Oldtimer in Italien rollte der Retro-Boxer im Mai 2013 erstmalig auf die Showbühne und erregte nicht nur durch seinen deftigen Boxersound Aufmerksamkeit.
Das fahrbereite Einzelstück soll nicht nur ein (selbst gemachtes) Geschenk zum 90. Geburtstag von BMW Motorrad sein, sondern ist auch eine Hommage an 40 Jahre R 90 S. Mit knapp 200 km/h Spitzengeschwindigkeit gehörte der Sport-Boxer 1973 zu den schnellsten Serienmotorrädern der damaligen Zeit, dazu kamen zahlreiche Erfolge in verschiedenen Rennserien.
Die Neuauflage der R 90 S wurde vom Motorrad-Customizer und Designer Roland Sands im Auftrag von BMW erschaffen. Der ehemalige Motorradrennfahrer aus der US-amerikanischen AMA-Meisterschaft gilt mit seiner Firma Roland Sands Design (RSD) mittlerweile als einer der wichtigsten Impulsgeber für die Custombike-Szene. Als Antrieb wählte Sands den klassischen, luftgekühlten Boxer mit 1200 Kubik, der mit zahlreichen RSD-Customteilen (Auspuff, Blenden) veredelt wurde.
Für Ola Stenegard, Leiter des Fahrzeugdesigns bei BMW Motorrad, markiert die „Concept Ninety“ die Rückbesinnung auf die Essenz des Motorrads: „Heute stehen BMW-Motorräder für Funktion in Perfektion. Das haben wir uns hart erarbeitet, und darauf sind wir stolz. Aber wir wollen mehr: Mit der BMW „Concept Ninety“ wollen wir zeigen, wie reduziert und pur ein emotionales BMW-Motorrad sein kann.“