Er liebt einfache, überschaubare Technik, mag Motoren mit zwei Zylindern: Willkommen in der Welt des Old-School-Guzzi-Schraubers Mark Etheridge in Kalifornien.
Er liebt einfache, überschaubare Technik, mag Motoren mit zwei Zylindern: Willkommen in der Welt des Old-School-Guzzi-Schraubers Mark Etheridge in Kalifornien.
Der beste Guzzi-Schrauber der Welt? Für Schauspieler Hannes Jaenicke, der in Kalifornien seinen Zweitwohnsitz hat, ist das Moto Guzzi Classics in Long Beach. Dort hatte er sich eine 850er-Eldorado gekauft, „ein ehemaliges Polizeimotorrad“, wie er mir in einem Interview verriet. „Der Inhaber ist ein wenig durchgeknallt, aber die Maschinen, an die er Hand anlegt, die halten prima!“ Weshalb auch die 1999er-California des Darstellers nie Probleme mache, sie „laufe zuverlässig wie ein Traktor“. Zwei Jahre später bin ich selber in Los Angeles. Und erinnere mich an die Worte Jaenickes über diesen etwas unkonventionellen Guzzi-Schrauber. Ja, meine Neugier ist geweckt.
Long Beach? Dort liegt die einst englische Queen Mary von 1936 als Museumsschiff, schwimmendes Hotel und Restaurant prominent im Hafen. Auf dem Weg zu einem der schönsten Schiffe aller Zeiten mit den meisten je beförderten Passagieren liegt Moto Guzzi Classics. Erster Eindruck der Wellblech-Werkstatt: Gut, der Inhaber muss italophil sein, darauf lässt der grün-weiß-rote Anstrich in den italienischen Landesfarben schließen. Allerdings ist das Grün ziemlich ausgeblichen. Und am Schriftzug „Moto Guzzi Classics“ fehlt ein „C“. „Mein Maler ist leider gestorben“, heißt mich Mark Etheridge in seiner Guzzi-Welt willkommen. Nun, eine nicht alltägliche Begrüßung, wie ich finde.
Mit seinem schlanken Gesicht und den dunkelblonden Haaren hat Mark, Jahrgang 1954, entfernt Ähnlichkeit mit Clint Eastwood. Wortlos geht er wieder in seine Werkstatt, schraubt weiter an einer 1977er-Le Mans. Ich folge ihm und staune. Denn hier hängen die Wände voll mit Schutzblechen, Tanks, Lampen – alles, was nicht mehr in die überfüllten Regale passt. Darin stapeln sich Motorengehäuse, Zylinder, Kolben, Lackteile, Tachos, Ersatz- und Neuteile sowie diverse Filter. „I‘ve got a lot of shit“, erklärt Mark die Überbleibsel vieler geschlachteter Guzzis.
Kupplungs- und Gaszüge hängen in voller Länge wie Vorhänge herunter. Fein säuberlich nach Typen sortiert. Daneben Plakate von Film-Ikonen, schon ein wenig vergilbt: Sean Connery, 1971 bei Dreharbeiten zu „Diamantenfieber“ stilvoll im Anzug auf einer Guzzi mit „Sheriff“-Schriftzug auf der Verkleidung. Oder Marlon Brando auf einer Triumph Thunderbird in „The Wild One“. Angestellte Mechaniker hat Mark nicht, sein Laden ist eine One-Man-Show. „Ich mag Guzzis, weil sie einfach aufgebaut und simpel zu warten sind“, sagt er. Ab und an schraubt er noch an Zweiventil-Boxern von BMW, aber das war‘s auch schon.
Harley-Fahrer mag Mark nicht besonders, „zu viel Geld, zu viel Attitüde“. Und bei den Japan-Bikes gäbe es zu viele verschiedene Typen. Als Großmeister der Toleranz entpuppt sich der Vietnam-Veteran also nicht gerade. An Guzzis schraubt er seit 1981. Zuvor kümmerte er sich um Karosserie-Arbeiten an Porsches. Doch Rostbehandlungen und Schleifarbeiten erfüllten ihn nicht. Und so machte er seine Passion zur Profession. „Ich mache Basics, kein High-End, nichts für Tausende von Dollar.“ Simple Mechanik eben. Der Old-School-Schrauber lackiert selbst, in guter Qualität, zieht auch Zierlinien von Hand. Nur die Elektrik bereitet ihm wenig Freude. So wie jetzt, bei der Suche nach dem Fehler im Schaltkreis der Le Mans.
Ganz in der Nähe schrieb das Los Angeles Police Department Guzzi-Geschichte: Die Polizeibehörde mit der damals größten Motorradflotte weltweit orderte 1968 erste V7-Behördenmaschinen, insgesamt mehr als 85. Aufgerüstet mit Zusatzlampen, Trittbrettern, Windschild, Packtaschen, Sirene und Sturzbügeln. Das war für den italienischen Hersteller ein immenser Imagegewinn, wichtig für den Durchbruch der neuen V2-Modelle. Denn was für US-Cops gut war, die in Seattle, Phoenix/Arizona und Orange County ebenfalls Guzzis fuhren, wollten in den USA und Europa immer mehr Menschen bewegen. Diese Welle erfasste auch Mark.
„1976 bekam das Los Angeles Police Department sechs Converts mit Zweigang-Schaltgetriebe und hydraulischem Drehmomentwandler – der stammte von euch aus Deutschland, von Fichtel & Sachs. Drei der Maschinen landeten später bei mir.“ Mark hat Typenkenntnis, ist ein wandelndes Guzzi-Lexikon. „Die Polizeimaschinen hatten andere Lenkeraufnahmen und Gabelbrücken sowie eine Sirene, per Reibung vom Hinterrad angetrieben.“ Marks Favoriten? „Die Modelle der 60er- und frühen 70er-Jahre, ohne Integralbremse und Schnickschnack.“ So wie die ab 1972 produzierte Eldorado (in Europa 850 GT), Vorläufer der California. Da trifft sich die anstehende Probefahrt auf einem für 6500 Dollar zum Verkauf stehenden Exemplar gut.
Mark raucht und plaudert, pafft und erzählt. „1974 bekam die Eldorado eine Scheibenbremse vorn.“ Doch das Modell von Mitte 1973 mit Doppelduplex-Bremse wäre heute das gesuchteste und teuerste. „Sie ist am coolsten, nur wegen der vier Bremsbacken schwierig einzustellen.“ Mark präsentiert einen neuwertigen Eldorado-Tank: „Kostet mit echten Chromflanken 1500 Dollar – wenn ich dich mag.“ Es gebe aber eine günstigere Lösung, mit Vinylflächen in Chromoptik. Unkonventionell berechnet Mark seinen Stundenlohn: „80 Dollar, wenn ich dich oder die Arbeit gut leiden kann, 100 Dollar, wenn nicht.“
Edel: die feuerrote V7 Ambassador, mit 757-Kubik-V2. „An der habe ich viel gemacht, die Restaurierung kostete 12.000 Dollar, sie brauchte einen neuen Rahmen und eine komplett neue Verkabelung.“ Jetzt steht die Schönheit für 8000 Dollar da. „Sie hat einen 950er-Big Bore-Kit, sieht aus wie eine 67er, aber die meisten Teile stammen von 1971.“ Wer mit Leib und Seele Maschinen aus Mandello del Lario lebt und liebt, rechnet im metrischen System. Dabei hat Mark ein sehr amerikanisches Hobby: Er fährt Drag Races, Beschleunigungsrennen. Mit einem von ihm selbst aufgebauten 1962er-Plymouth Valiant. „Bei unter 1000 Kilogramm Eigengewicht reicht dessen scharfer Sechszylinder mit 300 PS, um dicke V8 abzuledern.“
Völlig verrückt: Der auf einer Hebebühne realisierte Traum eines Freundes, eine 1000er-Guzzi mit Kompressor aufzurüsten und mit Teilen von Triumph, Ariel und Lambretta zu kreuzen. Leistung? „Ist uns egal, es geht nicht wirklich um Speed, sondern nur darum, anders zu sein, mit einer weltweit einzigartigen Guzzi.“
Draußen im Hof fehlen einem die Worte: Dutzende Motorengehäuse und Tanks, Rahmen und Räder, Kotflügel und Gabeln stehen oder liegen hier rum, halbe und viertel Motorräder. Ausgeweidet oder auf Restaurierung wartend? An sich eine Schatzkammer. Aber eine, die nur notdürftig vor der sengenden kalifornischen Sonne und der salzhaltigen Luft geschützt ist – das Meer ist nur gut zwei Meilen entfernt. Rost und Patina bleiben in dieser korrosiven Umgebung nicht aus, Plastikplanen schützen kaum. Armeen rostroter Stehbolzen stehen, streng symmetrisch verschränkt, Spalier. Als Mahnmal, Friedhof – oder gar Altar für den Guzzi-Gott?
„Nein, das ist alles noch verwendbar“, sagt Mark, „das Aluminium wird mit Strahlen wieder wie neu. Die Ersatzteile verkaufe ich bei Ebay, 75 Prozent nach Australien, den Rest in den USA und nach Europa.“ Originell sind Marks Hunde Rusty und Dusty (zu Deutsch: Rostig und Staubig). Und sein grüner Papagei, der ganze Sätze sprechen kann. Der ist schon 45, und echt Motorrad-affin: „Beaver fuhr schon 10.000 Meilen auf Lenkern mit – bis 35 Meilen pro Stunde rückwärts, guckt und spricht zu mir, erst dann dreht er sich um und schaut nach vorn.“ Okay, hier sind alle ein bisschen verrückt. Der laut Hannes Jaenicke beste Guzzi-Schrauber der Welt ist zumindest der originellste.