Viele Motorradsammlungen verraten schon von Ferne, welchen eigentlichen Zweck sie verfolgen. Hier steht einer auf BMW, da einer auf Italo-Sportler, des einen Herz erwärmen Mokicks, des anderen Big Twins. Solche Klarheit lässt die Kollektion Lindfeld vermissen. Die funktioniert nicht auf dieser reinen Erscheinungsebene, sondern folgt – wenn man so will – höheren Zielen.
„Ich kann doch nichts wegschmeißen“, benennt Wolfgang Lindfeld eines davon und lächelt entschuldigend.
Das ist hart, denkt der Besucher und erspäht denn auch unter den über 80 Stücken gleich drei Suzuki GS 500 E. Konkurrenzlos günstig Anfang der 90er, DAS Studenten- und Anfängermotorrad. Aber Sammlerobjekt? Da fällt dem Betrachter ein, wie verrückt die Leute heute etwa nach Yamaha RD 250 aus den 70ern sind – die kleinen Suzis, allemal jene aus der Sonderserie mit FiveStar-Vollverkleidung, erscheinen plötzlich in anderem Licht. Beherbergt diese Halle hier, am westlichen Ortsrand des gemütlich-münsterländischen Lüdinghausen gelegen, etwa ein besonders schlaues Zukunftsinvestment? „Nee, nee“, zuckt Wolfgang mit den Schultern, „das ist alles dem Zufall zu verdanken, mehr oder weniger.“ Oder dem Pech oder dem Glück: Die Geschichte dieser Sammlung hat das Leben geschrieben.
Was tut man, wenn man nichts mehr zu tun hat?
Im Prinzip wollte Wolfgang Lindfeld nämlich noch heute Suzukis und Triumphs verkaufen oder reparieren. In seinem Dortmunder Motorradgeschäft, so, wie er es von 1984 an getan hat. Bis 1995, da fährt dem Kfz-Meister während einer Probefahrt jemand vors Motorrad. Aufgrund seiner Verletzungen ertaubt Wolfgang von einer Sekunde zur anderen, kaum nennenswerte zwei Prozent Hörfähigkeit bleiben ihm. Schnell lernt er, wieder zu sprechen, dann, anderen Menschen von den Lippen abzulesen. Er gewöhnt sich an sein Hörgerät, besucht die Reha, dennoch: Den Laden kann er nicht mehr führen, muss ihn mit gut 40, ein Jahr nach dem Unfall, verkaufen.
Dank Berufsunfähigkeitsrente ist für Wolfgang gesorgt. Materiell. Und sonst? Was tut man, wenn man nichts mehr zu tun hat? Ein riesiges Loch starrt ihn an. „Da wollte ich nicht reinfallen, niemals“, erzählt Wolfgang. Deswegen vertraut er seiner inneren Kraft und dem, was er immer schon gern gemacht hat. „Auf dem Bauernhof meiner Schwiegermutter ging das los, da hab ich ab 1997 wieder geschraubt.“ An Motorrädern, was sonst. Und es ist ihm damals völlig egal, was auf der Bühne steht: Aus therapeutischer Sicht ist eine edle Ducati 750 SS nicht mehr wert als jeder hoffnungslos abgerittene Nippon-Mittelklässler. Der kleine Kardantourer Kawasaki GT 550, der Raumgleiter Suzuki VS 600, die Yamaha-Allrounder XS 400 und XJ 550 – alles, was Freunde ihm zutragen, als Lohn für kleine Gefälligkeiten einfach dalassen oder schlicht nicht mehr haben wollen, ist Wolfgang eine liebevolle Behandlung wert. Bis heute. Und steht gleichrangig neben anerkannten Ikonen. Die gibt’s nämlich auch. Was Wunder bei einem, den das Thema seit frühester Kindheit total begeistert. Der als Händler aber seinen Blick schulen konnte.
Mit der GSX-R begann der zweite Motorradboom
Zwei Jahre war Wolfgang Moto Guzzi-Händler. In seiner Sammlung sind italienische Motorräder Mangelware. Dann hat er 1990 Triumph übernommen. „Die hatten aber anfangs auch massive Probleme“, schränkt er ein. Trotzdem retten sich gleich drei der imposanten Hinckley-Frühwerke in die Ausstellung. Seine Vierzylinder-Trophy 1200 stammt sogar aus der auf 100 Exemplare limitierten First Edition, mit der Triumph damals den Neustart begann. Die ersten zehn sind in England geblieben, in Lüdinghausen steht die Nummer elf...
Doch selbst Britanniens mächtiges Schlachtschiff kann den Blick auf Wolfgangs Favoriten nicht verstellen: japanische Four-in-lines im Allgemeinen, Suzukis im Besonderen. Die luftgekühlten GSX-Vierventiler schätzt er als Ästhet und Mechaniker gleichermaßen, die luft-/ölgekühlten sprechen auch den Sportsfreund so richtig an. Und über allem schwebt dann die GSX-R, von der frühen 750er bis zur 1100er original und in beeindruckender Reihe angetreten. „Ja“, freut sich Wolfgang, „da kriegen die Fans schon mal feuchte Augen, erinnern sich an die wildesten Jahre.“ Ihn selbst verbindet mit Suzukis Supersportler eher eine Erfolgsgeschichte: „Die GSX-R hat uns Händlern Mitte der 80er unheimlich geholfen. Da ging ein Ruck durch die Marke, da begann für uns der zweite Motorradboom.“
Katana ist heute einer der Stars im Showroom
Bekanntlich kam die eine oder andere GSX-R vom rechten Weg ab, und so eine hat sich Wolfgang mal besorgt. Der 1100er-Motor wanderte in den stark veränderten Rahmen einer 750er-Katana, die Alu-Kastenschwinge stützt sich über ein Zentralfederbein ab und eine Upside-down-Gabel nimmt die vorderen Sechskolben-Bremszangen auf. Das Ganze in Dunkelblau und 1992 auf die Straße gestellt. Neben dem Händlerjob, klar, und seither gehört Wolfgang irgendwie ein bisschen zur Katana-Szene. „Stimmt, wenn da ein Treffen in der Nähe ist, da fahr ich gern vorbei.“ Das hätte er sich vor 30 Jahren nicht vorstellen können: „Die Dinger standen wie Blei, meine Letzte hab ich nach Schleswig-Holstein verkauft.“ Was ihn nicht hindert, kurz darauf eine 1100er-Unfall-Katana zu erwerben. Original, mit ganz wenig Kilometern, ist sie heute einer der Stars im Showroom.
Einen anderen konnte er mal einem befreundeten Händler abschwatzen. „Aber nur im Paket. Der kriegte weder die Turbo noch die GSX 750 EF ans Laufen. War genervt, immer in Eile.“ Ein typischer Fall für Wolfgang. Der hat Zeit – und freut sich heute über eine von gut 1150 je gebauten XN 85. Das heißt, eigentlich freut er sich genauso über die EF. Da hat er drei Stück von, 550, 750 und 1100 Kubik. Sind ihm zugelaufen. „So in einer Reihe, das hat doch was, oder?“ Sowieso.