Lederschneider Rudolf Nebel entwickelte in den 1970er-Jahren eher zufällig eine der ersten Motorradkombis. Heute gilt die familiengeführte Manufaktur Alne in der Motorradszene immer noch als eine der ersten Adressen für maßgefertigte Lederkombis.
Lederschneider Rudolf Nebel entwickelte in den 1970er-Jahren eher zufällig eine der ersten Motorradkombis. Heute gilt die familiengeführte Manufaktur Alne in der Motorradszene immer noch als eine der ersten Adressen für maßgefertigte Lederkombis.
Die Nähmaschine rattert über rotes Leder – tak-tak-tak-tak-tak – und verbindet gegerbte Tierhaut mit einem schweren Metallreißverschluss. Der Mann an der Pfaff zieht die Motorradkombi unter der Nadel immer wieder zurecht, blinzelt konzentriert durch die Brille, legt erneut an und: tak-tak-tak-tak-tak.
Der Näher heißt Rudolf Nebel und ist im Ruhestand. Eigentlich führt Sohn Xander die Ledermanufaktur, aber Vati schleicht nach wie vor fast jeden Tag durch die Werkstatt. Denn wie so oft bei Selbstständigen: War die Firma einst ihr Baby, so bleibt die Bindung eng. Auch wenn das Baby mittlerweile 40 Jahre alt ist und somit zwei Jahre älter als Xander. Der Senior kann halt nicht recht loslassen, und auch wenn der Sohn ihn statt mit „Vater“ oder „Papa“ lieber mit „Chef“ anredet, klingt das eher wie ein liebevoller Hinweis, dass sich der 67-jährige Rudolf mal lieber etwas zurücklehnen sollte – „Chef, lass mal, das sind doch 20 Jahre alte Muster“, „Chef, ist gut, ich kümmere mich gleich drum.“
Das rote Leder gehört übrigens zu einer Maßkombi, die um sage und schreibe vier Größen geändert werden soll. Na, da hat aber jemand etwas zugelegt, oder? Falsch. Beide Nebels müssen trotz zusammen über 70 Jahren Berufserfahrung schmunzeln, denn so einen Fall gibt es eher selten. Der Käufer hatte die Kombi zum Saisonstart im Laden abgeholt. Passte wie angegossen, alles paletti, Kunde fährt glücklich vom Hof. Nun hackte der Gute neben dem Hobby Motorradfahren wohl auch noch viel Holz, hatte offenbar viel wegzuschaffen und zudem vermutlich eine sehr wirkungsvolle Diät hingelegt, jedenfalls magerte er in weniger als zehn Wochen um fette 28 Kilo ab. Bereits im Frühsommer stand er wieder bei den Nebels auf der Matte.
Bei Alne sind Herstellung und Änderungsschneiderei unter einem Dach in Niedernberg bei Aschaffenburg, und genau wie Individualisierungswünsche bei Neuware können auch Problemstücke umgearbeitet werden. So kann flugs aus einem gut 2000 Euro teuren Schlabberteil wieder ein top sitzender Maßanzug geschneidert werden. Fälle wie dieser sind zwar besonders, aber die Aufgabe, Leder körpernah an den Mann und die Frau zu bringen, gehören zum Alltag in der Firma Alne. Die Schneider rund um Xander und den Senior machen teilweise seit Jahrzehnten diesen Job. Zu den Kunden von Alne gehören Profirennfahrer wie IRRC-Meister Didier Grams, Isle of Man-Piloten und verschiedene IDM-Fahrer, ebenso zahlreiche Hobbyracer und normale Tourenfahrer, die möglichst gut und sicher ausgestattet sein wollen. Und perfekt sitzendes Maßleder bietet eben höchste Sicherheit. Stangenware ist bei Alne nicht im Angebot.
Das hat jedoch seinen Preis. Eine Kombi aus hochwertigem Rinds- oder Känguruleder geht ab rund 1300 Euro los. Diesen Luxus kann und will sich zwar nicht jeder leisten, aber das Auftragsbuch der Manufaktur füllt sich im Laufe des Jahres immerhin mit einigen Hundert Bestellungen. Hinzu kommen Reparaturen und Änderungen an Fremdprodukten. Kunden kommen direkt in den Laden nördlich vom Odenwald oder ordern direkt am Konfigurator im Onlineshop (www.alne-leder.de). Nach Vermessung des Fahrers und individueller Farb- und Ausstattungsauswahl machen sich die Handarbeiter an die Arbeit. Insgesamt arbeiten zehn Lederprofis bei Alne, je nach Jahreszeit kann es auch mal sechs Wochen dauern, bis der Auftrag erledigt ist.
Geduld bringen Alne-Kunden meist aber mit, schließlich will gut Ding Weile haben, außerdem weiß man so ein Einzelstück hoffentlich über viele Jahre zu schätzen. Und selbst wenn der Träger mal Bodenkontakt hätte, was bei Motorsportlern durchaus keine Seltenheit ist, muss der Anzug nicht gleich in den Müll wandern. Häufig finden die Lederschneider noch eine bezahlbare Lösung, um die Kombi wiederzubeleben. Dennoch: In Deutschland ist der Marktanteil günstiger, in riesigen Fabriken gefertigte und über Einzelhandel, Filialisten und Internet vertriebene Importware aus Pakistan und China bei insgesamt rückläufigen Verkaufszahlen von Lederkombis erdrückend. Zum Endkundenpreis manch rabattierter Ein- und Zweiteiler können die Nebels nicht mal das Leder für eine Kombi beim Großhändler einkaufen. Sich unter diesen harten Wettbewerbsbedingungen zu behaupten – keine leichte Aufgabe.
Der bayerische Betrieb feiert nun 40-jähriges Jubiläum. Schon in den Anfängen, also in den 1970ern, musste man sich gegen die Großen behaupten. Der Großvater schneiderte bereits seit 1961 Modeleder, Trachten und „allerlei andr’s Zeugs“, wie sich Xander und Rudolf Nebel ausdrücken. Damals erschwerten industrielle Massenware und Katalogversender kleineren Manufakturen das Geschäft. Rudolf, seinerzeit Mittzwanziger und wilder Motorrad-Aficionado, wollte sich für den privaten Gebrauch einen fahrtauglichen Lederanzug anfertigen. Ohne heutzutage übliche Stretcheinsätze war die Anpassung kniffelig.
Eine der Schneiderinnen verwechselte jedoch beim Zuschnitt die Ärmelhälften, sodass diese falsch zusammengenäht wurden. Bei der Anprobe bemerkte dies Rudolf zwar sofort, schließlich zog es seine Arme unfreiwillig komisch nach oben, aber zunächst wollte er eine Probefahrt wagen. Siehe da: mehr Bewegungsfreiheit und bessere Passform bei gebückter Rennhaltung, also genau so, wie es der Heißsporn wollte. Fertig war die erste Motorrad-Lederkombi! Und damit kam die Einsicht, diese kleine Nische als Ledermanufaktur zu besetzen, um auf Dauer geschäftlich überleben zu können.
1976 firmierten Rudolf und sein Vater in Ableitung dessen Namens (ALois NEbel) unter „ALNE Lederbekleidung“. Hemdsärmelig startete man also damals. Bodenständigkeit und ein gutes Maß an Gelassenheit zeichneten und zeichnen bis heute die kleine Firma aus. Stress und Hektik verbreiten weder Sohn noch Vater, wenn sie mit stoischer Ruhe durch die Werkstatt wandeln. Und eines steht für sie fest: Es bleibt bei Handarbeit.
Das Augenmerk liegt auf Qualität, was angesichts überschaubarer Quantität auch kein Problem darstellt. Das Känguru- und Rindsleder wird immer vom gleichen Großhändler geliefert und sorgfältig ausgewählt. Man kennt und vertraut einander seit Jahren. Xander als gelernter Schneider und Bekleidungstechniker legt bei vielen Stücken selbst Hand an, seit 2014 ist er der neue Chef des Familienbetriebs. Er hat nun selbst einen kleinen Sohn. Gute Voraussetzungen, dass das „Ne“ im Firmennamen noch lange Bestand haben wird.
Hochwertige Sas-Tec-Protektoren schützen alle relevanten Stellen inklusive Schlüsselbein und Rippen, der integrierte Rückenschutz reicht bis zum Steißbereich herunter. Im Vergleich zu Kuhhäuten fällt das verwendete Känguruleder angenehm leicht aus. Eine Variante aus Rindsleder ist übrigens ab 1900 Euro erhältlich. Dank Maßfertigung gelingt eine perfekt anliegende Passform, die durch Kevlarstretch-Einsätze jede Übung auf dem Motorrad mitmacht, ohne einzuengen.
So sitzt die Kombi wie der sprichwörtliche Turnschuh. Wegen der Perforationen im Brustbereich erliegt man auch bei hochsommerlichen Trips nicht gleich einem Hitzekollaps. Fazit: Die Alne Racing Extreme 1 ist ideal für sportlich angefixte Motorradfahrer. Klar, sie hat ihren Preis. Aber als quasi Once-in-a-Lifetime-Anschaffung ist sie diesen auf jeden Fall wert.
MOTORRAD-Urteil: sehr gut