Plötzlich verstummen die Motoren, Zwei-, Drei- und Vierzylinder knistern nur leise vor sich hin. Ansonsten herrscht nun Stille im Schatten der Nürburg. Ringsum stehen grüne Wälder. Mythos Nordschleife! Einfühlsam serviert: Der Instruktor streift sich den Helm ab, schaut seine in Lederkombis gehüllten Teilnehmer an, gestandene Motorradfahrer jenseits der 40. Und greift sich demonstrativ in den Nacken. „Wisst ihr, was das hier ist?“ Die Runde rätselt. „Na, das Lenk-Kopf-Lager“, buchstabiert der Instruktor überdeutlich.
Was er so verdeutlicht? Ganz einfach: Die wichtige richtige Blickführung lässt sich nur erreichen, wenn man sich auch ein wenig bewegt auf seinem Bock, das Gesicht schön kurveneinwärts wendet, die Augen weit vorausschauen lässt. Meist sind es immer wieder die gleichen Fahrfehler: zu kurze Blickführung, zu frühes Einlenken in die Kurve, falsche Sitzposition. Da können auch alte Hasen noch dazulernen. Der Instruktor kennt Gegenmittel: lange außen bleiben, weit in die Kurve schauen, entspannt bleiben. Nur, wie sitzt man locker?
Was also sind Warnzeichen, wenn man übermäßig verkrampft und angespannt ist? Wer die Alarmsignale ignoriert, macht was falsch, riskiert zu viel. Ohne es rechtzeitig zu merken. Solche Basics samt Übungen gehören für Einsteiger und Aufsteiger zum Perfektionstraining des MOTORRAD Action Teams auf der 20,83 Kilometer langen Nürburgring-Nordschleife. Keine graue Theorie, sondern bunte Fahrerlebnisse: Die 73 Kurven auf der anspruchsvollsten permanenten Rennstrecke der Welt haben es in sich. Wer beim Spiel mit der Schräglage, dem Kick von Querbeschleunigung und Fahrdynamik auf dieser anspruchsvollen Strecke sein Herz nicht pochen spürt, der ist tot.
An zwei Tagen haben Schüler und Lehrer diese Strecke aller Strecken exklusiv für sich. So hat man gefahrlos viel Platz, kann sogar drehen, um wieder an den gleichen Abschnitten zu üben, üben und nochmals zu üben. In der „Grünen Hölle“ gelten gleiche Mechanismen wie im Alltag: Wenn die Straße mal auszugehen droht, muss man erst recht weit in die Kurve schauen, auf keinen Fall stur geradeaus wie das Kaninchen vor der Schlange. Dann fährt man garantiert dorthin, wo es bald aua macht.
Ob die Fahrer dies auch beherzigen, zeigt sich beim Sektionstraining rasch: Dann hat jede der maximal acht Teilnehmer großen Gruppen einen Streckenabschnitt ganz exklusiv für sich allein. Dies ist eines der Erfolgsgeheimnisse: kleine Gruppen mit kompetenten Instruktoren zu koppeln. In entspannter Atmosphäre wird viel gelacht.
Vor dem „Heizen“, also schnellem und dabei sicherem Fahren, steht die elementare Fahrzeugbeherrschung: Geschicklichkeitsübungen wie etwa Wenden links- und rechtsrum (was wegen des gewohnten Rechtsverkehrs schwererfällt), möglichst enge Kreise und Achten fahren. Oder ein Wettrennen der besonderen Art: so langsam wie’s nur eben geht über 30 Meter zu fahren, ohne die Füße runterzunehmen. Wer als Letzter ins Ziel kommt, gewinnt!
Aus dem „Spielen“ mit dem eigenen Motorrad erwächst bessere Fahrzeugbeherrschung von allein. Auch Zielbremsungen stehen auf dem Programm. Das kostet ohne ABS eine Menge Überwindung, denn bei blockierendem Vorderrad wächst die Sturzgefahr enorm. Da heißt es zunächst einmal zu lernen, mit dem Hinterrad an die Blockiergrenze zu gehen. Keine leichte Übung, da manche Streckenabschnitte vom Vortag noch nass sind. Um so wichtiger ist es, Blockaden zu lösen. Im Kopf! Sich unter Anleitung an Grenzen heranzutasten. Und diese nach und nach weiter herauszuschieben. Ohne ABS gilt ein einfaches Motto: „Vorne toll, hinten voll.“ Für Kandidaten mit ABS-Maschinen geht es dagegen darum, tatsächlich bis in den Regelbereich reinzukommen. Einmal gelernt und abgespeichert, können einem die dann abrufbaren Reaktionsmuster draußen im Verkehr vielleicht später mal die entscheidenden Meter retten.
Nach dem Sektionstraining geht es in nach Fahrkönnen eingeteilten Gruppen nun richtig los: Runden fahren, ohne Tempolimit und Gegenverkehr herzhaft am Gas drehen! So wie es „Kenner und Könner“ in ihren Trainings von Anfang an machen: Endlich geht es über den ganzen Ring, in einer Linie hinterm Instruktor her. Learning by doing, Umsetzen der Theorie in die Praxis. Das Motorrad legen, legen und nochmals legen. Schräg sein ohne Schreck. Wieder und wieder. Jeder tastet sich an seine ganz persönlichen Schräglagengrenzen heran, kommt bald automatisch tiefer. Die Knie dürfen auf die Erde, müssen aber nicht. Entspannter schnell macht auch schneller entspannt.
Ein tolles Gefühl, wenn an bestimmten Passagen das Vorderrad leicht wird und sogar abhebt! Echte Rennfahrer haben hier beide Räder voll in der Luft: Bei der Nachbesprechung hebt und senkt sich der Brustkorb spürbar. Anfängliche Anspannung weicht Stolz und Zufriedenheit über das gemeinsam Erreichte, Erfahrene und Erlernte.
Ab der zweiten Runde stellt sich meist der „Flow“ ein, Fahren im individuell perfekten Fluss. Nach maximal drei Runden am Stück, bis zu 63 Rennstrecken-Kilometern(!), folgen 30 Minuten Pause, danach geht es wieder aufs Motorrad. So kommen am Tag 240 bis 270 Minuten Fahrzeit zusammen! Auf einer weltbekannten Strecke, wo eine einzelne Runde à maximal 15 Minuten bei den übers ganze Jahr möglichen „Touristenfahrten“ schon 27 Euro kostet – ganz ohne Training und Instruktor, der auf jeden einzelnen Teilnehmer persönlich eingeht.
Jeder Instruktor ist ein alter Hase, kaum einer ist seit weniger als 15 Jahren beim MOTORRAD Action Team. Immer wieder mit dabei: Ring-Legende Helmut Dähne – mit seinen unsterblichen 7:49,71 Minuten ewiger Rundenrekordhalter. Hohes Niveau und extreme Streckenkenntnis sowie Tausende Runden zahlen sich auf dem Ring extrem aus. Aber jeder fängt mal klein an. Von Runde zu Runde fahren die Teilnehmer flüssiger. Immer besser treffen sie die Linie, ihr Tempo steigt. Erst kommt schön, dann schnell. Und dies, obwohl es Nürburgring-Neulingen unmöglich ist, sich in zwei Tagen die gesamte Strecke einzuprägen, sich jede „blinde“ (nicht einsehbare) Kurve zu merken. Aber man lernt, intuitiv richtig zu reagieren.
Es gilt, dafür weit auszuholen – runde, gleichmäßige Bögen zu fahren. Weich und sicher. Dafür sind Kurven zu hinterschneiden: am Beginn der Kurve möglichst lange weit außen zu bleiben, spät einzulenken. Den Scheitelpunkt nach hinten – zum Kurvenausgang – zu verlegen, gibt Sicherheit. Wer dagegen am Kurveneingang fahrerisch Kredit aufnimmt, muss am Kurvenende zahlen.
Unabhängig vom Erfahrungsstand sind hier alle gleich: Motorradfahrer, die ihr Fahrkönnen verbessern und dabei etwas Besonderes erleben wollen. Diesmal waren es 241 Fahrer/innen aus diversen Ländern. Sie haben im Laufe von zwei Tagen gelernt, anspruchsvoll und gut durch die „Grüne Hölle“ zu pfeilen. Das nehmen sie mit, haben von nun an auch auf der Straße mit Sicherheit noch mehr Fahrspaß. Verteufelt gut durch die Hölle, für himmlische Erlebnisse.