Das neue MotoGP 21 von Milestone hat durch neue Features deutlich mehr von einer Simulation als von einem Spiel. Die erste sturzfreie Runde wird euphorisch gefeiert, denn bis dahin dauert es etwas länger. Ein erster Selbstversuch.
Das neue MotoGP 21 von Milestone hat durch neue Features deutlich mehr von einer Simulation als von einem Spiel. Die erste sturzfreie Runde wird euphorisch gefeiert, denn bis dahin dauert es etwas länger. Ein erster Selbstversuch.
Die Suche nach Ausreden beim Versagen ist nur menschlich. Und diese Suche beginnt bei der neuen Rennsimulation MotoGP 21 sehr früh: Bereits nach, besser in der ersten Kurve. Die Chance die erste Kurve ohne Sturz zu meistern ist gering und für einen gestandenen Motorradredakteur nicht nachvollziehbar. Reifen kalt, kennt man ja. Das muss es sein. Doch leider haben die Pixel-Pneus laut Anzeige optimale Temperatur. Was nun? Aha, das neue Feature von MotoGP 21 muss schuld sein: Die Bremsentemperatur. Bremse kalt, später Halt. Tatsächlich zeigt das kleine Icon neben dem Reifenzustand eine blaue, also kühle Bremse in der Front. Alles klar: Die Kohlefaserscheiben warmbremsen und dann auf zur Pole.
Die Ahnung liest mit: Es liegt weder an den Reifen noch an den Bremsen. Der Fehler sitzt wie so oft im Sattel, in diesem Falle auf den Turnmatten von Ikea vor dem Bildschirm. Blickführung zu kurz, zu spät gebremst, ein Dutzend Meter später eingelenkt: Da schützen auch 60° Grad Schräglage und ein schleifender Ellenbogen nicht davor den Rest der Kombi auf dem Asphalt schleifen zu lassen. Aber bei solch exotischen Linien, die man so hinzittert, ist es keine Überraschung: In voller Schräglage über den Curb in den Kies endet eben im Dreck. Trotz der vielen Niederschläge: Das Gameplay und die Fahrphysik sind äußerst gelungen und motivieren. Kleine Highlights lassen die Lernkurve flach, aber kontinuierlich ansteigen. Vor allem der "Stress" eines weiteren neuen Features: Ist die entsprechende Option aktiviert, muss man den Fahrer nach einem der zahlreichen Ausflüge in die Botanik selbst zum Motorrad zurückdirigieren. Je nach Sturzgeschwindigkeit kann das aber viele Meter weit weg liegen und zeigt einem bei aktivierter Schadenssimulation auch an, dass es dem Bike nicht mehr so gut geht. In Folge fährt das Motorrad immer schlechter, bis es schließlich – leider ohne Rauch und Qualm – einfach liegen bleibt. Zurück in der Box noch eine schnippische Bemerkung des Kommentators: "Ob das so gut gelaufen ist?" und das Team teilt einem mit: Die Reparatur dauert den Rest des Freien Trainings. Abblende, nächster Tag, gleiche Vorzeichen.
Da geht die berühmte Becker-Faust ihren Weg vor das sieg-gespannte Gesicht: Weltmeister. Fast: Eine Runde ohne Sturz gepackt und eine gewertete Zeit in den spanischen, sorry katalanischen Asphalt auf dem Circuit des Catalunya gebrannt. Euphorie. Doch von vorn: Nach vielen Testrunden auf den aktuellen MotoGP-Rennern nebst Fahrer in original nachgestalteter Klamotte kristallisiert sich die enge Freundschaft des Chronisten mit dem Fahrstil von Jack Miller auf Ducati heraus. Ob es Unterschiede im Fahrstil und der Fahrdynamik der einzelnen Fahrer und Motorräder gibt, ist nicht verbrieft, man bildet es sich aber ein. Auf jeden Fall spannend. Doch zu dem engen Verhältnis zu Jack und der Duc kommt erst nach einigen Gesprächen mit dem Renntechniker: In der Box kann das Fahrverhalten mit einfachen Sätzen beschrieben werden, der Kollege stellt dann allerhand am Krad ein und erklärt schriftlich die genauen Änderungen und wahrscheinlichen Einflüsse auf das Fahrverhalten. Da kann einiges gelernt werden über Geometrie und Einstellungen. Wobei hier auffällt: Bisweilen ist die Übersetzung etwas holprig: Was sind Lenkplatten und warum verschiebt man die? Egal es funktioniert und man tastet sich heran, bis endlich die erste Runde ohne Crash geschafft ist.
Die Frage ist mehr als berechtigt. Die Rennstrecke bei Barcelona gilt zurecht als ein schwierige: Lange, schnelle Kurven, heftige Anbremsmanöver, anspruchsvolle Kurvenkombinationen. Es gibt einfachere Kurse zum Start. Der Grund ist ein biografischer: Catalunya ist die eine GP-Strecke, die der Chronist kennt. Und die Erfahrung sagt: Oha, die Streckenführung der Simulation ist enorm akkurat, da passt jedes Detail. Auch die Auswirkungen der Streckenführung mit Berg- und Talfahrt auf das Motorrad. Selbst die kleine Bodenwelle unter der Werbebrücke bringt virtuell leichte Unruhe in die Front, wenn Kurve 9 etwas zu eng – also zu langsam – genommen wird.
Nach einigen Stunden in unterschiedlichen Rennställen und Motorradklassen steht fest: Die Unterschiede im Fahrverhalten der einzelnen Motorräder sind so breit gefächert, dass man schließlich glaubt die Unterschiede eines Moto2-Krads zum MotoGP-Brenner erahnen zu können. Auch Features wie Bremstemperatur, Reifenverschleiß mit unterschiedlichen Reifenzonen oder – banal – der erschöpfte Tankinhalt garantieren großartige Spielerlebnisse. Interessant: Die Voreinstellung des Schwierigkeitsgrades agiert missverständlich. Im Rookie-Modus bremst das Motorrad selbstständig, lenkt etwas mit und die Fahrhilfen sind enorm defensiv eingestellt. Leider bringt das nicht den gewünschten Erfolg: das Krad fährt sehr ungenau, was auch die Stufe Semi-Pro nur bedingt verbessert. Erst im Profi-Modus fahren die Kisten plötzlich deutlich einfacher und die Crashs nehmen schlagartig ab. Woran das liegt? Vielleicht auch an falsch übersetzten Begriffen? Mal ein paar Updates abwarten. Apropos Fahrhilfen: In der MotoGP-Klasse gibt es das größte Arsenal an Einstellmöglichkeiten. Beispiel: Fünfstufige Traktionskontrolle. Stufe 5 bringt spürbar Ruhe beim Beschleunigen, das ständige Regelverhalten bis kurz vor die 200 km/h-Marke kostet aber ordentlich Zeit. Stufe 3 und 4 arbeiten freier, mit leichten Drifts (God-like) geht es aus den Kurven heraus. Ab Stufe 2 abwärts ist der Highsider dauerhaft Beifahrer. Selbst der vermeintlich "ausgelutschte" Controller der Playstation 4 ist nicht schuld, sondern das Einfühlungsvermögen eines Vorschlaghammers am Gashebel katapultiert den Fahrer in den Kies.
MotoGP 21 bietet alle aktuellen und bisherigen Rennklassen der GP-Geschichte, darunter auch die letzten 500er-Zweitakter. Königsklasse ohne Fahrhilfen und Gedöns. Mit rutschendem Hinterrad ansatzlos in den Wheelie gehen wurde noch nie so spektakulär auf den Bildschirm gebracht und es schwingt die Idee mit, wie es den Kollegen Biaggi und Rossi – ja, der fuhr damals schon, nur schneller – 2001 ergangen ist. Höllengeräte für einen Mordspaß. Im echten Leben wahrscheinlich umgekehrt und noch viel schlimmer.
MotoGP 21 gibt es für nahezu alle Spieleplattformen und ist deutlich mehr Simulation als Arcade-Spiel. Fett unterstrichen wird das vom enorm umfangreichen Karriere-Modus und den vielen, vielen, vielen Einstellmöglichkeiten an den Motorrädern. Die nehmen zwar mit den älteren Rennklassen immer weiter ab, aber die spielt man eher aus Spaß. Die MotoE fehlt derzeit aber noch.