Spätsommer 2015: PS-Chef Uwe Seitz setzt seinen jüngsten Redakteur auf die Gaststart-Maschine im R6-Cup: „Fahr da mal und bring eine Geschichte mit.“ Kein Problem, dachte ich mir damals. Doch es war durchaus ein Problem. Im ältesten Markencup der Welt und einer der renommiertesten Kaderschmieden fahren keine Nasenbohrer herum. Die wissen alle genau, was sie tun und wie Rennsport funktioniert.
Ich wusste zu diesem Zeitpunkt nur an welchem Lenkerende man drehen muss, damit das Motorrad beschleunigt. Ich wusste auch, wie das mit dem Knie am Boden funktioniert. Aber im Yamaha-R6-Cup fahren und für Fotostunts im Heft posieren sind zwei verschiedene Dinge, die am Ende wenig gemeinsam haben. Ich konnte mir noch nicht so richtig vorstellen, wie fein das Raster zwischen den Klassifizierungen „schnell“, „richtig schnell“ und „verdammt schnell“ auf der Rennstrecke ausfällt. Hundertstel bedeuten ein paar Meter, Sekunden mehrere Welten. Einige Landstraßenbolzer meinen, sie könnten super Motorrad fahren, weil das Knie ab und zu mal den Boden streichelt. Die Wahrheit ist eine andere: Gemessen an erfahrenen und talentierten Racern haben diese Hitzköpfe nicht arg viel mehr drauf als Zahnbelag.
1. Lektion: Demut
Und schon bekam ich die erste Lektion ins Gesicht gerieben: Demut. Ich wurde in meinem ersten professionellen Rennen Vorletzter und fühlte mich beschissen. Gut, bei einem normalen Renntraining überholten mich mal irgendwelche Cracks. Aber bestimmt nicht das ganze Feld! Meiner eigenen Einschätzung nach fuhr ich immer Vollgas, bremste spät und zog früh auf. War aber nicht so. Das Data Recording lügt nicht. Ich schloss das Gas zaghaft wie ein verschrecktes Mädchen, baute viel zu lange Rollphasen vor jedem Kurveneingang ein und bremste nicht hart genug. Eigentlich wollte ich die 600er nach dem katastrophalen Wochenende nie wieder anfassen und die Sache möglichst schnell vergessen. Nach einer Besinnungsphase verwarf ich diesen Gedanken wieder. Ich liebe Motorradfahren und Geschwindigkeit über alles. Und aufgeben ist generell was für Waschlappen! Es blieb nur die Flucht nach vorne: zum Yamaha-R6-Cup anmelden und lernen, lernen, lernen.
Über Yamaha Deutschland kam ich mit meinem Händler Uli Schüller aus Jüchen in Kontakt. Er baute mir nicht einfach nur meine R6 auf und machte sie nach Bodenproben wieder fit. Bei allen Veranstaltungen hatte er die Übersicht und einen Plan zur Hand. Er versorgte mich mit Ratschlägen und Ideen für Verbesserungen, einem Schlafplatz unterm Teamzelt und mit kaltem Bier. Ich denke, ohne eine Begleitung dieser Art braucht man kaum darüber nachzudenken, überhaupt Yamaha-Cup zu fahren. Eine One-Man-Show kann man hier nicht abziehen, das funktioniert nicht.
Solide Grundfitness reicht, Fahrpraxis zählt
Uli Schüller betreut bereits seit 2010 Fahrer im Yamaha-R6-Cup und weiß genau, was es bedeutet, eine Saison zu bestreiten: „Versprich dir nicht zu viel, das erste Jahr ist eigentlich zum Lernen da“. Das klang für mich in Ordnung, denn ich wollte ja unbedingt lernen. Im Anschluss kümmerte ich mich verstärkt um meine körperliche Fitness, weil ich da sowieso Spaß dran habe und ich mich irgendwie vorbereiten wollte. Ende März war ich fit wie ein Turnschuh, saß aber aus Zeit- und Geldmangel noch keinen Meter auf der Cup-R6. Ein Fehler, denn ein Halbmarathon kann keine Fahrpraxis ersetzen. Mittlerweile denke ich, dass man das ganze Fitnesszeug nahezu abhaken kann. Eine solide Grundfitness reicht aus, solange man nicht unbedingt in der Superbike-WM antreten möchte. Es kommt einzig und allein auf die Erfahrung mit dem Bike und den Kopf an. Alles andere tendiert in Richtung egal.
Dann kamen das Auftakttraining am Lausitzring und das erste Rennen. Meine Lederkombi war noch nicht richtig eingetragen und fühlte sich steif an, das Wetter war saukalt und ich fuhr ein miserables Qualifying. Ich startete von weit hinten, wurde im Rennen aber 23. von 33 Startern. Ex-Cuppie Marco Freyer rettete mir gewissermaßen die Haut, indem er kurz vor dem Rennen noch das Fahrwerk meiner Maschine so abstimmte, dass ich damit schnell fahren konnte. Es folgte der zweite Lauf am Nürburgring. Noch mal kein gutes Qualifying, aber im Rennen immerhin der 21. Platz. Langsam verstand ich die 600er besser, und es stellte sich ein höherer Grundspeed ein. Gas schnell schließen, entschlossen bremsen, Rollphase gering halten, Linie treffen, Gas aufziehen und dabei nicht vergessen zu atmen. Locker bleiben. Die Rundenzeiten waren okay und ich begann, auf die Punkteränge ab Platz 15 zu schielen. Ich wollte in dieser Saison unbedingt einen Zähler holen, das war ab diesem Moment das erklärte Ziel.
Die Wut sollte es reißen ...
Vor dem nächsten Lauf in Zolder nahm ich mir frei und fuhr extra zum Trainieren nach Belgien rüber. Bis dahin kannte ich die Strecke nicht, hatte aber gehört, dass sie trickreich sein soll. Das ist sie tatsächlich, der Spaßfaktor kann aber locker mithalten.
Natürlich ging das Qualifying wieder schief. Im Rennen klappte in den letzten Runden der rechte Lenkerstummel ein und ich konnte nicht mehr pushen, trotzdem wurde es der 19. Platz. Beim zweiten Rennen in Zolder wollte ich den Fluch der verhunzten Qualifyings endlich brechen. Die Wut sollte es deshalb reißen, doch es riss mich nur per Highsider von der Maschine. Sowohl das Motorrad als auch der Fahrer steckten den Crash gut weg.
Das darauffolgende Rennen war schwierig, und für mich lief es nicht besonders gut. Ich hatte das Gefühl, auf verlorenem Posten zu kämpfen und kam am Ende auf Rang 22 über die Ziellinie. Nichts ging nach vorne. Die Luft war raus. Mit ziemlich mieser Laune fuhr ich nach Hause. Egal, ob das Ergebnis gut oder schlecht ausfällt – es trifft nie nur den Fahrer, sondern immer das ganze Team.
Beinahe-Abflüge am laufenden Band
Am Schleizer Dreieck landete ich abzüglich der beiden Gaststarter auf Platz 18. Schleiz war für mich vor der Kulisse gefüllter Besuchertribünen das Highlight der Saison. Auf der von Feldern und Wiesen umgebenen Strecke fährt unter der Woche der Berufsverkehr. Eine Mut-Passage wechselt sich mit der anderen ab. Das Rennen war spektakulär. Ich hatte Beinahe-Abflüge am laufenden Band, blieb aber sitzen. So richtig schnell bist du trotzdem nur mit guter Streckenkenntnis, die mir als Neuling fehlte. Mit dem Ergebnis war ich dennoch zufrieden, in Schleiz hatte ich Spaß ohne Ende!
Schon war es August, und die beiden Läufe in Assen standen an. Der niederländische GP-Kurs hält einige Schwierigkeiten wie überhöhte Kurven bereit. Hier gehen am Kurveneingang viel höhere Tempi, als man es für möglich hält. Und die Stubben-Passage ist hundsgemein. Man kann sie auf zwei Arten fahren: spitz oder eng. Beide Varianten stellten mich vor Rätsel. Nach der Quali startete ich von einem nicht allzu schlechten 22. Platz. Für mich als Qualifyingversager war das schon in Ordnung. Endlich auf Punktekurs, versenkte ich aber später im Rennen meine R6 spektakulär. An einer der schnellsten Stellen der Piste, der gemeinen Links vor der letzten Schikane auf Start/Ziel, legte ich einen gewaltigen Abgang hin. Der Schaden an der Maschine war immens, und das nur eine Woche vor dem zweiten Lauf in Assen! Nachdem Ulis Schrauberjungs Frank, Mario und der Chef selbst praktisch drei Tage dauerhaft zauberten, war mein Mopped wieder fit. Ab da prügelte ich mit einer gelb lackierten Maschine weiter.
Das zweite Rennen war trotzdem die größte Katastrophe der ganzen Saison. Ich fühlte mich träge wie ein Faultier und wollte dem Team nicht schon wieder Arbeit bescheren. Das Rennen beendete ich auf Platz 22. Es war eine zähe Geschichte und ich war der Auffassung, nicht mehr vorwärtszukommen.
Training im Gelände
Knapp anderthalb Monate später: letzte Chance Hockenheim. Ich hätte vorher gerne noch mal dort trainiert, aber die letzte Möglichkeit dazu kollidierte mit dem PS-Heftschluss. Wenigstens hatte ich Wochen vor dem Saisonfinale noch mal mein Sportprogramm verschärft. Ich bin zwar nach wie vor der Meinung, dass es fürs Rennfahren nicht entscheidend ist, aber es gibt mir ein gutes Gefühl. Ich war wieder fit und freier im Hirn. Warum fällt es nur so verdammt schwer, ein Trainingshoch beizubehalten? Jedenfalls hatte ich so viel Bock zu fahren wie die ganze Saison nicht und freute mich tierisch auf den badischen Rundkurs. Vorher baute ich extra noch mal eine Motocross-Trainingseinheit auf einer KTM 350 SX-F ein. Auf losem Untergrund rutscht es permanent, und man lernt viel über Fahrzeugbeherrschung. Die 350er gefällt mir als Kompromiss aus Power und Handling sowieso wahnsinnig gut. Ob Einbildung oder Realität, nach dem Motocross-Wochenende fühlte ich mich top vorbereitet.
Anfangs bekam ich die R6 im freien Training kaum in die Kurven, sie wollte einfach nicht. Ich versuchte es mit viel Herz und viel Vollgas und wurde mit Platz 15 belohnt. Na also! Gleichzeitig war mir auch ziemlich klar, dass ich die Position nicht über die Qualifyings würde halten können. Zwischenzeitlich war es wieder Marco Freyer, der das Fahrwerk meiner R6 in die richtige Richtung drehte, damit die Maschine mehr das macht, was ich will. Tausend Dank, Marco!
"Die Maschine traf mich noch im Rücken"
Q1 beendete ich mit Platz 17 und einer schnellsten Runde von 1.35,9 Minuten auf dem kurzen IDM-Kurs. Meine schnellste Rennrunde beim Gaststart vor einem Jahr war eine 1.37,3. Das ließ hoffen, richtig zufrieden war ich aber nicht. Und damit war die Lockerheit schon wieder weg. Ich wusste, dass ich eingangs der Sachskurve eine ungünstige Linie fuhr und wollte hier im zweiten Qualifying noch eine halbe Sekunde holen. Wir sind sogar zum ersten Mal in der Saison verschwenderisch mit den Reifen umgegangen und zogen noch während des zweiten Qualis einen neuen hinteren Gummi auf, was die Top Ten-Fahrer eigentlich bei jeder Veranstaltung machen. Die brauchen deutlich mehr Material. Ich bin mit 16 Hinterreifen über die Saison ausgekommen, die vorderen Piloten benötigten laut Dunlop-Fachmann Ralf Christmann bis zu 24 Stück.
Mir war klar, dass ich mich rundenzeitenmäßig so ziemlich an meinem persönlichen Limit bewegte. Aber es würde das letzte Rennen der Saison sein und wenn ich auch nur eine kleine Chance sehe, bin ich immer bereit, noch ein paar Kohlen ins Feuer zu hauen. Ausgangs der Sachskurve verließ mich in Q2 dann leider der Grip am Hinterrad, und ich legte einen Bilderbuch-Highsider hin. Hoch und weit, wie Augenzeugen später berichteten. Die Maschine traf mich noch im Rücken, driftete dann aber zum Glück seitwärts ab. Diesmal schmerzte der Abflug! Mehrere Sekunden verweilte ich in Gebetshaltung in Richtung der Sachstribüne und versuchte zu atmen. Dann vermeldete mein Kontrollzentrum: alles okay, steh auf! Zum Glück war der Schaden am Motorrad ähnlich gering wie damals nach dem Highsider in Zolder. Doch nun war es eben wieder nur Startplatz 21. Ich habe innerlich geflucht, und zwar ziemlich wüst.
Das erste Mal bewusst mit Rennintelligenz fahren
Unterdessen rotierte mein Mechaniker André ganz unauffällig im Hintergrund und versetzte die R6 wieder in Bestzustand. Ich saß im Campingstuhl und stierte an die Zeltwand. Währenddessen trudelten mehrere Gäste inklusive meiner Familie ein. Meine schwäbische Großmutter bot mir knappe zwanzig Minuten vor dem Rennstart noch ein Wurstbrot an. Ich sagte: „Oma, wenn ich das jetzt esse, dann kotze ich in meinen Helm.“ Und sie sagte wenig überzeugt: „Moinsch?“
Einen Platz ging es im Rennen noch nach vorn. Die Lücke zu Platz 19 und 18 war mit ungefähr einer Sekunde Abstand nicht mehr zu kitten. Ich kam mal näher ran, verlor dann aber wieder an Boden. Zum ersten Mal in der ganzen Saison fuhr ich ganz bewusst mit so etwas wie „Rennintelligenz“. Ich entschied mich dazu, den 20. Rang einfach mitzunehmen und die Kurveneingänge zuzumachen, um den Fahrern hinter mir keine Chance mehr zum Überholen zu geben. Endlich schwenkte der Fahnenmann die schwarz-weiß-karierte Flagge. Die Saison 2016 war vorbei!
Was ich währenddessen nicht wahrnahm: An der Tabellenspitze trug sich Dramatisches zu. Titelkandidat Marc Zellhöfer stürzte in Runde neun übers Vorderrad, und Patryk Kosiniak reichte der zweite Platz zur Meisterschaft. Der Sieg im Rennen ging an den überragend fahrenden Daniel Rubin. Bruder Dominik schaffte es mit Rang drei ebenfalls aufs Podest. Herzlichen Glückwünsch, Patryk, Dani und Domi!
Und weiter?
Jetzt stellt sich die Frage, wie es weitergeht. Im nächsten Jahr feiert der Yamaha-Cup sein 40. Jubiläum. Es wird ein neues Modell der genialen R6 geben, mit dem man wieder zwei Jahre fahren kann. Dunlop steht weiterhin als kompetenter Reifenpartner zur Verfügung und beliefert den Cup mit einem Update des bislang genutzten D211 GP-Racer. Der D212 GP-Racer wird einen neuen Aufbau der Karkasse und eine ganz neue Gummimischung haben, was die Rundenzeiten weiter purzeln lassen sollte.
Und der PS-Redakteur? Ich versuche wieder dabei zu sein. 2016 war eines der besten Abenteuer meines bisherigen Lebens. Es schreit geradezu nach einer Fortsetzung!
Kostenaufstellung
Eine Saison Yamaha-Cup am Beispiel von PS-Redakteur Tobi
Cup-Paket 1 | Motorrad, alle Umbauteile, Schmiermittelpaket, komplette Fahrerausstattung, alle Nenn- und Startgelder | 17.790 Euro |
Sturzteile und Reparaturkosten | Kleinteile (komplette Verkleidung, Fußrasten, Lenkerstummel, Hebeleien, Dichtungen, Schrauben etc.) 4.353,62 Euro, Arbeitszeit 2.590 Euro (etwa 35 Stunden zu je 74 Euro), Kurbelwelle 1.086,41 Euro, Kühler 645,53 Euro, Vorderrad 616,73 Euro | 9.292,29 Euro |
Reifen | 15 Vorderreifen (119 Euro/Stück) und 16 Hinterreifen (173 Euro/Stück) | 4.553 Euro |
Sprit | 280 Liter | zirka 370 Euro |
Verschleißteile | Fünf Liter Öl Yamalube 10W-40 (51,17 Euro), ein Ölfilter (10,76 Euro), ein Satz Originalbremsbeläge vorn (102,18 Euro) | 164,11 Euro |
Weitere Kosten | Renntraining bei Motorsportschool Zolder (fünf Turns 140 Euro), Umweltpauschale Schleiz (15 Euro) | 155 Euro |
Gesamtkosten | 32.324, 40 Euro |