Traditionell beginnt der Yamaha R6-Dunlop-Cup mit dem einwöchigen Auftakttraining am Lausitzring. Gleich darauf geht es ins erste Rennen. Fast über die ganze Trainingswoche hinweg haben wir morgens um acht Uhr drei Grad und teilweise Schneeregen. Anstatt hart am Gas aus der Schikane rauszufeuern, schlurfe ich missmutig über das geflutete Fahrerlager in Richtung warme Dusche. Keiner traut sich raus auf die Strecke, man würde vielleicht ein paar Kurven weit kommen. Und doch trocknet die Piste nachmittags meist ab, die wilde Meute kann ausrücken.
Gegen Ende der Session rummst es nach einem offenkundig misslungenen Bremsmanöver direkt hinter meinem Rücken. Die zu Boden gegangene R6 rutscht mir hinterher und touchiert leicht mein Hinterrad, aber ich bleibe im Sattel. Glück gehabt – fast wäre schon der Auftakt danebengegangen. Durchhalten ist angesagt, bis endlich am Wochenende die Qualifikationsläufe und das Rennen anstehen. Am Horizont sticht die Sonne hervor. Allgemeines Aufatmen als Ruhe vor dem Sturm.
R6 ist ein astreines Sportgerät
Was bringt mich überhaupt hierher? Ich würde sagen, eine Mischung aus persönlichem Ehrgeiz sowie die Aussicht auf eine Menge PS-Geschichten voller Schräglage, Vollgas und Benzin. Letztes Jahr im September fuhr ich beim Cup-Finale in Hockenheim die Gaststart-Maschine und wurde von der R6-Meute durch den Fleischwolf gedreht. Gegen Ende des Rennens ging mir richtig die Puste aus.
Nach einem groben Fahrfehler kurz vor Schluss rollte ich als Vorletzter ins Ziel. Ich war völlig erschöpft und desillusioniert. Aber ich wollte dieses Resultat auf gar keinen Fall auf mir sitzen lassen, und der Cup-Virus hatte mich gepackt. Die R6 ist ein astreines Sportgerät und im professionellen Rahmen des Yamaha-Cups zu starten ein elektrisierendes Erlebnis. 2016 musste ich einfach mitmischen. Um mich zu verbessern und um hinter das Geheimnis zu kommen, warum diese Bluthunde auf ihren 600ern so unheimlich schnell sind.
Gehen wir es professionell an
Zwei Dinge sind vorab in den Griff zu bekommen. Baustelle Nummer eins: Fitness und Ernährung. Baustelle Nummer zwei: Ich brauche jemanden, der meine R6 dem Reglement entsprechend aufbaut und mich vielleicht sogar im Cup freundschaftlich betreut. Ich nehme mir vor, die Sache so professionell wie möglich anzugehen und will daher topfit in die Saison starten. Mein Kumpel Freddy arbeitet als Fitness- und Ernährungsberater, zur Vorsaison setzt er mich erst einmal auf Radikaldiät. Einen Monat lang gibt es hauptsächlich tierisches und pflanzliches Protein, wohldosiert und höchstens flankiert von etwas Gemüse. Mein Sportpensum schraube ich so weit nach oben wie möglich. Fitnessstudio, Laufen und Schwimmen, immer im Wechsel. Nach den vier Wochen habe ich das beste Sixpack, das ich mir je antrainiert habe. Toll, um Strandschönheiten auf Malle klarzumachen. Aber ob ich deshalb ein besserer Rennfahrer sein würde?
Um das abzuklären, habe ich mit Andreas Spranger von Ortema (www.ortema.de) einen Termin zur Leistungsdiagnostik in Markgröningen bei Stuttgart. Sogar unser Superbike-WM-Held Markus Reiterberger geht zum Fitness-Check und zur Beratung dorthin. Andreas prüft in einer Reihe von Tests meine Beweglichkeit, den Gleichgewichtssinn, die Maximalkraft und die Laktatwerte im Blut bei Belastung. Fast alle Ergebnisse fallen wirklich gut für mich aus – bis auf eines. Ich jogge sehr gerne und gerne lange, allerdings nur in meinem Wohlfühlbereich bis 140 Puls. Sobald ich in den anaeroben Bereich (Puls ca. 185) gerate, übersäuern meine Muskeln und der Ofen geht aus. Für die letzten Rennrunden sollten hier aber Reserven vorhanden sein. Andreas Spranger rät mir, lieber kürzere Läufe zu absolvieren und dafür zwischendrin Sprints einzubauen. Am Ende des Tages gibt er mir einen Satz mit auf den Weg, der sich mir eingebrannt hat: „In dem Bereich, in dem du dich verbessern musst, macht Sport keinen Spaß mehr.“

Für die Fitnessmuffel unter uns: Markus Reiterberger hat sich dieser Thematik anscheinend erst mit dem Einstieg in die Superbike-WM zugewandt, davor hätte er das ganze Zeug nach eigener Aussage nicht wirklich gebraucht. Na toll! Mit Uli Schüller aus Jüchen bei Mönchengladbach steht mir für die Cup-Mission ein Yamaha-Händler mit langjähriger Erfahrung zur Seite.
Seit 2010 hat er diverse Fahrer betreut. Uli ist ein ursympathischer Typ, und sein Techniker Frank stellte mir die R6 in etwa 30 Stunden Arbeitszeit mit den Yamaha-Kit-Teilen wirklich piekfein auf die Räder. Frank war selbst lange Zeit aktiv im Rennsport unterwegs. Als ich ihn frage, was er heute so macht, antwortet er: „Ich bin Bestatter.“ Ich vertraue ihm trotzdem.
Bammel ohne Ende
Und dann war sie da, die erste Rennsaison. Ich habe Bammel ohne Ende, zeige es aber nicht. Aufregung, Hektik und übertriebene Euphorie waren schon öfters der Untergang vieler großer Vorhaben, glaube ich. Nach jeder Trainingssession, über beide Zeittrainings und die Qualifikationsläufe hinweg, konnte ich mich hier am Lausitzring etwas steigern. Dennoch stehe ich schließlich „nur“ auf Position 28 von 33 in der vorletzten Startreihe.
Ständig hatte ich mit der Maschine zu kämpfen und kam fahrwerksmäßig nie so richtig vorwärts, obwohl der Öhlins-Service mir das Bike schon recht solide eingestellt hat. Wenn ein schnellerer Fahrer vor mir war, konnte ich aber nicht so scharf abwinkeln, in Schräglage kaum nachkorrigieren und nicht so früh den Hahn spannen wie er. Ich hab´s wahrlich versucht, es ging einfach nicht.
In der ersten Links wird es verdammt eng für 33 Fahrer
Rettung kommt von Ex-Cup-Fahrer Marco Freyer. Er erzählt mir, dass ihn zu Beginn seiner eigenen Cup-Saison dieselben Probleme umtrieben und er nicht pushen konnte. Er rät mir zu einem weicheren Setup, und ich bin erst einmal skeptisch. Man bekommt an der Rennstrecke Tausende gute Tipps, doch welche davon taugen wirklich was? So kurz vor dem Rennen will ich das Fahrwerk eigentlich nicht mehr ändern, lasse mich irgendwann aber doch überreden.
Als die rote Startampel ausgeht, werfen sich 33 Fahrer in die erste Linkskurve. Ich verliere den Überblick über meine Position und schaue einfach nur, dass ich heil aus dem Nadelöhr komme. Danach zieht sich das Feld etwas auseinander und ich konzentriere mich nur noch auf Brems- und Beschleunigungspunkte. Sei es Einbildung oder Realität, mein Motorrad funktioniert richtig gut und ich kann mehrere Überholmanöver fahren. In der Entfernung sehe ich die nächste Gruppe, an die ich Stück für Stück herankomme. Beißen!

Jedes Mal beim Überqueren der Ziellinie bete ich um nur noch etwas mehr Zeit. Kurz vor Schluss fahre ich mit 1.49,7 min meine schnellste Rennrunde und komme tatsächlich noch an einem Kollegen vorbei. Im Ziel bin ich wahnsinnig glücklich, den Ritt überstanden zu haben. Keine Ahnung, auf welchem Platz ich gelandet sein könnte. Uli kommt mir entgegen und ruft: „Du bist Zweiundzwanzigster!“ Für mich fühlt es sich wie ein Sieg an, und ich bin einfach happy.
Doch dann auf der Heimfahrt packt mich eine eigenartige Leere – ein komisches Gefühl, als hätte dir jemand etwas genommen. All die Aufregung und Anspannung die Tage davor und nach wenigen Minuten höchster Konzentration ist alles vorbei. Aber bald schon geht es am Nürburgring weiter, Gott sei Dank!